Alles irgendwie unter Verschluss. Das Toben bricht bisweilen durch die Oberfläche der Ereignisse und Befindlichkeiten und erzeugt Blasen oder zündelnde Sprache.
Und doch und dennoch:
Gleichsam immer noch versiegelt, eingerissen, eingezwängt muten die Selbst(ent)äußerungen des lyrischen Subjekts in diesen Gedichten an.
Weil soviel an Umwelt da ist, und somit auch Entfremdung; also Sprachzerteilung; also Gedankenbeschneidung.
Es ist dieses Hereinholen von Alltag und Gesellschaft und einer Verweigerung, einer deutlichen Abwehr dagegen, welche die Texte so interessant machen.
Kürzlich habe ich dieses Buch anlässlich eines Workshops zum Thema Übersetzen hervorgehoben:
Dies ist der dritte Band des dreiteiligen Werkes von Gerhard Ruiss, der sich herzhaft, voll sprachlicher Vitalität und – trotz aller sprachlicher Disziplin – gleichsam unverstellt auf die Spuren Oswald von Wolkensteins begeben hat.
Rhythmisch, musikalisch und lautmalerisch (etwa BERST, BRICH) muten die Lieder an, zeitgemäß sind sie und empfindungsmäßig durchaus nachvollziehbar, versteht es Ruiss doch hervorragend, die Sprache Wolkensteins so zu übersetzen, dass sie etwas Gültiges, Zeitloses erhält.
Man spürt, dass der Autor aufrichtige Freude an seiner Arbeit hatte.
Ansprechend gestaltet auch der Band, der Kopien von Liederhandschriften ebenso enthält wie die Originaltexte.
Petra Ganglbauer
Spannend und zugleich die Achtsamkeit des Betrachters/ der Betrachterin schulend, ist dieses Video, auf dem sich kurze und Kürzest-Sequenzen von „asemantic performance poetry“ finden.
Viele der Stücke kommen einem poetischen Ritual gleich: der Dichter, weit gereister Autor und verdienter Leiter der Schule für Dichtung in Wien, setzt gleichsam alles ein, was ihm gestisch, stimmlich, artikulatorisch, ganzkörperlich und vor allem feinstofflich zur Verfügung steht, um dort anzusetzen, wo die Sprache ihren Ursprung hat und um diese Tiefenschichten zu übersetzen.
Er kommuniziert bisweilen auf einer Ebene, die für viele von uns nur erahnbar ist, er zeichnet Spuren in die Luft, setzt Markierungen in den Raum. Verlangsamt, dann wieder beschleunigt oder Akzente setzend.
Bewundernswert die große Disziplin, die hinter diesen Performances, die die Arbeit Hintzes aus vielen Jahren und an vielen Orten (von Kuba bis in die österreichische Waldlandschaft) spiegeln, steckt.
Die Parameter für diese Arbeiten dürften etwa so lauten:
Bewusstsein, Achtsamkeit und poetische Souveränität.
Sehenswert!
Petra Ganglbauer
Es gibt neuerdings eine zeitgemäße und „andere“ Form, Mutterschaft zu literarisieren. Oder ungewollte Kinderlosigkeit. Oder Adoptivelterntum.
Und zwar so, dass sich neue Empfindungsräume oder auch „Körper“ weiblicher Sprache auftun.
Gertraud Klemm hat sich auf dieses sehr komplexe Unterfangen eingelassen. Sie zeichnet in ihren kurzen Prosastücken Wege des Schmerzes, verunmöglichte Mutterschaft, Spuren der Einsamkeit, der Isolation, der Abwehr, der Trauer, der Wut und schließlich Adoptivelternschaft nach.
Mittels immer neuer Anläufe, Annäherungen und formaler Zugänge (von Träumen bis zu Zeitungsmeldungen, von Listen bis zu Kommentaren) öffnet die Autorin einen Raum, der alles beinhaltet, was die Sehnsucht nach einem eigenen Kind, die Unmöglichkeit zu gebären, das innergesellschaftliche Ausgesetzt-Sein ausmacht.
