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no. 25: Übertragungen -> deutschlandklischees
 

Hitlers langer Schatten

von Frank Heinz Diebel

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Die erstaunlich lange Haltbarkeit einer ganzen Reihe von Klischees zum Thema 'Deutschland' in der konservativen britischen Medienlandschaft beruht weniger auf einer rational verankerten nationalen Rivalität sondern viel eher auf einem gespaltenen Selbstverständnis derjenigen, die ein überzeichnetes Drittes Reich als stets relevante Meßlatte des Tagesgeschehens in den Schlagzeilen präsent halten.

 
"Let's Blitz Fritz" (Daily Star)
"Admit it, we all hate the Germans" (The Times)
"Ein Volk, ein Reich, ein Euro" (Zitat aus einem englischen Anti-Euro Propaganda-Video)
"Any war which finds us on the same side as the Luftwaffe is an absolute disgrace." (Die englische Journalistin Julia Burchill in der britischen Tageszeitung The Guardian über die Intervention der NATO in Serbien)

Diese Zitate aus britischen Tageszeitungen der letzten Jahre lassen keine Zweifel aufkommen: Nach wie vor sind die Deutschen bei einem Teil der britischen Bevölkerung verpönt. Wie kein anderes europäisches Volk halten die Briten -- allen voran die sogenannten 'little Englanders' (ironische Beschreibung für erzkonservative Engländer) -- an ihrem seit dem Ersten Weltkrieg überlieferten Zerrbild der Deutschen vom barbarischen 'Hunnen' fest. Vor einiger Zeit marschierte der englische Zeitungszar Richard Desmond (Inhaber der konservativen britischen Tageszeitung Daily Express) im Stechschritt und "Heil Hitler" brüllend in einem Treffen mit Kollegen vom Daily Telegraph auf und ab. Der Grund: Der Telegraph hatte ein Übernahmeangebot des Axel Springer Verlages bekommen (das Desmonds eigenes Angebot übertraf). Aber: Die Kollegen vom Daily Telegraph verließen unter Protest den Raum. Telegraph Chef Jeremy Deedes sagte später entrüstet dem Guardian: "It was the most grotesque outburst of a mix of slander and racism that I have ever been subjected to. If it had been in a public place he [Desmond] would have been arrested."

Großbritannien ist eine gespaltene Nation, wenn es um die Deutschen geht. Reger Handel und Wandel einerseits, krampfhaftes Festhalten an Stereotypen andererseits. Die Straßen des Vereinigten Königreichs sind voller deutscher Autos, die Küchen voller deutscher Elektrogeräte, deutsche Sportartikel sind beliebt wie noch nie, sogar deutsche Süßigkeiten stehen auf der Beliebtheitsskala ganz oben -- doch immer wieder fallen Briten mit 'rassistischen' verbalen Verfehlungen gegen Deutsche auf. Die Briten benutzen für solche Ausfälle den Begriff Rassismus, obwohl das irreführend ist. Möglicherweise liegt dem eine gewisse Nachlässigkeit im Umgang mit dem Begriff zugrunde, oder es handelt sich hier um eine erweiterte, quasi 'britische' Version, denn auch im Fall der britischen Klassengesellschaft wird von Rassismus zum Beispiel der Upper gegen die Lower Classes gesprochen. Die Ursache dafür ist möglicherweise, daß Klassenunterschiede für die Briten unter anderem eine genetische Grundlage hatten. Die Briten sprechen auch gerne von den Genen ihrer Vorfahren (allerdings nur sorgfältig ausgewählter Vorfahren, wie zum Beispiel der Wikinger und Kelten) und erklären so die eigene Tapferkeit (und auch den ihrer Meinung nach grundlegenden Unterschied zwischen Briten und Deutschen).

Angeblich sind diese Ausfälle nie wirklich ernst gemeint, aber die Deutschen könnten das aufgrund ihres fehlenden Humors nicht verstehen. So jedenfalls sehen das die Briten.

