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Hundertvierzehn | Extra
Tapfer lesen

Am 11. November 2016 ist Ilse Aichinger im Alter von 95 Jahren in Wien verstorben. Nach Lektüre einiger Nachrufe ein paar Notizen zur Rezeption ihres Werks von Teresa Präauer

 
Teresa Präauer

Teresa Präauer, geboren 1979, ist Autorin und bildende Künstlerin in Wien. Sie schreibt regelmäßig für Zeitungen und Magazine zu Theater, Kunst, Literatur, Mode und Pop. Ihr Roman ›Für den Herrscher aus Übersee‹ wurde ausgezeichnet mit dem aspekte-Preis für das beste deutschsprachige Prosadebüt. Der Künstlerroman ›Johnny und Jean‹ (FISCHER Taschenbuch 2016) wurde ausgezeichnet mit Droste-Literaturförderpreis und dem Förderpreis zum Hölderlinpreis 2015 und war nominiert für den Preis der Leipziger Buchmesse 2015. Zuletzt erschien der Roman ›Oh Schimmi‹ (Wallstein 2016), mit dem sie momentan auf Lesereise ist. Für hundertvierzehn.de schrieb sie auch über Ilse Aichingers Gedicht »An einen 4. März«.

Wie beschränkt es den Blick auf das Werk Ilse Aichingers, wenn man es mit dem Attribut »schmal« bemisst! Es wortreich tätschelt wie den Kopf eines »kleinen Mädchens«, um die Dichterin selbst mit einer nächsten Geste zur »Schamanin« und »Heilerin« aufzuputzen. Wenn man ihre Gedichte als »geheimnisvoll-verrätselt« deutet (an anderer Stelle, ein anderer Nachruf), wie ja ohnehin gern mit Gedichten verfahren wird. Wie überhaupt das Sprechen über Ilse Aichinger Rezensenten und Nachrufende gern zu einem »Raunen« verführt, das, statt um die Texte, lieber um sich selbst kreist und um ein paar schmale biografische Anekdoten. »Damit ist es jetzt genug«, sagt Ilse Aichinger in ihrem Text »Schlechte Wörter« (S. Fischer, 1976).

Damit ist es jetzt genug, ruft die Leserin den flinken Nachrufern nach. »Die wenigsten können sich wehren. Sie kommen zur Welt und werden sofort von alledem umgeben, was sie zu umgeben nicht ausreicht. Ehe sie den Kopf wenden können, werden ihnen, begonnen bei ihrem eigenen Namen, Bezeichnungen zugemutet, die nicht zutreffen. Sie sind schon in den Schlafliedern leicht nachzuweisen. Später werden sie massiver. Und ich? Ich könnte mich wehren.« Ilse Aichinger wehrt sich, manchmal im Indikativ, manchmal im Konjunktiv, und ist souverän: »(…) ich versteife mich nicht darauf, aber ich bleibe dabei.«

Ilse Aichinger

Ilse Aichinger wurde am 1. November 1921 in Wien geboren. 1948 veröffentlichte sie ihren Roman über die Kriegszeit in Wien, ›Die größere Hoffnung‹, und ihre ersten berühmten Geschichten. Für ihren Roman, ihre Gedichte, Hörspiele und Prosastücke, die in viele Sprachen übersetzt wurden, erhielt sie zahlreiche literarische Auszeichnungen, u. a. 1952 den Preis der Gruppe 47, 1982 den Petrarca-Preis, 1983 den Franz-Kafka-Preis, 1995 den Österreichischen Staatspreis für Literatur und 2015 den Großen Kunstpreis des Landes Salzburg. Ilse Aichinger starb am 11. November 2016 im Alter von 95 Jahren.

