dtv (Taschenbuch), Verlag C.H.Beck (geb.)
München 2003
Ebenso unprätentiös wie gekonnt verfährt Sabine Gruber im vorliegenden Roman. Die Zeiten werden gewechselt, die Perspektiven; Personen mit ihren Lebensinszenierungen kommen vor, und doch und dennoch zieht sich ein thematischer Faden wie ein dickes Seil durch das Buch. Wir können ihn nicht abschütteln.
Neben Interaktionen, Beziehungen, etwa zwischen der Ich-Erzählerin und Männern wie Paul, Leo oder Beppe, artikuliert sich gleichsam vehement und unausgesetzt laut die Auseinandersetzung zwischen der Ich-Erzählerin und ihrem Körper. Er ruft sich in Erinnerung, setzt Zeichen, wird unüberseh- und hörbar. Was einem gesunden Menschen selbstverständliches Vehikel, wird für die Ich-Erzählerin Hürde und Widerstand.
Auf subtile und zugleich beinahe haptische Art flicht die Autorin dieses Thema ein, lässt es unumgänglich werden; die körperliche Befindlichkeit wird nachempfindbar, spürbar; aber niemals aus einem Gestus des Selbstmitleids heraus. Im Gegenteil. Es ist, als ob das körperliche Geschehen zunächst erfahren und sogleich aber durch die Sprache auf Distanz gebracht wird.
Was Gruber auch noch gelingt, ist eine Spannung aufrechtzuerhalten. Eine Spannung, die sich aus dem raffinierten Gestus des Aufbaus des Romans ergibt und ihn dennoch bis zum Ende als sensibles Unterfangen belässt.
Eine durchgehend poetische Aufladung, sprühende, farbige Funken durchsetzen die Texte – Lyrik wie Prosa – im vorliegenden Band, der neue und bereits erschienene Arbeiten von Marie-Thérèse Kerschbaumer versammelt.
Polyphonien, Gesänge aus Leidenschaft, Schmerz oder Hoffnung, die Stimmerhebung des Individuums wie der ganzen Welt lassen erneut jene politische Stimme zutage treten, wie sie der Autorin immer schon zu eigen ist. Widerstandswille und Wachheit sind die elementaren und kostbaren Bewußtseinssubstanzen, die teils einander kontrastierend, teils ergänzend den durchgehend poetischen Duktus – jene fragile Sinnesberauschung – begleiten.
Kerschbaumers Texte sind Juwelen inmitten einer mehr und mehr Platz greifenden Allgemein- oder Maschinensprache und bisweilen scheinen sie inmitten herrschender Sprachordnung beinahe gefährdet.
Der Rückgriff auf Mythen, das Einweben “älterer” Sprachsprengsel und der wieder und wieder sich verändernde Stil (elliptisch, dann wieder ausladender) verdichten diese Texte atmosphärisch und verleihen ihnen synästhetische Qualitäten.
Havanna etwa, kann ich nachspüren, nacherinnern, zumal ich selbst einmal dort war. Die Stadt erwacht – zugeschnitten auf den jeweils ausgewählten Blickpunkt – literarisch noch einmal zum Leben. Gänzlich anders muten beispielsweise die Traumvariationen an. Auch sie spiegeln in ihren sprachlichen wie formalen Verrückungen das Nachtbewußtsein deutlich wider.
Die formale Vielheit hält die Texte in diesem Buch in steter Bewegung und gewährleistet so ihre Gültigkeit jenseits von Zeit.
Von „Spuren“ schreibt Klaus Kastberger in seiner Einleitung zum vorliegenden Band. Erika Kronabitter flicht Zitate aus Mayröckers Werken und Briefen in ihre Textflüsse ein, und bisweilen laufen die Stil-Stränge beider Autorinnen tatsächlich parallel, bis Kronabitter sich wieder von Mayröckers Spuren wegschreibt, jedoch zumindest nachhaltig den Gestus einer Seelenverwandtschaft beibehält, nämlich die Art und Weise, wie die Worte einander folgen oder zueinander stehen – bisweilen auch abrupte Wortgeschwisterschaften – , dann allerdings schlägt Kronabitter wieder einen anderen, bisweilen alltäglicheren Ton an. Von Landschaften schreibt sie, vom Schreiben, vom Innerseelischen, von Sehnsucht und Angst, von Rastlosigkeit, vom Sterben wie vom Fliehen.
