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Hundertvierzehn | Interview
»Je mehr ich weiß, desto mehr Rätsel entdecke ich.«

Immer wieder zieht es Gerhard Roth nach Venedig. Und auch in seinen Romanen beschäftigt er sich mit der Stadt. Wir sprachen mit ihm über ein fast vergessenes Ereignis in der Geschichte Venedigs.

 
Gerhard Roth

Gerhard Roth, 1942 in Graz geboren, lebt als freier Schriftsteller in Wien und der Südsteiermark. Er veröffentlichte zahlreiche Romane, Erzählungen, Essays und Theaterstücke, darunter den 1991 abgeschlossenen siebenbändigen Zyklus ›Die Archive des Schweigens‹. Anschließend erschienen die Bände des ›Orkus‹-Zyklus: die Romane ›Der See‹, ›Der Plan‹, ›Der Berg‹, ›Der Strom‹ und ›Das Labyrinth‹, die literarischen Essays über Wien ›Die Stadt‹ sowie die beiden Erinnerungsbände ›Das Alphabet der Zeit‹ und ›Orkus‹. Zuletzt erschien der Roman ›Grundriss eines Rätsels‹.
Für sein Werk wurde Gerhard Roth mit zahlreichen Literaturpreisen ausgezeichnet, zuletzt mit dem Jakob-Wassermann-Preis, dem Jeanette-Schocken-Preis, dem Jean-Paul-Preis, dem Hoffmann-von-Fallersleben-Preis sowie mit dem Großen Österreichischen Staatspreis.

Ihr aktueller Roman ›Grundriss eines Rätsels‹ endet in Venedig. Eine der letzten Szenen im Buch ist die detaillierte Beschreibung des Einsturzes des weltbekannten Campanile, des fast hundert Meter hohen Glockenturms des Markusdoms. Was geschah am 14. Juli 1902 in Venedig?

Alle Fotos: © Gerhard RothDie Baufälligkeit des Campanile war vor seinem Einsturz schon Jahrzehnte bekannt. Mehrfach hatte der Blitz in ihn eingeschlagen, sodass im 19. Jahrhundert sogar der Erzengel Gabriel auf der Spitze des Glockenturms hatte erneuert werden müssen. Die Regierung in Rom hatte mehrfach Ansuchen um Renovierung hinausgeschoben, trotzdem beabsichtigte man, einen Lift im Stiegenhaus zu installieren. Die Arbeit daran war schon begonnen worden, als sich die kleinen Risse im Gebäude sichtbar vergrößerten. Die Cafés am Markusplatz stellten aber deswegen ihren Betrieb nicht ein. Die österreichische Armee, die damals Venedig besetzt hatte, wollte am 14.7.1902 ein Platzkonzert geben, nahm davon aber am frühen Morgen Abstand, da die Spalten im Gemäuer des Glockenturms sich weiter vergrößert hatten. Schließlich trafen der Stadtbaumeister und die Feuerwehr ein, sperrten den Platz ab und ordneten die Einstellung des Betriebs in den Cafés und unter den Arkaden an. Eine immer größere Menschenmenge hatte sich inzwischen hinter der Absperrung angesammelt, und plötzlich brach der Campanile zusammen und eineriesige Staubwolke breitete sich auf dem Platz und in den umliegenden Gassen aus. Niemand wurde schwer verletzt, nur der Erzengel an der Spitze des Turms lag zerschmettert auf den Stiegen zur Markuskirche.



Das historische Ereignis ist wenig bekannt. Es gibt keine Fotografien des zusammenbrechenden Turms, nur eine Fotomontage, die Sie auch in ›Grundriss eines Rätsels‹ aufgenommen haben. Wie haben Sie recherchiert?

Da ich in den letzten zehn Jahren häufiger nach Venedig gefahren bin, hatte ich Zeit herum zu bummeln und mich in der Stadt zu verirren. Das Sich-Verirren in einer fremden Stadt ist eine andere Art, sie kennenzulernen. Mehrfach bin ich beim Geschäft eines Buchbinders vorbeigekommen, in dessen Auslage neben den kunstvollen Notiz-, Tage- und Geschäftsbüchern große Schwarzweißfotografien zu sehen waren, die einen einstürzenden Turm zeigten. Bei näherer Betrachtung erkannte ich, dass es der Campanile war. Ich betrat das Geschäft und fragte den Buchbinder, der gerade an einem besonders kleinen Büchlein arbeitete, ob der Campanile tatsächlich eingestürzt sei. Er gab mir nur das Datum des Ereignisses zur Antwort. Hierauf fragte ich ihn, ob er die Fotografien auch als Postkarten auf Lager habe und verkaufe. Er schüttelte den Kopf und sagte, er habe die Bilder, die den gerade einstürzenden Campanile zuerst nur mit Sprüngen, dann mit der sich bildenden Staubwolke und zuletzt den riesigen Schutthaufen auf dem Markusplatz zeigten, nur in die Auslage gehängt, um Kunden in sein Geschäft zu locken. Ich kaufte ein Notizbuch und fing an, nach Fotografien, Postkarten und Büchern über das Ereignis zu suchen, ließ es jedoch aus Erfolglosigkeit bald wieder bleiben.  Der einstürzende Campanile ging mir aber nicht mehr aus dem Kopf. Bei meinem Besuch im Jahr 2012 versuchte ich dann ernsthaft Material über den Einsturz zu finden, denn ich wollte das letzte Kapitel meines Romans ›Grundriss eines Rätsels‹ damit in Verbindung bringen. Eine Woche lang habe ich Buchhandlungen, Antiquariate und Souvenirläden durchstöbert, und Schritt für Schritt ist es mir geglückt, alte Fotografien, Postkarten, antiquarische Bücher mit Schilderungen und sogar Vergrößerungen des Schutthaufens zu erstehen und so das Ereignis am 14. Juli 1902 zu rekonstruieren und nebenbei auch den Wiederaufbau, der genau zehn Jahre dauerte.

Sie schreiben an einem neuen Roman, der überwiegend in Venedig spielen wird. Auch in diesem Buch wird das Sich-Verirren eine Rolle spielen, auch in diesem Buch stürzt etwas ein. Um was wird es gehen?

Es ist die Geschichte eines Wieners, der seinen Bruder in dessen Haus in Venedig besuchen will, aber dieser ist mit seiner Frau offenbar kurz zuvor verschwunden. Je länger er sich in Venedig aufhält, desto mehr wird er in ein Verbrechen verwickelt.

Welche Bedeutung hat Venedig für Ihr Leben?

Venedig ist ein Mikrokosmos. Je mehr ich darüber weiß, desto öfter möchte ich hinfahren, und je öfter ich hinfahre, desto mehr Rätsel entdecke ich.

Grundriss eines Rätsels

Ein Schriftsteller stirbt bei einer Gasexplosion in Wien, drei tschetschenische Flüchtlinge werden ermordet, eine Apothekerin versucht sich mit ihrem Kind gegen widrige Umstände zu behaupten, ein Schauspieler kehrt an den Ort seiner Kindheit zurück, eine Journalistin reist auf der Flucht vor sich selbst nach Japan, und ein alter Mann ist Augenzeuge, als 1902 in Venedig der Campanile einstürzt.
In Gerhard Roths grandiosem Roman der Täuschungen ist nichts, wie es scheint, und alles möglich: Die Ungewissheit ist das verborgene Abenteuer des Alltags. ›Grundriss eines Rätsels‹ ist selbst ein Rätsel, Spiegel des großen Rätsels unseres Lebens.

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Frankfurt am Main 2020
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