Klaus Ebner: Dort und anderswo

Essays

Mitter Verlag
Wels 2011

Klaus Ebner unternimmt einen großen Exkurs in seinem Essayband, dessen Themen vom künstlerisch-schöpferischen Prozess des Übersetzens (DIE KUNST IST DER ANFANG) bis hin zu sagenhaften mythologischen, mythospoetischen Bezügen (VON DER LEGENDE ZUR MODERNITÄT) reichen.

Der Autor durchmisst Gegenwart und Geschichte gleichermaßen präzise, seine Essays sind voll kulinarischer Details, selbst das Bekannte gewinnt in diesen, mit der ganzen Welten-Fülle ausgestatteten Texten an Lebenskraft, etwa die Markt-Passage in dem Essay DIE STADT UND DAS MEER.

Ebner ist ein „Poeta doctus“; er ist mehrerer Sprachen kundig.
Er würzt das zahlreich Faktische leichtfüßig mit detaillierten persönlichen Erlebnissen.

Der topografische Radius ist weit gefasst, sein besonderes Augenmerk legt der Autor jedoch auf die katalanischen Länder, zu welchen er eine besondere Beziehung hat.

Petra Ganglbauer

Gregor M. Lepka: An der Zeit vorbei

Mitter Verlag
Wels 2011

Der Gestus, den Gregor M. Lepka in vielen seiner Gedichte anwendet, ist vergleichbar mit einer in den Raum der Poesie transferierten „tangentialen Abbiegung“.

Der Lyriker, zu dessen besonderem Geburtstag auch ein Podium-Porträt erschienen ist, peilt in Zeilen wie „Wenig nur über dem See“, „An der Zeit vorbei“, „Schon ausgezogen“, „Gedacht, über die Dinge nachgedacht“ im 1. Teil seines Buches jenen schmalen Grat an, auf dem der Welten-Wandelnde die Dinge nicht mehr ins Visier nimmt, nicht abbildet, nicht zu besitzen sucht.
In vielen dieser Gedichte artikuliert sich das Unwägbare, das Dazwischen, das Fragile, Namenlose.

Im Lauf des Buches jedoch, vornehmlich in Teil 2, der auch mit zahlreichen Hommagen ausgestattet ist, die auf den poetischen oder vielmehr topografischen Kontext des Autors schließen lassen, findet die Gedankenlyrik ihre Rückbindung im Materiellen, wird greifbarer auch: „ÜBER DEN HÜGEL HINAUS“; „DIE SPRACHE“. Dennoch umspannen auch diese Texte das Unfassbare, suchen ihm Markierungen abzuringen. Letztlich geht es um die Existenz schlechthin und die Parameter Raum und Zeit fungieren dabei als weit gefasste Gratmesser.

Teil 3 versammelt „Reaktionsgedichte“, verstärkende Notationen zu Zitaten von Elazar Benyoetz.

Petra Ganglbauer

Petra Ganglbauer: Permafrost

Prosa

mitter verlag
Wels 2011

Zum ersten Teil des Buches, DIE RÜCKSEITE:

Die irdische Zivilisation pflanzt sich wie ein Krebsgeschwür weiter fort, das Geschäft geht weiter, und alles kann im Cyberraum erlebt und simuliert werden; wir selbst sind vielleicht nur eine Simulation – und der Untergang wird probeweise und widersprüchlich ins Bewusstsein gespült: Fragmente einer Katastrophe, über weite Strecken ein flackerndes Bewusstsein und eine merkwürdige Blase der Sicherheit, in der es keine Krankheiten, keine Feinde, keinen endgültigen Verlust gibt, sondern den Widerschein des Schreckens. Es gibt hier kein Gefühl von Rettung; vielmehr das Empfinden, dass die Apokalypse jederzeit durch die geschlossene Tür hindurch ins Haus dringt, gefiltert zwar, Widerspiegelung einer Widerspiegelung. Wer ist der „Master oft Desaster“? Vielleicht ist es Plato, der die Täuschung vernichtet, indem er in der trostlosen Höhle das Licht anknipst. Vielleicht aber sind wir Teil einer unbekannten Sprache, deren Programmierung fehlgeleitet ist. Der Text scheint ein Umlernprozess zu sein, streckenweise falsch oder gefälscht, eine vorläufige Abmachung. („Unser Text erweist sich als falsche Fährte“ S. 62).