Eine empfehlenswerte Lektüre für Leserinnen, die den beiden Autorinnen eine Weile folgen möchten, sie begleiten, sich in die Ton- und Wasserfälle einstimmen, den Duft- und Gedankenspuren folgen. Ein Stück eines gemeinsamen Weges, einer Überschreibung, einer auch muskalischen Reise bis „zum neuen allerersten Satz“.
Publication PN°1, Bibliothek der Provinz
Weitra 2002
Alles ist Text
Transgressionen, Übergänge – somit stets Bild also: Wirklichkeit also: Text also: Film – stellen jene im vorliegenden Band versammelten Beispiele aus mehreren Jahren dar, die Edgar Honetschlägers Zugang zu Kunst und Gesellschaftstheorie, Wort und Bild transparent machen. Ein Wanderer zwischen Gesellschaftsräumen, Religionen und Kulturkreisen offenbart sich und seine Arbeit in Gesprächen, Skizzen, Fotos oder Videostills.
Wenn sich der Künstler auf einen Raum konzentriert, läßt er dessen Gegenpol niemals außer acht, der wird stets mitgedacht und mitkonzipiert.
Honetschläger flicht jene Destinationen in seine Arbeiten ein, die ihm – auf Zeit – Ort und Quelle sind und waren: Japan. New York. Rom. Wien.
Der vorliegende Band ist bereits als Ausstellungskatalog zur gleichnamigen Ausstellung „Regie“/direction erschienen. Er fokussiert die Werkentwicklung des Künstlers und ist Zeichen seiner Poetisierung von Reise und Alltag, von Nomadisierungen und Standortbestimmungen. Es stellt eine Zusammenschau unterschiedlichster Gattungen dar, die einander durchwirken, in dem Maße, in dem die von Honetschläger besuchten, erkundeten und erlebten Kulturräume es tun; sie sind einander Spiegel, Ergänzung, Widerspruch.
Der Band ist ansprechend und reizvoll gestaltet – von einer kühlen, einnehmenden Ästhetik und als Lektüre wie Betrachtungsgegenstand empfehlenswert!
Eine auf mehreren Ebenen stattfindende Zusammenschau, die innerseelische wie gesellschaftliche Prozesse aufgreift, hat Eva Jancak unter dem Titel „Die Vier tage buch frau“ zu Prosa zusammengefaßt. Gegenstand der Beleuchtung ist die Zeit der ersten hundert Tage des Jahres 2000, einer Phase der innenpolitischen wie außenpolitischen Veränderungen in Österreich.
Da gibt es etwa die PR-Assistentin Luzie F., eine Klientin der ICH-Erzählerin, die ihrerseits eine psychotherapeutische Praxis betreibt. Luzie benutzt vier verschiedene Tagebücher, die durchaus symbolischen Charakter haben: ein blaues, ein schwarzes, ein rotes und ein grünes. Jedes von ihnen ruft eine andere Empfindung in der Benutzerin hervor. Das blaue Tagebuch Aggression. Das grüne Hoffnung. Über diese ihre Empfindungen spricht sie mit ihrer Therapeutin.
Auch ein Nachbarschaftszentrum spielt eine brisante Rolle, weil es soziale Strukturveränderungen aufzeigt. Symbolisch fungiert es als Ort der Orientierungslosen.
Da kommt es zu diversen Begegnungen und Geschehnissen. Martha Müller etwa taucht auf, eine Schriftstellerin, die während eines Aufenthaltes in New York das Leben der Obdachlosen erforscht. Bald gerät auch sie in Österreich in dieselbe Lage. Und folgerichtig ist auch die Protagonistin ihres Romans Felicitas Fee, namen- und obdachlos. Doch das ist noch nicht alles … Das Leben ändert sich gemeinhin …
Das Buch ist kurzweilig und originell, weil es zwischen innergesellschaftlicher Realität und Symbolik hin und herwechselt. Eine lebendige, subjektive Bestandsaufnahme.
Ein vor allem auch konzeptuell interessantes Buch ist das voliegende, welches eine CD (die Autorin liest die Texte) enthält.
