Margret Kreidl: Eine Schwalbe falten

Edition Korrespondenzen
Wien 2009

Von Einsamkeit erzählt dieses Buch, von der Einsamkeit des Kindes wie der erwachsenen Frau. Und von der Strategie des Unbewussten, das Leben erträglich zu machen. Es erzählt auch die Geschichte zweier Schwestern, wobei nicht klar wird, welche welche ist, die beiden spiegeln sich, tauschen einander ab und aus; es stellt sich die Frage, ob es sich bei beiden nicht doch um ein multiples Ich handelt.

Margret Kreidls Buch ist sehr ungewöhnlich: einerseits spricht es die genannten Themen an, andererseits stößt es sich immer wieder davon ab, indem es sich ganz auf die Form (das Regelwerk) besinnt, sich vorhandener sprachlicher Schienen bedient, die Rhythmus und Melodie von Kinderreimen, Zaubersprüchen oder auch Liedern haben. Abzählreime wie Ratespiele reißen uns situativ heraus, immer dann, wenn wir vermuten (!), dass der Schmerz zu groß wird. Denn der Schmerz findet sich wie alles Andere hinter einem Schleier. Ereignisse, Erinnerungen und auch Traumsequenzen muten wattiert an, wie hinter Glas.

Das Eigenartige an diesem Buch ist, dass es bis auf das letzte Wort geschliffen ist und dennoch wie ein Ausloten wirkt. Ein Probieren, Ein Leben probieren, „Sprüche riskieren“. Ein lesenwertes Buch!

Petra Ganglbauer

Mike Markart: Calcata

Roman

Braumüller Literaturverlag
Wien 2009

Markart_CalcataMike Markarts Stärke liegt im genauen Verschränken von poetischem, oft auch hyperrealem und politischem Gestus.
Manchmal muten seine Sätze wie gezeichnet, wie gemalt an:
Zart, fragil und dennoch sinnlich. Manchmal auch länger und verstiegen.

Der Ich-Erzähler flüchtet aus Rom, da sich dort große Unruhe ausbreitet. Zufällig landet er in Calcata, einem mittelalterlichen Dorf. Dort trifft er auf andere Flüchtlinge. Es gelingt ihnen mehr oder weniger, das Scheitern hinter sich zu lassen und einen neuen Blick für die Welt, die Dinge, das Zusammenleben zu gewinnen.
Ein Buch, das sich auf der Höhe der Zeit findet, weil es von verschiedenen Kulturen erzählt, von deren Aufeinandertreffen, von möglichen Auswegen aus gesellschaftlichen Krisen.

Ein Merkmal das allen Büchern Markarts gemeinsam ist, ist jene eigenwillig magische Anziehung, ein Sog, den sie auf die Leserin, den Leser ausüben.

Wieder ein schönes, gelungenes Buch!

Petra Ganglbauer

Erika Kronabitter: Viktor

Roman

Limbus Verlag
Innsbruck-Hohenems 2009

Erika Kronabitter arbeitet auf mehreren Schienen, als Künstlerin, als Autorin. Als Organisatorin, als Lektorin, um nur einige zu nennen.
Diese einander ergänzenden Disziplinen finden auch ihren Niederschlag in ihrem literarischen Werk:
Wie sie die Gattungen durchquert, „öffnet“ sie auch ihre Bücher. So erschien kürzlich Teil 2 einer Romantrilogie.
Diesmal steht Viktor im Mittelpunkt der literarischen Auseinandersetzung, Viktor, der Mann Monas aus Mona Liza. (Siehe Erika Kronabitter: Mona Liza)

Viktor entgleitet sein Leben, seine Ehe. Er mutet wie ein Durchschnittmensch an, mit – ich möchte fast sagen – typologischen Verhaltensweisen und Befindlichkeiten; deshalb ist er in dem Buch weder Opfer noch Täter. Viktor ist also äußerst authentisch gezeichnet.
Das ist auch das Besondere an dem Buch: Die Autorin räumt uns die Möglichkeit ein, zwischen den Zeilen zu lesen, jene Gefühlsnuancierungen wahrzunehmen, die nicht definitiv ausgesprochen werden. Ein genaues Unterfangen ist das und spannend.

Die Eingangszitate, quasi Tore zu den einzelnen Kapiteln, erinnern methodisch an Teil 1 der Trilogie – sie bereiten wieder den Boden für ein über den spezifischen Inhalt des Buchs hinausgehendes weiter gefasstes gesellschaftspolitisches Verständnis.

