Marie Thérèse Kerschbaumer: Orfeo

Bilder Träume. Prosa.

Wieser Verlag
Klagenfurt/Celovec 2003

Eine durchgehend poetische Aufladung, sprühende, farbige Funken durchsetzen die Texte – Lyrik wie Prosa – im vorliegenden Band, der neue und bereits erschienene Arbeiten von Marie-Thérèse Kerschbaumer versammelt.

Polyphonien, Gesänge aus Leidenschaft, Schmerz oder Hoffnung, die Stimmerhebung des Individuums wie der ganzen Welt lassen erneut jene politische Stimme zutage treten, wie sie der Autorin immer schon zu eigen ist. Widerstandswille und Wachheit sind die elementaren und kostbaren Bewußtseinssubstanzen, die teils einander kontrastierend, teils ergänzend den durchgehend poetischen Duktus – jene fragile Sinnesberauschung – begleiten.
Kerschbaumers Texte sind Juwelen inmitten einer mehr und mehr Platz greifenden Allgemein- oder Maschinensprache und bisweilen scheinen sie inmitten herrschender Sprachordnung beinahe gefährdet.

Der Rückgriff auf Mythen, das Einweben “älterer” Sprachsprengsel und der wieder und wieder sich verändernde Stil (elliptisch, dann wieder ausladender) verdichten diese Texte atmosphärisch und verleihen ihnen synästhetische Qualitäten.

Havanna etwa, kann ich nachspüren, nacherinnern, zumal ich selbst einmal dort war. Die Stadt erwacht – zugeschnitten auf den jeweils ausgewählten Blickpunkt – literarisch noch einmal zum Leben. Gänzlich anders muten beispielsweise die Traumvariationen an. Auch sie spiegeln in ihren sprachlichen wie formalen Verrückungen das Nachtbewußtsein deutlich wider.

Die formale Vielheit hält die Texte in diesem Buch in steter Bewegung und gewährleistet so ihre Gültigkeit jenseits von Zeit.

Petra Ganglbauer

Erika Kronabitter: Friederikenbriefe

Friederike Mayröcker gewidmet

Milena Verlag
Wien 2002

Von „Spuren“ schreibt Klaus Kastberger in seiner Einleitung zum vorliegenden Band. Erika Kronabitter flicht Zitate aus Mayröckers Werken und Briefen in ihre Textflüsse ein, und bisweilen laufen die Stil-Stränge beider Autorinnen tatsächlich parallel, bis Kronabitter sich wieder von Mayröckers Spuren wegschreibt, jedoch zumindest nachhaltig den Gestus einer Seelenverwandtschaft beibehält, nämlich die Art und Weise, wie die Worte einander folgen oder zueinander stehen – bisweilen auch abrupte Wortgeschwisterschaften – , dann allerdings schlägt Kronabitter wieder einen anderen, bisweilen alltäglicheren Ton an. Von Landschaften schreibt sie, vom Schreiben, vom Innerseelischen, von Sehnsucht und Angst, von Rastlosigkeit, vom Sterben wie vom Fliehen.

Eine empfehlenswerte Lektüre für Leserinnen, die den beiden Autorinnen eine Weile folgen möchten, sie begleiten, sich in die Ton- und Wasserfälle einstimmen, den Duft- und Gedankenspuren folgen. Ein Stück eines gemeinsamen Weges, einer Überschreibung, einer auch muskalischen Reise bis „zum neuen allerersten Satz“.

Petra Ganglbauer

Edgar Honetschläger: regie/direction

Publication PN°1, Bibliothek der Provinz
Weitra 2002

Alles ist Text

Transgressionen, Übergänge – somit stets Bild also: Wirklichkeit also: Text also: Film – stellen jene im vorliegenden Band versammelten Beispiele aus mehreren Jahren dar, die Edgar Honetschlägers Zugang zu Kunst und Gesellschaftstheorie, Wort und Bild transparent machen. Ein Wanderer zwischen Gesellschaftsräumen, Religionen und Kulturkreisen offenbart sich und seine Arbeit in Gesprächen, Skizzen, Fotos oder Videostills.
Wenn sich der Künstler auf einen Raum konzentriert, läßt er dessen Gegenpol niemals außer acht, der wird stets mitgedacht und mitkonzipiert.
Honetschläger flicht jene Destinationen in seine Arbeiten ein, die ihm – auf Zeit – Ort und Quelle sind und waren: Japan. New York. Rom. Wien.

