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Hundertvierzehn | Bericht
»Es war die ganze Zeit da«

Warum Lena Dunham die große Alice Munro verehrt – wie sie sie für sich entdeckt hat und was das mit der kleinen Meerjungfrau und Maroon 5 zu tun hat, erzählt sie hier.

 

Lena Dunham

Lena Dunham, 28, drehte mit Anfang zwanzig ihren ersten eigenen Spielfilm ›Tiny Furniture‹. Seit sie die Fernsehserie ›Girls‹ entwickelt hat, ist sie international bekannt. Dunham hat die Serie selbst geschrieben, produziert, Regie geführt und spielt darin die Hauptrolle. 2012 wurde sie für vier Emmys nominiert, 2013 erhielt sie zwei Golden Globes. 2012 wählte das »Time Magazine« Dunham zur »Coolest Person of the Year«, 2013 unter die 100 einflussreichsten Menschen der Welt. ›Not That Kind of Girl‹ ist ihr erstes Buch. Sie lebt in Brooklyn.

Die kleine Meerjungfrau, Alice Munro und Maroon 5

Ich habe falsch herum angefangen. Ich habe erst den Film gesehen, dann das Buch gelesen. Es war ein kalter Frühlingsabend, und meine Mutter und ich lagen zu Hause auf der Couch und schauten träge die Liste der verfügbaren Videofilme im Netz durch, so wie man lustlos in einer alten ›Marie Claire‹ blättert. Wir entschieden uns für einen Film namens ›Hateship Loveship‹. Das Setting war überschaubar, es ging um eine Kleinstadt, ein altes Haus, eine seltsame Frau – aber was emotional auf dem Spiel stand, war mehr. Der Film war merkwürdig und voller Widersprüche, so dass wir beinahe nicht weitergeschaut hätten. Die Figuren haben iPhones, sprechen aber auf eine Art miteinander, als würden sie in der Prärie leben. Es gibt lange Nachtaufnahmen von kitschigen Motels, dann taucht plötzlich eine Frau auf, die so aussieht, als käme sie grade aus Soho.

Trotzdem, der Film hatte etwas, er war ruhig und entschieden (Adjektive, die auch die Hauptfigur Johanna charakterisieren), er fesselte uns. Meine Mutter und ich dachten noch Tage später darüber nach. Wir schrieben uns SMS, fragten uns, welche Figur was gefühlt haben mochte und warum. Wollte dieses Teenager-Mädchen wirklich die Frau verletzen, die sich so um sie kümmerte, wunderbar gespielt von Kristen Wiig? Und der männliche Protagonist, war er irgendwie gehemmt oder einfach nur total ungewöhnlich? Und die Sexszenen, insgesamt nur zwei, bewirkten die nicht genau das, was Sexszenen bewirken müssen: diese große Leere in uns berühren, die wir dauernd zu füllen versuchen und die wir für einen Moment vergessen, wenn wir nackt vor jemand anderem stehen.

Wie sich herausstellte, basierte der Film auf einer Kurzgeschichte. Auf einer Kurzgeschichte von Alice Munro mit dem Titel ›Hateship, Friendship, Courtship, Loveship, Marriage‹ [dt.: ›Hasst er mich, mag er mich, liebt er mich, Hochzeit‹]. Ich las die Geschichte im Bett und unterstrich mit einem Marker Sätze, bis ich merkte, dass es keinen einzigen Satz gab, den ich nicht unterstreichen wollte, also hörte ich auf Seite 13 auf. Ich betrachtete meinen Freund, der gerade einen Dokumentarfilm über Nordkorea schaute und war irgendwie zufrieden mit der geheimen Beziehung, die ich zu Johanna, der kanadischen Provinz Saskatchewan und Alice Munro aufbaute.

Die Kurzgeschichte hat die gleichen Qualitäten wie der Film: Munro wechselt subtil und zugleich unvermittelt die Perspektive, und sie verleiht Figuren, die man sicher nicht bemerken würde, wenn man ihnen im Supermarkt begegnete, eine ruhige Anmut, macht sie zu etwas Besonderem in einer Kleinstadt, die eigentlich überall sein könnte. Aber da war noch etwas. Die Kurzgeschichte hatte auch etwas Zorniges, sie vermittelte, dass alle ihr Bestes geben, aber dass das manchmal eben nicht reicht, dass wir alle uns hinter unserem Äußeren verstecken, unscheinbar oder wunderschön, und dass dieses Äußere keine Auskunft darüber gibt, wer wir wirklich sind, aber zu bestimmen vermag, wie die Welt sich auf uns einlässt. (»Der Stationsvorsteher liebte es, mit Frauen seine Späßchen zu machen, insbesondere mit den unscheinbaren, denen das zu gefallen schien.«) Und dann, das Ende der Geschichte – überraschend in seiner Andeutung, dass Liebe uns vielleicht zu retten vermag, oder dass Liebe zumindest der Beginn von etwas Besserem sein kann.

