Kaffee, Zigarette.
Die Welt steht auf einem schwankenden Gerüst aus Meinungen und Gerüchten. Wir sind Realitätenhändler, die Mutmaßungen kaufen und verkaufen; wir arbeiten mit der Poesie, mit dem Roman, meist sogar mit der Kurzgeschichte, aber nur die Gedanken, die wir dabei schöpfen, machen uns „tatsächlich“ angst. „Angst essen Seele auf.“
Ich strecke den Arm aus, betätige den Schalter meiner Nachttischlampe und zucke, nachdem meine Augen sich an das grelle Licht gewöhnt haben, zurück, beinahe hätte ich schreien mögen, aber ich unterließ es, ich blicke hin zur Seraphe, die sanft einatmet, ausatmet. Der Arm, den ich erblicke, scheint mir fremd, der Arm einer dicken alten Frau, die sich wie ein Käfer aus dem Bett strampelt, um sich davon zu befreien. Schon wanke ich auf den Flur hinaus, gigantische Brüste lassen mich vornüberkippen, ich bin bemüht, mein Gleichgewicht zu halten, tappe ins Bad hinein, betrachte mein Gesicht im Spiegel. Tatsächlich. Das bin ich. Eine alte Frau mit einem Altfrauengesicht. Altersflecken. Falten, der Blick trübt sich von Sekunde zu Sekunde. Das kann doch nicht sein, denke ich. Das bin ich, denke ich.
Ich schiebe mich an den Wänden entlang, angstvoll bedacht nicht von Händen ergriffen zu werden, sah ich darüber doch mal einen Film, oder war es kein Film, sondern die Realität, ich weiß es nicht mehr.
Schließlich erreiche ich erschöpft die Küche. Einen Kaffee, ich benötige einen Kaffee, auch eine Zigarette, die ich mir sofort in der Küche anzünde. Das bin nicht ich, denn ich rauche nie in der Küche. Das könnte ein Beweis für meinen Irrsinn sein. Ich ziehe an der Zigarette, denke, ich mag als Frau das Rauchen wohl auch. Was wird die Seraphe denken, wenn sie mich hier als alte Frau entdeckt? Aufschreien! Sie wird mich aus der Wohnung schmeißen! Bestimmt, denn warum sollte sie auch etwas anderes tun? Vielleicht gerate ich auch wegen Mordes an mir unter Verdacht, man wird mir Fragen stellen, wo ist die Leiche, wo haben Sie Rohm entsorgt. Der steckt doch in mir drin, müsste ich antworten.
Ich setze mich schwerfällig vor den Bildschirm, rufe meine Mails ab, versuche mich an den gestrigen Tag zu erinnern. Da gab es ein Telefonat mit einem Verlag, die Interesse an meinem nächsten Roman haben, aber noch ist der Vertrag nicht unterzeichnet, noch kann ich dies nur als Gerücht streuen. Es ist eine Mutmaßung.
Ich versuche den Eintrag des Tages zu tippen. Es will mir nicht gelingen, denn die aufgequollenen Finger treffen immer gleich mehrere Buchstaben, da öffnet sich die Tür, die Seraphe kommt, ich zucke zusammen, jetzt wird mein Leben wie ein Kartenhaus in sich zusammen fallen, die Seraphe wird mich mit einem Schrei begrüßen, aber nichts dergleichen geschieht, sie sieht mich verschlafen an, öffnet den Mund, jetzt kommt er also doch, der Schrei, sie reißt den Mund auf und gähnt.
Ich bin verwundert, hebe meine Hand, will sie ihr zeigen, meine Altweiberhand, und zeige ihr die gewohnte Rohm-Hand. Ich atme erleichtert auf, natürlich, denn ich bin zurück. Das bin ich doch, denke ich. Oder bin ich das etwa gar nicht?
Erschöpft und mit zittrigen Händen werde ich einen Kaffee trinken, eine Zigarette rauchen und dann …