Als ich mich 1982 in Erich verliebte, hatte er schon die Absicht, die christlich-ontologische Katastrophe abzuwenden. Er war die kritische westliche Logik in Person und hielt alles, was mit Metaphysik und Spiritualität zu tun hatte, für „Quatsch“. Erich stand auf Kriegsfuß mit Gott, besonders mit dem christlichen, mit der Seele, mit den Ideen, mit dem Kantischen „Ding an sich“ und dem Schopenhauerschen Willen, der dem Seienden zugrunde liegen soll. Seelen, die von einem Körper in einen anderen wandern, auch nach dem Tod, waren ihm ebenfalls ein Gräuel.
Ich dagegen war dem Rationalismus noch nicht verfallen, kam aus der Provinz und verschlang die Platonischen Dialoge zusammen mit dem Eros, den ich damals für mich zu entdecken begann, als etwas Atemberaubendes, das mir dazu verhalf, die Welt mit neuen Augen zu sehen. „Eros ist an Jahren und Ehren der reichste Gott, er, der die Menschen edel und selig macht, im Leben und im Tode“, kann man in Platons „Symposion“ lesen.
Dieser Eros und Erich zusammen waren im Begriff mein Leben durcheinander zu wirbeln. Erich hatte einen heillosen Hang zur Besserwisserei, der durch kein Argument auf der Welt zu stoppen war. Das, was ich an der Universität über Philosophie gelernt hatte, zerpflückte Erich abends bei unseren endlosen Diskussionen im dichten Nebel unserer Zigaretten Stück um Stück bis nur noch ein Trümmerhaufen von inkonsistenten Behauptungen übrig blieb. Hegels System z.B. war für Erich widersprüchlich, weswegen sich alles aus ihm beweisen ließ, also auch die Existenz Gottes. Der Satz vom ausgeschlossenen Dritten wurde unsere Poesie, und der Hegelsche Weltgeist trieb sein Unwesen mit uns, bis wir uns erschöpft in den Armen lagen, und Vater Schlaf uns schließlich übermannte, so dass es völlig egal war, wer Recht hatte.
Dann träumte ich davon, dass Erich mich für immer lieben würde und verzweifelt nach mir suchen würde, wenn wir uns später mal aus den Augen verlieren sollten, wie die zwei Hälften der platonischen Kugelmenschen. Ich war überzeugt davon, dass es nach ihm keinen Mann mehr für mich geben könnte, da mir sein Wissen und seine Bildung unendlich erschienen. Mit zwanzig glaubt man noch an die große Liebe. Ich liebte Erich auf eine Art, die jede Zeile Philosophie, die ich las, mit seinen Gedanken durchwob, so dass er ununterbrochen präsent war und es mir unmöglich wurde, auch nur eine Minute lang daran zu zweifeln, dass er der Mann war, der für mich vom Schicksal bestimmt worden war.
Eines Abends fragte ich Erich: „Warum hat Gott seinen Sohn nicht in der Retorte erzeugt? Wenn er schon allmächtig ist, dann hätte er auch diesen Anachronismus bewirken können und sich die Schmach eines feuchten Sexualaktes ersparen können. Oder er hätte bloß noch ein paar Jährchen warten müssen bis zu seiner Niederkunft nach der Erfindung des Retortenbabys. Ein Gott sollte sich nicht an Jungfrauen vergehen. Das macht im Nachhinein wirklich keinen guten Eindruck. Hat sich Gott eigentlich auch in die Erziehung seines einzigen Sohnes eingemischt? Offensichtlich verlief seine Entwicklung nicht so vorbildlich, sonst hätte Gott seinen Sohn sicherlich nicht mit dem Kreuz bestrafen müssen. Vielleicht hätte er mehr Freude an einem göttlichen Enkel gehabt, aber dieser christliche Gott scheint überhaupt keine Geduld gehabt zu haben. Und die Gene wie das Fremd-Gen, die er besonders hasst, hätte er auch eliminieren können.“
Erich antwortete mir folgendermaßen: „Nichts ist sexier als eine entgleiste Katholikin!“
Sabine Scholz