Winter wird belagert.
Immer wieder versuchen fremde Truppen in Winters Trutzburg einzufallen. Ihre Waffen sind vielfältig. Manchmal kämpfen sie mit Broschüren, die den Nachweis erbringen, dass es gar keine Dinosaurier gab. Mit diesen kleinen Heften stehen sie dann vor Winters Wohnungstür und wollen ihn zum Himmel hinauf lächeln.
Vor Urzeiten (wir reden hier von mehreren Jahrhunderten) fühlt Winter sich für solche Kämpfe noch gewappnet. Damals ist er jung und an schlagenden Argumenten, die in seinem Mund Funken sprühen lassen, interessiert. Also begeht er öfters den Fehler und öffnet seine Wohnungstür.
Schon im nächsten Augenblick nehmen die anstürmenden Truppen ihn in Gottes Gewahrsam. Sie treiben ihn in die Enge. Winter kommt kaum zu Wort. Die Gesandten des Schöpfers von Himmel und Erde weisen ihn auf die wahre Erdgeschichte hin, die, er müsse sie doch kennen, natürlich in der Bibel zu finden sei.
Tausend Tode sterbend spürt Winter ihre Wortlanzen, die sich, sind sie auch noch so winzig und kaum sichtbar, in seinen Nasenrücken bohren. Seine Stirn brennt wie ein Höllenfeuer. Erst nach unzähligen Stunden kann sich Winter aus der Umklammerung befreien. Verletzt schleppt er sich in seine Wohnung zurück, sich beschwörend, dies sei sein letzter Wohnungstürenverteidigungskampf gewesen, denn er ist in den Techniken eines Alltagsritters einfach nicht genügend ausgebildet.
Nun wird Winter ein weiteres unnützes Mal belagert.
Zunächst läutet ihn die Nachbarin von der Tastatur zur Tür hin. Winter spioniert mit dem Spion. Er überlegt, berechnet, und als er sich endlich dazu durchgerungen hat, die Zugbrücke fallen zu lassen, da ist die alte Frau bereits wieder in ihre Wohnung zurück gepilgert.
Winter dankt den sechsundzwanzig Göttern der Literatur, da jault seine Klingel abermals auf.
Von dem Gedanken angefallen, es könne sich ja nur um seine Nachbarin handeln, öffnet Winter und blickt in das Angesicht einer Frau, die ihn anfährt, er sei dem Satan zwar anheim gefallen, aber wenn er sich hier und heute zu Gott bekenne, dann werde man ihn aus den Klauen des Schrecklichen noch zu befreien wissen.
Wie, wo, was, stammelt Winter, da zieht ihn die Frau bereits in den Flur hinaus, reißt seine Hand nach vorn und patscht sie auf ihre linke Brust. Langsam, obwohl Winter dies weder für schicklich noch erregend hält, massiert sie mit seiner Hand ihre Brust, wellenartig, so wie man einen Teigklumpen bearbeiten würde, der in den nächsten Sekunden in einen Ofen zu verfrachten wäre.
Mit weit aufgerissenen Augen starrt sie Winter an und schreit, das würde ihm doch Spaß machen, ja, sie könne es an seinen Augen ablesen, da habe EINER seine Wollust entdeckt. Schon lässt sie Winters Hand fallen, der sich gerade mit der Wollust anzufreunden gedachte. Sie sei Gottes direkte Tochter, Winter dagegen eher ein weitläufig entfernter Freund des Gotteshauses, den man aber selbstredend in den Schoss der Liebe zurück holen würde, wäre er nur bereit, Teil ihrer Gruppe zu werden. Sie träfen sich jeden Tag in den Räumen dort und dort, sie erklärt Winter bereits den genauen Ort, der sich aber tippelnd langsam in seine Trutzburg zurück zieht.
Die Gottestochter bemerkt dies wohl. Sie kommt mit dem letzten Argument, damit schon manch Ungläubiger doch noch überzeugt wurde: Man würde in der Gruppe der freien Liebe frönen, denn Gottes Kinder würden es da ja nur, sie blinzelt Winter zu, unter sich treiben. Das sei gewünscht und würde vom lieben Gott auch sicherlich nach dem Ableben honoriert.
Winter hat den letzten Schritt ins Privatreich getan. Er schlägt die Tür zu. Die Tochter des Allmächtigen vergisst sich für Sekunden und beschwört Worte von Aborten und Körperteilen herauf.
Dann zieht sie von dannen, warten doch auch noch andere Hände darauf, sich auf den Busen Gottes zu verirren.
Befreit wird täglich von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Der Führer ihrer so ehrenwerten Gemeinschaft will dies so, zumal er selbst nicht missionieren kann, muss er sich doch die Zunge in Dauergesprächen mit dem Himmel und einem Schweizer Bankinstitut trocken reden. Der Arme leidet. Aber er leidet für eine Sache, die weit oben im Himmel beschlossen wurde. Gott duldet keinen Widerspruch. Also folgt man am Besten seinen Anweisungen einfach.
Winter kehrt ängstlich an seine Tastatur zurück. Er fährt bei jedem Geräusch zusammen. Er steht auf, läuft zum Fenster hinüber, beobachtet eine Gruppe von Schulkindern, die von Haus zu Haus ziehen.
Winter kann es nicht glauben. Da marschieren also bereits die nächsten Truppen. Er sucht rasch nach einem Füller, den er schließlich auch zuunterst in einer Schublade findet. Rasch noch ein Papier und schon hockt er auf seiner Kloschüssel. Es klingelt bereits. Winter lächelt, denn diese Angriffswelle kann er mit dem besten Gewissen aussitzen. Geschäft ist Geschäft, und sollte ihn später jemand ansprechen, kann er sich noch auf eine Hirn-Darm-Erkrankung berufen, die ihn leider, leider über fünfzehn Stunden auf dem stillen Örtchen schreiben ließ.
Man könne sich Ort und Stunde, da einen die Inspiration anfalle, eben nicht aussuchen, wird Winter erklären.
Er kann die Angreifer hören. Winter lächelt nur beseelt und schreibt sich aus der Welt der Wohnungen und der Türklingeln einfach hinaus.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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