13. Mai 2012, Muttertag, 11.14 Uhr

Unaufhörlich. Trotz Muttertag rennt Seraphe unaufhörlich durch die Wohnung. Greift hierhin. Dorthin. Bügelt. Spricht auf sich ein. Auf mich? Nein. Sie telefoniert mit ihrer Schwester. Der Vogel flattert aufgeregt in seinem Käfig. Ich sitze, schreibe. Eine Erzählung. Dreißig Seiten sind seit gestern Abend geschafft. Erste Fassung. Zweite Fassung. Fassung bewahren. Über Lombardi gelesen. Die Strukturen der Macht. Muttertag. Seraphe rennt unaufhörlich. Ich kann Melusine hören, die mich ein Schwein nennt, weil die Frau bügelt und ich schreibe. Tippen. Tippen. Über alles? Nein.
Die Jungen sind da. Lasen gestern zufällig in der ersten Fassung die Worte: Fick dich!
„Warum schreibst du das, Papa?“
„Das sagt jemand. Ich kann nichts dafür. Manche Leute reden so.“
Ich blicke E in die Augen. Er ist neun Jahre. Ich sage zu ihm: „Du könntest später auch Schriftsteller werden.“ Er schüttelt den Kopf und murmelt: „Nein. Ich habe Probleme mit den Wörtern.“ „Das ist gut so“, sage ich. „Ich befinde mich auch in einem ständigen Krieg mit ihnen.“
Unaufhörlich tippen. Arbeiten. Heute Abend zum Essen mit meiner Mutter und ihrem Freund.
Lombardi?
Was wusste er nur?

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Neuland

Leo will aussteigen, nicht einfach nur eine Auszeit nehmen, sondern sich mit allen Sinnen einer neuen Welt anvertrauen, sie mit seiner Zunge, seinem Körper, seinem Geist schmecken, in ihr aufgehen und vergehen, nicht, weil er seines alten Lebens überdrüssig geworden wäre, denn das ist er nicht, ihm ist nach einer Luftveränderung, um nicht der wohlfeinen Langeweile alltäglicher Verrichtungen zu erliegen, und so sehr er es gemocht hat, in der Wohnung der Familie Müller im 3. Stock zu wohnen, er kann dem ihm inne wohnenden Trieb nicht länger ausweichen, einem Trieb, der treibend ruft, er sollte sich aus dem Staub machen, bevor Frau Müller ihn endgültig vor die Tür setzt, zumal Frau Müller an einem kranken Gemüt laboriert, einer Verschiebung ihres Glücksempfindens, das sich bedrohlich auf eine Schlucht namens Depression zuarbeitet, und dies, seit Herr Müller beschlossen hat, seinen Erstwohnsitz drei Stockwerke höher in die Bettenburg der Susanne Frisch zu verlegen, darauf wartend, seinem Körper gänzlich neue Gefühle entlocken zu können, der nun dort liegt, jetzt in diesem Augenblick, die rechte große Zehe der Frau Frisch mit seiner Zunge erkundend, während Leo sich mit Sack und Pack auf den Weg in die Wohnung eines gewissen Herrn Reismeier macht, der ihn bereits erwartend, mit einem Lächeln in die Wohnung bittet, die fortan Lebensmittelpunkt für Leo sein soll, vielen Dank, sagt Leo, und Herr Reismeier erwidert, gerne, gerne, Fachkräfte für den Küchenbereich sind hier stets gesucht, aber jetzt solle er sich erst einmal einrichten, sagt Herr Reismeier, er könne in seinem Bett Unterschlupf finden, Sie können in meinem Bett Unterschlupf finden, sagt Herr Reismeier, aber Leo lehnt mit einem breiten Grinsen ab, er wolle zunächst ans Meer, jaja, das Meer, sagt Herr Reismeier, da wollen sie alle hin, und darum leitet er Leo zum Badezimmer, er öffnet die Tür, Hitze schlägt aus dem Badezimmer, der Tropenbereich, sagt Reismeier, viele Pflanzen, setzt er noch hintan und reicht Leo ein kleines Messer, das werden Sie benötigen, Leo greift nach dem Messer, er wagt den Schritt und findet sich in der nächsten Sekunde in einem Dschungel, der bewohnt ist von allerlei Tieren, so findet sich dort eine gelbe Gummiente, ein heimtückisches Ungeheuer, wie Leo aus eigener Erfahrung zu berichten weiß, er schlägt mit dem Messer auf eine Pflanze ein, reißt kleine Blätter zur Seite, die seinem Blick auf eine bestimmte Wandkachel im Wege standen, gefällt es Ihnen denn, ruft Herr Reismeier, aber Leo kann nicht antworten, befindet er sich doch im Kampf mit dem Badvorleger, der ihn verschlingen will, Leo wird ihn bändigen, denn mit Badevorlagen kennt er sich aus, er hatte mit diesen wilden Urzeitgeschöpfen schon vor Jahren im Haushalt einer gewissen Erna Gröbenbach zu tun, die sich dort wie eine Plage ausbreiteten, Leo ringt, aber schließlich und endlich besiegt er den Unhold, der sich scheinheilig, als könne er kein Wässerchen trüben, vor die Badewanne legt, darin das Meer zu finden ist, denn dort wollte Leo ja hin, ans Meer, aber wie das sooft ist mit Erwartungen, erfüllen sie sich erst, dann bleibt von ihnen nicht viel übrig, also ruft Leo zu Reismeier hinaus, könnte ich denn auch in die Berge, selbstverständlich, ruft dieser freudig erregt auf, er müsse nur mit ihm kommen, jaja, sagt Leo, der sich bereits zurück in den Flur gekämpft hat, schöner Himmel, sagt Leo und zeigt zur weißgetünchten Decke, aber Reismeier antwortet nicht, er steht im Wohnzimmer, Leo muss sich beeilen, will er den Anschluss nicht verpassen, Reismeier zeigt auf den Schrank, alte deutsche Eiche, über 2 Meter hoch, sagt er stolz, den bezwingen nur geübte Kletterer, das ist auf keinen Fall ein Anfängerschrank, bestimmt nicht, murmelt Leo, ja, hier gefällt es ihm, hier will er bleiben, Wasserfälle, fragt Leo, Reismeier winkt ab und sagt, haben wir alles, das Klo befindet sich neben der Mulde des kahlen Baumes, des was, ruft Leo erstaunt auf, Sie können es auch Garderobe nennen, aber wer tut das schon, sagt Reismeier, lacht auf, Leo stimmt in das Lachen ein, er klopft Reismeier auf die Schulter, den der plötzliche Schlag im Lachen unterbricht, der ihn ernst anblickt und dann sagt, so, jetzt wollen wir uns aber erst mal um den Schriftkram kümmern, Ausweis, ich hätte gerne Ihren Ausweis, außerdem das Führungszeugnis der letzten Wohnung, Ihr Gepäck muss ich auch noch untersuchen, Leo erschrickt, nichts für ungut, sagt Reismeier, aber wenn das jetzt alles schnell über die Bühne geht, dann, was dann, schreit Leo, dann, sagt Reismeier, zeige ich Ihnen noch unsere Attraktion, ja, was ist das denn, ruft Leo, lassen Sie sich überraschen, sagt Reismeier, lassen Sie sich überraschen, manche nennen den Ort, den ich Ihnen zeigen will, Kühlschrank, ich nenne ihn EWIGES EIS, nein, sagt Leo, doch, sagt Reismeier, und es gibt sogar Leben darin, Leo kann sein Glück kaum fassen, es war eine gute Entscheidung, Neuland zu betreten.

