Geheimagent Marlowe

Der britische Dramatiker Christopher Marlowe (1564–1593) war einer der Stars des elisabethanischen Theaters. Seine Stücke wie etwa »Das Massaker zu Paris« oder »Der Jude von Malta« waren zu seinen Lebzeiten große Publikumserfolge, und für die deutsche Literaturtradition ist natürlich seine Tragödie »D. Faustus« wichtig, denn in einer Puppenspiel-Bearbeitung des Stückes von Marlowe ist der junge Goethe dem Stoff zum ersten Mal begegnet.

Rätselhaft blieb aber für lange Zeit der frühe Tod Marlowes. Noch heute finden sich Darstellungen, Marlowe sei bei einer Wirtshaus-Schlägerei ums Leben gekommen. Doch 1925 wurde der Bericht des Leichenbeschauers zu Marlowes Tod aufgefunden und publiziert. Nach diesem Bericht war Marlowe bei seinem Tod in Gesellschaft dreier Männer, die alle dem Geheimdienst Elisabeths I. verbunden waren, und wurde angeblich in Notwehr niedergestochen. Es wird seitdem von den Biografen vermutet, dass auch Marlowe selbst als Agent tätig war, und zahlreiche neue Spekulationen um Marlowes Leben und Tod sind hieraus erwachsen.

Dieter Kühn, der in der Hauptsache durch seine zahlreichen Sachbücher bekannt geworden ist, hat mit »Geheimagent Marlowe« einen kleinen Roman geschrieben, der diese Spekulationen auf originelle Weise aufnimmt: In Form einer fiktiven Geheimdienst-Akte erzählt er von der Anwerbung Marlowes für einen Auftrag in Paris, von Marlowes Leben dort, seiner Enttarnung durch den französischen Geheimdienst sowie dem Versuch, ihn zum Doppelagenten zu machen, und schließlich von seiner Rückkehr nach England. Und auch für Marlowes Tod hat sich Kühn eine eigene Deutung einfallen lassen …

Dieter Kühn: Geheimagent Marlowe. Fischer Taschenbücher Bd. 17535. ISBN: 978-3-596-17535-2. Preis: € 9,95.

Hell und Schnell

Robert Gernhardt (1937–2006) war einer der bedeutendsten deutschsprachigen humoristischen Schriftsteller. Da er nicht nur dichterisch, sondern auch zeichnerisch begabt war, ist es ihm gelungen, auf seine ganz eigene, originelle Art an die Tradition Wilhelm Buschs anzuknüpfen und die Kombination aus humoristischem Vers und Bild zu immer neue Höhepunkten zu bringen. Aber Gernhardt hat nicht nur selbst komische Gedichte geschrieben, er hat auch zusammen mit Klaus Cäsar Zehrer eine der schönsten Sammlungen komischer deutschsprachiger Gedichte herausgeben.

Die Sammlung umfasst 555 Gedichte aus fünf Jahrhunderten und präsentiert alle Spielarten von der reinen Sprachspielerei über Blödeleien und Parodien bis hin zum Gedicht der echten Hochkomik. Natürlich finden sich auch zahlreiche Klassiker der komischen Lyrik, etwa Heinz Erhardts »Made mit dem Kinde«, Loriots »Advent« oder der beinahe schon komplett in den Volksmund übergegangene »Bumerang« von Joachim Ringelnatz. Aber zum ganz überwiegenden Teil lassen sich echte Entdeckungen machen, darunter auch Fälle unfreiwilligen Humors. So dichtete etwa der Hamburger Stadtrat Barthold Hinrichs Brockes in der ersten Hälfte der 18. Jahrhunderts das folgende »Augen-Lied«:

Hüben sich die Augen-Lieder
Durch die Muskeln selbst nicht auf,
Sondern sünken immer wieder,
(Ach man achte doch darauf!)
Wie erbärmlich würd’ es lassen,
Wenn man sie mit Händen fassen,
Und erst aufwärts schieben müsst’!
Merks, verstockter Atheist!

Robert Gernhardt / Klaus Cäsar Zehrer (Hg.): Hell und Schnell. 555 komische Gedichte aus 5 Jahrhunderten. Fischer Taschenbücher Bd.15934. ISBN: 978-3-596-15934-5. Preis: € 15,00.

