Wo steckt die gute Hausfrau?
Irgendwann im Jahr 1949 entdeckt die Hausfrau Anna Burda, dass ihr Mann, der Offenburger Druckereibesitzer Dr. Franz Burda, eine Zweitfrau samt gemeinsamem Kind hat. Gleichzeitig wird ihr klar, dass die Nebenbuhlerin ebenjene von ihr entworfene Illustrierte mit Schnittmustern herausgibt, deren Publikation Franz der eigenen Ehefrau untersagt hatte. Anna stellt Franz ein Ultimatum: Entweder er überantwortet ihr die Zeitschrift oder sie lässt sich scheiden. Franz gibt nach, und Anna, die sich inzwischen Aenne nennt, wirft die Konkurrentin persönlich aus dem Verlag – und beginnt selbst zu arbeiten.
Dass Aenne Burda – eine Frau, so schön wie Sophia Loren – eine außergewöhnliche Unternehmerin der Wirtschaftswunderjahre ist, ist eine vielfach erzählte Geschichte. Derzeit kann man sich ihr Leben in einem ARD-Zweiteiler anschauen. Aus heutiger Sicht ist es einigermaßen verstörend zu sehen, dass nicht nur der Verleger Burda völlig unwirsch reagiert, als seine Frau arbeiten will, was sie als Gattin eines wohlhabenden Mannes doch gar nicht nötig hätte. Sondern dass auch ihre Freundinnen mit größtem Unverständnis auf Aenne Burdas Berufstätigkeit blicken. Die Freundinnen aus der Offenburger Provinzoberschicht verstehen sich als moderne Frauen, sind alles andere als schüchterne Heimchen am Herd.
Arbeiten aus Langeweile
Die fünfziger und sechziger Jahre sind als „goldenes Zeitalter der Familie“ in die Geschichte eingegangen: viele Eheschließungen, viele Kinder, wenige Scheidungen, wenige Alleinerziehende. Die Rollen waren vorgegeben. Man muss das nicht zwangsläufig spießig finden. In die Rubrik „Beruf der Mutter“ trug ich als Schüler in den sechziger Jahren „Hausfrau“ ein. Das machte man damals ohne jegliche Scham. Niemand wäre auf die Idee gekommen, es sei peinlich, zuzugeben, die Mutter habe es zu nicht mehr als zur Hausfrau gebracht.
Ich habe meine Mutter als stolze Frau in Erinnerung. Um sie auf ihre Pflichten vorzubereiten, hatten meine Großeltern die Tochter in den dreißiger Jahren in die Schweiz zu einer bürgerlichen Familie geschickt, „in Stellung“, wie das damals hieß, wo sie lernen sollte, einen Haushalt zu führen (kochen, nähen, putzen und das Haushaltsgeld zusammenhalten). Dass ihr eine ordentliche Aussteuer mit in die Ehe gegeben wurde, trug ebenfalls zum Stolz bei. Hätte man meiner Mutter gesagt, sie müsse nun die Balance zwischen Familie und Beruf finden, sie hätte das weder verstanden noch gewollt.
Eine Tante ging damals in den sechziger Jahren in Stuttgart arbeiten: zum „Bleyle“, jenem mit Matrosenanzügen berühmt gewordenen, legendären Hersteller von Strick- und Wirkwaren, unter dessen kratzigen Wollhosen Generationen von Buben gelitten haben. Ich auch. Niemand hätte damals gesagt, die berufstätige Tante sei fortschrittlicher als meine Mutter, die Hausfrau. Wenn ich mir überhaupt etwas gedacht habe, dann womöglich, dass die Tante, weil kinderlos, aus häuslicher Langeweile zum Arbeiten ging. Am Geld hatte es nicht gelegen. Der Onkel arbeitete wie mein Vater bei der Bank und hätte seine Rolle als „Ernährer“ oder „Breadwinner“ gewiss auch für beide einigermaßen zufriedenstellend ausüben können. Zumal es damals noch eine echte Gender Pay Gap gab, will sagen, dass die Bezahlung von Frauen lausig war.