Der vorliegende Band ist bereits als Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung „Regie“/direction erschienen. Er fokussiert die Werkentwicklung des Künstlers und ist Zeichen seiner Poetisierung von Reise und Alltag, von Nomadisierungen und Standortbestimmungen. Es stellt eine Zusammenschau unterschiedlichster Gattungen dar, die einander durchwirken, in dem Maße, in dem die von Honetschläger besuchten, erkundeten und erlebten Kulturräume es tun; sie sind einander Spiegel, Ergänzung, Widerspruch.
Der Band ist ansprechend und reizvoll gestaltet – von einer kühlen, einnehmenden Ästhetik und als Lektüre wie Betrachtungsgegenstand empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Eva Jancak: Die Vier tage buch frau

www.jancak.at
Wien 2002

Eine auf mehreren Ebenen stattfindende Zusammenschau, die innerseelische wie gesellschaftliche Prozesse aufgreift, hat Eva Jancak unter dem Titel „Die Vier tage buch frau“ zu Prosa zusammengefaßt. Gegenstand der Beleuchtung ist die Zeit der ersten hundert Tage des Jahres 2000, einer Phase der innenpolitischen wie außenpolitischen Veränderungen in Österreich.

Da gibt es etwa die PR-Assistentin Luzie F., eine Klientin der ICH-Erzählerin, die ihrerseits eine psychotherapeutische Praxis betreibt. Luzie benutzt vier verschiedene Tagebücher, die durchaus symbolischen Charakter haben: ein blaues, ein schwarzes, ein rotes und ein grünes. Jedes von ihnen ruft eine andere Empfindung in der Benutzerin hervor. Das blaue Tagebuch Aggression. Das grüne Hoffnung. Über diese ihre Empfindungen spricht sie mit ihrer Therapeutin.
Auch ein Nachbarschaftszentrum spielt eine brisante Rolle, weil es soziale Strukturveränderungen aufzeigt. Symbolisch fungiert es als Ort der Orientierungslosen.
Da kommt es zu diversen Begegnungen und Geschehnissen. Martha Müller etwa taucht auf, eine Schriftstellerin, die während eines Aufenthaltes in New York das Leben der Obdachlosen erforscht. Bald gerät auch sie in Österreich in dieselbe Lage. Und folgerichtig ist auch die Protagonistin ihres Romans Felicitas Fee, namen- und obdachlos. Doch das ist noch nicht alles … Das Leben ändert sich gemeinhin …

Das Buch ist kurzweilig und originell, weil es zwischen innergesellschaftlicher Realität und Symbolik hin und herwechselt. Eine lebendige, subjektive Bestandsaufnahme.

Petra Ganglbauer

Margret Kreidl: Laute Paare

Szenen Bilder Listen
Buch mit CD

Edition Korrespondenzen
Wien 2002

Ein vor allem auch konzeptuell interessantes Buch ist das voliegende, welches eine CD (die Autorin liest die Texte) enthält.
Margret Kreidl schließt an jene kühle Ästhetik an, die Teile ihrer bisherigen szenischen Texte ausmacht, aber auch an jene Kitsch- und Volkstümelei-Inszenierungen, welche die Autorin immer wieder mit großem Impetus vornimmt. Der Inhalt dieses Buches: Sexualität, Geilheit, Einsamkeit, Verletzbarkeit, – mitunter äußerst grell und grotesk dargestellt.

Eingangs ein „verfahrenstechnischer“ Hinweis, der bereits auf jene seriellen, permutativen Methoden verweist, die in mehreren Sequenzen folgen. Beinahe chromatisch ist diese Arbeit, spielen doch der Klang der Farben wie ihre Plazierung eine ganz besondere Rolle. Onomatopoetische Kunstgriffe, wie insgesamt eine konsequent durchgezogene Kombinatorik, halten die Texte in Form und Spannung, jeden für sich wie auch untereinander.
Die „Kammerspiele“ leben von der Dramatisierung durch Bewegung und Handlung, die Gesten sind laut, schreiend mitunter.
„Er und Sie“ etwa, eine Sequenz, die sich auch mehrmals wiederholt, lebt von einer vegetabilen Metaphorik, die den Gefühlen starken Ausdruck verleiht. Wie überhaupt Erotik, Leidenschaft, Geilheit in diesem Buch noch durch andere Beschreibungsmechanismen als jene einer Sprache der Pornografie dargestellt werden; ich denke da etwa an „Süsses Paradies“, ein opulentes, fast körperliches Aufgebot an Mehlspeisen und Schleckereien. Vorsicht!