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Der Afrikaner

Als Jean-Marie Gustave Le Clézio im vergangenen Jahr den Nobelpreis für Literatur zugesprochen bekam, gaben sich selbst für ihre Belesenheit berühmte Kritiker ratlos und skeptisch. Dabei lagen Le Clézios Schriften in bedeutendem Umfang auf Deutsch vor, nur haben sie offenbar nicht die angemessene Beachtung gefunden.

Schon 2007 war zum Beispiel im Hanser Verlag ein schmales Bändchen erschienen, das einen Erinnerungstext Le Clézios an seinen Vater enthielt. Der schlichte Titel »Der Afrikaner« schickt den Leser wenigstens für einen Augenblick in die Irre, denn es erweist sich, dass es sich bei dem Afrikaner eben um Le Clézios Vater handelt, einen Briten, der auf Mauritius geboren und aufgewachsen war und den Großteil seines Lebens als Arzt in Afrika verbracht hat. Er war als junger Mann nach Afrika gegangen, um der als snobistisch empfundenen englischen Gesellschaft zu entfliehen. Dann hatte ihn der Zweite Weltkrieg für viele Jahre von seiner Frau und seinen beiden jungen Söhnen in Europa getrennt.

Als Le Clézio schließlich als Siebenjähriger im Jahre 1948 seinen Vater kennenlernt, findet er in ihm einen autoritären Patriarchen, den zu lieben der Junge nicht fähig ist. Erst als Erwachsener entwickelt er Verständnis und Sympathie für diesen fremden Mann, den das Leben in Afrika verbraucht und für immer gezeichnet hat. Als der Vater schließlich nach Europa zurückkehrt, wechselt er nur von einer Isolation in die andere. Zu sehr ist er inzwischen ein Afrikaner geworden, um sich hier noch einfinden zu können.

Ein bewegendes kleines Büchlein eines Sohns über seinen Vater.

J. M. G. Le Clézio: Der Afrikaner. Aus dem Französischen von Uli Wittmann. München: Hanser, ²2008. ISBN: 978-3-446-20948-0. Preis: € 14,90.

Was bedeutet das alles?

Vielen Menschen, die durchaus an der Philosophie ernsthaft interessiert sind, geht es wie dem Schüler in Goethes »Faust«:

An ihrem Hals will ich mit Freuden hangen;
Doch sagt mir nur, wie kann ich hingelangen?

Einführungen in die Philosophie sind oft für Studierende geschrieben und deshalb auf den akademischen Betrieb der Philosophie ausgerichtet, oder sie präsentieren die Philosophie in ihrer historischen Entwicklung, was sie umfangreich macht und einen direkten Zugang zur Sache verstellt.

Der amerikanische Philosoph Thomas Nagel hat im Gegensatz dazu eine Einführung in die Philosophie geschrieben, die auf nur wenig mehr als 100 Seiten einen weitgehend voraussetzungslosen Zugang zu klassischen Themen und Fragestellungen der Disziplin liefert. Nagels Büchlein beschäftigt sich mit der Frage nach der Erkenntnis, nach dem Bewusstsein anderer Menschen, dem Leib-Seele-Problem, der Bedeutung von Wörtern, der Frage nach Recht, Unrecht und Gerechtigkeit, dem Tod und schließlich auch nach dem Sinn des Lebens. Dabei gelingt es ihm anhand klarer und einfacher Beispiel und in wenigen Worten, wichtige, aktuelle philosophische Positionen zu diesen Fragen präzise zu beschreiben. Das Büchlein will keine Antworten auf die gestellten Fragen liefern, sondern die Art und Weise deutlich machen, wie Philosophen diese Fragen angehen.

Eine gelungene Einführung in die Philosophie, die frei ist von historischem oder akademischem Ballast. Eine Empfehlung für alle, denen bislang ein  Zugang zur Philosophie versperrt geblieben ist.

Thomas Nagel: Was bedeutet das alles? Eine ganz kurze Einführung in die Philosophie. Aus dem Englischen übersetzt von Michael Gebauer. Stuttgart: Reclam, 2008. ISBN: 978-3-15-010682-2. Preis: 6,90 €.

