24. September 2010, Die Kinder der Nacht oder: Diese verdammten Nächte, 6.00 Uhr

Es war Willi, der Louis die Flasche Wein reichte, er gähnte dabei, keine Zähne, Willi, du hast ja gar keine Zähne mehr, sagte ich und Willi lachte auf, presste sich die Faust vor den Mund, kicherte, während Louis einen Schluck Wein nahm, die Flasche absetzte und rülpste, er hat sie nie gepflegt und hatte ständig Schlägereien, nicht wahr, Willi, sagte Louis, der nicht antwortete, sondern nur kicherte, jetzt muss er sich wenigstens nicht mehr darum sorgen, sagte Louis und gab mir die Flasche, ich sah sie an, wischte dann den Flaschenhals an meinem T-Shirt ab, an der Innenseite lief Speichel, an den kam ich eh nicht heran, ich wollte überhaupt nichts trinken, aber mir blieb nichts übrig, Willi und Louis sahen mich schon ganz seltsam an, hast du das gesehen, Willi, fragte Louis, ja, ja, gluckste Willi, wir haben hier einen feinen Herrn, der leckt nicht einfach so an jeder Flasche, die er gereicht bekommt, vielleicht sollten wir eine von den Nutten hoch holen und sie uns teilen, mal sehen, ob er die auch mit seinem T-Shirt abwischt, bevor er sie besteigt, das fanden sie natürlich wahnsinnig lustig, sie lachten lauthals auf, bekamen sich gar nicht mehr ein, Willi sagte, das ist eine gute Idee, Lou, hol eine Nutte hoch, hol sie hoch, Willi bekam sich gar nicht mehr ein, schrie immer wieder, hol eine hoch, hol eine hoch, bis es Louis reichte, der aufstand und Willi die Hand durchs Gesicht zog, so als hätte da eine Fliege gesessen, die er verjagen wollte, er gab ihm eine Backpfeife, so etwas sah man selten unter diesen Männern, es war fast schon ein zärtlicher Akt, so schlugen sich die Nutten unten auf der Hauptstraße, aber es wirkte, Willi hörte auf zu lachen, er sah Louis erstaunt an, rang mit den Worten, die er schließlich vor Louis auskotzte, ein Schwall Wein kam ihm hoch und landete direkt vor Louis Füßen, der ihn am Kinn fasste und sagte, es reicht für heute, Willi, leg dich hin, und Willi gehorchte, er stand auf und schlenderte hin zum Bett, legte sich in ein Wechselspiel aus Blau und Rot, das verdammte Neonlicht, sagte Willi, schließ die Augen und schlaf, sagte Louis und nahm mir die Weinflasche ab, er trank einen Schluck, reichte sie mir, sagte, wenn du jetzt wieder das feine Mädchen raus hängen lässt, dann stech ich dich ab, ich schwöre es dir, trink oder geh, aber führ dich nicht so auf, das beleidigt mich, also überwand ich mich und trank aus der Flasche, der Wein schmeckte bitter und billig, er brannte mir im Magen, wir konnten Willi bereits schnarchen hören, da sagte Louis, ich will dir ein Gedicht vortragen, ich nickte nur, flüsterte, du schreibst, er sah mich mit einem starren Blick an, willst du es hören oder nicht, klar, sagte ich und dann legte er los, diese verdammten Nächte, diese verdammten Nächte, die du einsam in einem Hotelzimmer sitzt, du und ein Fremder, den du am Bahnhof aufgelesen hast, diese verdammten Nächte werden dich irgendwann killen, du sitzt da und rauchst und starrst ins Auge einer Fliege, die sich verirrt hat, du schlägst der Fliege das Auge aus, aber das stört sie nicht, sie bleibt einfach da hocken und sieht dich mit diesem dunklen Loch an, sie verschluckt dich mit ihrem Blick, du spürst, die Fliege ist stärker, also lehnst du dich nach hinten und gibst endlich auf, Louis lehnte sich nach hinten, er sah mich an, irgendwie erwartungsvoll, also applaudierte ich, weil ich nicht wusste, was ich sonst hätte tun sollen, er schüttelte den Kopf und sagte nur, du bist noch nicht soweit, du hast es noch nicht begriffen, aber der Tag wird kommen, glaub mir, trinken wir also lieber, er nahm wieder einen Schluck aus der Flasche, während von unten Schreie zu hören waren, eine von den Nutten schrie, Bastard, du verfluchtes Arschloch, und Louis grinste mich an und sagte, kannst du sie hören, die Kinder der Nacht, er schloss die Augen und lächelte.

Diese verdammten Nächte

Diese verdammten Nächte,
die du einsam in einem Hotelzimmer sitzt,
du und ein Fremder,
den du am Bahnhof aufgelesen hast,
diese verdammten Nächte
werden dich irgendwann killen,
du sitzt da und rauchst und starrst
ins Auge einer Fliege,
die sich verirrt hat,
du schlägst der Fliege das Auge aus,
aber das stört sie nicht,
sie bleibt einfach da hocken
und sieht dich mit diesem dunklen Loch an,
sie verschluckt dich mit ihrem Blick,
du spürst, die Fliege ist stärker,
also lehnst du dich nach hinten
und gibst endlich auf.

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