Johannes Wolfgang Paul: Senecas Bäume

Gedichte 2001/2002

Österreichisches Literaturforum
Krems an der Donau 2002

Atmen im Herbstschnee

Nach der Lektüre, die mich durch die Gedichtelandschaft des soeben erschienenen Lyrikbandes „Senecas Bäume“ von Johannes Wolfgang Paul geführt hat, bei der die poetischen Landschaftsbilder einmal nahe, ein anderes Mal weiter entfernt sind, schemenhaft am Horizont auftauchen, an mir vorüberziehen und dann wieder verschwinden, ist mir auf die mir selbst gestellte Frage: „Wie sind denn diese Gedichte?“ ein alles zusammenfassender Vergleich als Charakteristik eingefallen. „Diese Gedichte“, sage ich, „sind wie Atmen im Herbstschnee.“ Ich nehme das als Titel. Ich weiß, dass das meinerseits nur eine Metapher ist, aber sie bezeichnet mir diese Gedichte besser, genauer, einfach wahrer als jedes konstruierte Ergebnis einer analytischen Untersuchung.

Atmen im Herbstschnee, im November, vor dem Dunkelwerden, im lichtlosen Grau mit nur schemenhaften Umrissen der Bäume, Sträucher, Zäune, Wegkreuze, Gehöfte. Wie ist das in dieser Landschaft oben bei Röschitz im Weinviertel, im schon ein wenig verschneiten, weitgewellten Hügelland; wenn alles abgeerntet ist, von den Bäumen, den Rebstöcken, auf den Feldern; wenn diese schon umgepflügt sind, und die Erde schwarzbraun und schwer an den Stiefeln kleben bleibt, wenn man am Feldrain entlang geht; wenn die Wiesen schon wie abgestorben daliegen; und der erste Feuchtschnee auf allem liegt, aber nur so dünn, dass die Erde und letztes Grün das schmutzige Weiß des Schnees durchbrechen; wie ist das dann für einen Dichter, der sich alt und irgendwie am Ende fühlt, ermattet nach einer schlagartiger Bedrohung durch eine schwere Krankheit und nur langsamer Genesung; wie fühlt sich dann so ein Mensch in einer solchen Landschaft gegen Abend, wenn es dunkelt, und er allein ist.

Ich sehe ihn vor mir, den Dichter Johannes W. Paul; wie er durch diese Landschaft geht, dem Nebel ein Wort abringt oder eines findet am Wegrand, es aufhebt und in sein Gedicht legt. Ich sehe ihn vor mir diesen gebückten, etwas kleinen Mann mit seiner gedrungenen Gestalt, mit seinem dichten Haarwirrwarr und seinem windzerzausten Bart; und seine Augen, die das alles sehen. Manchmal ist es, als kämen die Worte durch die Augen in das Innere eines Gedichtes: „plötzlich blickst du/ glasklar/ in deine vergangenheit/ siehst wie das moos/ vom rand her/ verloren um sich greift“; so seine Worte im letzten Gedicht diese Buches. Ausgesendete Abschiedssignale sind das. Es ist so, als würde einer Abschied nehmen mit seinen Worten, mit seinen Gedichten. Zugleich sich und sein eigenes Leben und die Welt noch einmal begreifen, das alles in einen Zusammenhang bringen und dieses Zusammenwirken jetzt endlich verstehen. Alles wird noch einmal hell, bevor es dunkel wird und der Nacht anheimfällt.

