Zu Protokoll (VI): »nichts ist saftig«

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Ich kann mich daran erinnern, daß die Erich Fried Tage in Wien in den neunziger Jahren ein hohes intellektuelles Niveau hatten. Ich entsinne mich beispielsweise eines eindrucksvollen, frei gehaltenen Vortrags des greisen Hans Mayer und einer kontroversen Diskussion mit Paul Hoffmann, wie raffiniert die Fried’sche Lyrik denn nun wirklich – im Vergleich zu Celan! – gebaut sei. Sie fand dann noch eine Fortsetzung in kleinem Kreis im Hotel Sacher, wo Hoffmann untergebracht war. Ich bezog damals Position für Celan und gegen Fried. Auch die Verleihung des Erich Fried Preises an Bodo Hell ist mir erinnerlich. Nun stolpere ich über eine Pressemitteilung zum diesjährigen Erich Fried Preis. Der Name des Ausgezeichneten tut nichts zur Sache. Er scheint ebenso wie die alleinige Jurorin Eva Menasse im gehobenen Unterhaltungsbereich tätig zu sein. Angesichts der »Jurybegründung«, die der Öffentlichkeit mitgeteilt wird, muß allerdings die Satire endgültig ihre Waffen strecken. Wollte man sinnentleertes Feuilletonisten-Dummsprech karikieren, man könnte es nicht besser machen als Menasse offenbar in vollem Ernst:

Die literarische Stimme von N.N. ist unverkennbar, einprägsam, eigen-artig im besten Sinn. Sie knackt vor staubtrockener Ironie, einer Ironie, die für mitteleuropäische Autoren ungewöhnlich ist. Nichts an seiner Sprache ist saftig, alles ist kühl und hochglanzpoliert, die Farben so schön klar wie aus dem Gefriertrockner. Es scheint die perfekte Sprache für Geschichten zu sein, die in sehr fremden Welten spielen, auf fernen Planeten, in einer Zukunft, in der sich eine vernünftige und durchrationalisierte Menschheit von allem befreit hat, was stört: Kriege, Krankheiten und Gefühle.

Nun gut, der Erich Fried Preis wurde inzwischen sogar schon an Judith Herrmann verliehen (die »Begründung« lese ich jetzt nicht nach). Und daß Eva Menasse nicht dazu in der Lage ist, sich einigermaßen qualifiziert über Literatur zu äußern, kann nicht verwundern bei einer Autorin, deren Selbstbewußtsein anscheinend umgekehrt proportional zu ihren literarischen Fähigkeiten ausgebildet ist. Der eigentliche Skandal ist, daß das niemandem aufzufallen bzw. zu stören scheint. Schlimmer geht es freilich immer noch: Während mir Erich Fried eigentlich egal ist, bin ich immer wieder fassungslos, an wen mit welchen Begründungen der Reinhard-Priessnitz-Preis verliehen wird – benannt nach einem der radikalsten Autoren seiner Zeit, der für die meisten Priessnitz-PreisträgerInnen nur Hohn übriggehabt hätte (wie man übrigens seinen literaturkritischen Schriften entnehmen könnte). Da hieß es doch einmal tatsächlich über eine Preisträgerin – auch ihr Name tut nichts zur Sache:

Schnörkellos und ohne viel Federlesen entfaltet N.N. ihren reichhaltigen Erzählkosmos. Die Schönheit der frischen und vibrierenden Sprache ist unauffällig. Eindringlich durchschimmert diese Sprache die geschilderten Ereignisse und offenbart experimentelle Überraschungen. In ihrer präzisen Prosa spielt N.N. mühelos mit bekannten Genres und verhandelt dabei große Menschheitsfragen.

Aber lassen wir das besser.