Für Alex (aber nicht für Sie, auch nicht für Sie, und für Sie dort drüben erst recht nicht!)

Dieser Text ist nicht für Sie gedacht (zumal er nicht einmal durchdacht ist, fordert doch ein Wort das nächste heraus, mit einer drohenden Bewegung, die Fäuste erhoben, komm schon!, schreit das Wort schreit und lockt das Wort das zu sich heran, ohne zu wissen, wie das Ganze enden wird, ob mit einem Niederschlag, oder einem Ringen, einem Gerangel der homoerotischen (Achtung!: Dieses Wort wurde einer Bekannten wegen, der es versprochen war, hier eingeflochten) Art), auch für Sie dort drüben ist er nicht geschrieben worden, nicht für Sie oder Sie, auch nicht für dich, dürres Gerippe, mach dich davon!, denn dieser Text wird (bzw. wurde, denn wenn Sie ihn lesen, obwohl er überhaupt nicht für Sie gedacht ist, dann ist er längst Vergangenheit, dann habe ich ihn bereits hinter mir, dann werde ich – so Gott und Teufel wollen – mit einer Zigarette auf dem Balkon stehen und ins Abendrot blinzeln, müde und verzückt, von dem, was ich wieder einmal nicht geschrieben habe, denn das, was ich nicht schreibe, darauf kommt es mir an, denn das Nichtgeschriebene würde ich als mein eigentliches Werk bezeichnen) einzig für einen (guten!) Freund geschrieben, einen, der dafür bekannt ist bzw. bekannt gemacht hat, dass er nur jede zweite Zeile liest, was diesen Text zu einem unerhörten Ereignis für ihn werden lassen wird, zu einem Labyrinth, aus dem er verwirrt und völlig verblödet entsteigen wird, die Hand am Kopf, weil der Text bereits in seiner Gesamtheit Sinn vermissen lässt, der sich, ich habe es nicht ausprobiert, aber vielleicht im Studium jeder zweiten Zeile auffinden lassen wird.
Dies zum Einstieg in die Texthölle!
Um eine Zusammenfassung gebeten, von einem Herrn in der hinteren Reihe, der obigen Teil nicht mit der nötigen Aufmerksamkeit studiert hat, wiederhole ich noch einmal, dass dieser TEXT nicht für Sie oder Sie, sondern einzig für meinen Freund Alex gedacht ist, der, ich vermute es, an dieser Stelle nicht ankommen wird, weil er bereits entnervt aufgegeben hat, weil er für seine Frau kochen muss, weil er einen Roman von Pynchon auswendig lernen will, weil er noch auf den Mount Everest steigen möchte, nicht morgen, nicht übermorgen, sondern heute. (Kein sehr feiner Zug, mein lieber Alex, sich um die Bedürfnisse der ganzen Welt zu kümmern, nicht aber um meinen Text, den ich einzig für dich schreibe bzw. schrieb (Ausführungen zum Wort „schrieb“ möchte ich mir und Ihnen, der Sie das alles ja gar nicht lesen bzw. lesen dürfen, ersparen und verweise auf die vorhandenen Anmerkungen in eine der obigen Klammern).
Um nun zum Kern meines Anliegens zu kommen, sei auf meine Freundschaft (die hier niemanden etwas angeht, außer meinen Freund, der nur jede zweite Zeile von mir liest) hingewiesen, die ich dir hier über diesen Text in aller Form anzeigen möchte, bist du doch ein Mensch, und dies erhebt dich bereits in den Grad eines Freundes, der immerhin jede zweite Zeile von mir liest, im Gegensatz zu jenen Ignoranten, die nicht eine Zeile von mir lesen, obwohl ihnen dies Anstand und Literaturgeschichte (der noch ungeschriebene Teil selbiger) vorgeben müsste.
Ja, du liest meine Texte, meine Bücher, wenn auch nur in Bruchteilen. Ich verzeihe dir, dass du meine Zeilen zerschneidest, zerfledderst, hoffentlich aber nicht sexuell missbrauchst.
Kurzum: Komm in meine Arme, Freund! (Nicht Sie, und Sie auch nicht, denn Sie durften diesen kleinen Aufsatz doch überhaupt nicht lesen, Sie Einbrecher!)
Entschuldigung, wenn ich Sie beleidigte, wie konnte ich ahnen, dass Sie für die FAZ schreiben. Kommen Sie doch rein und machen Sie es sich gemütlich. Tee? Aber gerne doch!
Tut mir leid, Alex, ich habe jetzt keine Zeit mehr, ich muss dich auf die zweiten Zeilen eines anderen Textes vertrösten. Bis bald. Wir lesen mich.

