Manfred Chobot: Mich piekst ein Ameisenbär

Weltgeschichten

Löcker Verlag
Wien 2013

Voll von trockenem Humor sind die „Weltgeschichten“ von Manfred Chobot.

Sie spiegeln auf gekonnt ironische und bewusst unaufdringliche Art den in Teilen schelmischen Blick auf menschliche Unzulänglichkeiten und Eigenheiten und sind zugleich eine treffende „Analyse“ der Auswüchse des Spätkapitalismus, der Bürokratie und des Medienzeitalters.

Unterhaltsam, humorvoll und spannend sind diese lakonisch erzählten lebensnahen Begebenheiten und Ereignisse, die ziemlich explizit, manchmal auch überhöht zutiefst menschlichen Schwächen aufdecken; ganz gleich, ob es sich nun um Geschichten, die infolge einer unterbrochenen Telefonleitung nicht fertig erzählt werden können, Zufallsbegegnungen, die eine eigenwillige Wende nehmen oder höchst seltsame Reisende handelt.

Ein in seinem Duktus typisches Chobot-Buch! Empfehlenswerte Erzählungen!

Petra Ganglbauer

Johannes Tröndle: Urgroßvater, Das Zeitmesser

Audio CDs

Audiobeans
Wien 2013

Starke atmosphärische Aufladungen schaffen die beiden Hörspiele Johannes Tröndles, die in relativ kurzer Zeit nacheinander erschienen sind. Beiden gemeinsam sind die Themenbereiche Fremdbestimmung und Manipulation manchmal bis hin zur Gewalt, zur Auslöschung.

„Urgroßvater“ ist ein Stück, das einem einmal als Text, dann wieder als Gesang begegnet, – dies bewirkt die Stimmführung des Autors, der den Text gezielt mit Retardierungen, Tönungen und Akzenten liest; überdies kommen sparsam und wirkungsvoll Geräusche und Klänge zum Einsatz, die mit dem Inhalt des Hörspiels interagieren, diesen aber nie überlagern.
Das Echo totalitärer Strukturen und des Machtmissbrauchs findet sich in der familiären Struktur, in Settings und Sequenzen des Alltags; Deutschtümelei färbt die Landschaft, die Tiere, die Gesten der Menschen mit Gewalt und schwappt schließlich – modifiziert und dennoch analog – als massenmedialer Einschnitt auf ganze Terrains über. Dazwischen findet sich der Bub, der das Dräuen, das Lauernde einer reaktionären und brachialen Gefahr nicht wirklich verarbeiten kann und diesem seelisch ausgesetzt ist.

Das auf mehrere Stimmen verteilte Hörspiel „Das Zeitmesser“ reißt in Schnitten, Sequenzen Etappen des Kindseins an und Zeitfenster auf.

Die Familie ist klein und lebt in einem Holzhaus. Tröndle schafft mit einfachen Methoden Kulissen und Settings und erreicht damit, dass die Hörerin, der Hörer sich unmittelbar im Raum des Erzählten findet.
Ganz nahe an das Kind rücken die Phrasen der Einflüsterer, die Ge- und Verbote, die Aufforderungen an das Kind, den Buben, der sich manchmal verloren aber stets rückgebunden an die eigene Phantasie in sich selbst zurückzieht und dergestalt kleine „Abzweigungen“ nimmt. Zwischen Erinnerung, Traum- und Realität sind die einzelnen Abschnitte angelegt; und einmal – das Kind ist krank – scheint es die Zeit verloren zu haben, hat es die Zeit verloren.

Beide Hörspiele sind politisch und setzen dort an, wo das Grauen beginnt.
Empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Ilse Kilic: Wie der Kummer in die Welt kam

Ritter Verlag
Klagenfurt-Graz 2013

Das Interagieren von Autorin und Romanfigur sowie die Reflexion über das Komponieren von Romanen insgesamt stehen im Mittelpunkt dieses sinnlichen und ansprechenden, mit zahlreichen Zeichnungen der Autorin und weiterem dokumentarischem Bildmaterial ausgestatteten Buchs.