Petra Ganglbauer

Waltraud Seidlhofer: Tage, Passagen

Klever Verlag
Wien 2009

Die Texte Waltraud Seidlhofers sind Teilstücke eines lange schon zuvor begonnen Sprachexkurses.
Es sind diese Wanderungen im urbanen wie im ruralen, in der Sprache wie in der Welt, die Seidlhofer unausgesetzt unternimmt, und es mutet an, als wären wir ab und an eingeladen, ihr, der Autorin, zu folgen, wiewohl sie, die Autorin, sich – quasi für sich – auf dieser Endloswanderung befindet, die regelmäßig in Büchern ihren Niederschlag findet. Eine Konsekution ist das Unterfangen des Lesens, wir folgen einer ganz spezifischen Schreibbewegung oder Wahrnehmungsweise, es ist, als legte Waltraud Seidlhofer ein Raster über das Weltgelände, wodurch all jenes, das unter dem Raster liegt, gelöscht wird und alles, was sichtbar ist, auch lesbar wird.
Aus großer Genauigkeit ist dieser Textkörper geschrieben, eine Textur, die, wie viele ihrer Vortexte geometrisch und akribisch anmutet. Eine der Hauptqualitäten ist die Nachdrücklichkeit, mit der die Autorin, den Landschaften, Formen, Linien visuell und also verbal nachspürt.
Dergestalt spiegeln sich Mikro- und Makrokosmos, Körper und Landschaft in den vorliegenden Texten.

Waltraud Seidlhofer
Podium Porträt 48

Podium Verlag
Wien 2009

Spannend ist auch das Podium Porträt, welches, ausgestattet mit einem trefflichen Vorwort von Christian Steinbacher, die literarische Entwicklung der Autorin aufzeigt.

Beides [wie: Tage, Passagen] ist sehr empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Gregor M. Lepka: Aus dem Fenster der Blick

Resistenz Verlag
Linz-Wien 2009

Zarte Notationen sind das, aus einer Achtsamkeit heraus geschrieben, die den Dingen ihren Raum, ihre Zeit lässt.
Texte, die in sich ruhen und dennoch das Wort ergreifen. Verlangsamungsgedichte in einer Epoche der Beschleunigung und Akkumulation, Texte, die lichten, klären, die behilflich sind, dem Weltverständnis näher zu kommen.

Unprätentiös setzen sich die Gedichte Gregor M. Lepkas, Wort für Wort, wie Markierungen in Raum und Zeit. Schön, die Interdependenz von Innerseelischem und Außerseelischem, zutiefst lyrischen Themen.
Einige der Gedichte sind ruhig in ihrer kontemplativen Qualität, andere wieder um eine Spur expressiver.

Auch sind Zitate in diesem Band vorhanden, von Waltraud Seidlhofer, Michael Hamburger und anderen, sie erweitern den Kommunikationsprozess um diese intertextuelle Note.
Ein schöner Band mit ebenso unaufdringlich wie einprägsamer Gedankenlyrik.

Petra Ganglbauer

Helmut Schranz: BIRNALL

Es ist unter der Haut

Ritter Verlag
Klagenfurt-Wien-Graz 2009

Helmut Schranz veröffentlicht in großen Abständen Bücher, dies ganz bewusst, wie ich wähne, eine wirksame Strategie gegen die Vermarktungs- und Beschleunigungsmechanismen. Ist der kontinuierliche und dennoch verlangsamende Arbeitsduktus nicht die einzig machbare Form von Subversion heutzutage?

Der Band ist voll von Transgressionen, also Durchwanderungen, Quergängen; Sammlungen, Versammlungen finden sich da, wiewohl es auch konstantere Elemente gibt wie etwa Inventare, Charakterprofile, Glossare, quasi Definitionen, Redewendungen usw.

Insgesamt mutet das Werk wie eine Wiedergabe terrestrischer Verschiebungen an – Aufwürfe, Erdbeben, Überschwemmungen formaler Art sind das, die das Buch zu einer schönen und regelrechten Herausforderung machen.

Auch jene Grenze zwischen Trash und Ernsthaftigkeit wird Grat-gewandert: „Es ist unter der Haut“, so lautet etwa der Untertitel, und er erinnert beispielsweise an das Horrorgenre.

