Während der Graf um die Hand der jungen Anwältin anhält, schreit Horst seine Frau an. Sonja hält die Luft an. Was wird sie sagen? Sie wird ihm ein Geheimnis offenbaren. Herr Graf, ich muss Ihnen gestehen …
Schlussmusik.
Fuck, denkt Sonja und klettert vom Sofa. Rasch in der Küche eine Cola holen.
Unterwegs hört sie wieder Horst. Er hat getrunken. Die Worte überschlagen sich in seinem Mund.
Sonja stellt sich näher an das geöffnete Küchenfenster.
„Du Miststück!“, schreit Horst.
Sonja angelt sich ein Glas aus dem Schrank. Füllt es bis zum Rand mit Cola. Balanciert das Glas rüber ins Wohnzimmer. Abstellen. Wieder rein ins Sofaboot. Sich ablegen.
Sie schaltet um. Nur noch wenige Minuten. Dann beginnt „Unendliche Liebe“. Montag bis Freitag. 17.50 Uhr kann man an den Schicksalen der deutschen Elitejugend teilhaben.
Unten sind schon wieder Schreie zu hören. Sie hört Michaela. Sonja kann nicht verstehen, warum sie noch bei Horst bleibt.
Und schon taucht sie ein. Sie sitzt mit Hagen in einem Restaurant. Hagen will Topmodel werden. Bei diesem Aussehen muss er ein Model werden. Sonja streckt die Hand aus. Sie streicht ihm über den Kopf. Plötzlich dreht sich Hagen um. Nicht jetzt, scheint sein Blick sagen zu wollen. Sonja zuckt zusammen.
Horst und Anna scheinen sich mit etwas zu bewerfen. Der Krach bringt Sonja aus dem Konzept.
Doch nicht jetzt, nicht in diesem Augenblick, denkt sie, denn immerhin will Hagen seiner Elisabeth gestehen: Ich liebe dich! Er setzt an, klemmt nach dem Ich ein l in seinem wunderschönen Mund, diese Lippen, denkt Sonja noch, da ertönt von unten ein lauter Knall. Hat sich nach einem Schuss angehört. Sonja runzelt die Stirn und lauscht. Hagen und Elisabeth scheinen auch irritiert. Hagen schüttelt sich und beendet den Satz. Geschafft. Sonja, Hagen und Elisabeth lächeln. Elisabeth greift nach Hagens Hand. Sie müsse ihm noch gestehen, dass sie ein Geheimnis habe. Sie spricht nicht weiter. Sonja hält den Atem an.
Szenewechsel. Jetzt befindet sie sich in einem Nobelrestaurant in München. Im Haus ist endlich Ruhe eingekehrt.
Geht doch, denkt Sonja.
Vincent betritt das Restaurant. Föhnfrisur. Er grinst. Vincent grinst sich durch alle Folgen. Immer dieses Grinsen. Vincent ist ein Bösewicht. Sonja blickt grimmig zum Fernseher hin. Sie kann diesen Vincent nicht ausstehen. Sie greift nach der Cola. Nimmt einen Schluck. Sie verschüttet etwas davon. Egal. Die Zigaretten. Wo sind denn nur die Zigaretten, denkt sie. Unten schlägt jemand eine Tür zu. Wird wohl Horst gewesen sein. Die verfluchten Zigaretten liegen auf dem Boden. Sonja muss sich umständlich nach vorn beugen. Sie fischt die Zigaretten vom Teppich. Nur nichts verpassen. Vincent trifft sich mit Eugen Kümmler, einem internationalen Waffenhändler. Sie schütteln sich die Hände. Dann setzen sie sich und bestellen eine Flasche Wein. In der Ferne ist eine Sirene zu hören. Und als wäre das noch nicht genug der Störung, klopft es auch noch an Sonjas Tür. Nein. Sie wird nicht öffnen. Sie hat keine Zeit. Unendliche Liebe. Sie will nichts verpassen. Auf keinen Fall. Man klingelt an ihrer Tür. Klopft. Diese Arschlöcher, denkt Sonja, während Eugen Vincent als Geschäftspartner haben will. Sonja kann es nicht glauben. Sie hat Vincent ja eine Menge zugetraut. Aber Waffenhandel nicht. Sie ist entsetzt, während sie an ihrer Tür ein letztes Mal klingeln. Sie kann Schritte hören. Im Haus laufen einige Leute zusammen. Sonja macht den Fernseher lauter. Das Sirenengeheul schwillt an. Es ist zum Verzweifeln. So kann man nicht leben, denkt Sonja. Szenewechsel.
Zurück bei Hagen und Elisabeth. Sie sehen beide in Sonjas Richtung. Was soll das?
„Weiter, weiter“, flüstert Sonja.
Hagen und Elisabeth verdrehen die Augen. Elisabeth gesteht Hagen ihr Geheimnis. Sie hatte vor Jahren ein Verhältnis mit Hagens Vater. Hagen ist entsetzt. Klar. Er steht auf. Sonja schreit ein lautes: NEIN! Hagen geht. Elisabeth bricht weinend zusammen.
Das können die doch nicht machen, denkt Sonja. Sie drückt die Zigarette im Aschenbecher aus. Schon wieder klingelt jemand an der Tür.
Jetzt reicht es ihr aber. Wütend rennt sie zur Tür. Sie ist mit ihren Gedanken noch bei Hagen und Elisabeth. Sonja reißt die Tür auf.
„Was?“, schreit sie.
Anne steht davor. Annes Augen glänzen. Sie lächelt.
„Horst hat seine Frau erschossen“, sagt sie. „Komm jetzt, sonst verpasst du alles.“
„Fick dich, du Miststück. Jetzt kommt Hagen doch nicht mit Elisabeth zusammen.“
„Ach“, murmelt Anne.
Sonja zieht sie zu sich in die Wohnung. Sie setzen sich auf das Sofa.
„Das kann doch nicht sein“, sagt Anne.
„Doch!“
Sonja nickt. Sie bietet Anne eine Zigarette an. Sie sehen Elisabeth beim Weinen zu. Sie schlucken. Sie leiden mit ihr.
Die Sirene tönt nun vor dem Haus. Das Lärmen versiegt.
„Endlich“, sagt Sonja.
„Endlich“, sagt Anne.
Und dann strahlen ihre Augen. Hagen ist zurück. Sie wussten es. Nun wird doch noch alles gut werden.
Sonja blickt zu Anne hin und sagt: „Das Leben kann so wundervoll sein.“
Anne nickt. Sie lächeln den Fernseher an. Sie lächeln Hagen an. Der nimmt Elisabeth in die Arme und sagt: Ich liebe dich. Ich werde dich immer lieben.
Sonja und Anne seufzen. Die Türklingel ertönt. Schon wieder. Aber jetzt ist es gut. Hagen und Elisabeth sind vereint. Jetzt kann Sonja auch mal abschalten.
Sie steht auf und geht zur Tür.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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