Petra Ganglbauer

Fritz Widhalm: zum beispiel

feldforschungen
ein gedichtzyklus mit zeichnungen von andreas leikauf

herbstpresse
Wien 2002

„feldforschungen“ benennt Fritz Widhalm seine Gedichtarbeit im Untertitel.
Tatsächlich blinken quasi hinter den Texten kontextuelle Strukturen auf, sprachlich wie optisch, denn eine Art Plan zieht sich durch, die karierte Coverfläche taucht immer wieder auf; und dort, wo sie nicht sichtbar ist, vermuten wir sie jedenfalls – als Netzwerk. Die Karos werden jedoch ausgefüllt: mit Zeichnungen von Andreas Leikauf.

Der Titel des Buches lautet „zum beispiel“ – ein für den literarischen Zugang des Autors wirklich passender Titel: Scheinbar (!) beiläufig, leichtfüßig, marginal („alles oder/zum beispiel“). Ein Kunstgriff. Dahinter jedoch steckt die massive Arbeit an und mit Sprache: Widhalms Texte strahlen etwas Brachiales aus, die Sprache stürmt den Rand des Feldes, auf dem der Autor seine Forschungen anlegt. Sexualität und Körperlichkeit als Untersuchungs-, Betrachtungs-, Erfahrungsgegenstände, – die Sprache als Instrumentarium.

Am Ende ist das Feld explizit abgeerntet, soweit „feldforschung 8“ es vermuten läßt. Doch nein, vier weitere Karobilder zwingen uns, dicht an dicht zu verweilen. Wir tun es gerne.

Petra Ganglbauer

Paul Divjak: schattenfuge

edition selene
Wien 2002

„bilder, gesehene und noch nicht gesehene vermischen sich“ heißt es an einer Stelle des Buches, an einer anderen „wir befinden uns dazwischen, abermals? noch immer? schon wieder?“

Dergestalt ist dieser Prosaband, dieses Traumtagebuch, dieses Drehbuch angelegt. Im Schwebezustand, jenseits alltäglicher Schwerkraft. Und doch, und dennoch holen uns die Ereignisse ein, Krieg und Körperlichkeit, das Alltägliche. Divjak zieht seine Sprachschleifen jedenfalls so gekonnt, dass ich nicht Gefahr laufe, mir ein Bild zu machen, im Kopf die Ereignisse womöglich zu finalisieren.

Schwenk für Schwenk. Mit der Kamera. Mit den Sätzen. Harte Schnitte.
Dragica taucht auf und weg, real und imaginiert, – Militärfahrzeuge –, und durchgehend jenes plurale Ich, ein Wir, ein Ihr. Das Kollektiv trägt mit. Es ist auch Mittel zur Distanzierung. Dennoch darf es kein Verweilen geben. Nicht in diesen Ereignisräumen.

„… and one day you´ll know where you are“. Aber vielleicht ist das gar nicht intendiert. Vielleicht ist dies alles nur im steten Wechsel der Bilder, der Einstellungen zu ertragen, – auf der Flucht.

Petra Ganglbauer

Ilse Kilic: Warum eigentlich nicht?

Gedichte

Gesetzt und gezeichnet von Armin Guerino

herbstpresse
Wien 2002

coverKLICherbstpresse011Unwillkürlich erinnere ich die Kabbala, wenn ich den jüngsten Gedichtband von Ilse Kilic zur Hand nehme. Die Texte leben vom Rätselhaften: sie sind wie Vexierbilder, Rebus, Zahlenmagie.
Kurzweilig und spannend ist das Buch, weil die Autorin kreuz und quer daherkommt, optisch immer neue Töne anschlägt, sich auf die Materialität von Sprache konzentriert, zerlegt, zerteilt, verteilt. Weil wir ziemlich oft nicht absehen können, was sich da buchstäblich zusammenbraut!
Weil sie Analogien herausarbeitet, dann wieder Bausteine aus- und vertauscht, Neues zusammenfügt. Ja, immer neue Türme baut, um diese Schöpfung sofort wieder in Frage zu stellen, abzutragen, niederzureißen – oder sind es gar keine Buchstabentürme? Ist Sprache Sand? Und wir alle im Sandkasten?
Originelle Zugriffe auf diverse Bildmittel sind das jedenfalls, die sich stets dicht am Raum des Mathematischen bewegen: das Resultat sind „epigrammatische“ Exkurse, geistreiche Elaborate.
Ich mag diese Texte, weil das System dahinter, der Mechanismus oder aber auch das methodische „Geheimnis“ mitzuergründen, mitzudenken sind.