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Henny Hidden bespricht „Die Sorgen der Killer“

„Guido Rohm zeigt uns in seinen 13 Kurzgeschichten, welches menschliche Gefühlsspektrum Killern eigen sein kann. Um es gleich vorwegnehmen, ich halte den Geschichtenband für das positivste Buch von den drei Büchern Guido Rohms, die ich bisher gelesen habe. Nach dem letzten Buch „Blutschneise“ empfinde ich sein neuestes Werk nicht als gedanklichen Rückschritt sondern eher als ein Aufgehobensein, als das Eingebundenwerden des Mörders in einen gesellschaftlichen Kontext.
Dreizehn Geschichten über Mörder. Mörder, die vergessen, verdrängen, ihre eigene Wirklichkeit basteln, ritualisieren, schwermütig sind oder Langeweile empfinden. Und manche sind einfach nur böse.“
Henny Hidden

Hier können Sie die komplette Besprechung von Henny Hidden zu „Die Sorgen der Killer“ lesen!

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Reibereien

Schreiben. Beten. Kaffee schlürfen. Rauchen. Lieben. Weinen. Lachen. An die Toten denken. An die Lebenden. Die Hand nehmen, die sich mir bietet. Schreiben. Sich wie ein Hund im Hof fühlen. Eingesperrt. Tanzen. In die Luft springen. Die Luft sieben. Wörter fangen. Auf eine Seite packen. Riechen. Schnüffeln. Kratzen. Zunge zeigen. Sabbern. Hoffen. Bangen. Schreiben. Beten. Kaffee schlürfen. Rauchen. Lieben. Den Tag mit einer Lanze aufspießen. Ihn mit mir schleifen. Ihn ausnehmen. Die Innereien untersuchen. Ein kranker Tag. Das Leben ist von Würmern befallen. Die Würmer ins Ohr stecken. Die Sprache der Würmer. Sie reden vom Schreiben, vom Beten, vom Kaffee, vom Lieben, Weinen, Lachen. Ich packe die Würmer auf eine Seite. Ich schreibe mit dem Blut des Wurms. Ich schreibe die Krankengeschichte nieder. Ich packe mich in die Krankengeschichte. Ich bin die Krankengeschichte. Schreiben. Hoffen. Beten. Kaffee schlürfen. Rauchen. Lieben. Weinen. Auf das Ende warten. Zur eigenen Krankheitsgeschichte werden. Zu einer Aktennotiz. Zu einem Vermerk. Zum Teil eines Krankenbettes. Siechen. Hoffen. Der Tod macht keine Ausnahme. Er greift nach meiner kalten Hand. Er nimmt mich. Trägt meinen Namen in sein Buch. Nicht mehr schreiben, nicht mehr hoffen, nicht mehr rauchen, nicht mehr weinen, nicht mehr lachen. Den Kopf heben. Noch bin ich am Leben, also schreibe ich, kacke ich, lache ich, packe ich ins Tintenfass. Tauche meinen Kopf hinein. Lachen. Weinen. Schreiben. Kaffee schlürfen. Rauchen. Warten. Ein Hund im Hof, der den Kopf hebt, der sich kratzt, der Würmer hat, der den Würmern lauscht, der die Worte der Würmer in den Staub schreibt. Ein Hund, der sie anstarrt. Der auf den nächsten Regen wartet, der die Wörter verwischt. Sonne. Hitze. Regen. Schreiben. Warten. Kaffee schlürfen. Sterben. Vorher lieben, die Hand nehmen, die sich mir bietet. Auf einem Hof leben, der abseits liegt, der vergessen wurde. Auf die Geräusche achten, die aus dem Schuppen dringen. Schreie. Lausche den Schreien. Beschreibe das Schreien. Worte, die in den Sand gemalt werden, in den Staub. Bellen. Warten. Anschlagen, heftiger und heftiger. Schreiben. Weinen. Lachen. Kaffee schlürfen. Eine Zigarette rauchen. Geschichten sammeln. Diese und diese. Hier eine. Dort eine. Sie ins Fell packen. Zu den anderen Würmern. Die Sprache der Würmer. Schreiben.