Petra Ganglbauer

Lisa Fritsch: Ausgewählte Gedichte

Podium Porträt 39
Wien 2008

Lisa Fritsch © Podium Verlag

Als ich Lisa Fritschs Gedichte gelesen hatte, fiel mir Ronald D. Laing ein, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass wir Menschen innen und außen oft nicht integrieren können. Die Gedichte haben durchaus das Thema Innenwelt-Außenwelt, sie beschreiben eine Transgression, oft ist es eine zarte Verwunderung über die Widersprüche, die sich ergeben, wenn wir das Wissen von einer Sache mit dem zusammentun, was wir außen wahrnehmen. Am offensichtlichsten ist dies bei den LANDSAT-Gedichten, die als eigenständiger Band 1995 bei Deuticke erschienen sind und von denen hier eine kleine Auswahl vorliegt. Wenn der Astronaut unseren blauen Planeten aus großer Entfernung betrachtet, dann sieht er „rund und zerkratzt (…) die Erde // eine tönerne Kugel / gealtert am Himmel“. Wir wissen aber, wie fest die Erde ist und dass diese „Kratzer“ vielleicht Kanäle oder Flussläufe sind. Und überhaupt entsteht eine Art innerer Musik in diesen Gedichten, wenn man, perspektivisch verzerrt, das Monumentale irdischer Erscheinungen und die durch die große Entfernung entstehende Kleinheit verinnerlicht. Groß und klein sind eben relative Größen. Die übrigen Gedichte des Bandes, in den Jahren 1971 bis 2008 geschrieben, führen mit seltener Stringenz vor, wie die genannten Kategorien entweder kontrovers sind oder einander durchdringen, wie also das Äußere vom Inneren gefärbt oder umgedeutet wird und umgekehrt. Innen ist nicht wie außen, aber beide ergänzen einander und lassen ein neues Bild, eine neue Wirklichkeit entstehen. Diese Gedichte lesend, können wir unsere Vorurteile sanft oder heftig erschüttern lassen. Denn so gemütlich und sicher unsere Innenräume in Wohnungen sind, so erschütterbar erscheinen sie uns, wenn sie von außen gesehen werden. So in dem Gedicht über die „Stadteinfahrt / an Häusern vorbei / Bettzeug / und Möbel // Schlafzimmer / in denen morgens / die Tapeten leuchten.“ Oder der wunderbare Anblick einer Baumkrone in der Sonne kann nicht vergessen machen, dass Schatten unentbehrlich ist – „ich zehre / vom Schatten / in der Sonne Harz.“ Sprachlich steuern diese Texte immer wieder auf äußerste Verdichtung hin. Die Dinge sind nicht die Dinge, das kann man lesend erfahren. Es gibt das Gedicht vom Flug über das Meer, wo Zeit und Raum, Leben und Tod aufs äußerste komprimiert werden, alles geht aus der Differenz zwischen der eigenen Lebendigkeit und dem Fremdanblick der übrigen Passagiere hervor, nicht zu vergessen die prekäre Luftfahrt, die aber von der Autorin nicht erwähnt wird. Hier wird der Widerspruch zwischen Statik und Bewegung interessant, nicht unähnlich der Empfindung, irdisch auf festem Boden zu stehen, indessen der Planet sich mit rasender Geschwindigkeit bewegt, was wir zwar wissen, aber nicht sinnlich erfahren können. Kompression der Zeit: Was geboren werden wird, ist zugleich schon gestorben, („[spatium] unaufhaltsam [spatium] die noch nicht geborenen Toten“). Der Anschein spricht nicht für die Einheit der Welt, vielleicht soll sie in uns erst hergestellt werden. Und dann das Gedicht über die alternde Mutter, deren inneres Dunkel, „das für sie jetzt / zum Blütengewölbe wird“ von den Parkbesuchern nicht wahrgenommen werden kann. Sie sehen nur die Hinfälligkeit ihres „Körpers (…).“ Von Person zu Person sind wir voneinander getrennt, wir leben von innen, für die anderen sind wir aber Außenwelt, die wiederum verwandelt wird in die eigene Innenwelt.

Die Gedichte der Lisa Fritsch trumpfen nicht auf, es sind Erkundungen einer immerwährenden Begegnung und Umwandlung von innen nach außen und von außen nach innen. Und sich als Reisende und als Reisender von der Erde entfernen, heißt sich ihr auf subtile Weise nähern. Der perspektivische Blick ist das große Abenteuer. Und es gibt die Paradoxie der Erscheinung.

Gerwalt Brandl

Gerhard Jaschke: WELTbude

Sonderzahl Verlag
Wien 2009

Absoluter Tipp: Gerade rechtzeitig zu seinem 60. Geburtstag ist Gerhard Jaschkes WELTbude erschienen. Eine poetische Sammlung der besonderen Art ist das, gibt sie doch Einblick in die methodische Vielseitigkeit des Autors. Die Rezensentin hinkt zeitlich hinterher…

Topografische und personelle Verweise enthalten diese Texte ebenso (etwa jener, der sich Chobot zum 60. nennt), reich an spielerischen Kunstgriffen sind sie, voll von Assonanzen, Alliterationen; da finden sich Anagramme, Lipogramme, kein Wunder es wird ja auch das Sprachbastelbuch fortgesetzt…
In so fern eignet sich das Buch nicht nur für die geehrte Leserschaft, sondern auch als Materialienband für Schulen, als Workshopgrundlage etwa.