Wieso also halten die britischen Inselvölker (allen voran die Engländer) krampfhaft am Bild des 'häßlichen' Deutschen fest? Wieso wird die erfolgreiche Geschichte der deutschen Nachkriegsdemokratie von der konservativen britischen Presse und den Boulevardzeitungen gerne ignoriert oder lediglich als Erfolg der Allierten heruntergespielt?

Hauptursache für die Deutschenschelte ist ein gewisser moralischer Pragmatismus. Selbst der 'häßlichste' Brite wirkt neben einem 'häßlichen' Deutschen moralisch höherwertig. Sprich: Die rabenschwarze Vergangenheit der Deutschen ist auch mit aggressivem Kolonialismus und Sklavenhandel, den die Briten jahrhundertelang (und weitaus 'erfolgreicher' als die auch in dieser Sache zu spät gekommenen Deutschen) praktiziert haben, nicht so einfach zu überbieten. Auf diese Weise beruhigen die Angelsachsen ihr schlechtes Gewissen und lenken von den eigenen Sünden ab. In Großbritannien ist man sich nämlich durchaus der Tatsache bewußt, daß aus den ehemaligen britischen Kolonien zum Teil noch starke Haßgefühle herüberschwappen. Denn obwohl die Sklaverei 1833 mit dem Abolition of Slavery Act offiziell abgeschafft wurde, existierte die damit verbundene Diskriminierung noch lange weiter. Während sich die Briten nach dem Zweiten Weltkrieg damit rühmten, die Menschheit von der Geißel der barbarischen Nazis befreit zu haben, wurde im eigenen Land alltäglicher Rassismus betrieben. Ähnlich wie in den Vereinigten Staaten wurden Schwarze auch in Großbritannien systematisch ausgegrenzt. Nicht selten kulminierte diese Politik in Rassenunruhen wie 1958 in den Notting Hill Riots oder den Brixton Riots von 1981. Wer als Vermieter keine schwarzen Mieter haben wollte, der hängte einfach ein entsprechendes Schild ins Fenster: No blacks. Von 1958 bis 1978 wurde von der BBC die Black and White Minstrel Show ausgestrahlt. Eine Unterhaltungssendung in der Weiße mit geschwärzten Gesichtern und übertrieben groß gemalten Lippen Schwarze parodierten und lächerlich machten. Mit Erfolg: 1964 schalteten 16,5 Millionen Briten ein, wenn die Minstrels über den Bildschirm tanzten. Les Want, Minstrel Performer von 1966 bis 1978, kommentierte die Shows in einem Interview mit der BBC 2004 wie folgt: "Not one of us ever gave a thought to racism ... I was putting on what I thought was a theatrical make-up ... It never felt offensive."