Advertisements
Veröffentlicht unter Narrenturm, Pathologie, Spielereien | Verschlagwortet mit ,

2. Mai 2012, Melusine und Morel sind fort, 6.01 Uhr

Und dann war es plötzlich vorbei, die Zeit hatte die Ufer des Abends mehrmals umrundet, bis sie plötzlich stehen geblieben war – einfach so und ohne Erklärung – und zum Aufbruch mahnte. Morel und Melusine mussten gehen. Konzentriert wie zwei Wettkämpfer sprangen sie auf, sie hatten etwas vernommen, was ich überhört haben musste, ein Signal, ein Startschuss, drückten sie sich doch von den Stühlen wie von Startblöcken ab und rannten – ohne sich weiter nach uns umzusehen – die Treppen hinab, begleitet vom aufgeregten Gemurmel der Nachbarschaft, die sich nicht entscheiden konnte, wem sie die Daumen drücken sollten, ihr oder ihm. Am Ende blieben die Daumen unberührt, weil keine der über achtzigjährigen Frauen schnell genug an die beiden herankam.
Raus, raus, raus hier!, hörte ich Melusine noch rufen, die sich, als müsse sie befürchten, Scharfschützen würden ihrer harren, über die Straße rollte, die Haken schlug wie ein Hase, während Morel schrie, rein!, die Luft ist rein! Dann blieb er plötzlich stehen (ich konnte es von unserem Balkon aus beobachten), lächelte und sagte: „Reine Landluft! Hm, riechst du das, Mel? Wir sollten öfter Autoren in der Provinz besuchen.“
Sie stiegen in ihren Sportwagen und fuhren davon, ein letztes Mal schrill auflachend, während laute Musik scheppernd auf die Straße fiel.
Fort, sie waren fort, unsere lieben Freunde, die sich nun wieder in ihre Villa am Frankfurter Stadtrand zurückziehen würden, um dort über neuen Ideen zu brüten, so wie dem Rap-Album, das bald erscheinen soll, und über das Morel nicht viel verraten wollte, weil man einfach abwarten solle, er würde den Gangster-Rap neu erfinden, nicht mehr, aber auch nicht weniger. Und Melusine sprach von ihrem Romanprojekt „Männer sind zum Töten da“, das sie nicht als Werk einer Frau sehen wollte, denn mit einer solchen Aussage würde man sie schon gleich wieder in eine Ecke treiben, in die sie nicht wolle, nein!, es sei der Roman einer denkenden Person, erklärte sie, und verlangte von uns, sie fortan nicht mehr als Frau, sondern als Denkmaschine wahrzunehmen, bis sie schließlich sagte, das gehe auch nicht, denn immerhin könne sie sich als Frau nicht zur Maschine degradieren lassen. Bei so etwas käme nur wieder der übliche Chauvinismus ins Spiel! Unsicher, wie sie anzureden sei, sprachen wir sie gar nicht mehr an; Morel war zwischenzeitlich auf dem Klo verschwunden, wo wir ihn an einem „Song“ arbeiten hören konnten. (Hey – Yo – Bin aufm Klo – Drei – Vier – Alles mir)
Ja, wir lieben sie, und nun sind sie fort. Wir werden sie vermissen, irgendwie zumindest.

Veröffentlicht unter Pathologie | Verschlagwortet mit , | 2 Kommentare

Auf Wiedersehen, Gleisbauarbeiten!

(V.l.n.r.: Seraphe, Guido Rohm, Melusine, Morel.)

Veröffentlicht unter Pathologie | Verschlagwortet mit ,

„Imagine“ von William Bird

Diese Galerie enthält 1 Foto.

