21. Mai 2012, Zombieherstellung, 5.50 Uhr

Rohm weiß nun endlich, wie man zum Zombie wird, zu einem jener blassen Seelen(losen), die brabbelnd, stöhnend, sabbernd, knurrend durch die Lande ziehen, nicht ansprechbar, meist schlecht gelaunt.
Viel fehlt nicht zur Herstellung dieser Spezies, nur ein Bett, eine laue Nacht, dann noch einige Gedanken, die gedankenlos durchs Hirn tollen, und sich dabei aufgeregt – hell auflachend – an den Händen halten.
Nein, nein, er wird nicht schlafen (du wirst nicht schlafen, nein, nein, nein, Ätsch!), singen die Gören, die Racker, die kreischend auf und ab springen, die aus dem Kopf ein Trampolin machen, bis dem entsetzten Besitzer der Blick auf die Uhr verrät, dass es an der Zeit wäre, sich eine Schlaftablette in den Rachen zu werfen.
Gesagt, getan.
Die Tablette wirkt. Rohm schläft ein, nur wenige Minuten, eventuell Sekunden, da besinnen sich die Vögel auf die anbrechende Morgenstunde, die zwar kein Gold, dafür aber ein unbarmherziges Konzert gezählter fünf Milliarden Schnäbel im Mund trägt.
Rohms toter Körper zuckt, der Kopf dreht sich. Mmmpffhha. Der Versuch eines ersten verständlichen Fluchs misslang. Arme und Beine steif wie Rohre, stampft er in die Küche, zum Kaffeeautomaten hin. Grmmpf. Er schaltet ihn ein, der Kaffee läuft hurtig und rasch, verängstigt von den roten überreizten Augen des Fremden, der soeben den Startknopf betätigte.
Schließlich und endlich gelingt Rohm der Marsch zum Schreibtisch, um dort auf den Bildschirm zu starren, ganz so wie zu allen Tageszeiten, sodass es seiner Frau nicht weiter auffällt, dass hier ein lebender Toter seinen Weg in die Welt gefunden hat.

Advertisements
Veröffentlicht unter Pathologie | Verschlagwortet mit ,

20. Mai 2012, Geschmacksfrage, 17.43 Uhr

Rohm hat dem Sonntag Ehre erwiesen, indem er nichts tat, außer sich ganz den Stunden, den Minuten, Sekunden zu überlassen. Wie Wasser ist die Zeit über ihn geflossen, wie ein Schwarm Fische an ihm vorbeigeschwommen; er musste nur die Hand strecken, um sie zu spüren, am Schwanz zu packen; im Notfall hätte er sie an Land und auf den Grill zerren können.
Tat er dann auch, und sitzt nun kauend, laut schmatzend in seinem ihn sanft wiegenden Sofaboot. Noch kann er sie schmecken, die Zeit. Rosmarin, flüstert er, eindeutig Rosmarin. Er puhlt eine Faser Ungeduld zwischen den Zähnen hervor und wartet gespannt, was der Rest des Tages weiter an Rast zu bieten hat.

Veröffentlicht unter Pathologie | Verschlagwortet mit ,

Stille 7

“ “
Das Buch der Stille

Diese Stille könnte es sein, sagt Mora.
Er legt den Finger behutsam auf seine rissigen Lippen, die an ein Stück Fels erinnern, zerklüftet und wild, und dann lauscht Mora, während die Stille in dem Raum wütet, den wir nicht sehen, den wir aber hören können.
Tödlich und einmalig und kalt durchschreitet sie unsere Köpfe, ja, wir müssen es eingestehen, dies könnte die Stille sein, die Mora seit Jahren so verzweifelt sucht, die Stille, die nichts zulässt, nicht einmal das Fallen einer Stecknadel, die Stille, die alles aussperrt, um ganz in sich selbst zu versinken, um ganz bei sich zu sein, eine Stille, die sich verschweigt.

Mora gibt uns ein Zeichen, wir nehmen die Kopfhörer ab, er strahlt uns an. Mora ist glücklich. Das Glück versengt sein Gesicht, frisst es auf, verbrennt es. So haben wir Mora noch nie zuvor gesehen.
Der Fels bewegt sich, ein Spalt wird sichtbar, ein Höhleneingang. Worte taumeln Richtung Licht, schnüffeln aufgeregt, stürzen sich mutig in die Tiefe. Worte, die sich über die Stille auslassen, die er, Mora, an diesem Ort gefunden habe, der natürlich geheim bleiben müsse, denn sonst wäre es hin mit der Stille.

