Ein Rezensionsbeitrag von Bertram Sebastian (Dieser Beitrag unterstützt den Erhalt von Litheart.de)
Es ist die Glanzleistung von Schauspielern und Direktion, die diesen Film zu einem – freilich unangenehmen – Erlebnis machen. In seinem visuell bestechenden Drama “Shame” portraitiert Steve McQueen sowohl ein gestörtes geschwisterliches Verhältnis, als auch die krankhafte Sucht nach Sex und deren Auswirkungen auf das großstädtische, kühle Leben. Michael Fassbender und Carey Mulligan spielen in den Hauptrollen dabei so überzeugend, dass der Zuschauer nicht um eine zweistündige Gänsehaut herumkommt.
Michael Fassbender, der als Brandon einen jungen Exec aus New York spielt, glattgebügelt ist und in einer minimalistischen Wohnung seinem Leben nachgeht, ist ein sexsüchtiger Single, der sich mit Unmengen von Pornographie und Prostituierten austobt. Als Sissy, seine jüngere Schwester, zu der er merklich kein gutes Verhältnis hat (wieso dem so ist, bleibt dem Zuschauer verwehrt), sich in seiner Wohnung ankündigt und seine Routine durcheinanderbringt, beginnt ein Pokern um die Wahrung von Brandons Oberfläche, die Sissy zu durchdringen versucht. Die beiden erwischen sich ständig nackt, die Gründe für Brandons Abneigungen seiner Schwester gegenüber bleiben unbekannt, aber es zeichnet sich eine vage, übersexualisierte Ambivalenz ab, die es noch unbequemer macht, den gelächterfreien Film mit Leichtigkeit zu nehmen.
Es ist McQueens Liebe zum Detail, die den Film so reich an Gefühlen und Ästhetik macht. Sein Protagonist Brandon erinnert stark an solch einen äußerlich geordneten Großstädter wie East-Ellis’ Patrick Bateman aus American Psycho – doch anders als Bateman entpuppt sich Brandon nicht erst im Verlauf der Geschichte als kaputte Seele. Seine Sucht erscheint von Anfang an als Leiden; ein menschliches Trauma, das keine Begründung braucht, um zu funktionieren.
Wie bei einem Texas Holdem Showdown begegnen sich letztendlich nur kleine Wortassoziationen und Bilderspiele, die allerdings einen Zusammenbruch des Status Quo auslösen, um dieses melodramatische Inferno von Puzzlestückchen zu einem Ganzen zusammenzusetzen. Der Titel, der die Aufnahmen von Brandon und Sissy begleitet, “Shame”, ist zugleich auch der rote, fast unsichtbare Faden, der sich durch alle Charaktäre zieht: die Scham, den alle für ein Schicksal empfinden, welches sie zurückweisen und doch nicht aufgeben können. McQueen schafft es für einige Augenblicke genau so unangenehme Nahaufnahmen im wörtlichen Sinne zu schaffen, dass Shame so brutal und gnadenlos wirkt wie Requiem For A Dream – nur viel, viel subtiler. So, wie es sich das für Schamgefühl auch gehört.
Um, Requiem for a dream bereitet mir zehn Jahre nach dem Kinobesuch noch Bauchdrücken – und dann wird der Soundtrack seither auch noch in dermaßen vielen Dokus verwendet… nehme ich als Filmempfehlung!