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no. 4: schönheit und ideal
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Zur Kritik der medialen Vernunft -- Teil 1 |
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von Goedart Palm |
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Die vernünftige Selbstbeschreibung der Medien betont ihre Instrumentalität, Ökonomie, Effizienz. Es entsteht der Eindruck, daß Medien moralische Helfer sind, um die mühselig erworbene, fragile Menschenvernunft zum neuen Glück hin aufrüsten. Zugleich aber gilt der Diskurs, Medien würden das Chaos schaffen, dessen Behebung sie versprechen. |
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Aporien der medialen Vernunft | ||||
Vernunft entfaltete sich im 20. Jahrhundert nicht nur in ihren traditionellen Domänen als Welterschließungsweise, sondern grundierte eine bunte Palette von Lebenssachverhalten: Medien, Kommunikation, Ästhetik, Technologie, Lebensformen wurden "rationalisiert", d.h. auf ihre Eigenlogik hin untersucht und entwickelt. Der Begriff der begriffsmächtigen Vernunft wurde dabei strapaziert, sein Gebrauch selbst gehorchte weniger seiner Eigenlogik, sondern veränderte sich zur Blankovollmacht von Theorien, die die Vernunft omnipotent, transversal, postmodern, posthistorisch etc. faßten. In der Inflation des Vernunftbegriffs schälte sich zuletzt eine Vernunft heraus, die sich nicht länger resistent gegen das von ihr Unterschlagene erwies. Vernunft erlangte kategorische Allzuständigkeit, die gleichermaßen Paradoxien, Widersprüche und inhumane Verhältnisse begründete. |
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Die vernünftige Selbstbeschreibung der Medien betont ihre Instrumentalität, Ökonomie, Effizienz. Es entsteht der Eindruck, daß Medien moralische Helfer sind, um die mühselig erworbene, fragile Menschenvernunft zum neuen Glück hin aufrüsten. Zugleich aber gilt der Diskurs, Medien würden das Chaos schaffen, dessen Behebung sie versprechen. Die Vernunft richtet sich in diesem Paradox gegen ihre eigene Verfassung. Weniger paradoxal läßt sich sagen, daß die mediale Vernunft mit einer humanen Vernunft in einem Spannungsverhältnis steht: Telefone klingeln, um aus ihren Besitzern Lakaien zu machen. Fernsehen produziert neurotische 'Hystorien', die Menschen krank machen. Aus dem Netz der Netze sprudeln unablässig Informationen und hinterlassen Unwissende -- die Beispiele sind beliebig vermehrbar. Die Ambiguität der Medien gegenüber klassischen Vernunftpostulaten ist nicht durch die Erziehung des Menschengeschlechts zum besseren Umgang mit den Medien aufzulösen. Medien besitzen Eigendynamiken, die nichts mit der conditio humana zu tun haben. Die etwa an ein Massenmedium wie Fernsehen von außen herangetragenen pädagogischen und politischen Funktionsprofile einer aufgeklärten und aufklärenden Vernunft sind weitgehend gescheitert. Auch in digital erweiterten Medienzusammenhängen, zuvörderst im Hypermedium 'Internet', sind präzeptive Forderungen nur die Glasur des untergründigen Geschehens. Im Umbruch der Massenmedien in Sender-Empfänger-Komplexe mit einer Vielzahl von mehr oder weniger autonomen Nutzern gibt es kein inhaltliches Apriori. Nacheilende Programmkonzeptionen sind so wertvoll wie Parteiprogramme: Sie können befolgt oder verlassen werden, garantiert ist nur, daß eine Garantie nicht besteht. |
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Mediale Vernunft heißt dieser Formlosigkeit gegenüber nichts anderes, als die Konstruktion der Medien aus ihrer eigenen Logik heraus zu begreifen. Medien setzen eigene Zwecke und werden fremden Zwecken unterworfen. Aber dieses Verhältnis ist nicht beliebig. Im Bereich der Kommunikationsmedien versuchte McLuhan den gordischen Knoten mit der Formel "The medium is the message" zu durchschlagen, aber es blieb durchgehend unklar, wo das Medium als Selbstzweck und wo als Mittel auftritt. |