Überanstrengung durch Doppelbelastung
Man muss sich diese Welt der fünfziger und sechziger Jahre als fremd vor Augen führen, denn kaum jemand kann sich heute mehr vorstellen, wie selbstverständlich eine familiäre Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau einmal war. Das „Narrativ“ ist inzwischen völlig verschüttet. Die heute dominante Erzählung, wie man sie Regalmeter lang in den Bibliotheken der Genderforschung findet, liest sich so: Lange Zeit wurden die Frauen unterdrückt von ihren Männern. Gleichberechtigung blieb ihnen in der „bürgerlichen Kleinfamilie“ versagt; ihr Radius war auf Herd, Heim und Kinder begrenzt. Seit der Jahrhundertwende zum 20. Jahrhundert hätten dann universitär ausgebildete Feministinnen begonnen, ihre Geschlechtsgenossinnen aus ihrem fremdverschuldeten Leid zu befreien. Bis sie in den achtziger Jahren ihren Sieg verkünden konnten.
Tatsächlich gab es im Bürgerlichen Gesetzbuch den berühmten, bis in die siebziger Jahre geltenden Paragraphen 1356. Dort heißt es: „Die Frau führt den Haushalt in eigener Verantwortung.“ Macht man sich einen Moment lang frei vom Emanzipationsnarrativ, hört sich der Satz nicht wirklich nach Unterdrückung, sondern nach Macht und Stärke an. Erst durch den folgenden Satz erhält er seine patriarchalische Schlagseite: „Die Frau ist berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“
Die Debatten über Frauenarbeit in den sechziger Jahren können einen Eindruck vermitteln von einer Zeit, in der die Narrative noch flüssig waren. Noch gebe es keine verlässlichen Untersuchungen darüber, ob Frauen „heute eher durch Fraulichkeit oder durch berufliches Können zu Ansehen kommen“, heißt es in einem F.A.Z.-Artikel vom Mai 1963. Die „Doppelbelastung“ werde sie – „körperlich schwächer als der Mann und schutzbedürftig“ – am Ende überanstrengen, warnt der Artikel. Dann, im Jahr 1976, wurde der alte durch einen neuen BGB-Paragraphen abgelöst mit „paritätischem Ehemodell“, das die Eheleute verpflichtet, „in gegenseitigem Einvernehmen“ die Haushaltsführung zu regeln und beide „berechtigt“, erwerbstätig zu sein. Aus der vom Gesetz vorgegebenen Arbeitsteilung zwischen Mann und Frau war der Auftrag zur Dauerverhandlung geworden, die gerechte Gleichverteilung von familiären Kosten und Nutzen immer fest im Blick.
Ein herrschendes Narrativ, wenn es siegreich sein will, muss offenbar auch seine Vorgängererzählung vergessen machen. Erst langsam emanzipiert sich heute die Genderforschung vom Klischee der Befreiung der bürgerlichen Kleinfamilie durch fortschrittliche Achtundsechzigerinnen. Was hat dann den Paradigmenwechsel ausgelöst? Womöglich ist am Ende sogar der Kapitalismus schuld, was den Freundinnen der Emanzipationstheorie nicht wirklich recht sein dürfte. Erst in den sechziger und siebziger Jahren haben sich nämlich eine Reihe wichtiger haushaltserleichternder Erfindungen in der Breite des Konsums durchgesetzt: Das waren Kühlschränke, Wasch- und Spülmaschinen und natürlich das Auto Hilfsmittel, die es überhaupt erst möglich machten, Haushalt und Beruf unter einen Hut zu bringen.
Zugleich wurde auch der Haushalt dem Design der kapitalistischen Arbeitsgesellschaft anverwandelt: Hausfrauenarbeit, so hieß es nun, sei „gesellschaftlich notwendige Arbeit“, die genauso bezahlt gehöre wie alle andere Arbeit. So war aus der Familie eine kapitalistische Produktionsgenossenschaft geworden. Von da ist es nur noch ein kurzer Weg zu dem damals populären Buchtitel „Die Wirtschaft braucht die Frau“. Und die Frau war offenbar der Meinung, sie brauche die Wirtschaft: Als notwendige Bedingung zur Herstellung von Geschlechtergleichheit und zur Befriedigung eines Grundbedürfnisses nach Sinnerfüllung. Dieser Verheißung der kapitalistischen Erwerbsarbeit konnte und wollte sich am Ende kaum eine Frau entziehen. Koste es, was es wolle.