Armin Guerino hat sich zeichnend punktuell auf die numerische Flut eingelassen, in gelungener Korrespondenz: Einzelnes wie Menge werden da angesprochen. Nicht so sehr die Masse!

Aber es sind vor allem auch Gedichte, die gesprochen werden wollen, denn sie leben vom onomatopoetischen Duktus! Wohlan! Lesen wir laut! Warum eigentlich nicht?

Petra Ganglbauer

Christian Ide Hintze: autoren als revolutionäre

edition selene
Wien 2002

Eine ebenso weitgefaßte wie konzise komponierte Bestandsaufnahme aus Gesprächen mit Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Kulturräume enthält dieser – schon auf den ersten Blick empfehlenswerte – Band.
Er fungiert als Zeit(en)dokument, als Analyseinstrument für Poesie, Politik, Poetologie, für das Leben insgesamt.
Hintze, Mitbegründer und Leiter der Schule für Dichtung in Wien, der, wie man weiß, den „4-dimensionalen Poesiebegriff“ vertritt, also eine Konstitution aus Schrift, Audio, Video und Infrastruktur, hat auf Reisen und über Jahre Aufzeichnungen, Notizen gemacht und Artikel zusammengetragen von und über dichterische(n) „Essenzgespräche(n)“ mit Gioconda Belli, Anne Waldman, Mircea Dinescu, Allen Ginsberg, Ed Sanders, Henri Chopin und Anna Lecka und Ryszard Dreger.

In diesen Gesprächen geht es gleichermaßen um (dichterische) Revolution, politische Systeme, poetische Strukturen und Traditionen, das Weibliche, das Männliche, das Göttliche, Spiritualität insgesamt, die Aufhebung der Bi-polarität, die Lehrbarkeit von Literatur, das poetische Instrumentarium, um nur einiges im Anriß zu nennen.

Eingangs schreibt Hintze von der „Polis der Poeten“ und ich denke, dass dieses Buch eine wertvolle Etappe darstellt, hin zur „uneingeschränkten“ Kommunikation mittels Sprache (freilich nicht nur jener der Worte) und der damit verbundenen poetischen und politischen Praxis überall.

Petra Ganglbauer

Hanno Millesi: Traumatologie

Klaus Mosettig: Du willst doch fort von hier

TRITON Verlag
Wien 2002

Ein Spiegelkabinett der Wahrnehmungen stellt dieser Band dar, der Abbildungen einer Kontainer-Installation von Klaus Mosettig enthält, die den Titel „Du willst doch fort von hier“ trägt und eine Art literarisches Protokoll dieses Auf-und Abbaus, eine Berichterstattung von Hanno Millesi, „Traumatologie“ betitelt.

Die poetische Chronologie des Installierens und der Untersuchung auf Funktion und Sinnhaftigkeit dieser Installation ist gekennzeichnet vom intendierten Duktus einer objektiven Schau, der Autor ruft sich immer wieder zur Sachlichkeit auf. Es geht dabei nicht um die literarische Übersetzung eines konstitutiven Anwachsens von Objekten, um eine zunehmende Ordnung derselben, sondern gewissermaßen um die bereits im Ursprung vorhandene Einsicht, dass jedes neue Teil ohnehin Spiegel, Zitat des Ganzen dahinter ist.

Die Ereignislosigkeit, scheinbare Zentrumslosigkeit verschärft sich bis zu dem Punkt, als Beobachter und Beobachtetes gewissermaßen zusammenfallen, ein Denk-Kreisel, eine Bild-Schleife entsteht, – Devianzen.

Ich erinnere mich unwillkürlich daran, dass der Beobachter die Dinge ausschließlich in dem Maße einzukreisen imstande ist, in dem die Dinge ihn einkreisen.

Eine weitere, gelungene Korrektur des statisch gewordenen Weltverständnisses.

Petra Ganglbauer