Inzwischen hat sich das Bild gehörig verändert und man ist um Integration bemüht. Dennoch gehören die Schwarzen noch immer zur ärmsten Bevölkerungsgruppe, die meist in heruntergewirtschafteten Stadtteilen der Citys mit schlechter Infrastruktur, hoher Arbeitslosigkeit und Kriminalität lebt. Um von diesen (und anderen) Mißständen abzulenken, konzentrieren sich die konservative britische Presse, die Boulevardzeitungen und das Fernsehen gerne auf Nazideutschland. Und so flimmerten auch 2005 wieder zahllose Dokumentarfilme über das Dritte Reich und uralte Schwarz-Weiß-Streifen über den Zweiten Weltkrieg über britische Bildschirme. Auch 2005 waren die Zeitungen gespickt mit Artikeln über Hitler und seine Schergen. Zwar gab es 2005 einen 'offiziellen' Grund (60. Jahrestag der Beendigung des Zweiten Weltkriegs), aber auch sonst greifen britische Journalisten gerne auf das Dritte Reich zurück. Ständig werden neue Themen über die Nazis ausgegraben, die in 60 Jahren Berichterstattung noch nicht abgehandelt wurden. Bei Ideenmangel behilft man sich mit Wiederholungen. Die Fernsehserie "The Nazis -- a Warning from History" wurde in den acht Jahren, die ich jetzt im Inselkönigreich lebe, mindestens viermal gesendet, neben unzähligen Variationen des Programms (und endlosen Wiederholungen auf Privatkanälen, die ich nicht empfange). Der Zweite Weltkrieg in all seinen Facetten ist fast täglich das Thema von Sendungen, die auf dem History Channel ausgestrahlt werden. Niemand wundert sich darüber, denn der Zweite Weltkrieg ist fast ununterbrochen Thema von TV-Sendungen, Romanen, Sachbüchern, Hör- und Fernsehspielen, Theaterstücken und Zeitungsartikeln. Der britische Komiker Frank Skinner -- der sich bei der vorletzten Fußball-WM Medienschelte einhandelte, weil er in einer seiner Shows bekannt gab, er würde jetzt die deutsche Elf unterstützen, nachdem das englische Team ausgeschieden war -- scherzte kürzlich, daß sich die britische Tageszeitung Daily Mail zur Aufgabe gemacht habe, einmal wöchentlich einen Artikel über Adolf Hitler zu veröffentlichen.

Natürlich muss man hier auch den Kontext in Betracht ziehen. Britische Journalisten nehmen prinzipiell kein Blatt vor den Mund. In der angelsächsischen Presse herrscht im allgemeinen ein wesentlich aggressiverer Ton als beispielsweise auf dem europäischen Festland. Wer als Politiker auf der Insel in die Schlagzeilen gerät wird mitunter böse durch den Kakao gedreht. In den 70er und 80er Jahren wurden sämtliche Labour-Parteichefs von den Zeitungen so lächerlich gemacht, daß die Partei einen nachhaltigen Imageschaden davontrug. Erst Tony Blair konnte sich in den 90ern gegen das Sperrfeuer der Medien erfolgreich zur Wehr setzen. Er musste sich dazu aber mit seiner New-Labour-Bewegung von der alten Partei völlig abgrenzen.

Sogar die heilige Kuh Fußball gerät gelegentlich in die Schußlinie, zum Beispiel wenn englische Hooligans über die Stränge schlagen. Mit Schlagzeilen wie "Smash These Thugs" (The Sun), "Thump and be Thumped" (Daily Express), "Cage the Animals" (Daily Mirror) und "Birch em" (Daily Mirror) versuchen die Tabloids den Eindruck zu erwecken, als wollten sie dem unheilvollen Treiben Einhalt gebieten, schlagen aber gleichzeitig Kapital daraus.

Die linke Presse bemüht sich seit jeher um mehr Verständnis für die Kontinentaleuropäer im allgemeinen und die Deutschen im besonderen. Mit Schlagzeilen wie "Germany has moved on since D-day. But have we?" wird die eigene Haltung kritisch hinterfragt und die wichtige Rolle Deutschlands in Europa betont. Auch die berühmte Episode "The Germans" aus der Fernsehserie Fawlty Towers mit Monty-Python-Star John Cleese als neurotischem Hotelbesitzer Basil Fawlty in der Hauptrolle, schlägt in diese Kerbe -- denn es sind nicht etwa die höflichen deutschen Hotelgäste, die völlig aus dem Ruder laufen, sondern Basil selbst, der in seinen Bemühungen, möglichst normal zu bleiben, seinem Mantra "don't mention the war" nicht treu bleibt. Klar, daß John Cleese hier die Briten und ihre Besessenheit mit dem Dritten Reich auf die Schippe nimmt.