Klemm ist – trotz gekonnter Sprachgestik – eine Aufdeckerin. Sie stellt vollkommen authentisch dar, was allzu oft verdeckt, verschwiegen wird.
Ihr Buch ist sozialkritisch und zugleich spannend und poetisch.
Besessenheit wohnt diesem Prosagedicht inne, einem Sprachstück, das nach bester Machart geschrieben ist und Körperrausch wie Seelengetöse vergegenwärtigt.
Es lässt jene Zeit- und Empfindungsqualitäten hervorragend zu Tage treten, die für die Lebenszeit wie auch die letzten Tage des großen und allzu früh verstorbenen Dichters Rimbaud bezeichnend waren. Eingeflochten sind auch die Spuren anderer Großer wie Verlaine, Pasolini, Shelley, Keats oder Hölderlin.
Enzinger gelingt es, mittels Sprachkunstgriffen wie Alliterationen, Assonanzen oder Apotheosen – um einige zu nennen – einen Irrlauf der Gefühle, aufgeladenes überbordendes Gedankenwerk zu inszenieren, bis zum Wahnerleben, und zugleich jene Schnittstellen zwischen Werden und Vergehen, einem letztem Aufflackern im Irdischen und der sich anbahnenden Transzendenz herzustellen.
Ein Buch, das sich nur gebannt lesen lässt, ein Sprachzug (Schachzug), dem man sich kaum entziehen kann.
Orge Georwell. Aufzeichnungen aus 2001 Nacht. Protokoll der laufenden Ereignisse.
Hrsg. Roland Ranach und Bruno Gitterle
EYE Verlag für die Literatur der Wenigerheiten
Landeck 2010
Nachdem George Orwell das 20. Jahrhundert schon 1948 zur Gänze beschrieben hatte, ist es nun hoch an der Zeit, das 21. unter die Lupe zu nehmen: Orge Georwell liefert uns nun Aus- und Einblicke in eine Zeit, die in „Achterl“, „Neunerl“, „Sekund“ und „Grad“ gemessen wird und in der die Menschen sich den Boden unter den Füßen schon sehr heiß gemacht haben. Ein dichtes, sprachlich opulentes Werk, ja ein Text-Raum-Schiff begegnet den LeserInnen da, in dem um die Anfangsinitialen der Kapitel die Blasen blubbern, eine Art Computerstimme aus dem Off mit Namen „automatische Textanalyse“ immer wieder Korrekturkommandos gibt und Ex-Nobelpreisträger John „Joe“ Downland die Stellung hält und Stellung bezieht zum aufhaltsamen Klimawandel und weiteren Katastrophen, die heute schon ständig unter den Teppich gekehrt werden, bis der Teppich einmal platzt.
„Arche 2“, so heißt sein Schiff und die Aufzeichnungen sind das seismographische Logbuch, keine Dorf-, sondern eine Global Village-Chronik, ein Tagebuch der letzten Tage, in dem unter anderem von Darwins langem Bart zu erfahren ist oder von Papst Theophil 2, der den heiligen Stuhl durch einen einfachen Sessel austauscht und der Brenner-Basistunnel als mehrröhriges Nord-Süd-Fließband präsentiert wird. „Begriffe wie Treibhauseffekt, saurer Regen oder Ozonloch scheinen aus dem Fachvokabular der Klimatologen verschwunden“, heißt es an einer Stelle und diesem Verschwinden(-lassen) der Wörter oder Ersetzen durch Behaglichkeit suggerierende wie global dimming bei gleichzeitig zunehmendem Auftauchen der Denotate wird nostradamisch seherisch und hintergründig humorig nach- und vorausgespürt.