Pssssssst!
Silencio!
Kein Wort!

Still müsse es dort bleiben, der Ort sei nicht für Menschen gemacht, sondern einzig für die Stille, der wir aber lauschen könnten, hier!, er hebt seinen Kopfhörer und lächelt zufrieden.
Wir stülpen uns die Kopfhörer über die heißen und roten Ohren und horchen, hören nichts, hören tatsächlich nichts, obwohl wir uns konzentrieren.
Sehr sogar.

Uns hören wir, unsere Atemzüge, wir spüren unseren Herzschlag, der anschwillt, der unsere Körper anfeuert. Das Herz ist ein wilder Trommler.
So viele Jahre, sagt Mora, so viele Jahre, und dann, er kann es nicht aussprechen, diese letzten Worte halten sich verzweifelt an den Vorsprüngen des Felsen fest.

Wir gratulieren ihm, aber er hört uns nicht zu, längst trägt er wieder die Kopfhörer, er trägt sie stolz wie Ohren, die es braucht, um die Wahrheit endlich vernehmen zu können.
Ob er denn, wir verharren, wir versiegen, gerne würden wir über die Stille reden, über diesen Fluss aus Nichts, der, von Mikrofonen gefangen, durch unsere Hirne rauscht, aber kein Wort könnte der Stille, dieser perfekten Abwesenheit, gerecht werden.

Also schweigen wir, die Hände in den Taschen. Wir hängen, jeder für sich, einsam unseren Gedanken nach, und fragen uns, was die Stille, die Mora aufgespürt hat, uns sagen will.
Die Dinge müssen einen Sinn haben, sie müssen sich rechtfertigen, und wenn sie scheinbar keinen Sinn ergeben, dann findet man einen.
Welt will verstanden werden.

Gott, so denken wir, es könnte Gott sein, dem wir beim Schweigen belauschen und der sich uns auf diese wunderbare Weise offenbart, der uns die kühle Kehle der Ewigkeit entgegen streckt.
Ist es das, wonach Mora gesucht hat?

Eine solche Stille, zumindest die Aufnahme davon, sollte nicht verloren gehen, sie sollte der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, sei es in den ruhigen Räumen eines Museums oder als käuflich erwerbbaren MP3-Download, damit sich jedes Ohr, das sich bereit dafür fühlt, der Stille, die von Mora ans Tageslicht gezerrt wurde, beiwohnen kann.
Die Leute sehnen sich nach so etwas, nach einem Ort des Innehaltens, des Verweilens, einem Ort, der von Ruhe getränkt ist, von vollkommener Ruhe.

Dies alles müssten wir Mora nun vorschlagen, der die Augen aufreißt und flüstert, diesen Moment müsst ihr hören, denn hier kreuzen sich Myriaden Fäden aus Stille und feiern die Hochzeit einer göttlichen Stille, die man so noch nirgends hören konnte.
Rasch streifen wir die Kopfhörer über, und er hat recht, wahrlich, denn es ist nichts zu hören, absolut nichts, weniger als nichts, es ist so, als wäre die Stille verstummt, als hätte sie sich ein weiteres Mal in eines ihrer zahllosen Hinterzimmer verabschiedet.

Wir können es nicht glauben, nicht fassen, Mora hat ein Wunder vollbracht, seine Suche nach Stille ist mit Erfolg gekrönt.
Hoch soll er leben, müsste man singen, aber wir sagen nichts, wir ersinnen bereits Werbespots für dieses Produkt.
Eine solche Stille kann in Zeiten des ansteigenden Lärms nicht vorenthalten werden. Sie muss für jeden hörbar und erfahrbar werden.
Dies ist man der Menschheit schuldig, außerdem könnten die Einnahmen neue Expeditionen ermöglichen, denn es ist möglich, durchaus möglich, eine noch weitaus stillere Stille aufzuspüren.

Plötzlich hebt Mora den Kopf, seine Lippen beben, nein, stammelt er.
Wir verstehen nicht, zumindest nicht sofort, aber Mora klärt uns auf, da sei etwas gewesen, ein Erhebung in der Stille, verflucht, sagt er, dies war sie also auch nicht.

Er spielt uns die betreffende Stelle vor, aber wir können nichts hören, nur diese Stille, die, so will es uns scheinen, jede Sekunde der Aufnahme stiller und stiller wird. Er habe sich da verhört, beruhigen wir Mora, der nichts davon hören will, der verzweifelt zur Decke schielt und dann doch Worte findet.
Irgendwann, sagt er, irgendwann werde ich sie finden, die echte Stille, die stille Stille.