Eben lese ich die Bücher von Maurice Blanchot und Jean-Luc Nancy über die „entwerkte Gemeinschaft“ und die „uneingestehbare Gemeinschaft“. Der vorliegende Text von Petra Ganglbauer buchstabiert die „Durchsprache“ (S. 58), aber nicht durch Nacht zum Licht führt der Weg, sondern durch Licht zur Nacht, wobei die Autorin punktgenaue Sätze findet („Wir sind andere Nöte. Andere Filme“). Der Text kündet mit seinem permanenten WIR davon, dass wir ein Schicksal haben, deshalb natürlich, weil das Desaster alle betrifft; die Gemeinschaft gibt es, aber es ist die Gemeinschaft derer, die von allen guten Geistern verlassen sind.

Zum zweiten Teil des Buches, DIE VORDERSEITE:

Vorderseite und Rückseite, das erinnert an eine Münze oder an ein Buch; das eine kann nicht ohne das andere sein. Als Leser habe ich das Gefühl, dass im 1. Teil das Blut stockt, im 2. Teil schießt es wieder ein, das Leben bekommt Farbe. Die Katastrophe übt Zwang aus, aber die Natur, die Sicherheit gibt, spendet die Freiheit, wahrzunehmen und die eigene Phantasie in Bewegung zu setzen. Das Ich (denn in der 1. Person sind diese Passagen geschrieben), schafft die Konsistenz, es leitet aus den Sinneswahrnehmungen eine innere Logik ab, die belebt. Das Wetter, die Berge, die gesamte Vegetation, Sonne und Mond, sie alle sprechen zu diesem Ich. In einem Ambiente von Fragen und Antworten keimt Hoffnung auf. Die Erzählerin hat sich in die Natur zurückgezogen. Angekündigt wird hier „…das täglich Kleine. Und Kind.“ (S. 77). Schon daraus lässt sich die Reduktion oder heilsame Regression ableiten, die hier vorherrschend ist. Das ist folgerichtig, denn nach der großen Zerstörung beginnt „das Menschlein“ (es ist im 1. Teil eingeführt worden) wieder von vorne, das Leben beginnt neu. Es ist das Staunen des Kindes UND des Erwachsenen, was einnehmend wirkt; jedenfalls hat es mich als Leser gebannt. Gibt es einen schöneren Satz als den? „Aber der Wald, und wenn er nur aus Bäumen besteht, ist die große Höhe der Seele.“ (S. 83). Perzeption und Apperzeption schaffen den Raum für die Seele, die Betrachterin der Welt stellt eine dialogische Beziehung her; nicht nur sie betrachtet die Welt, sie lässt sich von den Dingen betrachten und ansprechen. Manchmal wird die Natur anthropomorph gedeutet, man kann es als Erwachsenenspiel auffassen, oder als Teil einer heilsamen Regression. Das Hässliche, Abstoßende, Angst Machende, Bedrohliche, Unauflösliche hat hier keinen Platz; trotzdem sind die einzelnen Absätze keine Idyllen. Die Erzählerin ist als Person im Zentrum, ohne andere irgendwie zu verdrängen oder sich wichtig zu machen. Und es gibt die Andeutungen einer Beziehungsgeschichte; sie sind geheimnisvoll, sie sollen so bleiben, sie entstammen dem Geheimnis der Beziehung. Sicher hat die Autorin einen eigenen Zugang zu Wittgensteins Satz: „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Während im 1. Teil des Buches der Sprachverlust die Katastrophe anzeigt: „Die Sprache entgleitet, alles was ist, ist unverständlich.“- „Alles weg und verloren. Die Sätze, Gesichter der Sprache.“, ist im 2. Teil der Sprachverlust anderer Art: „Ich weiß nichts mehr zu benennen, weil alles ist wie es ist. / Mit den gelöschten Namen schwindet jegliches Vergessen. / Ist alles Existenz.“ Die Rede ist von einem erfüllten Schweigen.

„Permafrost“ ist also kein Bericht von Anfang und Ende, sondern umgekehrt, vom antizipierten Ende und einem immer möglichen Neubeginn.

Gerwalt Brandl

Fritz Widhalm: EIN BUCH

edition das fröhliche wohnzimmer
Wien 2011

Das neue Buch von Fritz Widhalm ist im wahrsten Sinn des Wortes ergreifend. Es packt zu, zieht uns hinein in den Lebenskreis, den ganz persönlichen Entwicklungskosmos des Autors.

Lesend werden wir zu Zeitzeugen seiner/ einer Generation, machen die Entwicklungen des Autors regelrecht mit und stürzen uns voll Enthusiasmus auf ein Stück Musik- oder auch Literaturgeschichte.
Buchtitel, Autor/inn/enkolleg/innen blitzen namentlich auf; Menschen aus dem nahen Umfeld des Autors, allen voran und sehr, sehr oft seine Lebensgefährtin Ilse Kilic, werden ausführlich einbezogen.

