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no. 1: seeweg indien
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perspektive |
NRIvon Sujata Banerjee |
Die Non-Resident Indians treten inzwischen nicht nur als Zielpublikum für Banken und Immobilienmakler in den indischen Medien auf. Oft werden sie gesehen als reumütig aus dem Ausland in die Heimat blickende Innocents Abroad, die zum rührseligen Familienfest bei laufender Videokamera jetten, um alsbald in den goldenen, seelenlosen Westen zurückzukehren; ihnen wird aus mokanten indischen Kreisen eine Phobie vor der dadurch möglicherweise heraufbeschworenen 'Identitätskrise' bescheinigt. |
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Anbei soll versucht werden, einige Momente von alltäglicher NRI-Irritation aufzuzeigen. Wenn auch mit einem Augenzwinkern. |
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Ich bin eine NRI. Eine Non-Resident Indian. Eine Non-Relevant Indian. Und wenn die Investitionen von Auslandsindern die Erwartungen der Nation unterschreiten, -- eine Non-Required Indian. |
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Eine Inderin, die in nostalgisch verbrämte Bemerkungen zweiter Hand verfällt, wenn sie allgemein und arglos zu 'Indien' befragt wird. Bei Kurzaufenthalten in der Möchtegern-Heimat benutze ich verstohlen die Kamera, um nicht als Touristin enttarnt zu werden. Meine Diamagazine enthalten ein nahezu menschenleeres Konglomerat aus Wolkenkratzern, Familienwohnsitzen, Palästen und Deluxe-Hotels. Die Präsentation wird begleitet von Kommentaren wie "Und dies ist das Indien von Heute!", plakativen, heftigen Absagen an antizipierte Bilder und Setzungen, die an mich herangetragen werden könnten. |
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Als ich noch in eine schwäbische Grundschule ging, war die Definition meiner Identität ganz einfach. Befragt auf dem Schulhof, und auch von den Ferienkumpels in Indien, krähte ich stolz den Songtext aus dem Film Shri 420 heraus: |
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"O, my shoes are Japanese |
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Die Aufgabe, vor der E. M. Forster seine Romancharaktere zurückscheuen ließ, "to disentangle the hundred Indias that passed each other in its streets", scheint die Berufung der Auslandsinder seitens ihres Umfelds zu sein. Häufig werde ich aufgefordert, innerhalb gängiger europäischer Paradigmen der Indienrezeption nach Brückenköpfen für eine interkulturelle Verständigung zu suchen. Immerhin lassen sich dabei großangelegte analytische Mißgriffe, wie die Untersuchung des Ödipus-Komplexes im Ramayana, als kurios und irrelevant aufzeigen. |
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Der Frage nach einer 'Authentizität meiner Empfindungen als Inderin', die anscheinend proportional zum verabsäumten Aufenthalt in Indien abnimmt, halte ich meine in Indien etwas höflicher formulierte Meinung entgegen, daß auch die heutigen Bengalen in Kalkutta sich teilweise so verhielten, als seien sie innerhalb Indiens expatriiert worden. |
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Wie würde ich wohl reagieren, wäre ich bengalische Bildungsbürgerin par excellence, in deren Bücherschrank sich Tagore und Heine aneinanderlehnten, wenn ich in einer indischen Literaturzeitschrift auf folgende Zeile stieße: |
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"Diwali, the famous Indian festival of light, was approaching." |
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Die lexikalische Erläuterung von Diwali wäre überflüssig und befremdlich. Wie, die literarische Fremdenführung im eigenen Land wäre ein notwendig gewordenes Zugeständnis an die Ära des artikulierten Pluralismus? Ich würde mich wohl damit abfinden; auch mit dem Umstand, daß Auftritte indischer Musiker der Spitzenklasse für viele Kulturenthusiasten in Indien eine Selbstverständlichkeit, die Drittbesetzungen des Bolshoi zu Takten aus einem schwachen Verstärker aber ein akzeptiertes Übel sind, mit absolut gleichwertiger Salonfähigkeit. Hier in Deutschland konsumiere ich Kultur vom Feinsten aus aller Welt. Da kann ich mir den ängstlichen Seitenblick "Was ist mir von meinem kulturellen Selbstverständnis noch geblieben?" getrost ersparen. |
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Natürlich bleibt die europäische Arroganz, Weltklasse für den indischen Raum definieren zu wollen, nicht ohne bedauerliche Folgen. Viele Inder, die gewichtige Examina zu "The Grotesque in Browning" ablegten, sind dem Experiment des Mahabharata in der Fassung von Peter Brook nicht wohlgesonnen; sie sehen darin die indische Entsprechung eines Pichelsteiner Eintopfs, ein kulturelles Zuvielerlei über ein nationales Epos mit zeitlosem religiös-moralischen Gehalt. Einige merken an, daß die Rolle des Bhima, einer der wichtigsten Identifikationsschablonen der indischen Jugend, einem Schwarzen zufiel, und wo soll das noch enden?! |
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Ich, die ich in Deutschland sitze, schwärme bei dem Stichwort 'Welttheater', und erschauere, wenn das Wort 'Überfremdung' fällt. Ein Privileg der Außen-Vor-Stehengebliebenen? Nicht, daß mir ein kulturphilisterhaftes Verhalten fremd wäre. So mokiere ich mich bei klassischen indischen Konzerten in Europa, deren würdige Rezipientin ich selbstverständlich bin, gerne über die Konzertbesucher. Hippies, die mehr oder minder groggy und groovend zu Füßen der indischen Interpreten lagern, Veranstalter, die von "surrender unto the transcendental rivers of consciousness" faseln, Besucher, die andächtig verstummen, und gönnerhaft die Köpfe wiegen, während die Instrumente noch gestimmt werden. Ich ärgere mich über den Interpreten, der abendländisch-vertraute Melodik in einen ehrwürdigen Raga hineinbuttert, damit keiner im Saal allzu lange fremdeln muß. Und mit schlechtem Gewissen schäme ich mich des gelegentlichen Inders, der seine Umgebung vergißt, und regelmäßig in ein begeistertes 'Wah! Wah!' über jede Variation des geliebten Ragas ausbricht, allmählich erfaßt, daß ihm die empörte Aufmerksamkeit der anderen Hörer gilt, und sie alsbald in seiner Seligkeit wieder vergißt. Und da mir dazu die Souveränität fehlt, bleibe ich ein Kulturphilister, aber ein multikultureller Kulturphilister, wenn ich bitten darf. |
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