Die Bezeichnung als „Beziehungsroman“ hätten sich Autor und Verlag sparen sollen, das vergrämt Leser (wohl mehr noch als -innen). Worum es in „Untreu“ geht, verrät noch mehr als bei vielen anderen Büchern die Info auf der Rückseite: Top-Ehepaar mit zwei wunderbaren Töchtern, nach außen alles schwer in Ordnung, doch unter der Oberfläche brodelt es längst: „Als der neue Geschäftspartner und Freund ihres Mannes häufiger Gast in ihrem Haus wird, bringt das Christine in emotionale Schwierigkeiten.“ Will man dann am liebsten gleich wieder weg legen, an Ärztewartezimmerliteratur denkend. Wäre allerdings ein Fehler, denn was Andreas Keck mit „Untreu“ abliefert, darf man guten Gewissens als ansprechend und spannend bezeichnen.
Auch wenn die Sache etwas holprig anläuft, mit der Reflexion der Ehefrau ihres fad gewordenen Lebens – spätestens nach den ersten zwanzig Seiten spürt man, was der Autor will. Schön langsam baut sich die Spannung auf, bald spürt man zudem die Spannungen zwischen den einzelnen ProtagonistInnen, oder auch deren unterschiedliches Zusammenspiel: Ehemann Markus mit der älteren Tochter Patricia – ein Schickimicki-Dreamteam; Christine mit Kind Nummer 2, Laura, die sich viel näher sind, als sich im turbulenten Alltag und den klassischen Streitigkeiten zwischen Mutter und pubertierender Tochter zuerst ahnen lässt. Mittendrin Ludwig, der bereits genannte „neue Geschäftspartner und Freund“. Den zuerst keiner mag, außer Markus; der ihn wiederum grandios und seinen Alltag belebend findet – sofort ein Haus in Italien mit ihm plant und (Achtung, kleiner Spoiler!) bereits nach kurzer Zeit nicht mehr vor einer geschäftlichen Veruntreuung zu Ludwigs Gunsten zurück schreckt.
Andreas Keck schafft es, die Problem(ch)e(n) langjähriger Beziehungen auszumachen und literarisch zu transportieren: „[I]mmer öfter hatte er nun das Gefühl, sie könnte ihm etwas wegnehmen, etwas das nur ihm gehörte. (…) Genau das war es. Das tat sie so. Sie sprach es an. Und damit war es passé. Sein Gefühl.“
Aber auch die Gefühlslage heutiger Teenager scheint plausibel – wenn hier auch meist nur an der Oberfläche gekratzt wird.
Zentral ist die Frage, ob es sich für eine neue Liebe lohnen könnte, aus der bürgerlichen Sicherheit zu fliehen und mit dem bisherigen, gar nicht sooo schlechten Leben zu brechen; oder, wie es der Verlag ausdrückt: „[W]ie weit darf in die eigene Beziehung investiert werden, bevor es Selbstaufgabe ist?“
In dieser Geschichte gehen alle Charakteren an ihre körperlichen und/oder seelischen Grenzen, und wie das alles enden soll – und zu welchem Preis –, ist tatsächlich bis zur letzten Seite offen. Unklar bleibt für mich, ob die eine (sich anbahnende) inzestuöse Beziehung innerhalb der heilen Familie andeutende Nebenhandlung nicht zu konstruiert ist. Vielleicht hätte der Autor hier mutiger, oder, im Gegenteil, mit den Andeutungen dezenter sein sollen. Dem Gesamtbild tut das allerdings keinen Abbruch: „Untreu“ ist eine Leseempfehlung wert und eignet sich gerade für verregnete Nachmittage, von denen wir in den kommenden Wochen genügend haben sollten.
Das Buch ist im Frühsommer 2012 in der Edition Periplaneta erschienen und als Taschenbuch um 13,- Euro bzw. in der Kindle-Version für 7,99 Euro erhältlich.
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