Bücher des Jahres (III): Sebastian Kiefer
von florian neuner
Ulrich Schlotmanns 2009 erschienenes opus magnum Die Freuden der Jagd ist eines der faszinierendsten Sprachkunstwerke vom Beginn des 21. Jahrhunderts. Die IDIOME haben nicht nur die Entstehung dieses Textes begleitet, in dem mit einem ganzen Universum an sprachlichen Schablonen und Sprechhaltungen das Thema Männlichkeitskonstruktionen umkreist wird. Auch wurden in den »Heften für Neue Prosa« Versuche gemacht, die Rezeption dieses Hauptwerks zeitgenössischer reflexiver Prosa voranzutreiben. So waren in Heft 3 Notizen zur Schlotmann-Lektüre von Ann Cotten zu lesen, in Heft 7 folgte ein Essay von Sebastian Kiefer mit dem Titel »Der heitere Untergang des Erzählers im übermächtigen Material«. Dort heißt es über Schlotmanns Text:
Alles ist fantastisch bunt und zugleich nihilistisch zerbröselt. Es ist eine Welt der überbordenden Sinnfülle und naturhaften Lebensvielfalt der Redeweisen – aber auch eine Welt, in der papageienhaftes Dauerplap- pern jeden klaren Gedanken erstickt. Eine schier unbegrenzte Verfügungskraft über die Totalität des Materials ist am Werke, zugleich ist die Sprechproduktion ohnmächtig der Materialübermacht ausgesetzt. Das seiner welt- und stoffbeherrschenden Ordnungssouveränität (scheinbar) beraubte Produktions-Ich jauchzt, während es erschlagen oder dissoziiert wird, und lechzt nach mehr Material, nach tieferer Verstrickung. Die textdefinierte Produktionsinstanz badet mit kindlichem Genuß in der Materialmenge und irrt zugleich zwanghaft umher zwischen auftauchenden, aufgelesenen und einschießenden Sprachfetzen, Tönen, Nachklängen, Brechungen, Verbalmüll, weil es sich gleichsam ganz ›unvernünftig‹ das Leben schwer macht in seiner obsessiven Fixierung auf Zweitverwertung. Wiewohl jede poetologische Frage wird auch diese Rolle der Zweitverwertung im Text selbst in verschiedenen Varianten durchgespielt, teils in lustvoller Imitation von »theoretischer Selbstreflexion«, teils camoufliert und wortkabarettistisch.
Vom Umfang schon damals kaum zu bändigen und auf Zeitschriftenlänge zurechtzukürzen, wuchs sich Kiefers Schlotmann-Lektüre schließlich zu einem eigenen Buch aus – zu einer der raren Studien über ein Werk avancierter Prosa, dessen Erscheinen im Aisthesis Verlag unter dem Titel »Der Mann der in den Wald (hinein)geht …« in diesem Jahr begrüßt werden durfte.