Wir schweigen, weil es im Moment nichts mehr zu sagen gibt. Wir nicken und schweigen.
Die Stille im Raum ist nahezu greifbar, sie ist peinlich und präsent, und für einen kleinen Augenblick, denken wir, dies könnte sie sein, die Stille, die Mora seit Jahren jagt, aber wir sagen nichts, weil diese Stille dann doch allzu sehr lärmt.

Wir lauschen und sitzen und warten und denken daran, dass sie irgendwo dort draußen ist und schweigt.

Veröffentlicht unter Die Beunruhigten | Verschlagwortet mit , ,

20. Mai 2012, 3232 Dollar für 20 Minuten Pitt, 8.57 Uhr

Die Bayern haben gegen Chelsea verloren. Die Welt geht nicht unter.
Ein starkes Erdbeben fordert in Norditalien drei Tote. Raumschiff Erde fliegt noch durchs Weltall. (Und ist ziemlich unbeeindruckt von allen Vorkommnissen.)
3232 Dollar für 20 Minuten Pitt. Davon geht die Cannes-Welt schon eher unter.
Die Journalisten tuscheln, während sich eine Blondine mit Brüsten groß wie die Erinnerung an die Zwillingstürme zwischen sie schiebt und sie anlächelt und sich über die Lippen leckt, als hätte sie einen Riesendurst. Dabei will DAS DING (sie legt Wert darauf ein Produkt zu sein, eine Werbeikone, die ihr Manager in den nächsten Wochen in einem Hotelzimmer in Rom mit schweren Blessuren an Armen und Beinen und Verbrennungen im Vaginalbereich zurücklassen wird) doch nur auffallen. Sie fällt aber eher aus dem Rahmen, der zu klein für all das Fleisch ist, das sie so umständlich am Morgen in einen Darmalbtraum von VERSACE gezwängt hat. Nein, ist nicht von VERSACE, sondern von GA-N.
Pitt ist also das Thema, seine Hotelzimmer-Interviews, die er sich vergolden lässt. Es muss so sein: Der Mann scheißt keine Worte, sondern in Gold gefasste Statements für die Ewigkeit.
Nein, das werden sie dieses Mal nicht mitmachen. Runter in die Bar, ruft einer. Ein anderer lädt in sein Zimmer auf eine Prise Schnee ein. Alle trotten davon und später zu Pitt.
Und was wird er sagen? Wie wird er aussehen? Wir werden an seinen Lippen hängen, während dort draußen irgendwo eine Mutter weint, weil sie ihr Kind nach einem Crash nicht mehr erkennen kann. Sie sah nur für einen Augenblick nicht hin …
„Ich sah für einen Augenblick nicht hin.“ Die Regionalzeitung wird darüber berichten. Solche Tragödien lässt man sich nicht entgehen. Sie wird schuldig aussehen, weil der Reporter über Aufsichtspflicht und Eltern, die sich nicht mehr für ihre Kinder interessieren, schreiben wird.
In Cannes wird das keinem ein Stirnrunzeln verursachen. Die haben ganz andere Probleme.
3232 Dollar für 20 Minuten Pitt. Mann, denken sich manche der Schreiberlinge, für die Kohle müssten wir ihn eigentlich ficken dürfen.
Und irgendwie, sie können sich dieses schäbige Extrablatt-Grinsen nicht verkneifen, ist alles ganz anders, denn irgendwie fickt Pitt sie ja in diesem Hotelzimmer.
Die Höschen feucht, spurten sie los.
Die Bayern haben gegen Chelsea verloren. Die Welt geht nicht unter. Ein starkes Erdbeben fordert in Norditalien drei Tote. Raumschiff Erde fliegt noch durchs Weltall. (Und ist immer noch ziemlich unbeeindruckt von allen Vorkommnissen.)

Veröffentlicht unter Pathologie | Verschlagwortet mit ,

Unterweisung eines Amokläufers

Die Welt ist voller Botschaften, die sich in Vasen, Glückskeksen, Badewannen und Lampenschirmen verbergen, bisweilen aber auch offenbaren. So fiel mir heute eine Nachricht beim Chinesen in die Hände, die mich die bunte Geschäftigkeit des Lokals vergessen ließ. Erschrocken las ich …

„Raus hier“, füsterte ich und trat Seraphe gegen das Knie.
Wir stürmten – ohne die Rechnung beglichen zu haben – aus dem Restaurant.
„Was ist?“, fragte Seraphe.
„Die bilden …“
„Was?“
„Man rekrutiert dort Amokläufer.“
Ja, die Welt ist voller Botschaften. Man muss sie nur zu lesen, zu deuten wissen.

