Petra Ganglbauer: Manchmal rufe ich dorthin

Milena Verlag
Wien 2004
Poesie und Vernichtung

Der Text besteht aus zwei Teilen, der erste, längere, ist wiederum zweigeteilt: Auf den jeweils linken Seiten findet sich das Thema von Krieg und Vernichtung durch Katastrophen, auf den rechten Seiten liest man über privates Schicksal, innere Prozesse, Freude, Unglück, meist sind es ambivalente Kindheitserlebnisse. Diese beiden Parameter, das Gesellschaftliche und das Private, sind einander gegenübergestellt; bei der Lektüre wird klar, was beide Seiten verbindet: Es ist die Problematik der BILDER, die uns die Welt verständlich machen, aber auch, wie angedeutet wird, trennend zwischen uns und der Welt stehen. In diesem Buch sind die Worte erklärtermaßen Bilder. Die Poesie stellt sich den Gräueln der Medien entgegen, sie soll den Sieg davon tragen, dies ist das schon auf dem Vorblatt angekündigte Programm. Das letzte Drittel des Buches trägt die Überschrift “Weißes Rauschen”. Und das Thema dieser Seiten ist zweifellos die Verwandlung der Welt durch Poesie. Innen und außen verschmelzen miteinander, etwas, das schon im Hauptteil des Buches anklingt.

Der Krieg und die Katastrophen. Die Autorin lässt keinen Zweifel daran, WIE wir partizipieren am gräulichen durchs Fernsehen vermittelten Geschehen (Bombardierung, Verstümmelung, Vergewaltigung, Deportation, Massenerschießungen, Liquidierung, Folter und Flucht etc.). Wir sind die Voyeure, alles ist ganz realistisch. “Wir sind der Applaus … Wir sind das Echo der Lichtkegel und Brandfackeln, der Explosionsblitze und Leuchtfeuer. Das Echo der Schreie. Der Kopflosen und der Geköpften. Der Körperlosen, wir sind das Publikum im Naturkino. Todeskino. Sind wir”. Die letzten drei Worte des Zitates muss man sich auf der Zunge zergehen lassen, wenn man die Intention der Autorin verstehen will. Dann spürt man den mehr als bitteren Geschmack, den diese Lektüre hervorruft. Sie enthüllt das Dilemma, das wir kennen. Die Bilder des Fernsehens schaffen eine Identifizierung, die nicht auszuhalten ist. Das Gefühl kippt, und wir realisieren, vor dem Fernseher sitzend, dass wir leben; wir nämlich sind die Überlebenden! Die “klammheimliche Freude an der ästhetisch inszenierten Katastrophe.” Und das alles ist, wenn man dem Text folgt, keine zufällige Verkettung von Umständen. Nein, es hat Methode. Die mächtigen Kriegsführenden verwerten den Krieg medial, sie “fliegen, filmen und steuern”. Die Vertriebenen gehen “in der Hitze der Blitzaufnahmen”. Filmischer Jargon, wie “harter Schnitt”, “ausblenden”, wird auf das Geschehen übertragen. Der harte Schnitt ist der Filmschnitt und also zugleich der Schnitt, der die Toten von den Lebenden trennt. Der Text gibt zu verstehen, dass wir als Zuseher des Grauens die Opfer im Stich lassen. Die Medien berichten nicht nur über die Schlachtfelder der Welt, sondern sie bringen sie in gewissem Sinne hervor. Wie auch immer man dazu steht und ob man es ertragen kann: in unserer vernetzten Welt hat dies zweifellos Logik.