Cosi fan tutte

Nachdem Alan Bennett mit »Die souveräne Leserin«, das ich im letzten September hier empfohlen habe, einen lang anhaltenden Erfolg in Deutschland hatte, hat es auch ein zweites seiner Erzählbändchen auf die Bestsellerlisten geschafft: »Cosi fan tutte« erzählt die Geschichte eines gänzlich unauffälligen englischen Ehepaars. Mr. Ransome ist Anwalt, Mrs. Ransome Hausfrau, und da ihrer Ehe die Kinder fehlen, ist das wichtigste Bindeglied zwischen ihnen die gemeinsame Liebe zur Oper, besonders zu Mozart.

Als die Ransomes aber eines Abends aus der Oper nach Hause kommen, finden sie ihre Wohnung ausgeraubt vor, und zwar ist nicht nur alles Wertvolle verschwunden, sondern die Wohnung ist komplett leer. Alle Möbel, alle Haushaltgeräte, Topfpflanzen, Kleidungsstücke sind fort, sogar die im Ofen warm gestellte Kasserolle ist zusammen mit dem Ofen verschwunden. Um die Polizei anzurufen, muss Mr. Ransome erst einmal eine funktionierende Telefonzelle finden, was sich als gar nicht so einfach erweist.

Die Polizei ist ebenso ratlos wie die Ransomes selbst und kann ihnen auch nicht viel Hoffnung machen. Und so müssen die Ehepartner in den nächsten Tagen damit beginnen, ihr Leben von Grund auf wieder aufzubauen. Während es sich für Mr. Ramsome hauptsächlich um eine lästige Störung seiner alltäglichen Routine handelt, blüht Mrs. Ramsome durch diese Veränderung in ihrem Leben geradezu auf: Sie lernt neue Läden, neue Stadtteile, neue Menschen kennen.

Als sich der Alltag der Ransomes beinahe schon wieder normalisiert hat, erreicht sie eines Tages eine Rechnung über 344,36 £ für die Einlagerung diverser  Haushaltsgegenstände …

Alan Bennett: Cosi fan tutte. Berlin: Wagenbach, 6. Aufl. 2009. ISBN: 978-3-8031-1213-2. Preis: € 14,90.

Radetzkymarsch

Im Jahr 1932 erschien Joseph Roths bekanntestes Buch »Radetzkymarsch«, ein Abgesang auf die europäische Großmacht Österreich-Ungarn. Der Roman beginnt symbolisch genug im Jahr 1859 mit der Schlacht von Solferino, der ersten militärischen Niederlage des jungen Kaisers Franz Joseph I. In dieser Schlacht rettet der Leutnant Joseph Trotta, der erste Offizier in seiner Familie, dem jungen Kaiser das Leben, indem er mit seinem Körper eine Kugel abfängt. Zum Dank dafür wird er in den erblichen Adelsstand erhoben und zum Hauptmann befördert. Doch einige Jahre später findet Hauptmann von Trotta überrascht im Lesebuch seines Sohnes eine legendenhafte Darstellung seiner Tat. Nachdem seine Beschwerde darüber selbst beim Kaiser persönlich nichts fruchtet, verlässt von Trotta verbittert die Armee, ja verbietet sogar seinem Sohn die militärische Laufbahn.

So ist es erst sein Enkel Carl Joseph von Trotta, der, so bestimmt es der Vater, die Offizierslaufbahn bei der Kavallerie einschlagen muss. Der Enkel des »Helden von Solferino« ist allerdings für diesen Beruf alles andere als geeignet: Er mag das Reiten nicht, ihm fehlt überhaupt der Sinn für alles militärisch Strenge und er besitzt einen eher weichen, melancholischen Charakter. Als es schließlich in einer sogenannten Ehrensache dazu kommt, dass sein einziger Freund Dr. Demant in einem Duell getötet wird, gibt sich der jungen Trotta selbst auf. Er lässt sich an die russische Grenze versetzen, wo er aus Langeweile langsam dem Alkohol und dem Glücksspiel verfällt, bis der Ausbruch des Ersten Weltkriegs ihn noch einmal kurz aus seiner Lethargie reißt …

Joseph Roth: Radetzkymarsch. dtv 12477. ISBN: 978-3-423-12477-5. Preis: € 9,50.