Angereichert ist der Band mit Bildern von Claudia Dekassian, Siegbert Haas, G. Kuni, Gerald Kurdoğlu Nitsche, Alois Lang und Konny Ransbach, Kadir Nakipler, Erkan Nazlı, Christof Nitsche, Atila Özer, Gerd Pircher, Eva Maria Walch (Initialen, Vignetten) und Renate Weber (Scherenschnitte). Sie alle verleihen den Textflüssen adäquaten bildnerischen Ausdruck, wenn etwa der Müllberg als Bombe ins Bild gesetzt wird, die der Welt auf den Kopf fällt (Atila Özer) oder der Nordturm des Wiener Stephansdoms im Sinne interreligiöser Verständigung weitergebaut wird, nämlich als Minarett (Gerald Kurdoğlu Nitsche, Claudia Dekassian). Wem das Wort Klimawandel zu verhüllend ist und zu sehr nach Verwandlung und Veränderung vom Schlechteren zum Besseren klingt, ist bei diesem wunderbaren Buch mit an Bord – die anderen mögen an Bord kommen.
In Michaela Falkners rasanter Prosa geht es um Existenzielles; um Beziehungsmuster zwischen Frau und Mann, um ein atypisches und deshalb umso aufgeworfeneres, aufwühlendes Mutterprofil. Gefühle fahren Achterbahn, der Körper signalisiert permanent den Gefühlspegel der Protagonistin.
Die Sprache geht mit, oder besser, verursacht das alles, denn in dieser Literatur wird die Verschränkung von Inhalt und Form noch einmal überholt, hier wird Form zum Inhalt.
Zwischen Entsetzen, Niedertracht, Gewalt, Anbetung und anderen extremen Empfindungen setzt sich ab und an der Fortgang einer Geschichte, einer Versessenheit.
Der Textkörper verengt sich bisweilen, als ob er den psychischen Druck noch erhöhen wollte, und erzeugt Beklemmung.
Bezeichnend auch der insistierende Duktus, Rhythmus – ein (Oberflächen) spannendes Buch, dem man sich schwer entziehen kann.
In ihrem neuen Lyrikband unternimmt Petra Ganglbauer eine konsequente Reduktion von Sprache, ohne diese auszudünnen. Ihr Texte sind kurz, prägnant und gleichzeitig sehr poetisch, in den jeweils wenigen Zeilen eines Gedichts springt eine Bildfülle auf, ein kleiner Wortkosmos, ein in sich schlüssiges Bild, aus unerwarteten Wörtern geformt: „Immer schon in Gang dieses Andere/Bild-Re-velation/Weiße Variante/ (Der Krieg ist unerreichbar) aus Wasser oder Glas/ Oder Schalldämpfer: das Bild kippt und wird real.“ (S.67)
Jedes der Bilder ist real, jedes Wort trägt seine Bedeutung ohne Verfremdung, erhält seine Nobilität in seinem Kontext: „Das Wort wird in die Zeit gepackt,“ (S.23). Die Zusammenhänge ergeben sich nicht vordergründig, sondern resultieren aus poesievollen Splittern, mit denen Weltsicht vermittelt wird.
„Der Zusammenhang der Bilder/Reflektiert den Rest./Des Lichts.“ (S. 63) Es entsteht eine große Dichte, eine faszinierende Konzentration, in den wenigen Zeilen eines Gedichts findet sich nichts Überflüssiges, kein Füllwort, nur die kleine Nennung der Dinge, für die Petra Ganglbauer auch zu eigenwilligen Wortzusammenhängen., Wortschöpfungen greift, um eine größere Präzision, eine perfekte Reduktion zu erreichen. Sie schreibt von „wasserbegonnenen Bildern“, einem „Schockhimmel“, von „wildfarbenen Serpentin“, von “Pixelschnee“ und „Zitterwasser“, Wörter, die, als Beschreibung, für sich stehen könnten und die in ihrem Kontext eine zusätzliche Farbe, Sinnlichkeit erhalten.