Die Kindheit sieht man; sein eigenes, flammendes Begehren, die Erotik, die Liebe, die Abschiede; das, was in einem gemeinsamen Leben verbunden hat und bindet. Die Krankheit sieht man, sich selber als Kranken; an der Schwelle sieht man sich zwischen hier und anderswo; die Reisen sieht man und man sagt das Wort „damals“. Die Ferne spürt man und die Nähe dieser Ferne. Ein Segelschiff gleitet lautlos vorbei. Die Zeile eines Gedichtes führt es mit sich; sie flattert wie ein Spruchband oben am Mast. In der Erinnerung bist du „im nebel/ zum gipfel des monte lisandro unterwegs“. Dann wieder siehst du dich langsam wie im Traum hinaufgehen „an einem novembertag/ vor vielen jahren/ zwischen mostobstbäumen/ zur kirche von pyrafeld.“ So geht einer dahin und fragt sich: „lebe ich/ oder bin ich schon tot“? Es ist ein Hiersein und gleichzeitig ein Anderswosein; vielleicht schon jenseits der Grenze.

Gedichte sind das als Notate einer Wanderung in einer Grenzlandschaft, im Spätherbst, im Nebel, im Schnee; vor Tagesende, aber noch vor Beginn der Nacht. Dämmerung. Die Kälte dringt ein zum Körper, bis auf die Haut, die dünn geworden ist. Sich zurückziehen in einen Schutzraum, in das Haus, in die eigenen vier Wände, in das Bett. Schlaflos sein in der Nacht. Die Beobachtung und das Erkenntnisgefühl: „das licht der straßenlampe/ fällt durch den vorhang zur decke/ der suchscheinwerfer des todes/ geht über mir vorbei.“ Noch einmal davongekommen; unentdeckt, am Leben geblieben, für eine Weile noch; aber nächstes Mal..? Keine Panik. Nur eine Feststellung. In die Nacht hinein sagst du zu dir selber plötzlich laut: „ich werde sterben/ ohne ein einziges wort“. Bis es so weit ist, hält dich das Gedicht am Leben.

Peter Paul Wiplinger

Lipej Kolenik: Für das Leben und gegen den Tod

Mein Weg in den Widerstand
Mit einem Vorwort von Janko Messner

Drava Verlag
Klagenfurt, 2001
Slowenische Erstausgabe im Drava Verlag, 1997

Kärntner Partisan

„Für das Leben, gegen den Tod“ lautet der parolenhafte Bekenntnistitel eines Buches des kärntner-slowenischen Autors und ehemaligen Widerstandskämpfers Lipej Kolenik, in dem dieser seine sehr persönlichen Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus und seinen Kampf dagegen mit dem Ziel der Befreiung Österreichs vom Faschismus zusammengefaßt hat.

Lipej Kolenik wurde 1925 in St. Margarethen bei Bleiburg/Smarjeta pri Pliberku geboren und wuchs dort am elterlichen Bauernhof auf. 1943 wird er zur deutschen Wehrmacht einberufen, aus der er desertiert und sich den Partisanen anschließt. Im März 1945 wird er schwer verwundet. Nach Kriegsende ist er lange Zeit arbeitslos, wird – so wie viele andere österreichische Partisanen – diffamiert, wiederholt verhaftet, eingesperrt, als Verräter angesehen. Er bleibt politisch aktiv, ist heute im Vorstand des Kärntner Partisanenverbandes.

In seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen ist er ein Chronist der Ereignisse, darüber hinaus aber ordnet er diese auch – seinem Welt- und Geschichtsbild entsprechend – zu einem Gesamtbild, sodass ein facettenreiches Kaleidoskop der damaligen Zeit vor Augen geführt wird. Kindheit in ärmlichen Verhältnissen als Angehöriger einer in „Deutsch-Kärnten“ nicht geliebten und diffamierten Minderheit. Repressalien der nationalsozialistischen Machthaber. Vertreibung vieler kärntner-slowenischer Familien von ihren Höfen, Aussiedlung in Internierungslager in Deutschland, dort Zwangsarbeit. Unvorsichtige, Widerspenstige und Widerständler kommen gleich ins Konzentrationslager, zum Beispiel nach Mauthausen. Die wehrfähigen Männer werden zur deutschen Wehrmacht eingezogen, müssen dort in einer ihnen fremden und feindlichen Armee gegen andere Fremde und Feinde kämpfen. Manche desertieren, wenn sie auf Heimaturlaub sind, gehen zu den Partisanen; so auch Lipej Kolenik mit erfrorenem Fuß.