Das 'kraut-bashing' gibt es in Großbritannien übrigens seit dem Ersten Weltkrieg. Schon vor 90 Jahren trieb die anti-deutsche Propaganda bisweilen bizarre Blüten. Während des Ersten Weltkriegs kamen die Deutschen auch zu ihrem Spitznamen 'the huns' (wird auch heute manchmal noch verwendet, z.B. als die englische Boulevardzeitung The Sun den ehemaligen deutschen Botschafter in London, Hermann von Richthofen, zum Gespräch traf. Die berühmte Headline des Interviews: "The Hun meets the Sun".) Bizarr ist dieser Spitzname, weil die Briten ja selbst zum Teil von den Deutschen abstammen, den Angeln und den Sachsen nämlich. Schon der Name England -- Land der Angeln -- enthüllt, was viele traditionsbewußte Briten gerne verbergen würden: die Verwandtschaft zu den Teutonen. Spitznamen wie 'the hun', der sich ja nur auf einen deutschen Stamm bezieht, sind natürlich hinkende Vergleiche.

Diese Propaganda hat sich inzwischen verselbstständigt, denn einen militärischen Konflikt brauchen die britischen Medien schon lange nicht mehr als Vorwand, um die Deutschen auf die Schippe zu nehmen. Gerne betrachten sie fast jedes politische Ereignis, das in irgendeiner Weise mit Deutschen zu tun hat, durch die 'Nazibrille'. Besonders ausfallend wird die Journaille beim Sport und bei politischen Ereignissen von größerer Tragweite. Die Ernennung von Kardinal Ratzinger zum Papst löste die jüngste Hasswelle der britischen Presse aus (Headline in der Sun: "From Hitler Youth to ... Papa Ratzi") Mit Aufklärung oder einem warnenden Hinweis auf die moralische Integrität von Ratzinger hat diese Form der Berichterstattung relativ wenig zu tun. Auch die Entscheidung des bayerischen Automobilherstellers BMW, sich im Jahr 2000 von der britischen Tochter Rover zu trennen, löste eine Welle anti-deutscher Artikel in den britischen Medien aus.

Die Berichterstattung von internationalen sportlichen Großereignissen, vornehmlich Fußballspielen, ist in Großbritannien bei den Tabloids, wie die Boulevardzeitungen in UK genannt werden, traditionell von anti-deutschem Sentiment getragen. Bisweilen fallen die britischen Journalisten damit sogar bei unseren europäischen Nachbarn unangenehm auf. So kommentierte beispielsweise die französische Tageszeitung L'Equipe die Berichterstattung der britischen Journalisten zum Fußballspiel England-Deutschland 1996 mit den Worten: "Es war als ob Deutschland niemals Frieden mit den Allierten geschlossen hätte. Man hatte fast den Eindruck, als würden sie [die Deutschen] London wieder mit ihren V1 Raketen bombardieren." Schlagzeilen wie "Achtung! Surrender. For you Fritz ze Euro 96 Championship is over" (The Mirror), "Let's Blitz Fritz" (The Sun) und "Herr We Go" (Daily Star) sind an der Tagesordnung.

Obwohl man annehmen sollte, daß diese feindliche Haltung der Briten sich mit zunehmender zeitlicher Distanz zum Zweiten Weltkrieg legt, ist an dieser Front noch lange kein Waffenstillstand in Sicht. Laut Umfragen hat sich die Situation in den letzten Jahren eher wieder verschlechtert. Das amerikanische Meinungsforschungsinstitut Gallup kam in verschiedenen seit den 70er Jahren durchgeführten Umfragen zu folgenden Ergebnissen: 1980 betrachteten 26 Prozent der Briten Deutschland noch als ihren engsten Verbündeten in Europa. 1992 waren es nur noch 12 Prozent. 1986 erklärten 26 Prozent der Briten, daß sie den Deutschen vertrauen. 18 Prozent trauten den Deutschen nicht über den Weg. 1995 hatten sich diese Zahlen stark verändert: Nur noch zehn Prozent brachten den Deutschen großes Vertrauen entgegen und 35 Prozent mißtrauten den Deutschen gar. 1977 glaubten nur 23 Prozent der britischen Staatsbürger, daß der Nationalsozialismus nach Deutschland zurückkehren könnte. Bis 1995 hatte sich diese Zahl auf 53 Prozent verdoppelt.

