Der zweite Boden
Gleich vorweg – folgender Text wurde auf einem Sony-Laptop verfasst. Ein Umstand, der die Schuldfrage von vornherein ausklammern soll. Welche Schuld? Na wegen der Opfer, die bei der Produktion dieses Gerätes „gebracht“ wurden.
Vor kurzem schleuste sich ein junger Reporter einer chinesischen Zeitung, undercover in eine der berüchtigten „Höllenfabriken“ des Foxconn-Imperiums ein. Ungefähr 400.000 Menschen beschäftigt der Handy- und Laptophersteller-Gigant – wobei ich mich mit „beschäftigt“ eher im Ton zu vergreifen scheine. Acht Stunden am Stück stehen, sechs Tage die Woche, und das ganz bei umgerechnet ca. 100 Euro Gehalt = 6 Selbstmordversuche pro Monat – lässt sich die Formel des chinesischen (oder doch europäischen) Despotismus in etwa berechnen.
Die Überholnation China soll schließlich auch abseits der Medienwelt, das heißt nicht nur auf dem Papier, erbaut werden. Ähnlich wie beim Bau der Pyramiden von Gizeh, den man ja nur noch als rein historisches Kuriosum wahrnimmt – zählen die menschlichen Opfer dabei exakt Nullkommanix.
Es war ein gutes Gefühl, damals im Geschichtsunterricht, zu lernen, dass unsere Gesellschaft den Bedarf an Sklaven längst überwunden hatte. Das Thema gehörte mitsamt seinem Grauen der Vergangenheit an, und dieser Umstand erfüllte mich mit Stolz und Zuversicht was unsere Entwicklung in Sachen menschliche Wesensbildung angeht. Aber Meldungen wie diese – wo bleibt nun die gelehrte und versprochene Abschaffung der menschlichen Klassen? Ich möchte ja nicht behaupten das es so ist, kann mich aber trotzdem schwer eines Gedankens erwehren: Wir haben einen Schritt vorwärts und zwei zurück gemacht in unserer Evolution. Und selbst wenn ich mit so einer Behauptung sämtliche Zuversichtsfanatiker (ich selbst bin so einer) auf die Barrikaden bringe – ich meine das durchaus ernst – und darüber hinaus als Impuls dieses vielschichtig positive Phänomen der zwischenmenschlichen Beziehung, erneut aufzugreifen.
Eine erste Formel dazu scheint mir recht simpel: Es ist nicht immer das brandneueste Gerät, das sexy macht.
“Die Pyramiden werden dir sicherlich gefallen, tausende Menschen litten hierfür grauenhafte Qualen. Aber du freust dich ja gar nicht!”
[Jens Friebe – Du freust dich ja gar nicht]
Die einen liessen sich riesige Monumente bauen, wir brauchen sowas heute nicht mehr. Todgiftige Minen, in denen Sklaven für uns das neue Handy abbauen und der Markenaufdruck, der die Kinderarbeit in Indien wert ist, das sind moderne Qualitätsmerkmale. Und so lange wie die Pyramiden halten sie allemal, allein ein Kaugummi hat eine biologische Abbauzeit von 100.000 Jahren.