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Wie vernünftig ist die Virtualität? | ||||
Die Differenzierung der medialen Welt aus dieser Unterscheidung heraus ist unergiebig und könnte gegen die Unterscheidung eingetauscht werden, welche Bedeutung Medien in der Konstruktion der Wirklichkeit haben. Damit verbunden sind Folgedifferenzierungen über das Verhältnis von Wirklichkeiten erster, zweiter und weiterer Ordnung, Feedbackkonnektierungen und die Entstehung virtueller Räume, die vielfältig ineinander verschachtelt sind. Zuvor war die Einbildungskraft der einzige Virtualitätsmodus, der sowohl konstruktiver Schöpferkraft wie den Wundern und Abwegigkeiten einer phantastischen, romantischen Seele zugeordnet wurde. |
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Nicht länger die Einbildungskraft, sondern die Virtualität wird heute zur Superkategorie der Welterschließung. Virtualität ist zunächst nichts anderes als der Grenzfall einer Realität, die noch nicht zu sich selbst gekommen ist -- Vorschein der Wirklichkeit. Gottfried Wilhelm Leibniz proklamierte: "Omne possibile exigit existere -- alles Mögliche strebt nach Existenz". Allein die Unverträglichkeit von Möglichkeiten führt nach Leibniz dazu, daß nicht alles Mögliche sich auch realisiert. Zweifelsfrei hat dieser Konflikt von Möglichkeiten wirkungsmächtige Theorien ausgelöst, Existenz und Nichtexistenz nach Prinzipien zu ordnen. So ist etwa das "survival of the fittest" Darwins, der Kampf der Arten, ein Versuch gewesen, in der Evolution diesen Konflikt zu klären. Allgemein läßt sich sagen, daß Konstruktionen der Wirklichkeit kompatibel sein müssen, um ihre "Kompossibilität" (Leibniz) zu gewährleisten. Alle Konstruktionen dieser Art gehen von einem mehr oder weniger fixierten Kontext aus, in dem sich die Möglichkeiten verwirklichen oder ausschließen. Von dieser Eine-Welt-Theorie der Philosophen verabschiedet sich die virtuelle Konstruktion von Welten. Heute entstehen Konstruktionen, die sowohl das Nebeneinander der Formen als ein Nebeneinander von Kontexten ermöglichen. |
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Die Überführung von Virtualität in Realität -- und umgekehrt -- ist der Grundmodus jeder, nicht nur medialer Wirklichkeitsgestaltung. Jede erfolgreiche Konzeption wird aus dem status virtualis in einen status realis überführt. Künstlertechniker wie Leonardo sind klassische Virtualisten, die zwar die Resultate kennen, nicht aber sämtliche Schritte, die dahin führen. Charles Babbage schuf den Computer, der als Idee und mechanischer Troglodyt möglich wurde, aber nicht elektronisch verwirklicht werden konnte. Menschliche Gestaltung oszilliert zwischen Virtualität und Realität, nichts anderes gilt für Konstruktionen, die in den Medien mit oder ohne menschliche Hilfe produziert werden. Dadurch sind uns Medien so nah wie fern. Sie erweitern die menschliche Welterschließung und folgen zugleich einer Eigenlogik, die nicht programmierbar ist. |
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Die Geburt der Theorie aus dem Geist der Virtualität | ||||