Figuren werden von Werk zu Werk ab und an wiederverwertet, das wird offensichtlich; oder sie finden sich von selbst ein, entwickeln ein Eigenleben, verweigern sich jedoch allenthalben auch ihrer Einbindung.
Soviel wird in dem für die theoretische Auseinandersetzung mit dem Entstehungsprozess von Romanen vorliegendem exemplarischen Werk, das die Figur Ria Monika Glomp (sie hatte bereits mehrere Auftritte im Werk von Ilse Kilic) einleitet – und welches wie ein Buch im Buch anmutet –, evident.
Rund um ein mysteriöses Paket werden spannende erzählerische Exkurse unternommen…Thrill garantiert!

Ilse Kilic versteht es, Literatur- und Schreibtheorie auf lockere, anspruchsvolle und unterhaltsame Art zu beleuchten. Text-Variationen und Genrezugänge werden durchgespielt: Enzyklopädisches, Briefe, Zitate von anderen Autor/inn/en, Textanalysen klingen an.
Ein spannendes Kapitel Schreibforschung ist dieses Buch zudem, ein Buch mit Seltenheitswert, das sich inhaltlich freilich in die Publikationen der Autorin aus den letzten Jahren gut einreihen lässt.

Petra Ganglbauer

Gerhard Jaschke: Allerweltsgedichte

Art Science
St. Wolfgang 2013

Weltausschnitt, Zeitenlauf und Seelenspiegel verkörpern die vorliegenden Gedichte des Autors, Herausgebers und langjährigen Literaturdozenten Gerhard Jaschke – schnittige, dynamische Anläufe voll (Selbst)Ironie und Sprachspiel. Klingende, lautmalerische Kürzesttexte ebenso wie nachhaltig schwingende Abgesänge, die in Memoriam einiger Autor/inn/en entstanden sind, finden sich darunter.

Und ist es nicht so, dass das Humorvolle neben der Trauer, das Subtile, Sensible neben dem Deftigen, Heftigen seinen Platz haben darf im Leben? Insofern ist das Buch auch Trost, Bestärkung und Rückversicherung für die Leserinnen und Leser!

Der erfrischend grüne (!) Band ist in Kapitel geteilt, die mit „Zugpferde“, „Erinnerungsgedichte“ oder auch „Sonntagsgedichte“ überschrieben sind und für sich bereits ein Klima des jeweiligen Kapitels erzeugen.
Zudem ist das Buch mit trefflichen Zeichnungen des Autors versehen!

Ein Genuss!

Petra Ganglbauer

Irene Suchy: Litanei gottloser Gebete

Gedichte

Bibliothek der Provinz
Wien 2013

Wenn das Leben durch den Filter der Sprache noch einmal und einmal mehr und heftiger in all seiner Unausweichlichkeit und Schärfe, in seiner Erbarmungslosigkeit offenbar wird wie im vorliegenden Buch, dann packt solch ein „Buch als Leben“ auf exzessive und explizite Weise ebenso die Leserin, den Leser.

Irene Suchy beleuchtet in ihrer – immer wieder auch an die Mutter adressierten – lyrischen Autobiografie Kindheit und Jugend und im Besonderen die Beziehung zu einer Frau, die nicht zärtlich sein konnte, deren Sprache vom Sollen und Müssen beherrscht war und die, indoktriniert von den in der Zeit des Nationalsozialismus üblichen Dogmata, ihre Kälte, innere Enge und Frustration vor allem an der Tochter abreagierte.
Spürbar und evident ist die grenzenlose Einsamkeit, die das Kind und später auch die erwachsene Frau durchmacht; eine Einsamkeit, die sich aus der unausgesetzten Auseinandersetzung mit einer Mutter, die dem Kind keinerlei Nähe, Unterstützung und Wärme zukommen lässt, speist.
Die Hoffnung auf das Gute jedoch blitzt da und dort ebenso auf: „Dass ich manchmal/ Gast sein darf auf dieser Welt“ oder „Eirene – dass der Name auch Liebe-voll besteht“.

