Der Stuhl ist leer, sagt sie mit tränenerstickter Stimme, sie schluchzt, sie schluckt Tonnen von Schmerz in ihren Bauch hinunter, es rumpelt in ihrem Bauch, denn da ist kein Platz mehr, für nichts, nicht einmal mehr für Essen, ach, sagt sie, geh mir mit dem Mittagessen weg, was will ich denn damit, denn er wird nie wieder auf dem Stuhl sitzen, nie wieder mit einem Lachen ins Zimmer stürzen, die Hosen aufgerissen und dreckig, er wird uns keine Geschichten erzählen, warum er zu spät gekommen ist, sie zeigt auf den Stuhl, eine starre Geste, die nicht enden will, sie verharrt, weist auf den Stuhl, den sie dort stehen lassen werden, heute, die nächsten Jahre, sie wird sich von ihrem Mann trennen, weil sie mit dem Schmerz nicht leben können, weil jeder anders mit dem Schmerz lebt, sie werden ein Leben ohne den Jungen führen, aber so etwas kann es nicht geben, sagt sie, es kann kein Leben ohne ihn geben, es wird kein Leben ohne ihn geben, sie wiegt sich vor und zurück, ihr Körper wird zu einem Gebet, sie wird sich in den Nächten vor Schmerz krümmen, denn er hat ihnen ihr Kind genommen, sie schreit es in Raum hinein, tu doch etwas, sie brüllt ihren Mann an, ich will mein Kind zurück, gib mir mein Kind, aber ihr Mann schweigt, er schweigt sich in seine Welt des Schmerzes, sein Verlust kennt keine Worte, er würde gerne etwas sagen, möchte ihr ins Ohr flüstern, es geht ihm gut, er ist im Himmel, aber sie würde fragen, gibt es den denn überhaupt, den Himmel, er würde stumm nicken, natürlich, natürlich, aber er würde es längst schon nicht mehr aussprechen, denn er ist in seinem Kopf gefangen, er denkt an den Täter, er will ihn sehen, ihn töten, der Hass beginnt sich wie eine Nebelbank in seinem Kopf auszubreiten, der Hass hüllt alle anderen Gedanken ein, töten, denkt er, nein, nicht einfach töten, man müsste ihn langsam foltern, ganz langsam, so wie er es mit meinem Jungen gemacht hat, das muss man verstehen, jeder wird mich verstehen, denkt er und hört nicht das laute Weinen seiner Frau, die auf den Stuhl zeigt, immer wieder auf den leeren Stuhl, die schließlich den Kopf hängen lässt, bring mir mein Kind, jetzt.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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