Natürliche Medien wie Luft und Wasser werden ihren Nutznießern nur dann bewußt, wenn sie fehlen. Ein Fisch weiß nicht, daß er im Wasser schwimmt. Menschen haben erst mit den ökologischen Krisen, der Luft- und Wasserverschmutzung, ein Bewußtsein von der Knappheit dieser Medien erlangt. Elektronische wie digitale Medien umgeben uns inzwischen wie natürliche Medien einer zweiten Ordnung. Sie werden zwar (noch) nicht als natürliche Lebensgrundlagen erkannt, aber ihre Selbstverständlichkeit für die Einrichtung des Menschen in seiner Welt schafft ähnliche Wahrnehmungssperren wie für die Medien erster Ordnung. Es ist selbstverständlich geworden, daß Computer, Fernseher, Radios, Handies und smart tools allgegenwärtig sind. Selektionsfilter der Wahrnehmung sind uns physiologisch vorgegeben, aber ihre stammesgeschichtliche Nachrüstung folgt nicht länger der Beschleunigung der Medien. Medialisierung als Autonomieverlust ist den neuapostolischen Mediengläubigen gleichwohl fremd. Ohne den Anschluß an die Welt durch Medien ist Zeitgenossen ein autonomes Individuum nicht mehr denkbar. Es gilt der Witz des Ehemannes, der vom Balkon aus seine Nachbarn in die Tiefe springen sieht und seine Frau bittet, den Fernseher anzuschalten, um zu sehen, was da los sei. In dieser medialisierten Cartoon-Welt herrscht eine schizophrene Spannung zwischen unmittelbarem und mittelbarem Wahrnehmungsraum, die auf Kosten der Nähesinne aufgelöst wird. In der medialen Durchdringung des Alltags entstehen Tele-Existenzen, die nicht das Medium als Botschaft nehmen, sondern die Wirklichkeit nur noch als mediale aufnehmen. |
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Inhalte, Messages, Meinungen, Bilder, die unablässig von Medien generiert werden, verwischen schließlich die Konsistenz von Weltbildern und Wahrnehmungen bis zur Unkenntlichkeit. Da alle Welt, auch die Theorie, aus dieser Quelle trinkt, brechen archimedische Haltegriffe wie Zuckerwerk weg. Wer heute Medien auf diese Weise begreifen will, läuft Gefahr, bereits im Zeitpunkt seiner Rede nur noch historisch zu reagieren. Die vormals von Günther Anders beschworene Antiquiertheit des Menschen ist ein selbstverständlicher Modus des Medienumgangs geworden. Theorie, die auf die Verfestigung von Strukuren angelegt ist, leidet an dieser Antiquierungsfalle in besonderem Maße. Halbwertszeiten technologischer Entwicklung und struktureller Änderungen produzieren unentwegt Komplexität, die nicht in gleichem Tempo in der Theorie abgebaut werden kann. |
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Mit dem paganen Glauben an die Medien wächst sogleich der Unglaube, mit der kategorieschwachen Erzählung der Entlastung des Menschen durch die Medien noch länger eine adäquate Theorie bilden zu können. Die relative Bequemlichkeit vormoderner Verhältnisse verlieh den der Praxis verordneten Theorien ihren Ewigkeitsgehalt. Klassische Philosophie, die weder auf funktional differenzierte Systeme noch technologische Totalisierungen stieß, durfte sich noch sicher in ihren System und Spekulationen wähnen. Hegel etwa fixierte den Weltgeist im preußischen Staat, aber der Weltgeist war mächtiger als sein Theoriekorsett und sprengte das idealistische System. Inzwischen spottet der Weltgeist jeder Vernunft, die vermeint, mit dem Schmetterlingsnetz noch länger Raketen fangen zu können. |
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Medientheorie kann auf die Anmutungen einer aus dem Rahmen fallenden Wirklichkeit nur virtuell reagieren. Wenn sie so frei schwebt wie ihr fliehender Gegenstand, könnte sie die neuen Wirklichkeitsparadoxe begreifen. Insofern wäre Medientheorie nichts anderes als die virtuelle Selbstbeschreibung ihres Gegenstands. Da diese Beschreibung aber wieder in die Wirklichkeit zweiter Ordnung eingespeist wird, verändern sich Gegenstand und Theorie unaufhaltsam. Nicht von ungefähr mehren sich fiktive Theorierahmen, die fatalen und paradoxen Strategien folgen, um nicht länger Faßbares zu fassen. Nur eine Vernunft, die sich in der Theorie unendlich beschleunigt, die auf Virtualität virtuell reagiert, könnte Strukturen beschreiben, die nur noch Ereignis sind. |
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Fortsetzung folgt ... |
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