Er und seine Familie wissen um das lebensgefährliche Risiko. Trotzdem das Wagnis, die Entscheidung, gegen Hitler und die nationalsozialistischen Unterdrücker. Zu diesen gehören auch die fanatischen Ortsnazis aus Bleiburg, Völkermarkt, Klagenfurt. Partisanengebiet ist „Bandengebiet“. Gendarmerie und militärische Sondereinheiten durchkämmen die Wälder; durchsuchen die Höfe. Übergriffe, Massaker. Trotzdem Solidarität vieler Kärntner-Slowenen mit den Ihren, den Partisanen; aber auch Ablehnung und Verrat. Dann endlich Befreiung, Sieg.

Nach 1945 die große Enttäuschung. Die Engländer als Besatzungsmacht drängen die Partisanen zurück, paktieren sogar mit ehemaligen Nazis. Diese sind bald wieder oben auf, gesellschaftlich voll integriert. Die Partisanen sind es, die – weil viele von ihnen im Nationalen Befreiungskampf für der Anschluß an „Tito-Jugoslawien“ plädiert und auch dafür gekämpft haben und nun der „Osvobodilna fronta“, der politischen Organisation der slowenischen Partisanenbewegung angehören, die auch der KPÖ nahesteht – nun als Verräter und Nicht-Patrioten diffamiert und angefeindet werden; auch vom offiziellen Österreich.

Auf diesem Terrain vollzog sich das kämpferische, sozial-politische Leben des Lipej Kolenik. Er ist ein patriotischer Slowene, ein engagierter Mensch, ein Kämpfer gegen jede Form des Faschismus; ein Kämpfer für Gerechtigkeit und Freiheit.

Peter Paul Wiplinger

Paul Wühr: Was ich noch vergessen habe

Ein Selbstgespräch, aufgezeichnet von Lucas Cejpek

Verlag Droschl
Graz-Wien 2002

Die ebenso freimütigen wie unprätentiösen Erzählungen (Selbstgespräche) Paul Wührs über Poetologie und Leben – stets dicht ineinander verschränkt –, sind in diesem Essay-Band, dem insgesamt 47. der gleichnamigen Reihe, äußerst achtsam zusammengestellt.

Lucas Cejpek, seit Jahren mit Paul Wühr in persönlichem Kontakt, hat vor-sichtig wie nachdrücklich die in der Zeit von 17. bis 20. Juni 2000 auf Le Pierle gemachten Tonbandaufzeichnungen aus Gesprächen mit dem Autor und seiner Frau Ingrid Poppe, trefflich in diesem Band zu einem schlüssigen, rauhen, nachgerade kulinarischen Ganzen vereint.

Einfälle, Evokationen, Ausrufe wie: “Das ist ein echtes poetisches Durcheinander! Die Toten sind auch in der Zukunft. Und von dort aus rufen sie zurück in unsere Gegenwart, und zwar bittend, flehentlich bittend: Erzählt uns! – Das ist für mich eine Poesieformel: Erzählt uns nach! Erzählt uns vor!”

Einen Absatz weiter heißt es: “Erzählen ist ungelernt verdrehen, ist unehrenhaft verlügen, aber verlügen eines anderen, um sein Leben zu vervielfältigen. Lacht.”

Wir sehen den Autor, der so offen über seine poetische Ausrichtung spricht, über seine politische Einstellung, seine Haltung gegenüber Frauen und vieles mehr (dies alles so lebendig im Abtausch!), wir sehen ihn – dank der Regiearbeit Cejpeks – unmittelbar vor uns, wir hören seine Stimme, – diese Aufzeichnungen sind Körper geworden, sie muten plastisch an. Sprechen. Aus einer großen künstlerischen Vitalität heraus. Und wir hören und hören und staunen.

