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Hundertvierzehn | Extra
Ilse Aichinger über ihre Begegnung mit Günter Grass

Ilse Aichinger und Günter Grass lernten sich Ende der 50er Jahre in der Gruppe 47 kennen. Aichinger hatte 1952 den Preis der Gruppe 47 für ihre ›Spiegelgeschichte‹ gewonnen, Grass 1958 für das erste Kapitel der ›Blechtrommel‹. In ihren ›Unglaubwürdigen Reisen‹ erinnert sich Aichinger an ihre Begegnung mit Grass und fragt sich, was gewesen wäre, wenn Ellen, die Protagonistin aus ihrem Roman ›Die größere Hoffnung‹, den Trommler Oskar Matzerath getroffen hätte.

 
Ilse Aichinger

Ilse Aichinger wurde am 1. November 1921 in Wien geboren. 1948 veröffentlichte sie ihren Roman über die Kriegszeit in Wien, ›Die größere Hoffnung‹, und ihre ersten berühmten Geschichten. Für ihren Roman, ihre Gedichte, Hörspiele und Prosastücke, die in viele Sprachen übersetzt wurden, erhielt sie zahlreiche literarische Auszeichnungen, u. a. 1952 den Preis der Gruppe 47, 1982 den Petrarca-Preis, 1983 den Franz-Kafka-Preis, 1995 den Österreichischen Staatspreis für Literatur und 2015 den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg. Ilse Aichinger starb am 11. November 2016 im Alter von 95 Jahren.

Danzig, zum Geburtstag von Günter Grass

Im Rehabilitationszentrum Wien-Floridsdorf schrieb Ilse Aichinger auf der Rückseite des Diätkost-Speiseplans Erinnerungen an Günter Grass - mit »gebückten Frauen, die Rüben oder Kartoffeln suchen« © S. Fischer VerlagGünter Grass hat das Glück, schon früh eine überwältigende Landschaft um sich gehabt zu haben, Danzig und nicht Steinach-Irdning oder Floridsdorf. Und er kann gut tanzen. Ein Vergnügen, schon vor Jahrzehnten, ihn dabei zu beobachten, mit wem immer, auch mit allen. Wer stand ihm in seiner Kindheit bei, und hatte er einen nötig, der ihm beistand? Das fragte ich mich, als wir uns Ende der 50er-Jahre in der Gruppe 47 kennenlernten. Doch eigenartig, gerade im Kontrast zum Bild, das sich später die Öffentlichkeit von ihm machte: Der Eindruck, daß er verlassen werden könnte und verletzbar sei, überwog.

Allerdings auch, daß er Exzesse gut verstand, aber auch verstand, ihnen zu entgehen, gerade wenn sie ihn betrafen. Möglich, daß er stärker schien, als er sich fühlte, aber auch das war angemessen. Während der Tagungen der Gruppe konnte er bei ärgerlichen Texten rasch auffahren, aber autark, nicht im Rudel wie die Berufskritiker, die sich immer lauter in die Treffen hineinmischten.

Hier in Floridsdorf, in einer Klinik für Knochenbrüche, gibt es keinen leichten Horizont, keine Ostsee, keine Hansestadt. Nur weg. Vielleicht ist nur aus dem nördlichen Himmel heraus die Gelassenheit eines Grass möglich. Dabei wirkte er damals auf mich gar nicht hanseatisch, sondern eher wie aus dem Midi. Was wäre gewesen, wenn fünfzehn Jahre davor sein Oskar Matzerath aus Danzig die verfolgte Gruppe um meine Ellen in Wien getroffen hätte? Hätte der Rhythmus seiner Trommel den Rhythmus der Transporte über die Schwedenbrücke wenigstens ein wenig aus dem Gleichmaß bringen können? Matzerath kam von der Ostsee. Er kann seine Angst nach außen werfen, Ellen nicht.

Einmal schenkte mir Günter Grass eine seiner Zeichnungen, entstanden in seiner Zeit in Kalkutta: gebückte Frauen, die Rüben oder Kartoffeln suchen. Die hoffen noch immer.

Sein Maß an Lebensfähigkeit, seine Unfähigkeit, Herdentrieben nachzugeben. Bei einer späten Tagung der Gruppe 47 erschienen ihm einige der Gedichte, die ich vorlas, düster. »Da muß etwas geschehen«, sagte er. Er hat es inzwischen geschehen lassen.

(18.10.2002)

Aus: ›Unglaubwürdige Reisen‹, Ilse Aichinger. 2005. S. 65 - 67

Unglaubwürdige Reisen

Mit der Zwillingsschwester in die Kapuzinergruft, mit dem nomadischen Urgroßvater durch den Kaukasus, mit Sigmund Freud ins Londoner Exil, mit der polnischen Putzfrau nach Oswiecim/Auschwitz: Während dreier Jahre – vom Attentat auf die New Yorker Zwillingstürme bis zum Literaturnobelpreis für Elfriede Jelinek – begibt sich Ilse Aichinger im Wiener Kaffeehaus »Demel« auf Reisen. Reiseutensilien sind Stift und Papier, auf Speisekarten, Rätselheften und Einkaufstüten entstehen abenteuerliche Manuskripte. Reisegefährten sind Menschen, die sich während über 80 Jahren als »kräftige Schattenrisse« in die Erinnerung eingeprägt haben. Die Routen führen, so direkt wie möglich und so »unglaubwürdig« wie nötig, in die Topografie der eigenen Biografie – das wechselvolle Leben einer der wichtigsten Autorinnen der deutschen Nachkriegsliteratur.

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