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no. 25: Übertragungen
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editorial |
Die Metapher wird so schon seit längerem nicht mehr "nur" als Element der Sprache, oder gar als rein poetisches Stilmittel angesehen, sondern man entdeckt in ihr -- und damit im Prozeß der Übertragung, den sie verkörpert -- eine dem Denken und unserem Zugang zur Welt wesentliche Grundfigur. So sehr dieser Zugang zur Welt einerseits undenkbar ist ohne das Ausbilden von Kategorien und Klassifizierungen, Hierarchien und Systemen, mentalen Modellen und extern-ordnenden Kompendien, so unverzichtbar andererseits ein immer wieder neues Überschreiten eben solcher Einteilungen. Unverzichtbar nicht (nur) deshalb, weil die bestehenden Kategorien beständig einer wachsenden Menge immer neuer Erkenntnisinhalte Raum bieten und deshalb erweitert und verschoben werden müssen. Wichtiger noch als das: unser Erkennen selbst, wie Nietzsche uneinholbar prägnant in einem frühen Essay feststellte, ist unvermeidlicherweise vom Springen zwischen verschiedenen Sphären geprägt, was beispielsweise die "Illusion der künstlerischen Übertragung eines Nervenreizes in Bilder, wenn nicht die Mutter so doch die Großmutter eines jeden Begriffs" werden läßt. Die überwältigende Mehrzahl solcher generativer (und metaphorisch generationeller) Übertragungsleistungen bleibt dabei laut Nietzsche unbemerkt, weil "das Erkennen eben keine Übertragung gelten lassen will, sondern ohne Metapher den Eindruck festhalten will". Es ist Denkern wie Nelson Goodman, Jacques Derrida oder George Lakoff und Mark Johnson zu verdanken, daß der Erkenntnisfähigkeit selbst als fundamental metaphorischer Operation -- d.h. als einer Übertragung zwischen verschiedenen Klassifikationsbereichen -- heute wohl mehr Geltung zukommt als noch gegen Ende des 19. Jahrhunderts. 'Eindrücke' als rein empirisches, nicht-metaphorisches Substrat machen heute zumindest, so läßt sich behaupten, etwas weniger Eindruck als damals. |
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Das Irritierende an der Metapher ist dabei, daß sie sich nicht paraphrasieren läßt. Es ist nicht ein wie immer gearteter separater kognitiver Gehalt, der die Metapher als solche auszeichnet, und der durch eine endliche Paraphrase zu erfassen wäre. Die Metapher transportiert keine propositionale Botschaft, sondern transformiert vielmehr einen bekannten Sachverhalt in ein neues, unbekanntes Bild, das eine nicht aufzählbare Menge von Aspekten beinhaltet. Das scheinbar Bekannte dient so zum Anstoß, dem Unbekannten Form zu geben, in einer Bewegung, die nie endgültig zum Abschluß kommt. Im Verstehensprozeß, den sie auslöst, reproduziert die Metapher sich also letztlich selbst und wird so zu einem strukturellen Aspekt der Kommunikation. Donald Davidson hat dies zu der These veranlaßt, daß es so etwas wie eine identifizierbare metaphorische Bedeutung, die einer wörtlichen Bedeutung gegenüberstünde, überhaupt nicht gibt. Was es dagegen durchaus gibt, ist die Aktivität der übertragenden Bewegung zwischen verschiedene Bereichen, von denen jeder jeweils die Rolle des sogenannt "wörtlichen", also des Ausgangspunktes einer neuen Verschiebung spielen kann. |
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Es ist diese Eigenschaft des im griechischen metapherein eingeschriebenen wiederholten Übertragens, die sich die vorliegende 25. Nummer von parapluie vornimmt. Was nämlich für die Metapher auf der Ebene des einzelnen Begriffes gilt, betrifft ebenso jene umfassenderen Wort-, Bild- und Toneinheiten, die ohne solche Metaphern niemals auskommen. Was geschieht dabei im Vollzug des Übertragens zwischen unterschiedlichen Kommunikationsebenen, Medien oder Sprachen? Wenn sich dieses Übertragen nicht, wie Benjamin die "schlechte Übersetzung" definiert, auf eine "ungenaue Übermittlung eines unwesentlichen Inhalts" beschränkt, was dann kann und will eine Übertragung erreichen? Welche Reibungen entstehen im Prozeß der Kommunikation zwischen unterschiedlichen Sprechergruppen, Traditionen, Kulturen und Genres, die sich nicht einfach blind darauf verlassen können, daß Original und Übertragung über "dasselbe" handeln? Und inwiefern sind solche Spannungen erkenntnisfördernd oder ästhetisch produktiv? |
