Helwig Brunner: Denkmal für Schnee

Gedichte

Neue Lyrik aus Österreich, Band 10
Berger Verlag, Horn 2015

Brunner_DenkmalBereits der Titel verrät den großen bildlichen Aktionskreis der Gedichte im vorliegenden Band – und unwillkürlich assoziiert man „Schneepart“ von Paul Celan.

Eigenartig unfassbar und fragil muten viele der formal streng komponierten Texte an, ausgespannt zwischen Raum, Zeit und dem Unwägbaren, obgleich sie den Bezug zur Realität nie außer Acht lassen:
„…Wenn es dann schneit, / wird alles noch einmal dir gleich wollen“. Einige der Gedichte unterscheiden sich von den meisten anderen durch die Insistenz ihres Rhythmus: „Feuer gibt es“ oder „Wie es klingt, wenn du gehst,“ – Gedichte, deren Sogwirkung man sich nur schwer entziehen kann.

Humorvoll und doch sehr konkret zeigen sich andere Beispiele, wie „Kleiner Bericht des Poeta doctus“ etwa.
Brunner manifestiert zudem die Rückbindung an Philosophie, Literatur/geschichte oder Topografie. Ein weit ausholender Geist ist hier am Werk!

Souverän und avanciert also zeigt sich auch die jüngste Veröffentlichung des erfahrenen Lyrikers.

Petra Ganglbauer

Gerhard Jaschke: Kurumba oder Die nicht geschriebenen Sätze

Sonderzahl Verlag
Wien 2014

Die Versammlung der literarischen Glanzlichter, ein Tango der Sprache, zahlreiche literarische Methoden, die Zusammenschau von Medienwirklichkeit und ganz persönlicher Lebensbetrachtung finden sich in diesem wieder so gelungenen Buch des österreichischen Autors und Editors.

Gerhard Jaschke verwebt quasi multidimensional Innen- und Außenwelt, spendiert Bonmots und Aphoristisches, Zitate, Sprachspiel und fundamental Subjektives in diesem Werk, das so reich an gedanklichen Exkursen, politischer Positionierung und Kunstsinn ist!

Mittendrin finden wir, die Lesenden, uns als Angesprochene und Zeugen dieses komplexen Wirklichkeitsverständnisses.

Ein stilles, hoch sensibles Ich artikuliert sich zudem immer wieder zwischen den lauten, bewusst überhöhten und bisweilen auch schrillen oder lakonischen Gesellschaftsexkursen.

Sehr ansprechend!

Petra Ganglbauer

Rudolf Kraus: tausend tode könnt ich sterben

Verlagshaus Hernals
Wien 2014

Expressive, dreiste, lakonische, lebensphilosophische Gedichte sind das, im existenziellen Spannungsfeld zwischen Leben und Tod angelegt, mit allem, was sich da so dazwischen abspielt.

Sensible Sequenzen (abendrot, mit unseren tränen z.B.) tauschen sich mit lakonischen ab (das perfekte gedicht) – dazwischen etwa findet sich eine Serie mit fragil angelegten Haikus.

Erdenschwere, auch Todesschwere (siehe Cover!), Lebensgewicht, Traurigkeit aber auch Erheiterung, Erinnerung am Tollkühnes färben diese Gedichte, die teilweise noch aus den Achtzigern stammen, mit dem unterschiedlichsten Gefühlsregungen ein.
Was ihnen gemeinsam ist, ist ihre Kürze und wie Armin Baumgartner in seinem Nachwort schreibt – : „…ich will lieben und weinen und staunen und schmunzeln, will mich wundern können, will sterben und leben.“
Baumgartner antwortet auf die fiktive Frage, welche Eigenschaften eines Texte ihn faszinieren würden. Und er beendet sein Nachwort dergestalt: „Die Antwort findet sich auch in diesem Buch.“

Ich schließe mich gerne an.

Petra Ganglbauer

Bernd Schuchter: Föhntage

Braumüller Verlag
Wien 2014

Zart, wie hinter einem Schleier oder einer Glasscheibe, mit pastellener, sensibler und leiser Sprache kommt dieser Roman auf die Lesenden zu. Achtsam geht er mit einer Kindheit in Innsbruck um, jener des jungen Lukas sowie anhand dieser Kindheit mit den beispielgebenden sozialen Konstituenten etwa eines Jahrzehnts zunächst, einer Zeit, in der man im Sommer an die Adria fuhr oder Super8 Familien-Urlaubsfilme drehte bzw. Schillinge in Lire umtauschen musste. Bis hierhin bietet er eine lebendige Identifikationsebene auch für jene, die nicht in Innsbruck sondern anderswo in Österreich zu jener Zeit ihre Kindheit verbrachten.

Zugleich entwirft Bernd Schuchter jedoch ein gesellschaftliches Setting, indem er die Wohn-Architektur jener Zeit, den gesellschaftspolitischen Zugang und insbesondere die Historie des Südtirol Konflikts anhand der Erinnerungen des alten Lahner, den Lukas immer wieder aufsucht und auf Spaziergängen begleitet, aufrollt; und Lukas „hängt“ förmlich „an den Lippen“ des alten Mannes, wenn dieser seine Lebensgeschichte erzählt.

