Als Jörg und Miriam sich eines schönen Frühlingstages auf dem Flughafen in die Arme fallen nach einer längeren Zeit des Nichtsehens, ahnen sie noch nicht, dass die Menschen die sich mit ihnen in den Aufzug drängeln, gleich ihre Wiedersehensfreude zerstören werden. Wie aus dem Nichts kommt der Haftbefehl, den die gutgelaunten Polizisten an Jörg vollstrecken. Es ist ein Höhepunkt ihrer Polizeikarrieren, eine Promiverhaftung. Einen beliebten Wettermoderator, früher der freundliche Wunschschwiegersohn der Nation, festnehmen, das ist ein Ereignis von dem man noch lange erzählen kann. Miriam verliert noch schneller den Überblick über die Geschehnisse als ihr Freund, bleibt verwirrt mit dem Wagen voll Gepäck zurück. Niemand ahnt damals, dass sich die Situation nicht wie gedacht innerhalb von wenigen Tagen auflösen würde, sondern sich jahrelang durch alle Nachrichtensendugen ziehen und eine Karriere völlig ruinieren würde.
Die ersten Tage im Knast sind die grauesten. Relativ schnell stellt der Neuhäftling fest, dass er Ablenkung benötigt und beginnt eiligst eine Tätigkeit als Gebäudereiniger. So findet er sich in raschem Tempo in den Gefängnisalltag ein, ergattert ein paar Privilegien wie einen Wasserkocher und lernt die Mithäftlinge kennen. Er weiß er ist unschuldig, aber er weiß nicht was geschehen ist. Vergewaltigung in besonders schwerem Fall heißt es in der Anklage, aber er hat die Frau die da klagt eine ganze Weile nicht gesehen und hielt Rache eigentlich immer für ein paradoxes Konstrukt, das in einer Beziehung, Exbeziehung, nichts zu suchen hat. Als die Details auf dem Tisch liegen dämmert es ihm, Exfreundin Claudia meint es wortwörtlich, als sie immer wieder in allen Medien wiederholt “Ich wünschte, er wäre tot”.
Wäre dieses Buch statt einer Tatsachenbeschreibung ein Thriller, wäre er für die meisten Leser zu platt. Rachsüchtige Exfreundinnen, die überall im Lande auftauchen, Trittbrettfahrer, offensichtlich verliebte Anwälte und Gutachten, die unter den Teppich gekehrt werden weil sie nicht in das Bild passen, welches das Gericht zeichnen möchte.
Ich sage Ihnen was. Sie müssen dieses Buch nicht lesen. Wenn Sie bisher der felsenfesten Meinung sind, dass die Klägerin im vollen Recht ist, werden Sie nach zwei Jahren Ihre Meinung nicht ändern, das hat die Berichterstattung der letzten Wochen gezeigt. Ich könnte nun Vertrauen in Ihre Urteilsgabe legen und sagen, vielleicht stellen Sie sich intelligenter an als verschiedene Medien, die auch nach Veröffentlichung meinen, man könne ja gar nicht wissen, wer in diesem Fall Recht hat, aber Sie müssen es auch nicht lesen, wenn Sie ohnehin glauben die Geschichte zu kennen.
“Oje, nicht schon wieder (…) nicht schon wieder der Kachelmann!” beginnt Jörg Kachelmann seinen 385 Seiten starken Bericht der Ereignisse, die auf den 20.03.2010 folgten. Die Berichterstattung ist übersättigt. Als das Buch vor einer Woche erschien, seuzten die ersten Zeitungsleser hörbar auf, nun würde wieder jedes Blatt einzeln berichten, die Talkshows wären überflutet mit Vergewaltigungsdiskussionen und so weiter. Aber ein bisschen blieb der Sturm aus, denn einige Redakteure schienen sich die Zeit genommen haben, “Recht und Gerechtigkeit” tatsächlich zu lesen. Nicht alle freilich, einige wollten auch nur fragen, wie sich so ein Freispruch anfühlt oder ob Frau Dinkel wirklich gelogen habe. Aber die Grundstimmung war eher still.