Denn es hilft ja (und »heilt« womöglich die Schlafkrankheit Verständnislosigkeit), sich die mühselige Freude zu bereiten, literarische Primärtexte zu lesen. Was soll denn das Raunen anderes, als wortreich zu überspielen, dass einer sich die Augen zuhält und somit nichts zu sehen hat? Dabei zeigt doch der Text selbst, was zu lesen und zu verstehen ist, »angreifbar«. Es ist doch alles da, und »um den Rest sollen sich andere kümmern«. Ein Buch aus dem Schrank zu nehmen und auch nur eine einzige Seite wieder aufzuschlagen, die ja, gerade bei Ilse Aichinger, alles deutlich zeigt. Jede Seite eine Mise en abyme, jede Seite in ihrer Dichte ein sogenannter Schlüssel, eine Tür, ein Fenster zu ihrem Werk. »Ihm sind keine Grenzen gesetzt.«

Knappe Sätze, nicht gewunden, nicht verstiegen: »Ich gebrauche jetzt die besseren Wörter nicht mehr«, heißt es in »Schlechte Wörter«, diesem Prosatext, der so viele von uns Leserinnen und Lesern begleitet, seit wir ihn das erste Mal als junge Menschen, putzmunter noch, gelesen haben. »Der Regen, der gegen die Fenster stürzt. Früher wäre mir da etwas ganz anderes eingefallen. Damit ist es jetzt genug.« Und weiter: »Ich werde mich nicht darum kümmern, ob man stürzen sagen kann, wenn er nur schwach die Scheiben berührt, ob es dann nicht zuviel gesagt ist. Oder zu wenig, wenn er im Begriff ist, die Scheiben einzudrücken.« Alles steht eben da: einmal das Stürzen, dann das schwache Berühren der Scheiben, dann das Eindrücken der Scheiben. So viele »Regensorten«, so viel Angebot im Aussprechen und Verneinen.

Ilse Aichinger meets Bob Dylan

Wir gratulieren Ilse Aichinger zum 95. Geburtsag mit einem nobelpreisverdächtigen Text aus ihrem Buch ›Film und Verhängnis. Blitzlichter auf ein Leben‹.

»Ich schränke ein und schaue zu, damit bin ich genügend beschäftigt.« Kaum ein Œuvre, das trotziger dem redseligen Plaudern der »Unterhaltungen« widersteht, die »meistens in Taxis auf den Wegen stadtauswärts geführt« werden, wenn nämlich die Party längst vorüber ist. Kaum ein Schreiben, das derart klar mit Worten und streng mit grammatikalischen Mitteln gebaut ist (»gemacht« sagt Benn über Gedichte, die selten »entstehen«), das seine Poetologie dergestalt vorführt, umwirft und zeigt. Kaum ein Sprechen, das gleichermaßen skeptisch wie sorgfältig mit Sprache umgeht, nachzulesen auch im Interviewband »Es muss gar nichts bleiben« (Edition Korrespondenzen, 2011). Herausgegeben von Simone Fässler, die Michael Braun in einem für die Literaturzeitschrift »Volltext« jüngst geführten, mehr als lesenswerten Gespräch Auskunft gibt über das Verhältnis von Schweigen und Schreiben bei Ilse Aichinger.

Und noch etwas möchte gesagt sein: Nicht »ihr« habt Ilse Aichinger »einen Preis verliehen« irgendwann in diesem Leben, irgendwo in einem Haus namens Literaturbetrieb, gegen dessen Fenster der Regen stürzt, sondern sie euch. Sie immer nur euch. Denn Aichinger benötigt kein Lob, Aichinger benötigt Lektüre. — Und »wir«? Wir lesen tapfer weiter.

Schlechte Wörter

»Die Untergänge vor sich her schleifen«

Nichts ist aggressiver in Ilse Aichingers Werk als die Sammlung ›Schlechte Wörter‹. Der Band versammelt Texte, die mit einer unbeirrbaren Genauigkeit, in zwingenden Assoziationen die menschliche Existenz bedenken, bis an ihre äußersten Grenzen und Stationen. Sie wenden sich skeptisch und ohne Illusion gegen Gebote, Maximen und Devisen. »Diese Prosa hebt alles aus den Angeln, was sie anspricht und meint« (Jürgen Becker).

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