Rohm, Leser solch unbequemer Werke wie „Das Dritte Auge isst auch mit“, hat sich, so scheint es, aus dem professionellen Leserlager vollends verabschiedet. Vorbei die Zeiten, da er Lesewettbewerbe wie „Hessen liest“ oder „Habet Acht – Der Wachturm in den Zeiten der Gottlosigkeit“ linker Hand einsackte. Nichts will diesem abgebrühten Leser mehr gelingen, der in früheren Zeiten bereits vor dem Frühstück dreizehn Wildwestromane, vier Bibelausgaben (Die Luther-Bibel, Die Feminismus-Bibel, Die Controlling-Bibel und Die Backen-für-Anfänger-Bibel), dreihundert Berichte über ehemalige Skispringer sowie die Packungsbeilage seiner Lieblingsschmerztabletten verschlang, und dies ohne Murren und Klagen, sondern nur mit einem müden Lächeln.
Heute liest Rohm nicht mehr, höchstens noch Steine oder alte Frauen von der Straße, die ihn zeternd anfahren, er habe ihnen nicht unter die Achseln zu greifen, schließlich und vor allem endlich wollten sie hier ja liegen, das sei ihr gutes Recht, dafür und für eine billige Zahnzusatzversicherung hätten ihre Männer vor Jahren in den Führungsetagen der deutschen Wirtschaft gekämpft. Aber nun, sie schluchzen laut auf, sei ihnen nichts als die jährliche Rentenanpassung geblieben und selbst die bleibe manchmal aus. Was das denn für ein Leben sei?, fragen sie Rohm, der baff vor der Frage aller Fragen steht.
Rohm, um zum Kern dieses gewichtigen literarischen Beitrags vorzustoßen, liest nicht mehr, er lässt vielmehr lesen. Alle hält er dazu an. Kleine Kinder, Priester (die Reihenfolge scheint ihm unglücklich gewählt), Mitarbeiter eines hiesigen Unternehmens, das dafür bekannt wurde, Nachbildungen bekannter Unternehmenshauptsitze herzustellen, sie alle müssen, ruft er sie oder spricht er sie an, ihm ein Stück aus ihrer momentanen Lieblingslektüre vortragen. So erfährt Rohm viel, aber nichts, was ihm die Frage der alten Frauen beantworten würde.
Was ist das denn für ein Leben?
Eines, so denkt Rohm, das man nicht mit Lesen verschwenden sollte, mit dem Falten von Servietten, mit dem Reparieren von Lastenaufzügen, dem Glück der Anderen, dem Unglück der Anderen, Aktienpakten.
Drum ruft Rohm eines Aktion ins Leben, die mit dem Slogan wirbt: VERWEIGERT EUCH!
Da er sich aber auch dieser Lebensaufgabe verweigert, kommt ein erstes Treffen erst gar nicht zustande, auch Demonstrationen entfallen, ferner kommt es zu keinen Zwischenfällen auf der Bahnstrecke Fulda-Paris, Entführungen und geheime Absprachen bleiben aus.
Nichts geschieht. Zufrieden blickt Rohm auf sein Werk aus Luft.
Genug getan heute, sagt er sich und beschließt, sich auf den heimischen Diwan zwecks Lagebesprechung zurückzuziehen.
Es nicht leicht, kein Gott zu sein und trotzdem beständig wie einer zu handeln.
Archivierung!
Die Pathologie wird von der Universität Innsbruck im Rahmen des Forschungsprojektes DILIMAG, sowie dem DEUTSCHEN LITERATURARCHIV MARBACH archiviert.- "In Pissoirs geht man Stufen hinunter, in Bunker, in Krematorien, in die Pathologie, in Weinkeller. Es lassen sich mythologische Beziehungen zum Hinabsteigen herstellen." Hubert Fichte, Die Palette
Über Guido Rohm
Er kam, sah und schrieb. Der Schriftsteller Guido Rohm , geboren 1970, lebt und raucht in Fulda. Romane von ihm tragen sensible Titel wie „Blut ist ein Fluss“ und „Blutschneise“.
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Guido Rohm, 36100 Petersberg E-Mail: HIERMeta