„ich schreibe ein buch.“, beginnt dieses Buch und somit sind wir mehr oder weniger auch Realtime-Zeugen.

Es ist, als ob Widhalm noch einmal und nachdrücklichst mit dem Finger, nein mit der Füllfeder, dem Bleistift oder der Tastatur auf spezifische Momente und Persönlichkeiten aus Kunst, Musik, Literatur oder auch Philosophie und Psychoanalyse verweist, um uns wach zu rütteln, damit wir tiefer gehen, weg von der Oberfläche einer vermeintlichen (eingebildeten) Jetztzeit.

Das Buch ist auch voll Glitter und Glamour. Und tja, süß ist das Buch und sahnig! Zum Anbeißen und Angreifen, zum Hören, zum Schauen.

Mit Fotos und Zeichnungen und einer Liste der Lieblingshits des Autors von 1956 bis 2005. Sehr empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Sabine Gruber: Stillbach oder die Sehnsucht

Roman

Verlag C.H.Beck
München 2011

Sabine Grubers neuer Roman erzielt seine besondere Qualität aus dem Zusammenwirken von Geschichtsaufarbeitung, historischem Bewusstsein und einer besonderen Atmosphäre – die vor allem dann wirksam wird, wenn die Autorin akribische Naturschilderungen einsetzt, um innerseelische Prozesse zu spiegeln.

Dazwischen werden historische und persönliche Ereignisse situativ, topografisch oder aber auch erinnernd festgehalten. Besonders erwähnenswert sind die aufgeladenen Bewusstseinswiedergaben. Sie muten bisweilen synästhetisch an.
Der Roman lässt auch zu, das sich die Zeiten miteinander verschränken, Gegenwart und Vergangenheit miteinander da und dort (wie) verschmelzen.

Dicht erzählt die Autorin über die Geschichte Südtirols, die Resistenza und den deutsch-italienischen Faschismus.
Die Romansequenzen werden ergänzt durch ein ausführliches Glossar, das auch jenen Leser/inne/n dienlich ist, die mit den angesprochenen Kapiteln der Geschichte und deren Protagonisten nicht so vertraut sind.

Es geht aber auch um Liebe, Enttäuschung, Unterdrückung in einem ganz persönlichen Rahmen: Stillbach, ein fiktionales Dorf in Tirol fungiert dabei als Ausgangsort. Emma geht 1938 nach Rom, um als Zimmermädchen in einem Hotel zu arbeiten; sie heiratet schließlich dort ein. Ines, ebenfalls aus Stillbach, die 1978 in demselben Hotel in den Ferien jobt, schreibt Jahre später deren Geschichte nieder. Parallel oder auch immanent wird auch das politische Geschehen in Rom 1944 und 1978 aus der Sicht Emmas und Ines‘ aufgezeigt.
Clara, auch aus Stillbach und nach dem Tod von Ines nach Rom gereist, um deren Nachlass zu ordnen, findet dieses Manuskript, welches im übrigen einen wesentlichen Teil in Sabine Grubers Roman ausmacht; also eine Geschichte in der Geschichte ist.

Ein empfehlenswertes Buch!

Petra Ganglbauer

Helmuth Schönauer: After Hofer

Illustrationen von Bertram Haid

Edition BAES
Innsbruck 2010

Das vorliegende Buch subsumiert viele der gesellschaftskritischen Stimmerhebungen, die der Autor konsequent seit Jahren einsetzt.

Der Sandl-Wirt Handy After Hofer, Handreas Hofer (nunmehr Handy Hofer oder Oasch Hofer) wird in ein bewusst verballhorntes, entfremdetes, pervertiertes Regional-Setting (nördlich von Meran) gestellt, umrahmt von den Insignien der spätkapitalistischen Gesellschaft.

Das lakonische Buch verschränkt die Residuen eines bereits verkommenen und abnormen politischen Bewusstseins mit den Auswüchsen von Artensterben, Tourismus, Showgeschäft, Leistungssportmanie, Totalitarismus usw.

Spannend der sprachreflexive Zugang, der dem Text etwas Skurriles mithin Abstraktes verleiht.
Wo die Sprache – auf Zeit – aufhört, setzen die Illustrationen an; beide, Text und Bild, passen kongenial zueinander.

Petra Ganglbauer

Andreas Unterweger: Du bist mein Meer

Novelle

Droschl Verlag
Graz 2010

Es beginnt alles mit dem Verlust eines Fotoapparats.
Dann folgt ein subtiles Spiel mit Innen- und Außenwahrnehmung, ein Schwenk der Zeiten; zwischen Involviertheit und kühler Distanz bewegen sich die Skizzen, Bildeinstellungen Andreas Unterwegers.
Seine Sprache, schmale Zeilen, unprätentiös und dennoch knisternd, Spannung erzeugend, lokalisiert sich zwischen den Ereignissen, dem Tun, dem Leben also und externen Einwürfen: Regieanweisungen.

