Mit Leib und Seele in Marburg angekommen

Gastbeitrag von A.Özdemir

Eine alte deutsche Universitätsstadt kann nicht nur für Immigranten aus den verschiedensten Kulturkreisen zur Wahlheimat werden, sie kann auch den Antrieb vermitteln, sich in der Sprache Goethes und Schillers ihr literarisch zuzuwenden. Für den aus Marokko zum Studium nach Marburg gelangten Mohammed Khallouk vermochte die mittelalterliche Stadt an der Lahn, die unzählige Kriege und Katastrophen überstanden hat, dies zu erreichen.

In seinem aus 76 prosaischen Fragmenten bestehenden Buch bringt er seine Wahrnehmung aus der Perspektive eines vielseitig interessierten angehenden Akademikers mit arabo-islamischem Hintergrund von der Kultur und Gesellschaft in Marburg zum Ausdruck. Er beobachtet und beschreibt dabei nicht nur sein Erleben der Gegenwart, sondern taucht ein in die wechselvolle deutsche und speziell die in hohem Maße von der Religion geprägte Marburger Geschichte, in der er auch für sich als Muslimen wertvolle Erkenntnisse zu ziehen vermag.

Vor allem das Bewusstsein, dass die Muslime nicht die erste kulturellreligiöse Minorität sind, die sich mit der Marburger Umwelt zu arrangieren hatten, erkennt Khallouk als Motivation. Sogar auf den Holocaust an den Juden, das schrecklichste Verbrechen der deutschen Geschichte, das auch an der alten hessischen Universitätsstadt nicht spurlos vorüber gezogen ist, nimmt er Bezug. Gerade die Juden, die trotz dieser schrecklichen Erfahrung sich Marburg als ihrer Heimatstadt wieder zuwandten, um dort für ihre Rechte zu kämpfen, versteht er als Vorbilder für ein selbstbewusstes und unbefangenes Auftreten der Muslime gegenüber ihrer oft als „fremd“ empfundenen deutschen Umwelt.

Seine Wahrnehmung der Marburger Juden schildert Khallouk in Fragment 36:

„Die Synagoge an der Universitätsstraße wurde in der Reichspogromnacht dem Erdboden gleich gemacht. Etlichen ihrer früheren Besucher gelang die Flucht ins rettende Ausland nicht mehr. Sie fanden im polnischen Todeslager ihr Ende. Der jüdische Einfluss in Marburg konnte damit jedoch nicht vernichtet werden. […]

Das Mahnmal zeigt es: Menschliches Leben und menschlicher Besitz sind endlich. Sie können von anderen Menschen genommen werden. Die Religion und der Sinn für Toleranz gehen jedoch nicht verloren. Sie wirken in den Herzen weiter. “

Dieses religiöse Bewusstsein und den daraus erwachsenen Sinn für Toleranz sollten auch die Muslime in Deutschland beherzigen. Dann, so Khallouk, werden sie auch über so manche Unverständlichkeit der deutschen Mehrheitsgesellschaft mit Wohlwollen hinwegsehen können.

Cover-Kallouk-In-Deutschland-angekommenMohammed Khallouk

In Deutschland angekommen – Marburg
Rimbaud Verlag, Aachen 2013
ISBN 978-3-89086-438-9
Preis: 15 €

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