Wie man sieht, ist die britische Antipathie gegen die Deutschen ein sich stetig wandelndes Phänomen, das auch stark vom politischen Tagesgeschehen beeinflußt wird. Während im England des 19. Jahrhunderts noch gemutmaßt wurde, ob die germanischen Horden (darunter vielleicht sogar auch Hunnen?) in den dichten Wäldern auf dem Kontinent in ihren Sippen bereits die Grundzüge der Demokratie praktizierten, war es nach 1914 mit solchen Spekulationen vorbei. Seit dem 'Great War', wie er in Großbritannien genannt wird, waren die deutschen Soldaten wegen ihres brutalen Vorgehens gegen die belgische Zivilbevölkerung als grausame Barbaren verschrieen. Die britische Regierung heizte die anti-deutsche Stimmung in der eigenen Bevölkerung zusätzlich an, indem sie Gerüchte von (erfundenen) Massakern der deutschen Truppen in Umlauf brachte. Es kann nicht überraschen, daß die Anreicherung der unleugbaren tatsächlichen Brutalität des Ersten Weltkriegs mit derlei medialen Überhöhungen nachhaltige Spuren im kollektiven Unterbewußtsein der britischen Bevölkerung hinterließ. Die Entdeckung der deutschen Konzentrationslager im Frühjahr 1945 bestätigte viele Briten in ihrem Glauben, daß den Deutschen ein Sadismus angeboren ist, der sie zu schrecklichen Gewalttaten treibt. Das Schlagwort von der deutschen Abnormität machte die Runde. Ein Stigma, das das Ansehen der Deutschen in Großbritannien noch heute belastet.

Während des Kalten Krieges geriet diese Sichtweise bisweilen in Vergessenheit. Stattdessen machte sich zum Beispiel das Stereotyp vom effizienten Deutschen breit, das ebenfalls noch heute bemüht wird: in Großbritannien spricht man auch von der 'German Efficiency'. Auslöser für diesen Paradigmenwechsel war der wirtschaftliche Erfolg der BRD, aber auch der erhebliche Widerstand der Deutschen gegen eine Mitgliedschaft in der NATO. Die englische Tageszeitung Manchester Guardian fragte in den 50er Jahren besorgt, ob es den Deutschen wohl gelingen würde, die notwendigen Truppen für eine neue deutsche Armee zu rekrutieren. Diese positive Entwicklung erfüllte die Briten mit Stolz (immerhin betrachteten sie sich ja als die Ziehväter dieses neuen deutschen Pazifismus). Unmut erregte allerdings die wachsende Wirtschaftskraft Deutschlands. Bereits 1958 löste die Bundesrepublik Großbritannien als zweitgrößte Exportnation der Welt ab. Während das Wirtschaftswunder in Deutschland für Wohlstand, Wachstum und Wampen sorgte, plagten sich die Briten noch lange mit den Kriegsfolgen herum. Die Suez-Krise und der Verlust der Kolonien trugen dazu bei, daß Großbritannien in den 60er Jahren endgültig seinen Status als Weltmacht einbüßte. Als das Vereinigte Königreich 1973 Mitglied der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft wurde -- nachdem es sich bereits zweimal erfolglos beworben hatte -- war Deutschland als Gründungsmitglied mit einer florierenden Wirtschaft in der stärkeren Position. Eine Situation, die bei vielen Briten nachhaltig Neidgefühle auslöste. Dennoch wendete sich in dieser Zeit das Bild der Deutschen zunehmend zum Positiven, wie die bereits erwähnten Gallup-Umfragen eindeutig belegen. Denn nach dem Zweiten Weltkrieg wurde im kalten Krieg aus dem ehemaligen Erzfeind Deutschland ein Verbündeter gegen die Bedrohung durch den Ostblock.