Stark aufgeladene, atmosphärische Gedichte sind das; unwillkürlich drängt sich in diesem Zusammenhang einmal mehr Else Lasker-Schülers Bezeichnung für das Drama als „schreitende Lyrik“ auf.

Die Autorin zieht viele formale Register:
Listen, Modalverben, Komposita, serielle Imperative und Negationen oder auch optische Kunstgriffe wie die Rechtsbündigkeit mancher Texte kommen zum Einsatz.

Ein sehr persönliches, aufwühlendes Buch, das – auch durch die Schwarz-Weiß-Fotografien – ein wichtiges Zeitdokument und zugleich Milieustudie ist!

Petra Ganglbauer

Erika Kronabitter: Nora. X.

Limbus Verlag
Innsbruck 2013

Ebenso fragil wie berührend ist der Roman von Erika Kronabitter. Er verkörpert Teil drei einer Romantrilogie, deren Teile Mona Liza und Viktor dem nun vorliegenden Buch vorangingen.

Abgesehen davon, dass das neue Buch im Kern thematisch um Geschwister, die zunächst sehr unterschiedliche Wege gehen, um das Aufarbeiten und Erinnern einer Kindheit und das Spannungsfeld von Nähe und Distanz zum eigenen (Er)Leben oder auch um Neubeginn kreist, wendet die Autorin formal spannende Methoden an:
So gibt es immer wieder „lyrische Intros“, kursiv geschrieben, die etwas Dramatisches und Spannungsgeladenes an sich haben, die also inhaltliche Steigerungen aufweisen: Diese Sequenzen machen das seelisch Verschüttete mithin transparent.
(Hat nicht Else Lasker-Schüler vom Drama als „schreitende Lyrik“ gesprochen?!)

Zudem wechselt Erika Kronabitter den Erzähl-Duktus.
Da finden sich bedrohliche Satzraffungen “Anordnung. Drohend“ ebenso wie politische oder kulturhistorische Exkurse (in Spanien), Tagebuch(-ähnliche) Einträge und zahlreiche dialogische und szenische Sequenzen zwischen Nora und ihrem Bruder, die jeder für sich und gewissermaßen auch gemeinsam vor der Vergangenheit geflohen sind.

Jedoch am Ende öffnet sich eine Türe… Lesenswert!

Petra Ganglbauer

Eva Jancak: Paula Nebel

www.jancak.at
Wien 2013

Cover Beispielgebend für das Leben so mancher Frau ihrer Generation, muten Leben und letzte Tage im Dasein der Paula Nebel an.
Eva Jancak setzt ihrer Erzählung einen Passus voran, der impliziert, dass es sich inhaltlich dabei lediglich um Ähnlichkeiten mit der Realität handle. Die Figuren sind frei erfunden.

Erinnern wir uns: „Nebel“ ist die buchstäbliche Umkehrung von „Leben“. In beidem ist manches unscharf und gewissermaßen unaussprechlich. Im Leben selbst so manches auf Jahre verschüttet.

Kleinste Alltagsereignisse, Erinnerungen und Begebenheiten lassen die ehemalige Psychologin Paula Nebel noch einmal auf Personen aus ihrem Leben treffen.
Eva Jancak setzt jedoch auch – wie stets in ihrer Arbeit – auf höchst aktuelle gesellschaftspolitische Fakten, wie die Anhebung des Pensionsalters oder auf unausgesetzt aufzuarbeitende Tatsachen, wie die Geschehnisse am Ort des Grauens „Spiegelgrund“. Diese werden mit den kleinen alltagsspezifischen Ereignissen verknüpft.

Ein anregendes, jedoch unaufdringliches und gerade deshalb ansprechendes Buch!