Das Besondere an der gestalterischen Eigenheit des Buchs ist die Leiste jeweils oberhalb des Textes, die Flashs aus dem Leben des Autors quasi am Fließband wiedergibt.
Fotografien und Skizzen vertiefen den Einblick in die Lebens- und Arbeits-Welt Gerhard Jaschkes.

Erwähnenswert sind auch der Cover, die Farbe wie überhaupt die gesamte Gestaltung des Buchs.

Schier wunderbar!

Petra Ganglbauer

Peter Pessl: Das weisse Jahr

Aufzeichnungen aus dem Himalaya, Teil 2

Ritter Verlag
Klagenfurt 2009

Das-weisse-JahrEine spirituelle, eine ganzheitliche Schau beeinhaltet dieses Buch, das Teil 2 jener ausführlichen, über viele Jahre dauernden Schreib- und Reisebewegung (Suchbewegung) des Autors enthält, die im signifikanten Jahr 2012 ihren literarisch-publizistischen Abschluß finden soll.
Pessl bereist/e die Himalayaregionen in Indien, Tibet und Nepal.

Das Suchen (die Suchbewegung) weicht jedoch dem Finden: Das ist das Ungewöhnliche an diesem Buch, dass es dieser schnelllebig-rastlosen Zeit etwas entgegenhält, das man Vertiefung nennen könnte, etwas, das trotz physischer Bewegung an einem innersten Ort verbleibt – der allem der gleiche ist –, um dessen Sprache wahrzunehmen, die zugleich die Sprache aller Dinge und Wesen ist – vielschichtig, nuancenreich, die manchmal wie im Flug begriffen anmutet oder wie im Wasser, wie flammend oder aber wie aus einer untersten Erdschicht aufsteigend…

Eine eigenwillige Polyphonie ist das, die den religionsphilosophischen oder aber auch kulturellen Hintergrund nahe dem „Weltall“, insbesondere aber der buddhistischen, islamischen, hinduistischen und schamanischen Kulturen enthält.
Es spricht und es spricht sich vielmals und differenziert. Dieses Buch führt zurück zum Ursprung der Sprache, zur Göttlichkeit, an jenen Ort, der nicht verstellt ist, wo alles noch eins ist und jedes auf seine Art sprechen darf.

Der Autor schrieb einst von der Dingschmelze und Wesensschmelze im Text (siehe seine Wiener Vorlesungen zur Literatur, erschienen bei Freibord); jetzt, Jahre später, ist er dorthin zurückgekehrt, der Kreis schließt sich fast, allerdings mit einem ungleich größeren Aktionsradius!

Schön, die zahlreichen Skizzen, die der Autor selbst gemacht hat.

Erwähnenswert auch Band 1: Die Dakini-Dialoge, Ritter Verlag 2006.

Petra Ganglbauer

Christine Haidegger: Herz.Landschaft.Licht.

Gedichte

Otto Müller Verlag
Salzburg-Wien 2009

Fragil, wie gezeichnet, und gleichermaßen expressiv, weil derart durchdrungen von der Stimme des Schmerzes, sind diese Gedichte; sie werden begleitet von einer Traurigkeit, die anhält, die den Tag begleitet und während der Nächte nicht geringer wird.

Das lyrische Ich setzt wiederkehrend Haltepunkte, die wie Abschied klingen. Da ist ein Echo, ein steter Nachklang von Verlust, die Gedichte bewegen sich auf jenem feinen, konzise gebauten Grat zwischen dem Hier und dem Dort, in dieser Lyrik ist keiner der Pole ohne den anderen möglich; die Präsenz der Dinge bringt das unausweichliche „Dämmern“ von Abschied mit sich. Eine Absenz wiederum wirkt nachhaltig herein ins Jetzt ihrer Präsenz.

Ungewöhnlich beeindruckende Textstellen finden sich in diesem Buch, wie zum Beispiel: „Sich hingeben/ hieße/: unvollendet/ sterben.“

Christine Haidegger spannt einen weiten Bogen, der zutiefst lyrische Themata einbezieht, die Stimmführung in ihren Gedichten ist jedoch eine ganz eigene, sehr persönliche.

Ein schönes Buch!

Petra Ganglbauer