Mit dem Ende des Kalten Kriegs, dem Zerfall der UdSSR und vor allem der Wiedervereinigung Deutschlands Ende der 90er Jahre wurden verstaubte Vorurteile dann wieder hervorgekramt. Plötzlich war man nicht mehr auf die Deutschen als Allierte angewiesen und Deutschland war seinen 82 Millionen Einwohnern und einer starken Wirtschaft zur dominanten Nation in Europa geworden. Ein Gedanke, der vielen Briten nicht behagte und sie in ihrem Mißtrauen gegenüber der Europäischen Union bestätigte: In Großbritannien machte sich das Vorurteil breit, daß die EU nichts anderes als ein deutsch-französischer Club sei, in dem die Deutschen das Sagen hätten. Damit hatte Hitler in den Augen der Briten sein Ziel endgültig erreicht: die Vorherrschaft der Deutschen in Europa. Schnell bliesen die britischen Konservativen zum Gegenangriff. Im Juli 1990 kündigte Nicholas Ridley, Secretary for Trade and Industry, an, daß die Briten sich nicht von den Deutschen in Europa herumkommandieren lassen würden. Der britische Historiker Neil Fergusson schrieb 1997, daß die Deutschen bereits durch den Ersten Weltkrieg eine Art Europäische Union 80 Jahre vor ihrer Zeit ins Leben rufen wollten. Da es ihnen im Endeffekt doch gelungen sei, die Herrschaft in Europa an sich zu reißen, wäre es besser gewesen, wenn die Briten auf eine Beteiligung an den beiden Weltkriegen verzichtet hätten, so Fergusson weiter. Auf diese Weise hätte man eine Schwächung der britischen Truppen in Übersee und den Verlust der Kolonien verhindern können. Die Umfrageergebnisse aus dieser Zeit reflektieren genau diese Einstellung. An dieser Attitüde hat sich bis heute wenig geändert. Natürlich entlockte die über Jahre hinweg schlechte Wirtschaftslage in Deutschland vielen Briten ein hämisches Grinsen, waren sie doch dank der Deutschen endlich ihren Ruf, der 'kranke Mann Europas' zu sein, losgeworden.

Zum guten Schluß jedoch ein positiver Ausblick: Der Brite Peter Vlieland, Public Relations Adviser der Deutschen Botschaft in London von 1964 bis 2002, prognostiziert eine noch engere Zusammenarbeit der beiden Nationen und hält die anti-deutschen Tendenzen für ein aussterbendes Sentiment: "The resentments of nearly 40 years ago have receded, been boiled down to a nasty irreducible sludge that can be left to dry out and decay like manure." Und auch die Zukunft stellt sich Vlieland ganz rosig vor: "And we shall certainly be closer together than before, -- and just as intent on both sides on retaining our own identity, heritage and culture within a framework that is politically, economically and socially in tune with requirements and realities of the day."

Wird der lange Schatten Hitlers also jemals verschwinden? Theoretisch ja, in der Praxis dürfte eine Normalisierung des Deutschlandbildes auf sich warten lassen. Solange das Dritte Reich und der Name Hitler in Großbritannien ein Garant für Einschaltquoten sind, werden genau diese Programme auch die Vorurteile der Briten weiter nähren. Der Grad der freundschaftlichen Gefühle gegenüber den Deutschen steht aber auch im Zusammenhang mit dem aktuellen politischen Geschehen. Wie bereits erwähnt waren die Briten während des Kalten Krieges besser auf die Deutschen zu sprechen, war die BRD doch ein wichtiger Bündnispartner. Nach der Wiedervereinigung schlug diese positive Attitüde wieder in Mißtrauen um. Zu einer engen Beziehung wie sie die Briten zum Beispiel mit den USA haben (in UK wird sie auch die 'special relationship' genannt), wird es vermutlich nie kommen. Denn um Hitlers Schatten zu vergessen, müssten die Briten zunächst über ihren eigenen springen -- und das ist nicht zu erwarten.

 

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