Übrigens, die Uraufführung der Theaterfassung “Hier spricht Paul Wühr”, die Cejpek aus dem ersten Autobiografie-Gesprächsband “Wenn man mich so reden hört” (Droschl, 1993) und aus dem vorliegenden erarbeitet hat, findet am 6. September im Literaturhaus Berlin statt.

Petra Ganglbauer

Peter Enzinger: Grünes Licht, oder das Zerwürfnis der Würfel

Ritter Verlag
Klagenfurt-Wien 2002

Schöne Beispiele gegenseitiger Bespiegelungen sind das, ausgestattet mit den Insignien der Innen- wie der Außenwelt, Texturen und Landschaften im Abtausch, – Schriftarchitekturen wie wir sie auch von anderen Autor/inn/en kennen: Die Geometrie in den Gedichten Waltraud Seidlhofers, freilich strenger; der Tenor Hansjörg Zauners. In dieser Tradition verstehe und lese ich die vorliegenden Texte.

Einzelne Variablen werden wieder und wieder als Module eingesetzt, an unterschiedlichen Stellen im Buch, etwa die Wörter „Pfau“, oder „Frosch“ oder „Alfabet, Schlüsselwörter, durch diverse Eigenschaften überlagert, – und überlassen sich den Textfeldern.

Was sich konsequent durchzieht, ist der onomatopoetische Gestus, ein durchgehender Fluß, hörbare Rezitation, Melodie.
„Wortschatzschiffe“ erinnern, übersetzt man sie ins Visuelle, an Mallarmé, – die „Wortschatzschatten“, die „Schlüsselwörter“.

Ein lesenswerter Textstrom.

Petra Ganglbauer

Sylvia Treudl: Zug um Zug

Reisenotizen

Milena Verlag
Wien 2002

Nicht oft stoße ich auf ein Buch, welches in mir den Wunsch weckt, es in einem Zug zu lesen; beim vorliegenden war dies der Fall: weil es lebendig, authentisch, humorvoll, mitunter auch kritisch, alles in allem aber völlig unprätentiös geschrieben ist.
Das vorliegende literarische Protokoll, bzw. Tagebuch einer Reise mit dem Literaturexpress 2000, welche – um es auf den Punkt zu bringen – insgesamt etwa 140 Personen, 43 Sprachen und 7000 Schienenkilometer zu verzeichnen hatte, lädt jedoch zur geballten Lektüre ein.

Sylvia Treudl schildert in „Zug um Zug“ nicht nur die atemlose, muntere Abfolge der Destinationen, gruppendynamischen Prozesse, kleineren oder größeren herzhaften wie auch weniger lustigen Vorkommnisse, sondern ebenso liebevoll wie malerisch die Atmosphäre am jeweiligen Ort. Auch die gesellschaftskritische Auseinandersetzung kommt, wie man es von Treudl ohnehin gewohnt ist, nicht zu kurz.
Der Band ist auch durch die Fotobeigaben derart kulinarisch gestaltet, dass man wieder und wieder vermeint, selbst zugegen zu sein, – sei es in Bordeaux, Madrid oder Moskau.

Den vitalen, atmosphärisch dichten Reisebogen quer durch West- und Osteuropa beschließt Treudl mit zwei gesonderten Texten: „Bewegung“ und „Mehr als nur ein Hauch davon“.
Ein stimmiger Ausklang. Am Ende bin ich traurig, aus dem Zug steigen zu müssen.

Das ideale Buch für die Urlaubslektüre!

Petra Ganglbauer

Barbara Hundegger: desto leichter die mädchen und alles andre als das

Gabi Schuster: Grafik am Einlageblatt
Herausgeberin: Petra Nachbaur

reihe mitnichten 4, Das Fröhliche Wohnzimmer – Edition
Wien 2002

Von ungeheurer poetischer Dichte sind die Gedichte von Barbara Hundegger, zudem stets auch durchwirkt von Widerständigem, Widerhaken. Als Leserin reibt man (sie) sich daran mit Kopf und Herz.