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schmerzwach bespricht „Die Sorgen der Killer“

„Verstörung ist das Wort schlechthin bei dieser Sammlung von Geschichten, die nicht einfach zu lesen sind – und doch faszinierend. Man möchte sich bei jeder einzelnen Seite von „Die Sorgen der Killer“ vor Guido Rohm verneigen, der ins Krimi-Genre gepackt wird, jedoch darin beweist, dass er ein großer Literat ist, ein Stern am deutschen literarischen Himmel – und der Beweis dafür ist, dass E- und U-Literatur zusammengehören können.“

Das Blog schmerzwach hat „Die Sorgen der Killer“ besprochen!

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Unanständige Aufforderung (Jesus ist ein Mann wie du und ich)

Diese Galerie enthält 1 Foto.

Fund im Briefkasten! Die Studienbriefe START INS LEBEN sollen mir helfen, Jesus zu finden, der, das können die Absender ja nicht ahnen (vielleicht tun sie es aber doch), seit Jahren über der Tür einer Küche in meiner Nachbarschaft rumhängt, den … Weiterlesen

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8. Mai 2012, Romanarbeiten, 5.51 Uhr

Arbeitsnotizen zu Fels in der Brandung: Natürlich sollte Thams im ersten Kapitel vorkommen, das es also zu überarbeiten gilt.
Thams stößt plötzlich auf Fels, nicht irgendeinen, sondern gegen Boris Fels. (Thams läuft auf, anschließend aus.) Wein/Champagner (mal sehen!) sickert durch das Leck und strömt auf Fels Ärmel, der ihn überrascht anblickt, aber nichts dazu sagt.
Thams schiebt mit dem Mittelfinger seine Brille den Nasenhügel hinauf und zerrt sein gefährlichstes Kritikergrinsen aus den Kellern des Körpers ins schale Licht des Mundinnenraums und drängt es dann hinaus auf die Lippenvorsprünge, die unter dem Gewicht dieses Koloss zu bersten scheinen.
Kurzes Geplänkel? Eher nicht, sondern nur zwei, drei Worte Thams, die sich durch winzige Öffnungen im Lippenmauerwerk zwängen. Wortflüchtlinge, die sich – Schweißperlen auf Lippen und Stirn – gehetzt umsehen und dann todesmutig in die Tiefe des Raumes stürzen, der sich aus ihrer Sicht in der Ewigkeit zu verlieren scheint.
Vor den Toren dieser Ewigkeit entdecken sie Fingernägel, Weingläser, die wie Raumschiffe durchs All schweben.
Irritation?
Die surreale Landschaft könnte von den Worten stillschweigend hingenommen werden. (Kommt wahrscheinlich ganz auf die Worte an, die den Ausbruch wagen.)
Ansatz: Könnte mit den Fluchtplänen der Worte beginnen. (Ein Kerker, Stroh, ein erstes Wort schlägt die Augen auf und sieht sich verdutzt um.)
Thams wird schließlich von seiner Frau fortgezerrt, hinaus auf den offenen Ozean einer/der Party.
Fels steigt in den Ausguck seines Kopfes, erspäht die trostlosen Wracks einiger Schiffe, die bereits vor Jahren von Thams Kanonen getroffen wurden, aber nicht untergehen wollen, weil es stets ein Weinglas gibt, das in der Hand gehalten werden will. (Finger, schlank wie Mastbäume, umschließen die Gläser.)
Dann betritt ein Zirkusdirektor den Raum, lässt Dichter in die Manege traben, die unter dem donnernden Beifall der Gäste erschossen werden.

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