Es gibt keine heile Welt, wenn man die privaten Gegenstücke jeweils auf den ungeraden Seiten des Buches liest. “Über dieser Stadt der große Himmel, ich schneide ihn nicht aus, nicht aus, eine solche schwarze Sprache ist kein Grund zum Atmen”. Doch positive Augenblicke halten dem Schrecken der Kindheit manchmal die Waage. “Es liegt eine Sonne im Schatten der Welt. Dort wurzeln die Sträucher noch tiefer als sonst. Sie wachsen wie Bilder und stehen als Freude im Licht.” Wir lesen von Frauen und Kindern, “die Körbe auf den Köpfen tragen mit Äpfeln rot wie Schnee…” Es wird angedeutet, dass diese Bilderwelt kompensatorisch ist, dass die Phantasie zu blühen beginnt, wenn das Unglück überhand nimmt. Das Kind trägt die “Einbildung von Bienen und jederzeit Honig” in sich. Dann aber genießt es oft nur ein “Scherbenglück”. Immer wieder spricht der Text vom Dilemma dieses Bilderglücks. Die Bilder potenzieren den Schrecken UND die Freuden. Und sie haben die Tendenz, sich in nichts aufzulösen oder überzugehen in weißes Licht. Das Sehen erreicht den blinden Fleck. Aber das ist keine Niederlage. Die Autorin erinnert sich daran, dass sie als Kind mit einem Stift ohne Spitze “weiß auf weiß und ohne Ziel” zeichnete. Und sagt: “Dort dann kann ich sein.” Damit ist der unbestimmten Ort bezeichnet, wohin die Autorin fragt und ruft und woher sie auch Antwort erhält. Es ist ein privat mythologischer Ort, Traum und Kindheit, nicht ohne eine Ahnung des Todes, aber er ist die “Quelle” des Lebens. Im letzten Teil des Buches werden wir davon mehr erfahren. Es ist ein schwieriger Übergang. Denn zugleich ist dies der Ort der Auflösung der Gegensätze, wo das Bezeichnete und das Bezeichnende, Subjekt und Objekt, miteinander verschmelzen, es ist die Zeit der Synästhesien und wunderbaren Paradoxien. Die Qualität des Textes besteht darin, dass er nie philosophisch wird, sondern immer anschaulich bleibt. In diesem Buch gibt es wunderbare Sätze: “Eines Tages verließ ich das Zimmer, aber als Wald. Oder als Tag verließ ich den Wald und war Zimmer. Die Bäume standen am Weg und häuften ihr Lächeln, diese freundliche Abwesenheit des Sturms.” – “Unter meinen Füßen die Erde wie gegipste Sätze oder Textstücke plötzlich plötzlich sehe ich überall.” – “Als Echo Stundenbuch Blau, sei es auch noch so durchsichtig”. Der Autorin gelingt es, das Unsichtbare zu vermitteln durch die poetische Struktur der Sätze und Satzabfolgen. Die Wortwiederholungen im Satz z.B. markieren das Schwinden chronologischer Zeit.

Der Text ist nicht umfangreich, aber gewichtig und prägnant. Die Sätze manchmal bis zum äußersten komprimiert, mitunter durchaus riskant. Leserin und Leser müssen selbst urteilen, ob das Programm aufgegangen ist. Kann die Poesie die Grässlichkeiten der Welt aufwiegen, kann sie Gegengewicht sein zur globalen Bilderhitzung und Bilderschwemme? Jedenfalls ist es das Verdienst dieses Buches, die Konfrontation nicht gescheut zu haben. Und das Verdienst von Petra Ganglbauer, etwas geschrieben zu haben, das unter die Haut geht.

Gerwalt Brandl

Sylvia Treudl: Zitat: BACHMANN, Ingeborg. Durchaus ist die Wahrheit zumutbar

Musik: Monika Drasch (Komposition, Zither, Gesang), Cordula Bösze (Komposition, Querflöte), Autorin: Sylvia Treudl
Ein Hörbuch