William Birds „Imagine“, Buntstift auf Papier, entstand vermutlich im Sommer 1957 und wurde 1970 von John Lennon erworben.

| Verschlagwortet mit , , , , ,

1. Mai 2012, Vor, Zurück, 8.22 Uhr

Kaffee, Zigarette.
Ich beschäftige mich mit William Bird. Wenn ich die Augen schließe, dann kann ich ihn sehen. Er sitzt in seinem Schaukelstuhl. Abwesend. Schaukelt. Vor. Zurück. Er will das, was ihm verloren gegangen ist, einfangen. (Die Inspiration, sie muss doch irgendwo sein!) Vor. Zurück. Er schickt das Knirschen des Stuhls als Fauchen eines erfundenen Tiers auf Reisen.
Im nächsten Augenblick, er weiß nicht, ob er eingenickt ist oder wacht, streicht das Tier durch seine Wohnung. Vor. Zurück. Wie könnte er es nennen? Er hat keinen Namen dafür. Er lauscht dem Tier, das hungrig neben ihm Platz genommen hat. Er kann seinen Atem spüren, den Geruch nach Fäulnis, den es verströmt. Der Duftkörper tanzt in seine Nase. Eine verschleierte Tänzerin aus 1001 Nacht, die sich in seine Gedanken stiehlt, bis er angewidert aufspringt, hin zur Leinwand, um das zu malen, was er eben spürte und sah, dieses Tier, seinen Atem, der sich in die Nacken der Menschen schlägt. Wie betäubt trägt er über Stunden hinweg Urin, Kot, vergammelte Lebensmittel auf eine Holzplatte auf, bis er ermattet in sich zusammenfällt, einfach so.

Werde mit unserem Besuch heute über Bird sprechen, denn Melusine, bewandert in den Strecken, die in die Vergangenheit der Kunstgeschichte führen, wird einiges über Bird – über den sie einen Aufsatz für ihr Blog plant -, beizutragen haben. Es gilt, Bird endlich wieder ins Bewusstsein einer Öffentlichkeit zu tragen, die sich so lange nicht um ihn kümmerte. Wir sollten ihn aus dem Grab des Vergessens ins grelle Licht einer Fernsehshow schleifen.
„Wir dürfen das nicht“, sagt Seraphe. „Die Leute interessieren sich nicht für ihn, nicht für Literatur, nicht für kleine Filmproduktionen aus Israel. Die Leute lieben die Erregung, den Skandal. Viel lieber ereifern sich über ein fünftklassiges Nicht-Gedicht von Grass. Und der sitzt da, das Höschen nass und feiert seine Moral wie einen neuen Stern am Himmel, der den Weg weisen wird, hin zu ihm, hin zu all seinen leeren Worten.“
„Die Blechtrommel …“
„Was ist damit?“
„Ein großer Roman, ein wirklich …“
„Trink deinen Kaffee, schreib …“
Ich lehne mich zurück, strecke den Rücken durch, denke an Bird, an Melusine, an Morel, an meine Kinder, an meine Seraphe, an den Mississippi im Abendrot, an ein Schiff in Seenot.

All die Gedanken, man sollte sie notieren, um daraus eine Welt zu zimmern, die man gar nicht erst mehr verlassen muss.

Veröffentlicht unter Pathologie | Verschlagwortet mit ,

Ficken

ist ein Wort, das leider oft (aber nicht immer und ausschließlich) die falschen Leser in ein Blog lockt. Rasch wenden sich die verwirrten Verirrten mit ekelverzerrtem Gesicht von all der Literatur ab, die sich wie ein Reißverschluss offenbart, der verkniffen und verzahnt, einfach keinen Schwanz zeigen will.

Veröffentlicht unter Anzeigen, Kurzmeldungen, Narrenturm, Satiren, Sätze, Vermischtes | Verschlagwortet mit , ,

„Point Alpha“ von William Bird

Diese Galerie enthält 1 Foto.

„Der Punkt, mit dem alles beginnt, das Leben, die Kunst, das Universum, der Punkt, der sich dehnt, der zum Strich, zur Fläche wird, zum Sternennebel. Ich denke, Point Alpha ist mein wichtigstes Bild.“ William Bird

| Verschlagwortet mit , , ,