Eine gekonnte Zusammenführung starker, aufgeladener Bilder, die sich perseverierend, dann wieder aleatorisch-leicht zur Sprachinszenierung fügen, ist das. Die Themen sind mitunter bekannt und doch und dennoch bewegen sich die Texte fomal weit über das zunächst Erwartete hinaus. „Technische“ Sprachprengsel finden sich hier ebenso wie sprachlich Eigenheiten, die wir aus älteren (mythologischen) Quellen kennen. Das macht den Band sehr reizvoll.
Die Stimme, die anschlägt, ist im besten Sinne auch eigenwillige Kontrollinstanz. Selbst dort, wo sich seelisch Transparentes einstellt, werden energisch Konturen gezogen, Spuren vertieft.
Der Duktus beinhaltet , wie stets bei Hundegger, beides: das Poetische und das Politische. Diese beiden Pole versteht die Autorin auf so gekonnte Weise zu verknüpfen, dass die Laustärke, das Tempo und einzelne Passagen nach der Lektüre noch als gesellschaftskritischer Echoraum hallen.
Barbara Hundeggers Gedichte gehören sicher zu den spannensten unserer Tage.

Petra Ganglbauer

Martin G. Wanko: KEN. A CRIME STORY

edition kürbis
Wies 2002

Einerseits „a crime story“ – mit vielem was dazugehört –, andererseits alles, was sich an den Kipp-Punkten der menschlichen Existenz bewegt: Um Randgänge physischer wie psychischer Art, das Oszillieren zwischen Tag- und Traumbewußtsein, Authentizität und Künstlichkeit wie auch den Kampf um’s Überleben, geht es in diesem ersten Roman des Grazer Autors Martin G.Wanko.

Der Duktus sucht seinesgleichen: Der Protagonist – in wahnsinnigen Empfindungsräumen an der Grenze zur Paranoia unterwegs, – der tote Ken, eine Plastikpuppe, ein Mix aus Trash, Drogenrausch und elementarer Identität.
Dies alles packt Wanko derart brachial und authentisch an, dass die Sprache, stets laut, schrill und direkt, auf einem derart ungeahnt hohen Pegel daherkommen muß, dass man als Leserin, wohl aus der Gewohnheit des Auf und Ab, beinahe einen Absturz fürchtet.

Aber, der kommt nicht.
Statt dessen:
Der wunderbar unprätentiös poetische Satz gegen Ende des Buches:
„Ein Träne, ich spüre so etwas wie eine Träne.“

Denn unter all der Schrägheit wohnt ein empfindsames Bewußtsein, das Wissen um das Dilemma menschlicher Existenz.
Ein spannendes, die Leserschaft in seiner Dichte forderndes Buch!

Petra Ganglbauer

Friedl/Hahn/Janisch/Neuwirth/Silberbauer: Tarot Suite

Roman

Deuticke
Wien-Frankfurt am Main 2001

Literatur ist stets das Zusammenwirken von Disziplinierung und spielerischem Umgang, Struktur und Intuition.
In diesem Sinne entstand auch der vorliegende Roman: Insgesamt fünf Autor/inn/en trafen sich, um sich mit der großen Arkana aus dem Tarot auseinanderzusetzen: Jede/r von ihnen zog eine Karte. 5 Abende folgten, mit Essen und je einer Geschichte, die stets eine andere Person erzählte.
Auflage war, thematisch die gezogene Karte zu behandeln und an Motive, bzw. Charaktere anzuknüpfen, beziehungsweise diese zu unterwandern oder zu unterbrechen; Konvergenzen und/oder Divergenzen zu schaffen.
Dem musikalischen Muster entsprechend, setzt sich die vorliegende „Suite“ aus 5 Sätzen zusammen:
Harald Friedl zog als erster: die „Gerechigkeit“; Norbert Silberbauer folgte mit dem „Einsiedler“; Margit Hahn schrieb den „Tod“; Barbara Neuwirth setzte sich mit dem „Wagen“ auseinander; Heinz Janisch beendete den Reigen mit der „Mäßigung“.

