Lila Azam Zanganeh – Der Zauberer

Nenne mir drei der größten Romanciers! Frage mich das! Und ich werde ohne groß zu überlegen, ausspucken: Vladimir Nabokov. Versuche mich gar mit Gewalt von dieser Meinung abzubringen, ich werde standhaft bleiben – er gehört zu diesen. Die Pariserin mit persischen Wurzeln, die nun in Amerika wohnt, Lila Azam Zanganeh, bestätigt dieses Urteil in ihrem Debüt. Sie schreibt davon, wie die Erzählerin durch Nabokov ihr Glück gefunden hat und beschreibt, wie er sie fasziniert. Vor allem für Leser, die VN noch nie begegnet sind, ist das hilfreich. Alle anderen, die den Lebensweg des Literaten verfolgt haben, kann das manchmal langweilen – sie werden dafür von der wunderbaren Sprache der talentierten Autorin getröstet.

Lila Azam Zanganeh - Der Zauberer

Die Erzählerin blickt in diesem Buch durch eine Nabokov’sche Linse. Das bedeutet, dass sie das sieht, was andere nicht sehen können und ihr Talent nutzt, es schriftlich entsprechend auszudrücken. Gleich zu Anfang begegnet ein gezeichneter Reiseweg zum Glück, bestehend aus den folgenden fünfzehn Kapiteln, die zur Entfaltung beitragen. In diesen wird nicht nur die Stationen von VN beschrieben, der ein turbulentes Leben führte, aus dem revolutionären Russland flüchtete, seinen Vater durch ein Attentat verlor und aufgrund der jüdischen Herkunft seiner Frau, Vera, von Nazi-Deutschland in die USA auszog, um schließlich in der Schweiz zu sterben. Vielmehr versucht die Autorin ihren eigenen Werdegang oder das ihrer Familie mit VNs zu vergleichen oder die Eigenschaften des Schmetterlingsforschers festzuhalten sowie seine Spezialthemen wie die »Wahnsinnsliebe« abzustecken:

Der Rest war ein Sichverlieben, das überwältigende Gefühl vertrauter Andersartigkeit. Das hängt mit den Tricks und Schlichen seiner Sprache zusammen, einer Sprache, deren Drehungen und Wendungen wie neu erfunden wirken. Man nimmt einen strahlenden Lichtbogen wahr, schwelgt für einen Augenblick, in dem die Zeit aufgehoben scheint, in seiner Helligkeit. Es ist, als durchdränge man ein fundamentales Geheimnis, eine unsichtbare Struktur, die auf einmal durch eine Satzmelodie, eine Klangfolge sichtbar geworden ist, die selbst der größten Banalität, der größten Widerwärtigkeit einen Ton der Wahrhaftigkeit verleiht. Ein Flüstern folgt einem auf Schritt und Tritt, verdichtetes Sein. (S. 18)

Immer wieder reflektiert das lyrische Ich, was es bei der Lektüre von Nabokovs Schriften empfindet. Eine traumversunkene Zeit: »Überall, so schien es, erblühten gänzlich neue Sätze, die man allerdings einst in einer Zeitfalte im Schatten eines Spaliers geflüstert zu haben glaubte.« Oder: »Kein hohes Denkmal für die Vergangenheit, sondern eine Forschungsreise zu deren Mustern, die auf den ersten Blick zwar unsichtbar, aber doch zart in die Textur der Zeit getupft sind.« Diese Auszüge verdeutlichen, dass die Autorin Qualitäten verinnerlicht, die sich immer wieder auftun, astrein gedichtet sind, sie zur Wortakrobatin machen. Glatt könnte man meinen, dass VN hier manchmal selbst zur Feder greift.

Manchmal geht es nicht so sehr um das Erinnern und Verknüpfen, sondern um das Erfinden. Also verfasste ich aus Bruchstücken Neues. Aus Episoden aus VNs richtigem Leben entwickelte ich andere Geschichten, spann neue Anfänge. Und wenn sich darauf eine Bedeutung, wahrscheinlich halb erfunden (aber desto relevanter), ablesen ließ, überkam mich Freude, ein Gefühl der Harmonie, ein »Gefühl der Einheit mit Sonne und Stein«. (S. 195)

Trotzallem und je mehr sich den Werken gewidmet wird, die einem bekannt sind, wirkt so manche Nabokov-Kostprobe deplatziert, wenn der Inhalt wiedergegeben oder jenes Buch noch mal analysiert wird. Bisweilen zeichnet sich manchmal eine essayistische Form ab, die bis hin zum Wissenschaftlichen geht, wenn Nabokov-Zitate (vor allem aus »Erinnerung, sprich«) immer wieder rezipiert werden. Das stört etwas, bildet jedoch Belege für die Quelle der formulierten Gedanken, die die Entwicklung der Erzählerin beschreiben. Dagegen gelingt neben den teils wunderbaren Formulierungen ein nettes Spiel mit der Fiktion und Realität, wenn die Erzählerin VN persönlich oder dem Sohn Dimitri begegnet, selbst in irreale Welten durch VN versinkt, motiviert durch ihn, zur Schmetterlingsjägerin wird.

Den Zauber, den Vladimir Nabokov verbreitet hat, gelingt es Lila Azam Zanganeh, zu fangen, ihn aufzudröseln und deutlich zu machen. Das Werk besticht durch eine Vielfältigkeit, die sich in der persönlichen Note des Ganzen ausdrückt. Das Glück, das der Erzählerin begegnet, ist zu spüren, die unterschiedlichen kreativen Formen und Facetten begeistern, weil sie nie abzusehen sind. Immer wieder schlüpft sie wie Alice in ihr Wunderland. Die Schlüssel dazu befanden sich einst in Nabokovs Hand.

[Buchinformationen: Zanganeh, Lila Azam (September 2015): Der Zauberer. Nabokov und das Glück. Edition Büchergilde. Aus dem Englischen von Susann Urban. 220 Seiten. ISBN: 978-3-86406-056-4]

6 thoughts on “Lila Azam Zanganeh – Der Zauberer

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