Petra Ganglbauer baut auch Kurz-Passagen in anderen Sprachen ein, zitatartig, und sie arbeitet mit grafischen Mitteln (Wortabstände, Kursivschrift, Satzzeichen, Klammern) und intensiviert dadurch noch die Struktur ihrer Gedichte. Daß jedes dieser kurzen Gedichte nicht nur seine Seite, sondern auch die gegenüberliegende (weiße) Seite zur Verfügung hat, sei dem Verlag hoch angerechnet.
Die Wörter, Wort-Bilder in Petra Ganglbauers Gedichten ergänzen sich, bauen sich auf, wenden sich auch gegeneinander, überraschend, unerwartet, und doch werden nie Brüche gebildet, sondern es entsteht eine lyrische, ins sich geschlossen „Montage“. „Eine solche Montage!/Braucht nur wenige Striche:/Wasser, Landschaft, Auge./Into the direction of day.“ (S. 63)
Man könnte dieses Gedicht auch als eine Art Programm für diesen Band lesen, in dem die Autorin mit ihrem so bewussten Umgang mit Sprache, durch die Beschränkung jedes Gedichts auf wenige Zeilen, Raum für intensive Poesie schafft.
Ein kleines literarisches und visuelles Zeitdokument ist der vorliegende bibliophile Band mit Texten von Gerhard Jaschke und Offsetlithografien nach Fotos von Toni Kurz.
Das Buch lässt zwischen den Zeilen und von Bild zu Bild jene ganz eigene Atmosphäre durchscheinen, die so bezeichnend für „Buchmessenverhältnisse“ ist. Auch begegnen wir auf diesem Weg unter anderem noch einmal dem unvergesslichen Werner Herbst, einem/dem Weggefährten Gerhard Jaschkes.
Wie stets in seiner Arbeit, findet auch hier der sprachbewußte, vieldeutige Umgang mit Wörtern seinen Niederschlag, etwa an jener Stelle, bei der es um das glatte oder griffige „mailen“ geht.
Bezeichnend auch Widmungen und intertextuellen Bezüge, beispielsweise für und zu Gerhard Rühm oder Oskar Pastior; Dichter(-Namen), die zusätzliche Kontext- und Bedeutungsfelder eröffnen.
Gerhard Jaschkes Werk, diesmal in Form von literarischen Anrissen, Stücken gleich, die aus dem teigigen Getriebe der Frankfurter Buchmesse ausgestochen wurden.
Herzhaft lesens- und betrachtenswert!
Petra Ganglbauer
Den großen Aktionsradius des Dichters Manfred Chobot spiegelt dieses Buch, seinen unverstellten Zugang zu vielen Persönlichkeiten, mit denen er sich auseinandersetzte oder die er im Laufe seines Lebens traf.
Chobot wählt die Gattungen Essay und Interview, um sich mit den Spezifika Anderer (etwa des jüngst verstorbene Alfred Hrdlicka) auseinanderzusetzen. Schön etwa das sensible „Portrait“ des allzu früh verstorbenen Christian Loidl, einige exemplarische Lichter lässt Chobot da aufleuchten, Punkten oder Strichen auf einer Leinwand gleich, – sie vermögen uns in der Tat mehr zu erzählen als lange Abhandlungen.
Erwähnt sei u.a. auch das Gespräch mit Wolf Vostell über Fluxus – anregend und informativ. Oder aber auch sein Beitrag über drei Gugginger Künstler, ein hochspannender Beitrag.
In diesen Essays zeigt sich Chobot in seiner ganzen Authentizität, gerade das ist das Spannende an diesem Buch: dass es einerseits professionell geschrieben und andererseits gleichsam aus dem Leben gegriffen ist.
Besonders signifikant ist auch seine Beschäftigung mit „Vergessenen“ wie Arthur Holitscher. Das ist ihm hoch anzurechnen.