Denn “Recht und Gerechtigkeit” ist kein Plauderbericht. Es ist kein Jammerbuch über ein hartes Bett im Luxusknast. Es geht um jahrelangen Psychoterror unter dem Banner der Rechtsprechung. Miriam, heute verheiratet mit Jörg Kachelmann, muss vor Gericht tagelang intimste Details auspacken, nur weil sie eine Beziehung führt, die Angeklagte dagegen verstrickt sich von Anhörung zu Anhörung in mehr Lügen. Doch das Gericht scheint von Zeit zu Zeit nicht mehr zu wissen, wen es schuldig befinden soll und glaubt Claudia Dinkel auch noch, als diese nicht einmal mehr sicher ist ob das Messer mit Klinge oder Griff an ihren Hals gehalten worden sein soll. Keine Wunden, keine DNA-Spuren, keine Spuren einer Vergewaltigung, erfundene Traumata die jeden Trauma-Schemen widersprechen und Facebookchats unter falschem Namen, um von anderen Exfreundinnen mehr zu erfahren. Und irgendwo dazwischen Jörg Kachelmann, der über die Monate der Verhandlung nicht mehr sicher ist, frei zu kommen weil immer und immer wieder an seiner Unschuld gezweifelt wird.
Irgendwann gibt das Gericht auf. Man kann es nicht anders nennen. Die Anklage wird fallengelassen nachdem auch der letzte Teil der Geschichte der Klägerin als Lüge enttarnt ist. Doch niemand entschuldigt sich für ein drittel Jahr im Gefängnis, den verlorenen Job bei der ARD, den Kachelmann seit den 90ern bekleidete, oder die erlittenen psychischen Schäden. Nach dem Freispruch ist vor dem Freispruch – zumindest, wenn es um Gestalten wie Alice Schwarzer (einst eine wichtige Frauenrechtlerin, heute nicht mehr relevant) geht, die einfach weiter auf der Schuld beharren.
Nun sind zweieinhalb Jahre seit der Verhaftung vergangen und als das Buch erschien sollte es direkt wieder verboten werden. Sie wolle ihren Namen nicht in dem Buch lesen, sagt Claudia Dinkel, die Klägerin die sich im Laufe der Zeit als dreiste, schlechte Lügnerin herausgestellt hatte. Gestern nun wurde die Verfügung wieder aufgehoben. Das Buch darf wieder vertrieben werden, mit Namen und mit Fotos, mit den wahrheitsgemäßen Berichten eines unglaublich gruseligen Verfahrens wie man es in Deutschland nicht erwarten würde. Was von der Kachelmann-Geschichte bleibt ist ein selbstbewusstes Ehepaar, das sich längst wieder eine Karriere und Zukunft aufgebaut hat und eine angefressene Exfreundin, die beide vermutlich immer noch tot sehen möchte. Eigentlich eine Art Happyend.
Das Buch ist gut gemacht, gut geschrieben, sachlich gehalten und erzählt chronologisch mit Zuhandnahme von Dokumenten, Fotos und Schlagzeilen aus den zwei Jahren. Vom spärlichen Gefängnis-Essensplan bis zur vor Gericht lächelnden Klägerin, der Leser kann sich selbst überzeugen, dass hier an keiner Stelle übertrieben wurde. Nur eines sollte er nicht erwarten und das sagt ihm bereits das Vorwort: Großaufgepushte Homestories, private Details, emotionales Gejammer, Sexgeschichten und persönlich werdende Äußerungen. Und das macht dieses Buch extrem gut und gut lesbar, auch wenn es keine leichte Kost ist. Den eigenen Fall so sachlich aufzubereiten, das ist nicht einfach, aber Jörg und Miriam Kachelmann ist es mit “Recht und Gerechtigkeit” gelungen, Glückwunsch dazu!
“Recht und Gerechtigkeit” ist bei Heyne erschienen und für 19,99€ als Hardcover erhältlich.
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