Liesl Ujvary: Ein Schattenprogramm

Mit einem Nachwort von Ann Cotten

mitter verlag
Wels 2013

Wo setzt Fremdbestimmung ein? Wo Manipulation? Fernsteuerung?
Was ist öffentlich, was privat? Wodurch kommt einer (einem) das Recht auf Urheberschaft abhanden? Gemeint ist jene generelle Urheberschaft, die uns zu eigenverantwortlichen Individuen macht!
In ihrem aktuellen Buch kehrt die Autorin bezeichnenderweise typologische Strukturen der uns auferlegten Wirklichkeit hervor, zeigt die damit verbundenen (Neben)wirkungen auf den einzelnen Menschen auf, Wirkungen, die hart an die Grenze der Existenz gehen.
Phänomenlogisch und syntaktisch einmal mehr die Illusion einer Linearität oder auch Kontinuität in der Selbstwahrnehmung wie der Wahrnehmung von Wirklichkeit generell unterminierend, zeigt das Buch zahlreiche Brüche und Löcher, die sich zwischen den Menschen und in jedem von ihnen auftun: der Mensch registriert seine körperlichen und emotionalen Irritationen, beschreibt sie akribisch einer Maschine gleich, einen – vor einiger Zeit noch vorhandenen – eingebildeten Überblick über das Leben gibt es längst nicht mehr; jeder Satz, jeder Gedanke, jeder Ausspruch fällt – abgesondert von den übrigen – in einen Abgrund, der sich zwischen den Menschen, in der Sprache selbst also der Welt auftut. Fragmentierung.
Dies unterstreicht die different, nämlich handschriftlich gestaltete jeweils rechte Buchseite.
Die in diesem Buch angelegte Wahrnehmung lässt sich auf diese unsere sich selbst überholende Gesellschaft übertragen, deren Individuen bereits längst ihr induziertes Parallelleben führen!
Ein wichtiges Buch auf der Höhe der Zeit und darüber hinaus!

Petra Ganglbauer

Gertrude Maria Grossegger / Günter Egger: GRASFISCHEN TRAVOLOVKE

TEXTE UND BILDER

Bibliothek der Provinz
Weitra 2013

„Rückgebunden“ an den Raum der Musik vollzieht Gertrude Maria Grossegger poetische Setzungen und Markierungen in ihrem neuen Lyrikzyklus, indem dieser aus 13 Sätzen gebaut ist. Die knappen, aufgeladenen und zugleich durch die ihnen immanente Leere weithin schwingenden Sequenzen kreisen um (Garten)mystik und Innerseelisches, um Schmerz, der den Wesenheiten implementiert ist ebenso wie um Beziehungsfelder.
Die Sprache mutet mitunter wie Geflüster an, rhythmisierte, gewisperte Wirklichkeit, die an den Rändern von Sein und Nicht-Sein gesprochen wird. Manche der Verszeilen bestehen aus lediglich ein, zwei Worten – gerade dies macht die Textur so fragil, als ob sie ziseliert wäre oder als ob sie das Leben in seiner ganzen Verletzlichkeit spiegle.
Das Vegetabile zieht sich durch den Zyklus wie das Meer es tut – und auch der Stein verkörpert das ganze Gewicht des Lebens in diesem durch ausnehmend stimmige, weil nicht abbildende Bilder von Günter Egger ergänzte Werk.
Empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Elffriede: aufzeichnensysteme schrei zum hummel

eine art buch

Klever Verlag
Wien 2013

schrei zum hummelDie gesammelten Notizen, Skizzen, Fotos und Abbildungen, Listen, Gedichte, Notate wurzeln im Aufzeichnen und beseelen die Dinge des Alltags und des Lebens generell – sie werden zu „exerzitien“, zu „ingredienzien“ – das vorliegende Buch ist Extrakt eines unausgesetzten Rituals.

Da finden sich Spickzettel mit Überschreibungen, Fehldrucke, Serielles, Rechnungen etwa – wir hätten also Bild und Schrift! Aber die Künstlerin und Autorin erweitert ihre Arbeit um noch eine Dimension: wir hören (!) die Schrift, vielmehr den Schreibvorgang samt Werkzeug: die „feder“ „knackt“ oder „quietscht“ heißt es da. Diese Anmerkungen erinnern an Regieanweisungen. Damit hätten wir also gleich noch eine Gattung!

Die Form-, Gattungs- oder auch Material-Ansätze verschränken und überlappen sich, sie werden zu einem offenen System, zu einem oszillierenden Stück Schreibforschung!

Petra Ganglbauer