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Die im Schwerpunktteil dieser Nummer versammelten Essays richten ihren Blick auf eine Reihe verschiedener solcher Übertragungsphänomene. Birgit Mersmann beschäftigt sich mit der Praxis des Übersetzens aus dem Koreanischen ins Deutsche, welches sich im Rahmen der sprachlichen Übertragung unweigerlich und zur gleichen Zeit immer auch mit der kulturellen befassen muß. Die ÜbersetzerIn kann die Suche nach der bestmöglichen Entsprechung in der Zielsprache nicht im kontextfreien Raum betreiben, sondern muß stets den spezifischen kulturellen Resonanzraum mit in ihre Überlegungen einbeziehen, in dem die Übersetzung ihre Hörer und Leser finden und treffen soll. |
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Auch die Übertragung eines Textes von einem Genre in ein anderes wirft Fragen der Rezeption auf. Birte Lipinski geht in ihrem Beitrag dem neuerlich verstärkten Trend zur dramatischen Inszenierung von Romanvorlagen nach. Die Umsiedlung des Textes von der Druckseite auf die Bühne macht dabei nicht nur ein unverstellteres Eintauchen in eine aktualisierte Handlung möglich, sondern eröffnet gleichzeitig eine direktere interpretatorische Auseinandersetzung als sie solchen Texten, die als 'kanonisch' gelten, oftmals entgegengebracht wird. |
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Wie kaum beachtete literarische Vorlagen in der Hand des master of suspense zu unvergessenen Meisterwerken des Kinos werden, zeigt Barbara Damm in ihrem Essay zum Werk Alfred Hitchcocks. Romane und Kurzgeschichten sind hier nur Ausgangspunkte für Hitchcocks Leinwandtexte -- Sprungbretter und Inspirationen für Filme, die aus der Kinogeschichte nicht mehr wegzudenken sind. In der Übertragung nach dem Original zu suchen wäre hier ein absolut verfehltes Unterfangen, gilt es doch, bei der Beobachtung des Verwandlungsprozesses die spezifischen Gesetze des Films sowie die unnachahmliche Signatur Hitchcocks innerhalb dieses Mediums zu entdecken. |
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Bei Dorothee Ostmeiers Betrachtung der phantastischen Jugendliteratur von Michael Ende und Cornelia Funke sind mehrfache Übertragungsmomente im Spiel: zum einen lassen sich diese Texte als eine progressive Fortschreibung romantischer Kunstmärchen lesen; zum zweiten zeigt sich in ihnen das Wechselspiel zwischen Realität und Fiktion als eine Übertragungsdynamik, die die Texte überhaut erst zu dem werden läßt, was sie sind; und schließlich besteht die Möglichkeit, deren außergewöhnliche Popularität aus ihrer ethischen Relevanz für eine Gegenwart zu erklären, in der nicht eine rigide Abtrennung von "wörtlicher" Realität und "metaphorischer" Fiktion eine Orientierungsperspektive für das eigene Handeln mehr eröffnen kann, sondern vielmehr die Anerkennung des Risikos und der Kontingenz. |
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Zwei Arbeiten auf Papier des Künstlers Cy Twombly können, wie Alexander Schlutz' Essay sichtbar macht, in ihrer Verschränkung von Bild und Schrift, Zitat, Repräsentation und Erzeugung des Neuen als eine Art Metapher der Metapher selbst gelesen werden. Twomblys Arbeiten beschäftigen sich nicht nur mit dem Verhältnis zweier grundsätzlicher künstlerischer Übertragungsprozesse, dem Erfassen der Wirklichkeit in Bild und Schrift. Wenn sich Bild und Schrift in Twomblys Werk gleichzeitig gegenüberstehen und als Teil ein und desselben Prozesses erweisen, wird die Darstellung dieses Verhältnisses im Medium der Zeichnung selbst eine Metapher für grundsätzliche Fragen der Kunst. Die Übertragung erweist sich hier sicht- und lesbar als unumgänglich und als eigentliches kreatives Element in jedem Versuch, die Ursprünglichkeit eines Momentes, einer unverstellten Öffnung der Wirklichkeit festzuhalten. |
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Susanne Göße schließlich betrachtet Übertragungsprozesse kritisch und sieht in ihnen Kontrollfunktionen der spätkapitalistischen Konsum- und Mediengesellschaft, in der sichergestellt werden muß, daß alle sozialen Interaktionen und noch die privatesten Momente des Lebens sich letztlich in einen finanziellen Gegenwert übertragen lassen. Aus dieser Perspektive wird es essentiell, zu fragen, wie die menschliche Individualität sich dem allgegenwärtigen Netzwerk von Übertragungen überhaupt noch entziehen kann, und wo dasjenige zu suchen ist, was auch im 21. Jahrhundert weiterhin unübertragbar bleibt. |
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Martin Klebes |
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