Was entstand, ist ein schön gesponnener Erzählfaden, nuanciert je nach Autor/in und Schreibduktus, bisweilen lauter, mit Zäsuren versehen, dann wieder zarter in der Stimmführung, grundsätzlich aber von einer gewissen stilistischen Übereinkunft:
Ein unterhaltsames und spannendes Gemeinschaftsprojekt – wie auch ein achtsam komponierter Lesegenuss, der sich als Anregung für ähnliche Experimente eignet.

Petra Ganglbauer

Petra Ganglbauer: meeresschnee

Zeichnungen von Armin Guerino

herbstpresse
Wien 2001

„Das Anschauliche ist ein zerfetztes, festgelegt, dann aufgeworfen.“, heißt es an einer Stelle in Petra Ganglbauers Gedichtband „meeresschnee“, was sich wie eine Schlüsselpassage zu ihren Texten liest. Im Mittelpunkt steht bei diesen die Welt der Dinge und Begriffe, die in meist kurzen Gedichten beschrieben wird, in eigenwilligen Sequenzen. Keine Wahrnehmung, keine Anordnung ist endgültig, auch die „Vergessenheit ist ein Vorgang des Vorübergehens: die Frequenz der Stille.“
Bestandsaufnahmen, Bewegungen finden statt, Situationen werden umrissen, überraschende Sequenzen verzahnen sich. Sorgsam auf Sprache bedacht, schildert die Autorin eine konzentrische, poetische Welt aus Bildern und Aussagen, in der das schreibende Ich sich bewegt, ohne zu dominieren.
Im Band sind auch zwei Textvertikalen, wie Petra Ganglbauer sie nennt, vertreten: „Schneehimmel“ und der längere Text „Dschungelgedächtnis“. Begriffe, die dem jeweiligen Titel zugeordnet sind, werden auf einer Mittelachse angeordnet, meist nur ein Wort, mitunter eine Gruppe von Wörtern. Jedes davon fügt dem entstehenden Bild ein weiteres Detail hinzu, die Assoziationsketten verdichten sich, das Geflecht, das im Kopf des Lesenden entsteht, ist von großer poetische Eindringlichkeit.
Zeichnungen, Grafiken von Armin Guerino sind dem Band derart beigegeben, dass sie in ihrer Eigenständigkeit korrespondieren, Bild und Text ergänzen sich in sensiblen Verknüpfungen.

Waltraud Seidlhofer

Waltraud Seidlhofer: Te Anau. Wilderness

Zeilen

Verlag Grasl
Baden bei Wien 2001

Fein ziselierte, dicht gebaute Gitterstrukturen – angesiedelt als Texte, – auf den ersten Blick Gedichte. Definiert als Zeilen:

Zwischen Te Anau, einem Ort auf der Südinsel Neuseelands und Wilderness, einem Ort an der südafrikanischen Garden Route legt die Autorin ihre Fährten, hinterlässt Spuren. Und es entstehen geradezu Tonkörper in mir, wenn ich ihr Zeile für Zeile folge; ich gerate in einen eigenartigen Singsang, werde von einer konsequent strukturierten Welle erfasst. Etwas Stringentes, Nachdrückliches, Singuläres ist Qualität dieser Texte, eine Endlosigkeit, die sich aus dem Buch hinausbewegt, in es hineinwirkt.

Die Geometrie der Landschaft ist federführend; und ihre Ornamente, Brüche, Aufwürfe finden eine beinahe holographische Umsetzung in diesem Band. Was dabei entsteht, ist von achtsam gewobener Konsistenz. Teppiche. Landschaftsteppiche. Textteppiche.

Immer wieder spiegelt sich die Innen- in der Außenwelt, die beiden kontrastieren einander, ergänzen sich, finden sich im steten Abtausch, wie Ebbe und Flut, Sturm und Windstille.

Farben treten hervor, allem voran Grün, das beruhigende Grün dieser Architektur.

Petra Ganglbauer