Herz der Finsternis

»Herz der Finsternis« dürfte Joseph Conrads (1857-1924) bekannteste und meistübersetze Erzählung überhaupt sein. Conrad war gebürtiger Pole und hatte, als er Mitte der 1890er-Jahre zu schreiben begann, eine abenteuerliche Karriere vom Matrosen zum Kapitän hinter sich gebracht, aus der er den Stoff für zahlreiche seiner Erzählungen bezog.

In »Herz der Finsternis«, einer Erzählung von immerhin rund 130 Seiten, berichtet Charles Marlow, eine Erzählerfigur, die immer wieder in Conrads Werk auftaucht, von einem seiner frühen Abenteuer. Auf der Suche nach Arbeit nimmt er durch Vermittlung einer Tante einen Job bei einer belgischen Firma an: Er soll in den Kongo – damals eine belgische Kolonie – reisen, mit einem Dampfboot den Kongo hochfahren, um von dort Elfenbein und, falls das möglich ist, einen Elfenbeinhändler, Kurtz mit Namen, zurückbringen. Am Unterlauf des Kongo eingetroffen, muss Marlow feststellen, dass das versprochene Dampfboot einem Wrack gleicht und ausgiebiger Reparaturen bedarf. Diese ziehen sich ungewöhnlich in die Länge, und als Marlow endlich aufbrechen kann, erweist sich die Fahrt auf dem Kongo als gefährliche Reise ins Unbekannte.

Endlich bei der Station der Elfenbeinhändler angekommen, findet er Kurtz todkrank vor. Dennoch scheint Kurtz von den Eingeborenen als eine Art von König, wenn nicht gar Gott angesehen zu werden. Marlow nimmt den siechen Kurtz an Bord und beginnt die Rückreise, auf der der Sterbende versucht, Marlow seine umwälzenden Erfahrungen im Herzen der Finsternis zu vermitteln …

Joseph Conrad: Herz der Finsternis / Jugend / Das Ende vom Lied. Aus dem Englischen von Manfred Allié. Fischer Taschebuch 90163. ISBN: 978-3-596-90163-0. Preis: € 9,50.

Das steinerne Herz

Im Jahr 1954 mietet sich in  dem kleinen Städtchen Ahlden in der Lüneburger Heide ein Fremder beim Ehepaar Thumann ein: Walter Eggers, ein Hobby-Historiker, der hauptsächlich an der Geschichte des Königreichs Hannover interessiert ist. Seine Wahl, sich bei den Thumanns einzumieten, erweist sich als nicht ganz zufällig. Frieda Thumann ist die Enkelin des hannöverschen Statistikers Jansen, dessen Jahrbücher Eggers für seine geplante Personalkartei des Königreichs Hannover benötigt.

Karl Thumann ist von Beruf Lastwagenfahrer, den seine Touren regelmäßig durch die DDR nach Berlin und zurück führen. Er hat dort eine Geliebte, Line Hübner, die in Ost-Berlin in einer Gartenlaube lebt. Zum Ausgleich hält sich Frieda schon bald an ihrem neuen Untermieter schadlos, dem sie seine Liebesdienste mit den von ihm begehrte Jahrbüchern entlohnt.

Walter Eggers nutzt die Gelegenheit, mit Karl nach Berlin zu fahren. Er hat vor, in der Berliner Staatsbibliothek ein Buch zu stehlen, bzw. es gegen eine andere Auflage desselben Buches auszutauschen. Nach Ahlden zurückgekehrt, will er  sich nach einiger Zeit heimlich aus dem Staub machen, als eine überraschende Entdeckung all seine Pläne über den Haufen wirft …

Arno Schmidt hat mit seinem »historischen Roman aus dem Jahre 1954 nach Christi« ein überraschend genaues und detailreiches Bild der beiden deutschen Staaten der 50er-Jahre geliefert. Besonders aufgrund seiner kritischen Haltung dem Adenauer-Staat gegenüber wurde der Roman 1956 nur in einer politisch entschärften Fassung gedruckt. Erst 30 Jahre später erschien  erstmals die ungekürzte Fassung des Textes.

Arno Schmidt: Das steinerne Herz. München: Süddeutsche Zeitung, 2008. ISBN: 978-3-86615-548-0. Preis: € 5,90.