Zudem und der Vollständigkeit halber lernen wir Giuseppe Monte kennen, einen Mann, der sich nicht allzu gerne an seine frühen Jahre als Carabinieri erinnert, die ihn wesentlich als Täter ausmachen; er erfährt jedoch schließlich eine gewisse Läuterung.

Ohne grelle Inszenierungsversuche sowie äußerst authentisch schildert Bernd Schuchter anhand dieser sehr persönlichen Lebensgeschichten politische und gesellschaftliche Zusammenhänge – und der bereits zitierte sanfte Duktus des Romans bewirkt, dass man ihn gerne und mit wirklichem Interesse liest.

Petra Ganglbauer

Petra Ganglbauer: Augentexte

Edition Taschenspiel
Verlag beim Augarten, Wien 2014

Annähernd vierzig Textbilder liefert Petra Ganglbauer in ihrem schmalen Band „Augentexte“ im Abschnitt „Vereiste Poesie“. Mimik, minimalste Bewegung, Zögern, Unausgesprochenes, Schweigen, in Blicken, in Gesten auffindbar, Einsamkeiten und gekippte Hoffnungen, auf Kriegsbildern, auf inszenierten und nicht inszenierten Kriegsfotos in den Medien präsentiert, werden von der Autorin, die auch als Medienproduzentin und -kritikerin tätig ist, reflektiert.
Mit dem zweiten Teil des kleinen Bändchens „Suchbewegung“ legt Petra Ganglbauer Aufrisse vor: Aufrisse nicht nur von Seelenleben oder Innenansichten von/eines Menschen, sondern auch Aufrisse einer sich darbietenden bildverschiebenden Gesellschaft: Berührungen, seien es unsere Augen, seien es die Eindringlichkeiten von Stimmen, Stimmungen, werden verstärkt, in die Länge gezogen, um dann in Brüche zu gehen, an nichts zu erinnern, von niemanden erinnert zu werden. Ereignisverschweigungen und Sprachlosigkeiten. Wie unabgeschlossen die Geschichte, die eigene und fremde tatsächlich ist, evozieren die Doppelpunkte in ihrer kataphorischen Setzung nach jedem Absatz: Die Autorin überlässt die Lesenden in ihrer jeweils aufgebauten Erwartungshaltung der eigenen Verantwortlichkeit. Eine Leerstelle, die bereits in Sekundenbruchteilen neue Bilder entstehen lässt.
Augentexte ist all jenen empfohlen, welche die Augen nicht verschließen, jenen, die sich mit angeblichen Tatsachen nicht abfinden.

Erika Kronabitter

Mike Markart: Der dunkle Bellaviri

Roman

Edition Keiper
Graz 2013

markart_bellaviriWie in seinen bisherigen Büchern unternimmt Mike Markart auch diesmal die mutige und riskante Gratwanderung an der Schnittstelle zwischen Identitäten und deren Brüchen, Rollen und deren Zerfall, Tag und Nachtbewusstsein und inszeniert auf diese Weise einen Roman, in dem die Figur(en) multipel angelegt (ist) sind. Der Erzähler erzählt dem (Findelkind) Garetti sein Leben. Dieses wiederum evoziert das Erscheinen Bellaviris.

Innenschau, absonderliche Empfindungen und Verstörungen sind kennzeichnende Merkmale der Bücher des steirischen Autors, der in diesem Roman – wie auch schon zuvor – Italien mit all seinen (Empfindungs)räumen heranzieht, indem der Erzähler mit Phantasiegestalten umzugehen sucht, obgleich er sie loswerden möchte. Er komponiert schließlich Geschichten, die diese eigenartigen Gestalten auflösen.
Ein komplexes, literarisches Unterfangen!

Der Duktus in Mike Markarts Büchern ist ein äußerst konsequenter, die „strange“ Gefühlsqualität spiegelnder, (analog zu den Gefühlsakkumulationen) stark rhythmisierter, der die Eindinglichkeit der Empfindungen noch manifester macht.

Ein von Seelen(an)spannung erzählendes, empfehlenswertes Buch!

Petra Ganglbauer

Andrea Zámbori: HERZBAU

Edition CH
Wien 2014

Das Buch als Kontaktaufnahme, als Verständigungsmittel, als Angebot für eine Korrespondenz: so ist der vorliegende, trefflich bildnerisch umgesetzte Band Andrea Zámboris zu verstehen. Er öffnet das Herz und eröffnet die Kommunikation mittels Wort und Bild!

Eine literarisch und künstlerisch umgesetzte Form jener kleinen Büchlein, die wir gerne auf dem Nachtkästchen liegen haben, ist das – ein Wegbegleiter!
Das vorliegende Buch steckt voll liebevoller Aufforderungen: „spring eventuell in einen großen sockenberg hinein.“

Von Günter Vallaster, dem Verleger des Bandes, wissen wir, dass er immer wieder Motive verschiedenster Publikationen aufgreift und vernetzt: der Sockenberg in realiter war Gegenstand einer Lesung, die Blätter des Zeitbaums, ein weiteres Motiv, finden sich auf einer Einladung!