Edition Aramo
Wien 2003

Sylvia Treudl, die engagierte Autorin, Herausgeberin, Mitinitiatorin und Mitbetreuerin des Unabhängigen Literaturhauses Niederösterreich, ULNÖ, hat sich – angesichts des 30. Todestages von Ingeborg Bachmann – ebenso unprätentiös wie sensibel der Autorin und deren gebrochener, vielschichtiger Identität anzunähern versucht.
Ihr Vortrag auf dieser CD ist eine Durchwirkung:
Treudl greift einerseits Versatzstücke aus dem poetischen Fundus der Autorin auf und bezieht andererseits Sprengsel fulminanter wie vernichtender Bachmann-Kritik in ihren Textlauf ein. Sie kontrastriert, stellt in Frage, bedauert, ironisiert und nähert sich so vorsichtig der fragilen Persönlichkeit der Autorin. Immer wieder tritt dabei die persönliche Wertschätzung in den Mittelpunkt der akustischen Betrachtung, die in Teilen zu einem ebenso optischen Genuß wird, etwa dort, wo Treudl Bachmanns physische Präsenz schildert. Die Sonne. Die Katze. Der Balkon. Rom.

Beachtlich der Duktus dieser Lesung, die von den beiden musikalischen Begleiterinnen Cordula Bösze und Monika Drasch gekonnt ergänzt wird.
Alle drei Interpretinnen gemeinsam schaffen einen Wort- und Klangteppich, der gleichermaßen zum Hören wie zum „Sehen“ einlädt.

Petra Ganglbauer

Marie Thérèse Kerschbaumer (Hg.): Arkadien / Apologie

Sonderzahl
Wien 2003

Dankenswerterweise ist dieses Buch entstanden, eine wunderbare Zusammenschau aus Beiträgen, die anlässlich des 10. Autor/inn/enlabors in der Alten Schmiede in Wien vorgetragen wurden. Ausrichtung. Blickpunkt, Fokus, Festschreibung: Arkadien, jener konsequent bemessene Begriff. Zum einen Sprache und Landschaft, Imaginationsraum, zum anderen gemahnend an jene Qualität, jenes unwidersprochene Maß, das vorgibt, was Dichtkunst zu sein hat.

Dafür sei Marie Thérèse Kerschbaumer an dieser Stelle gedankt, dass sie, die Dichterin, uns stets daran erinnert und nicht ablässt von dieser Vision ästhetischer Sprachfärbung und Stimmführung. Und auch der physische Ort der ästhetischen Auseinandersetzung ist Teil dieser umfassenden Blickrichtung: Die Alte Schmiede. Und nicht zufällig ausgewählt!

Wundersame Lektüre!

Petra Ganglbauer

Peter Reutterer: Movies

Kinogedichte

Edition Aramo
Krems 2002

Der Autor saß mit Schreibblock in diversen Kinosälen und hat sehr beweglich, mithin zart, dann wieder stringent seine Eindrücke auf Papier gebracht.

Die vorliegenden Gedichte zu Filmen zeichnen den Geschwindigkeitspegel nach, der Filmen eigen ist.

Die Gedichte sind klar und leicht, die Lesart somit wohltuend unterstützt. Die Sehnsucht, wieder einmal ins Kino zu gehen, wird geweckt.

Petra Ganglbauer

Elfriede Kern: Tabula rasa

Jung und Jung
Salzburg 2003

In ihrer unnachahmlichen Sprache führt uns die Autorin wieder höchst eigenwillige und fragile Charaktere nahe, deren Geschlecht vorerst oftmals nicht einzuordnen ist. Menschen zwischen Angst und Verlorenheit, Selbstvergessenheit und blinder Autoaggression. Interessant der sprachliche Duktus, wenn Kern beispielsweise, wie etwa in der Erzählung „Aufbrechen“, den Text im Perfekt schreibt, was eine zusätzlich eigenbrötlerische, naive und hilflose Komponente mit sich bringt.

Konsequent und intensiv: lesenwert.

Petra Ganglbauer

Bodo Hell: Tracht : Pflicht

Lese- und Sprechtexte mit zwei Bildreihen von Hil de Gard

Literaturverlag Droschl
Graz-Wien 2003

Eine anregende Zusammenschau aus urbanem und ruralem Material, Natur und Zeitgeist (oder was man darunter versteht) findet sich in diesem endlosen Textfluß, der formal immer wieder aufgebrochen wird.

