[Rezension][Das Debüt 2016]: Philip Krömer – Ymir oder aus der Hirnschale der Himmel

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Für den Debütpreis, der 2016 erstmalig ausgeschrieben wurde und für dessen Jury nur Buchblogger vorgesehen waren, sind fünf Bücher für die Shortlist nominiert worden, darunter auch Philip Krömers Ymir, den ich für die Preisverleihung neben drei anderen Büchern ebenfalls gelesen habe. Ich persönlich habe nicht für dieses Buch als Preisträger gestimmt, da die letztliche Gewinnerin des Preises und meine eigene Favoritin mit mehr politischer Aktualität und einer in Akzenten besseren Sprache aufwartete. Aber von mir persönlich war es eine knappe Entscheidung. Die Begründung könnt ihr im folgenden Link nachlesen (Debüt 2016 bei Lesen macht glücklich).

Mit diesem Buch macht man eigentlich nichts falsch, wenn man mit Jules Vernes Buch „Reise zum Mittelpunkt der Erde“ oder allgemein mit Abenteuerliteratur der alten Art etwas anfangen kann. Die vordergründige Geschichte ist dabei eher schnell erzählt und wirkt nicht lange nach, aber das Gesamtprodukt Buch ist eine Wucht. Es spielen für die Geschichte fast alle Sinne indirekt eine Rolle, egal ob schmecken, riechen oder sehen. Dazu kommt die Doppelbödigkeit, mit der der Text durchsetzt ist und mit der Philip Krömer vor allem die Ideologie des Nationalsozialismus durch den Kakao zieht. Zusätzlich ist das Buch auch noch schön gebunden und mit Bildern versehen, die aus einem Lehrbuch entstammen, welches historische Zeichnungen zur „naturgemäßen Lebens- und Heilweise sowie neuzeitlichen Gesundheitsführung“ (von Friedrich Eduard Bilz) aufführt. Alles zusammen geht es bei diesem Buch mehr um den Stil als den Inhalt und schon allein dadurch eine Empfehlung.
Karl, der Erzähler der Geschichte, lässt uns anklopfen, damit wir Eintritt in die Geschichte erlangen. Er lässt uns in einem gemütlichen Sessel Platz nehmen, das Feuer im Kamin prasselt, eine gemütliche Stimmung herrscht vor. Der Gastgeber hat geladen, um eine unglaubliche Geschichte von immenser Bedeutung zu erzählen. Es geht um eine Expedition nach Island, bei der Karl und noch zwei andere Personen involviert waren – Klein Heinrich und VonUndZu. Karl hat den Auftrag vom Großen Heinrich (den Himmler) erhalten, diese Expedition zu dokumentieren und darüber zu berichten, was unter der Erde lauert. Klein Heinrich ist der Einzige, der eingeweiht wurde, was die drei wirklich zu tun haben und VonUndZu ist ein Ahnenforscher und Expeditionsexperte. Die drei steigen hinab in die Tiefen der isländischen Erde, von wo ein beständiger Wind weht, der darauf hindeutet, dass es eine andere Öffnung nach außen geben muss.
Nun ist es so, dass VonUndZu und Karl wenige Stunden vor Beginn der Expedition von Klein Heinrich darüber in Kenntniss gesetzt werden, in die Erde hinabzusteigen, um sie für die obersten Nazischergen für den Fall eines Untertauchens zu erforschen. Finden sie Lebewesen sollen sie kategorisiert werden. Kaum sind die drei unter der Erde gibt es auch den ersten Toten. Beim Hinabsteigen in einen langen senkrechten Tunnel, stürzt Klein Heinrich ab und stirbt sofort. Es wird von Karl in seiner Erzählung immer angedeutet, dass er es war, der Klein Heinrich den letzten Schubser gegeben hat oder es war ein Fehler Klein Heinrich. Hier bleibt man als Leser im Unklaren. Anstatt umzudrehen, steigen VonUndZu und Karl weiter in die Eingeweide der isländischen Erde hinab und finden tatsächlich Lebewesen, die menschenähnlich aussehen, sich aber so sehr ihrer Umgebung angepasst haben, dass sie sich sehr stark vom Menschen unterscheiden.

Philip Krömers „Ymir oder aus der Hirnschale der Himmel“ ist vordergründig eine einfache Abenteuergeschichte, auf deren wahnwitzige Grundidee und deren Umsetzung man sich einlassen muss. Sie atmet den Geist Jules Vernes, schon allein durch die Grundidee, in Island unter die Erde zu steigen. Doch das Buch ist insgesamt um einiges vielschichtiger, als es der erste Blick vermuten lässt. Der Erzähler ist nicht immer ehrlich mit uns Mitlesern, manche doppeldeutige Ansprache wird eingestreut, mythologische Sprachbilder sind im Text untergebracht, die Ideologie der Nazis wird an jeder Stelle, an der es möglich ist, durch den Kakao gezogen und auch manch physikalische Gegenheit, zum Beispiel ein Echo, wird im Text durch den Textsatz zusätzlich beschrieben. Das Buch ist somit, neben der eigentlichen Geschichte, ein wahrer Augenschmauß. Die eingesetzten Bilder zu Beginn eines jeden Kapitels geben an, wo man sich gerade innerhalb Ymirs Körper befindet und innerhalb der Kapitel werden noch Bilder aus dem bereits genannten Heilbuch eingestreut, die mit dem Geschehen aber nur im entfernteren Sinne etwas zu tun haben. Das Gesamtkonzept von „Ymir“ ist stimmig und unterhält auf allen Ebenen. Leider hat dabei die Geschichte auf den letzten Metern etwas verloren, bei dem ich glaubte, da kommt noch was. Dem Erzähler ist sprichwörtlich die Luft ausgegangen (wer den Wortwitz verstehen will, der muss das Buch lesen). Damit hat das Buch, und hier schließt sich der Kreis zur Preisverleihung des besten Debüts 2016, einige ganz kleine Promillepunkte gegenüber meinem persönlichen Favoriten eingebüßt. Aber es war ein knappes Rennen. Auch wenn ich mich wiederhole: Das Buch ist ein großer Spaß und dazu geeignet, mehrfach gelesen zu werden. Definitv ein Geheimtipp unter den Neuerscheinungen von 2016.

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