Veröffentlicht unter Anzeigen, Kriminelles Tagebuch, Kurzmeldungen, Narrenturm, Spielereien, Vermischtes | Verschlagwortet mit , , ,

19. Mai 2012, Reines rohes Leben, 10.59 Uhr

Seraphe ist fort! Ich schreibe ins Tagebuch: Eisige Kälte, Schneestürme. Seraphe meinte, Wolfsgheul vernommen zu haben. Sie griff nach der Flinte und verschwand. Angst, ob ich sie wiedersehen werde. Pinkelte ein Gedicht in den Schnee. Zu kalt, viel zu kalt für Literatur. Außerdem plagen mich Blähungen.
(Seraphe ist also einkaufen, und ich starre wie blöd auf den Bildschirm, in der Hoffnung, dass mich ein Wort anspringt. Könnte ja eins türmen, schreien: Hey, da bin ich! Wie wäre es mit mir?)
Im Tagebuch dann: Schüsse. Der Wind umkreist das Zelt. Beult den Stoff mit seiner Faust, verlangt nach meinem Leben. Endlich taucht Seraphe blutbesudelt auf.
(Kein Wort. Nichts.
Warten!
Und klar, ich schlürfe Kaffee, rauche unanständig viele Zigaretten, blicke den Vogel an, der die Wand anstarrt, die sich nicht rührt. Ist ja nur eine Wand, will ich sagen, da räuspert sich das Ding und verlangt, in meinem Tagebuch erwähnt zu werden.
Nein, nein, nein!)
Ins Tagebuch: Die Wahrheit soll es sein, es soll nur das wahre echte Leben in diesen Zeilen verewigt werden. Seraphe bietet mir ein Stück rohes Fleisch an, das ich verschlinge, hungrig, haben wir doch seit 3 Monaten nichts mehr gegessen. – Wir werden überleben. Irgendwie. Draußen ist etwas. „Du solltest nachsehen“, sage ich zu Seraphe. „Viel Glück“, murmele ich. Im nächsten Augenblick hat die Nacht meine Geliebte verschluckt. Ich schließe die Augen und versuche zu schlafen.

Veröffentlicht unter Pathologie | Verschlagwortet mit ,

10 Jahre Krimi-Couch

(Schritte, die über ein Kiesbett schlurfen, Steine aufwirbelnd, die dumpf gegen eine Hauswand schlagen.) Nun (nun, denkt Guido Rohm, ist ein guter Anfang, denn so beginnt Shakespeares Richard III, außerdem verrät es eine gewisse Bildungsbeflissenheit), meine liebe Krimi-Couch (nie, aber auch wirklich nie, hätte Rohm sich träumen lassen, dereinst eine Sitzgelegenheit ansprechen zu müssen), ich möchte es nicht versäumen (Rohm blickt unruhig auf seine Uhr), dir (oder sollte er die Couch mit Sie anreden?) zum zehnjährigen Geburtstag (Rohm schreibt sich um Kopf und Kragen, er kann es in seinen Eingeweiden und im Schreibfinger spüren, dieses Ziehen, das ihm verrät, dass er sich dem Moment des totalen Irrsinns Sekunde für Sekunde und Buchstabe für Buchstabe endgültig und unabwendbar nähert) zu gratulieren. (Rohm räuspert sich, er verbeugt sich und stößt dabei mit dem Kopf gegen das Mikrofon. „Scheiße!“ Dann sind wieder die Schritte zu hören, die über ein Kiesbett schlurfen, Steine aufwirbelnd, die dumpf gegen eine Hauswand schlagen.)

Ja, die Krimi-Couch hat 10 Jahre auf dem Buckel, noch zwei weitere (Jährchen, nicht Buckel!), dann darf sie sich einige Filme (Herr der Ringe, James Bond, Streifenhörnchen Bob jagt Simon Teller) mehr ansehen.

Und weil ich eben auch gratuliert habe, finden Sie meinen Eintrag ins Kondolenzbuch HIER.

Veröffentlicht unter Anzeigen, Bücher, Kriminelles Tagebuch, Vermischtes | Verschlagwortet mit , ,