Die Liebe zum Detail, zum Kleinen und Winzigsten ist hervorstechend, der Autor ist ein akribischer Wortsammler, seine Versatzstücke sind poetische, mythologische oder geologische Juwelen. Dieses Buch ist ein lebendes Museum; bezeichnend der Verschnitt aus Schlagwörtern und Slogans, das Gebrabbel aus Medien und Werbung, welches jedoch in der opaken Sprachlandschaft durchaus zerstiebt. Ansprechend auch die Gliederung des Bandes je nach Objekt der Auseinandersetzung, wie etwa Natur/Wahrnehmung oder Stichwort Stadt.

Der Leseakt wird zum Springen und Hüpfen mit Augen und Kopf.

Petra Ganglbauer

Günter Brus: Nach uns die Malflut

Ritter Verlag
Wien 2003

13254Poetische Sprengsel, Legenden, Versatzstücke aus Theorie und Praxis, Definitionen, Gattunsgspezifika – all das versammelt der Künstler Brus im vorliegenden Band.

Er äußert sich zu beinahe allem: Kunst, Religion, Dichtung, Gefühlspegel u.s.w.

Wer mehr über die ironischen, dann wieder subtilen Zugänge des Autors – auch zu seiner Kollegenschaft etwa – wissen möchte, ist gut beraten, sich diesen Band zuzulegen, der in schöner Korrespondenz von bildnerischen Arbeiten ergänzt wird.

Petra Ganglbauer

Ilse Kilic: Monikas Chaosprotokoll

Im Dampfkochtopf von Oskars Moral

Ritter Verlag
Klagenfurt-Wien 2003

Noch komplexer, formal differenzierter, mit formalen Umbrüchen versehen ist dieser neue Band der Wiener Autorin. Zwischen Regelwerk und Ludothek angesiedelt, verdichtet, an den Rändern verstärkt und festgezurrt, im Textkörper selbst enger gestrickt, – dieses Buch fordert noch mehr Aufmerksamkeit als seine Vorgänger, holt Kilic doch poetologische Kriterien, Bildmittel, Gedankenmittel herein. Ebenso oszilliert das Projekt zwischen den Gattungen, ist durchwirkt von Transgressionen: eine wahrhafte Anstrengung, Steigerung, nicht mehr ganz so verspielt und fragil wie die anderen bisher im Ritter Verlag erschienenen Bücher der Autorin, eben festgeschriebener!

Eine wunderbare Leseherausforderung!

Petra Ganglbauer

Harald Miesbacher: Werner Schwab

Dossier extra

Droschl Verlag
Graz-Wien 2003

Wer sich mit den formalen Eigenheiten, den skurrilen Besonderheiten, den sprachlichen Konvulsionen Werner Schwabs auseinandersetzen möchte – und dies möglichst genau –, ist mit diesem Buch gut beraten; tut sich doch der ganze wohl recherchierte Fundus Schwabscher Kunstsprache auf, die Mechanik, die Kombinatorik, der Einfall. Schwabs Sprache mutet wie Maschinenlärm an, dann wieder wie Lehrlauf oder philosophischer Exkurs.

Es tut gut, wenigstens nach dem Tod des Autors, die Beschäftigung mit dessen intensivem, wahrhaft brachialem Werk gesichert zu wissen.

Petra Ganglbauer

Helmuth Schönauer: Die Vollbeschäftigung der Sinne

Gefräste Gedichte

Grasl Verlag
Baden bei Wien 2003

Er ist ein Spracharbeiter, der Autor, er siedelt seine Gedichte in unterschiedlichen Räumen an: Gesellschaftsräumen, als da auch medialen Räumen, Kopfräumen.

Das Grauen hält Einzug, und wenn nicht real, so doch immer wieder als Vorstellung: Bilderfeldzüge sind das, scharf geschliffen, mithin poetisch, insistierend, radikale Feststellungen.

Das sind formale Raster aus Faktischem, Festmachungen, – die Sinne, wie der Titel sagt, werden bis zur letzten Konsequenz befasst – kein Entrinnen möglich.

Einer der spannendsten Gedichtbände der jüngsten Zeit.

Petra Ganglbauer