Empörung

Marcus Messner ist auf der Flucht vor seinem überängstlichen Vater. Es ist das Jahr 1951, und Marcus fühlt sich von seinem Vater gegängelt und kontrolliert. Deshalb wechselt er das College und geht von seinem Heimatort Newark auch nach Winesburg in Ohio. Aber es ist nicht nur sein Vater, der Marcus Sorgen macht: Die USA befinden sich in Korea im Krieg, und Marcus befürchtet, nach dem College eingezogen zu werden und als einfacher Soldat in Korea zu sterben. Er will daher einen besonders guten Abschluss machen, damit er die Möglichkeit hat, sich für den Geheimdienst zu bewerben; auf diese Weise hofft er, dem eigentlichen Kampfgeschehen zu entgehen.

Marcus legt also alles darauf an, ein Musterstudent zu werden, aber das ist einfacher gesagt als getan, denn seine Mitbewohner im College haben ganz andere Ambitionen und lassen ihn nicht ungestört lernen. Marcus wechselt deshalb mehrfach das Zimmer, bis er schließlich ganz allein unter dem Dach haust. Das wiederum macht dem Dekan des College Sorgen, denn er befürchtet, Marcus isoliere sich von den anderen Studenten. Er lädt Marcus daher zu einem Gespräch ein, das einen ganz unvorhergesehenen Verlauf nimmt und damit endet, dass Marcus sich im Büro des Dekans übergibt …

Philip Roth stellt mit seiner neuen Erzählung »Empörung« einmal mehr seine Kunst unter Beweis, ganz einfache zwischenmenschliche Konstellationen mit einem überraschenden Reichtum an sozialen und psychischen Konflikten zu verknüpfen, aus denen sich für den Helden schier unauflösliche Probleme zu ergeben scheinen. Dass der Held am Ende nur über eine Lappalie stolpert, gibt der Geschichte eine schauervoll ironische Wendung.

Philip Roth: Empörung. Aus dem Amerikanischen v. Werner Schmitz. München: C.H. Beck, 2009. ISBN: 978-3-446-23278-5. Preis: € 17,90.

Das Glück der anderen

Jacob Hansen lebt gegen Ende des 19. Jahrhunderts im Städtchen Friendship im nordamerikanischen Westen. Er ist verheiratet und hat eine kleine Tochter. In der Gemeinde hat er gleich mehrere Funktionen: Er ist Sheriff, zugleich Bestattungsunternehmer und Totengräber und zudem noch Prediger. Eines Tages wird er zu einem Leichenfund im Wald gerufen, und als er die Leiche in die Stadt bringt, findet er unterwegs auch noch eine desorientierte Frau. Er bringt beide zum Arzt von Friendship, dem rasch klar ist, dass sowohl der Tote als auch die Frau mit Diphtherie infiziert sind. Zu dieser Zeit gab es noch kein Mittel gegen die Erkrankung, und eine Infektion bedeutete in aller Regel ein Todesurteil. Als sei dies allein nicht schlimm genug, ist das kleine Städtchen auch noch durch einen Großbrand gefährdet, der sich aufgrund eines langen, trockenen Sommers unaufhaltsam ausbreitet.

Jacob Hansen ist ein pflichtbewusster Mann, dem der sorgfältige und respektvolle Umgang mit den Toten am Herzen liegt. Die Einwohner von Friendship halten ihn zwar für ein wenig verschroben, aber sie respektieren ihn. Doch kurz nach Ausbruch der Epidemie erkranken kurz nacheinander Hansens Tochter und Frau …

Stewart O’Nan hat mit »Das Glück der anderen« ein ruhiges und eindringliches Porträt eines Einzelgängers geschaffen, der unter schwierigsten Umständen weiterhin seinen Glauben behält und seinen Pflichten nachkommt. Das Buch ist durchgehend in der sehr seltenen Du-Form geschrieben, was eine interessante Spannung von Nähe und Distanz zum Geschehen erzeugt. Ein gelungenes literarisches Experiment.

Stewart O’Nan: Das Glück der anderen. Aus dem Amerikanischen v. Thomas Gunkel. rororo 23430. ISBN: 978-3-499-23430-9.