Ein schönes Buch!

Petra Ganglbauer

Margret Kreidl: Einfache Erklärung

Alphabet der Träume

Edition Korrespondenzen
Wien 2014

Dieses Mal: Träume.
Rund 360 Traumtexte, alphabetisch geordnet. Jeder Traum hat eine Überschrift und eine „Einfache Erklärung“.
In dieser strengen formalen Ordnung spielt sich‘s ab: Kuchenessen, Krebsgeschwüre, spritzende Milch aus Kuheutern, der Tahrir-Platz, bunte Blumen, Spinat, verfilzte Haare, Thalgau, Kofler, Nagellack, Snowden, ägyptische Ratten, saftige Schwänze, Graz, Rühm, Buchstaben, Kilic, japanische Flüche, Gretchenprosa, Gezi Park, I-Künstler.
Geträumt wird in der Gegenwart der Autorin.

Margret Kreidl greift um sich: In ihr „Traumtagebuch“, in ihre Notate, in ihre Traumdeutungslexika; Sigmund Freud wird herangezogen, tradierte Traumdeutungen, triviale Traumdeutungsratgeber. Lapidar, lakonisch, komisch, aberwitzig, skurril, beklemmend: Die einfachen Erklärungen.

Die Traumtexte in Prosa, Dialogen, Listen, Gedichtform, Fragmentarischem, bis hin zu nur einem Wort sind fein gesponnen, scharf ziseliert. Große Würfe, herangezoomte Mikrokosmen.

Traumtitel, Text, einfache Erklärung stehen nebeneinander, suggerieren Kausalität.
Die Träumerin ist nicht zu stören, die Leserin kommt den Träumen nicht aus.
Eine gelungene Untersuchung der Bandbreite der Traumdeutung.
Ich habe dieses Buch bis zum Ende gelesen, fertig bin ich nicht.
„Einfache Erklärung: Fragen halten uns wach.“

Hannah Sideris

Lucas Cejpek: Unterbrechung. Burn Gretchen.

Sonderzahl Verlag
Wien 2014

cejpek_unterbrechungLücken, Freiräume, weiße Stellen oder auch Pausen im Realen wie in der Literatur sind Inszenierungselemente im jüngsten Buch von Lucas Cejpek.

Wie seine vorangegangenen Werke, setzt sich auch dieses, konzeptuell angelegt aus Modulen, Versatzstücken und Montagesprengseln – allesamt aus dem großen Weltenfundus – zusammen. Intertextualität, Bezüge zu fast allen Wissensbereichen wirken herein, Verweise also, Zitate, Listen, Aufschriften: im Zentrum die Unterbrechung.
Der spielerische und wahrnehmungstechnische Zugang ist evident.

Unterbrechung impliziert stets auch Entwicklung; insofern ist das vorliegende Buch ein Buch in und der Bewegung. Es ist zudem Stellvertreter für eine Arbeits- und Lebenshaltung, für eine Zusammenschau philosophischer, literarischer oder auch lebenstechnischer Art, denn in diesem Buch wirken auch essentielle Erfahrungen des Autors selbst, unausgesprochen wie ausgesprochen.

„Burn Gretchen“ ist ein nicht ganz exaktes Anagramm von „Unterbrechung“, – Gretchenvariationen also auch ­– kulturhistorisch gesehen.

Dieses Buch ist eine spannende Herausforderung für die Leserschaft!

Petra Ganglbauer

Günter Vallaster, Hrsg.: RÄUME FÜR NOTIZEN

edition ch
Wien 2014

Der Herausgeber und Autor Günter Vallaster, legt seit langem trans- und intermediale Fährten in der (nicht nur) österreichischen Literatur- und Kunstlandschaft. Einmal mehr ästhetische und gattungsspezifische Sprengkraft enthält das jüngste Elaborat in der edition ch, der Band Nummer 8 des „Raum(s) für Notizen“.

Ausnehmend schön ist dieses Buch geworden, das den Raum für Notate, Transgressionen, Intermediales mittels Andockstellen freihält und somit eine ursächliche, eine grundsätzliche Potentialität eröffnet.

Dementsprechend vielgestaltig wiewohl konsequent wurde die Auswahl der Beiträge getroffen um eine überzeugende Zusammenschau, eine Aufbereitung und Aufarbeitung zeitgenössischer Tendenzen auf Zeit festzumachen.
Vom Essay bis zur visuellen Poesie findet sich in diesem Buch so manches, das jene Nischen besiedelt, die zwischen den scheinbar finalisierten Kunst-Produkten entstehen. Das Dazwischen ist die Essenz dieser Arbeiten, es leuchtet, ist aufgeladen, zündelt, ist poetischer Kern.

Beiträge von u.a. Erika Kronabitter, Herbert J. Wimmer, Juliana V. Kaminskaja, Thomas Havlik, Christian „Yeti“ Beirer.

Sehr empfehlenswert; mit einem konzisen, informativen Vorwort ausgestattet!

Petra Ganglbauer