Die ruhige poetische Kameraführung gestattet, dass trotz der vielen Wahrnehmungsswitches jede Gedanken- oder Bildeinstellung nachvollziehbar und miterlebbar wird.

Diese Arbeit lebt von der eigenwilligen Zusammenschau aus Ruhe und einer Art Dauerbewegung. Das Buch als Film.

Alles inszeniert sich zwischen den Zeilen, die wenigen Sätze setzen Akzente, die Leere dazwischen spricht und erzählt von der Liebe, auch von dieser.

Petra Ganglbauer

Christian Steinbacher: Winkschaden, abgesetzt

Gedichte und Stimmen

Czernin Verlag
Wien 2011

Aufreizend, tirilierend, ironisierend, – die Stimmführungen im neuen Buch von Christian Steinbacher umfassen diese Qualitäten und noch viel mehr.

Die Gedichte / Stimmen erzeugen ornamentale, irrwitzige, verstiegene, organische oder aber auch höchst artifizielle Blickfänge. Was da alles einverleibt und anverwandelt wird, lässt den Schluss zu, das im Alltag – dem allzu Menschlichen mithin – ebenso viel Zauberhaftes, Poetisches auszumachen ist wie in anderen, weit gefaßteren Kontexten.

Steinbachers Texte prägen sich exzessiv und durchaus lautstark – manchmal wie Posaunentöne – ein.
Es sind komplexe Gedankengebäude, die mittels Sprachspiel und poetischer Fertigkeit, den Ernst des Lebens und wohl auch dessen Unumgänglichkeit verkünden.

Petra Ganglbauer

Thomas Havlik: das auto voller wasser

Audio CD

edition zeitzoo, www.zeitzoo.at
Wien 2011

Dinge, Tiere, Maschinen, – die Elemente und deren akustische Abdrücke.
Die Arbeiten Thomas Havliks sind präzise Setzungen, die das Wabern und Murmeln, das Brodeln unter der Oberfläche der Wahrnehmung spürbar machen.

Es ist, als ob sich das Subjekt zurückzöge, auf einen entlegenen Aussichtspunkt und von dort aus den Stimmen ihren Lauf ließe. Es gibt diese Erzählinstanz gewiss, jedoch inszeniert sie sich nicht.

Die chorischen Vokal-Elemente muten wie Rückversicherungen, Verstärkungen dessen an, was Gegenstand der Tiefgänge ist. So stellt sich das Subjekt in den Dienst von allem.

„Aufgeackert“ in der Tat ist Havliks Sprache; sie wird angebrochen angedacht, ist voll von poetischer Aufladung.

Eine originelle, empfehlenswerte Audio-Arbeit.

Petra Ganglbauer

Manfred Chobot: Der Tag beginnt in der Nacht

Eine Erzählung in Träumen

Sonderzahl Verlag
Wien 2011

cover_chobot_sonderzahlDas neue Buch von Manfred Chobot steckt voll überraschender Wendungen. Die jedoch sind so geschickt inszeniert, dass man als Leser/in die Switches kaum oder gar nicht registriert.

Das Buch fokussiert die Traumwirklichkeit wie den Wachzustand und ist gespickt mit detailfreudigen Ereignissen, topografischen und kontextuellen Exkursen. Darüber hinaus ist es humorvoll.
Das Besondere aber – im Gegensatz zu anderen Traumprotokollen und ähnlichem – ist, dass es gewissermaßen die Bewusstseinbewegung wie einen großen Strom nachzeichnet, einen Strom, der einerseits voll Wirbel und Stromschnellen steckt, andererseits aber den Ich-Erzähler und uns, die Lesenden, quasi mit sich zieht.

Ehe wir es begreifen, stecken wir mit dem Protagonisten und den zahlreichen anderen Personen mitten in einer Situation, einer Geste, einem Gespräch, einer Interaktion, die fest im Tagbewusstsein verankert scheint. Im selben Augenblick hat uns der Schlaf (Traum) – die Übergänge vom einen zum anderen sind fließend.
Die Unterscheidung fällt sichtlich schwer. Die Erzählung mutet äußerst suggestiv an.

Ein Buch, das Tagbewusstsein und Traumbewusstsein gewissermaßen zeitgleich zu erfassen sucht. Sehr gelungen!

Petra Ganglbauer