Ich habe zu lang gewartet. Ich habe Alice Munro erst entdeckt, nachdem sie den Nobelpreis bekam. Fühlt sich ungefähr so an wie die Popband Maroon 5 im Jahr 2014 zum ersten Mal zu hören – und für eine Indie-Band zu halten. Denn, neu wie mir Munros Werk ist und überzeugt davon wie wir alle, dass sie die Meisterin ihrer Form ist, bilde ich mir zugleich ein, dass sie mir allein gehört. Ich bin genau die richtige Leserschaft für ihre Art von ruhigem, unterschwelligem Feminismus. Die Gefühle der Hauptfigur Johanna in ›Hateship Loveship‹, die den Stationsvorsteher mustert, gehen mir nah, wenn es heißt: »Sie sah ihn immer noch an, ohne ein Lächeln oder irgendein Eingeständnis ihrer weiblichen Unvernunft.«

Jetzt, da ich auf die dreißig zugehe und ein neues Erwachsenwerden vor mir liegt, kann ich endlich Bücher wie ›Lives of Girls and Women‹ [dt.: ›Kleine Aussichten. Ein Roman von Mädchen und Frauen‹] entdecken, mich einlassen auf Munros Geschichten, auf ihren geheimen Bestimmungsort.

Statt eine traditionelle Rede zu halten, gab Alice Munro, nachdem ihr der Nobelpreis zugesprochen wurde, im Arbeitszimmer ihres Hauses in Ontario, Kanada, ein kleines Video-Interview und sprach über ihr Leben und Werk. Während sie redete, blickte sie kaum auf und erwähnte, dass sie ursprünglich angefangen habe zu schreiben, weil sie weiblichen Märchenfiguren, deren Geschichte oft tragisch ausgeht, ein besseres Ende schenken wollte. Die kleine Meerjungfrau von Hans Christian Andersen zum Beispiel verdiene einfach ein besseres Leben und einen besseren Tod. Und während sie sich ein alternatives Ende für die Meerjungfrau ausdachte, bemerkte sie, dass sie eine Bestimmung im Schreiben fand. So wie Johanna, die Hauptfigur in ›Hateship Loveship‹, die ihr Hochzeitskleid anprobiert und plötzlich weiß: »Sie hatte noch nie in ihrem Leben dieses komische Gefühl gehabt, von dem, was sie anzog, verschönt zu werden.« Johanna entdeckt elegante Mode erst spät, aber sie begreift, dass das richtige Kleid einen Kontext für ihren Körper herstellen kann – für alles, was sie an sich selbst als unbeholfen und plump empfindet.

Und ich, ich habe Alice Munro als Autorin erst spät entdeckt, aber ich begreife, dass sie mich die ganze Zeit über begleitet hat, dass ihre Kunstgriffe und Absichten so viel von dem geformt haben, was ich am Schreiben liebe. Es war die ganze Zeit da – darauf wartend, dass ich es endlich entdecke.

© Lena Dunham/Zoetrope Magazine, 2014.

Aus dem Amerikanischen von Friederike Schilbach

Die Geschichte ›Hasst er mich, mag er mich, liebt er mich, Hochzeit‹ von Alice Munro ist in dem Erzählband ›Himmel und Hölle‹ enthalten, erschienen bei S. Fischer, Frankfurt am Main, 2006.



Der Trailer des Films
›Hateship Loveship‹ in der Regie von Liza Johnson mit den Darstellern Kristen Wiig, Nick Nolte und Hailee Steinfeld ist hier zu sehen:


Not That Kind of Girl

Was tun als junge Frau von heute, die lieber Stoffschuhe als Manolos trägt und nicht nach dem einen Prinzen sucht?

In ›Not That Kind of Girl‹ erzählt Lena Dunham, Erfinderin der TV-Serie ›GIRLS‹, hemmungslos persönlich, angstfrei und komisch aus ihrem Leben: von Kondomen in Zimmerpalmen, seltsamen Jungs und von ihrer Angst, keinen Platz in dieser Welt zu finden. Sie schreibt über die Taxifahrer in New York und vom plötzlichen Verliebtsein, über Frauen, die »wie diese Papierdinger behandelt werden, die in Hotelbadezimmern auf den Zahnputzbechern liegen – irgendwie notwendig, aber unendlich verfügbar« – und über Männer, die ungefragt von ihrem Sexleben berichten. Krisengeschüttelt, heiter, absolut im Jetzt: Lena Dunham bringt das Lebensgefühl einer neuen Generation Frauen auf den Punkt.

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