Kaffee, Zigarette.
Natürlich, sage ich zu Torn, ist der Kriminalroman die ideale Form, der ist deshalb die ideale Form, sage ich zu Torn, weil eh alles kriminell ist, doch nicht nur die Banküberfälle und Morde, die sind ja augenfällig kriminell, auch wenn man sich da auf Brecht berufen könnte, der irgendetwas über die Moral und den Banküberfall gesagt hat, der soll gesagt haben, der Bankraub sei eine Initiative von Dilettanten, denn die Profis, die gründen eine Bank, also müsste man auch mal über die schreiben, sage ich zu Torn, nicht nur über die Bankräuber, die sollte man in ihren Beziehungen beobachten, denn die Beziehungen sind die ersten kriminellen Vereinigungen überhaupt, da wird geplant und betrogen und bestohlen, ja, die Paarbildung ist die erste Keimzelle des Bösen, sage ich zu Torn, schon da klappt nichts, da geht es um Herrschaftsbeziehungen, um Revolutionen, um Ausbrüche, um Freiheit, über die Freiheit, über die müsste man auch mal schreiben, weil die doch eh keiner will, sage ich zu Torn, man geht von einer Gefangenschaft in die nächste Gefangenschaft, immer nur Gefangenschaften, als ob da das Heil drin stecke, da steckt eine Menge drin, vor allem Regeln und Absicherungen, man hockt mit seinem Partner in dieser Zelle und dann wird gevögelt, vergewaltigt, bedroht, gespielt, eben hin bis zum Tod, sage ich zu Torn, weil eben alles kriminell ist, also ist der Kriminalroman die ideale Gattung, die sich mit allen beschäftigen kann, auch mal mit den Polizisten, obwohl das eher langweilig ist, denn man muss nicht immer in die vollsten Fächer greifen, man kann sich jeden schnappen, auch mal einen Friseur, denn so ein Friseur der kann schon ein aufregendes Leben führen, der hat vielleicht einen Hass auf Männer, der zieht los und schlachtet sie ab, natürlich vermutet das keiner, weil der Friseur so ein netter Kerl ist, aber er macht es trotzdem, weil er eine Mutter hatte, die ihm in seiner Kindheit mit Pralinen zu nahe kam und einen Vater, der ihm mit seinem Schwanz zu nahe kam, und der gelernt hat, die Familie ist kriminell, die ist eine Hochburg der Kriminellen, und nun irrt er durch sein Leben, gepeinigt von seinen Erinnerungen, er soll das Opfer sein, damit kann keiner auf Dauer leben, darum zieht er „endlich“ los und schüttelt das Opfer aus sich heraus, er schneidet sich zum Täter, damit er den Fluch der Vergangenheit los wird, und natürlich, sage ich zu Torn, wird er den auch nicht los, er hat sich nur einen weiteren Fluch in die Seele geritzt, der Friseur, den alle für einen netten Burschen halten und der in den tiefsten Tiefen seiner Hölle haust, die ihm geschaffen wurde, die ihm die Mutter und der Vater bereiteten, darüber müsste man mal schreiben, nicht nur in die Vollen gehen, nicht nur die großen Killer beschreiben, weil es da eh immer noch größere Killer gibt, aber an den Hitler oder den Stalin, da trauen sich die wenigsten Krimiautoren heran, warum auch, die haben schon recht, man muss nicht unbedingt auf den Berg hinauf, um das Tal beschreiben zu können, von oben sieht alles verkleinert aus, man kommt gar nicht heran an all die Geschichten, deshalb sollte man als Wanderer unterwegs sein, anhalten, zusehen, sich ein Frau aussuchen, eine Putzfrau vielleicht, die die Pisse der Naziobersten wegwischte, eine, die sie nicht wahrnahmen, die ihre Gespräche hörte, ihr Lachen und Spucken, die ihrem Abschütteln und Rotzhochziehen beiwohnte, eine, die sie nicht kümmerte, weil die doch nur für die Kackrückstände zuständig war, für ihre braunen Gedanken, die sich in den Tiefen der deutschen Kanalisation verteilten, über die müsste man schreiben, sage ich zu Torn, nicht gleich über die totalen Killer, über die ja auch, weil man über alles schreiben kann, wenn man es kann, und wenn man es kann, sucht man sich irgendwann den Kriminalroman aus, denn der Krimi beschreibt alles, weil eben alles kriminell ist, sage ich zu Torn, der mich anschweigt und nickt und zu mir sagt, so ein Wortschwall wäre auch kriminell, darüber müsse man auch mal schreiben. Also setze ich einen Punkt, sehe ihn erstaunt an und nicke, klar, sage ich zu Torn, darüber könnte man auch schreiben. Wir trinken noch einen Kaffee, rauchen eine Zigarette, ich sehe dem Torn beim Rauchen zu und er sieht mir beim Rauchen zu. Wir schweigen und hängen unseren Gedanken nach. Natürlich sind das kriminelle Gedanken, weil am Ende eben alles kriminell ist. Auch das Denken.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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