Margret Kreidl schließt an jene kühle Ästhetik an, die Teile ihrer bisherigen szenischen Texte ausmacht, aber auch an jene Kitsch- und Volkstümelei-Inszenierungen, welche die Autorin immer wieder mit großem Impetus vornimmt. Der Inhalt dieses Buches: Sexualität, Geilheit, Einsamkeit, Verletzbarkeit, – mitunter äußerst grell und grotesk dargestellt.
Eingangs ein „verfahrenstechnischer“ Hinweis, der bereits auf jene seriellen, permutativen Methoden verweist, die in mehreren Sequenzen folgen. Beinahe chromatisch ist diese Arbeit, spielen doch der Klang der Farben wie ihre Plazierung eine ganz besondere Rolle. Onomatopoetische Kunstgriffe, wie insgesamt eine konsequent durchgezogene Kombinatorik, halten die Texte in Form und Spannung, jeden für sich wie auch untereinander.
Die „Kammerspiele“ leben von der Dramatisierung durch Bewegung und Handlung, die Gesten sind laut, schreiend mitunter.
„Er und Sie“ etwa, eine Sequenz, die sich auch mehrmals wiederholt, lebt von einer vegetabilen Metaphorik, die den Gefühlen starken Ausdruck verleiht. Wie überhaupt Erotik, Leidenschaft, Geilheit in diesem Buch noch durch andere Beschreibungsmechanismen als jene einer Sprache der Pornografie dargestellt werden; ich denke da etwa an „Süsses Paradies“, ein opulentes, fast körperliches Aufgebot an Mehlspeisen und Schleckereien. Vorsicht!
feldforschungen
ein gedichtzyklus mit zeichnungen von andreas leikauf
herbstpresse
Wien 2002
„feldforschungen“ benennt Fritz Widhalm seine Gedichtarbeit im Untertitel.
Tatsächlich blinken quasi hinter den Texten kontextuelle Strukturen auf, sprachlich wie optisch, denn eine Art Plan zieht sich durch, die karierte Coverfläche taucht immer wieder auf; und dort, wo sie nicht sichtbar ist, vermuten wir sie jedenfalls – als Netzwerk. Die Karos werden jedoch ausgefüllt: mit Zeichnungen von Andreas Leikauf.
Der Titel des Buches lautet „zum beispiel“ – ein für den literarischen Zugang des Autors wirklich passender Titel: Scheinbar (!) beiläufig, leichtfüßig, marginal („alles oder/zum beispiel“). Ein Kunstgriff. Dahinter jedoch steckt die massive Arbeit an und mit Sprache: Widhalms Texte strahlen etwas Brachiales aus, die Sprache stürmt den Rand des Feldes, auf dem der Autor seine Forschungen anlegt. Sexualität und Körperlichkeit als Untersuchungs-, Betrachtungs-, Erfahrungsgegenstände, – die Sprache als Instrumentarium.
Am Ende ist das Feld explizit abgeerntet, soweit „feldforschung 8“ es vermuten läßt. Doch nein, vier weitere Karobilder zwingen uns, dicht an dicht zu verweilen. Wir tun es gerne.
Eine ebenso weitgefaßte wie konzise komponierte Bestandsaufnahme aus Gesprächen mit Autorinnen und Autoren unterschiedlicher Kulturräume enthält dieser – schon auf den ersten Blick empfehlenswerte – Band.
Er fungiert als Zeit(en)dokument, als Analyseinstrument für Poesie, Politik, Poetologie, für das Leben insgesamt.
Hintze, Mitbegründer und Leiter der Schule für Dichtung in Wien, der, wie man weiß, den „4-dimensionalen Poesiebegriff“ vertritt, also eine Konstitution aus Schrift, Audio, Video und Infrastruktur, hat auf Reisen und über Jahre Aufzeichnungen, Notizen gemacht und Artikel zusammengetragen von und über dichterische(n) „Essenzgespräche(n)“ mit Gioconda Belli, Anne Waldman, Mircea Dinescu, Allen Ginsberg, Ed Sanders, Henri Chopin und Anna Lecka und Ryszard Dreger.
In diesen Gesprächen geht es gleichermaßen um (dichterische) Revolution, politische Systeme, poetische Strukturen und Traditionen, das Weibliche, das Männliche, das Göttliche, Spiritualität insgesamt, die Aufhebung der Bi-polarität, die Lehrbarkeit von Literatur, das poetische Instrumentarium, um nur einiges im Anriß zu nennen.
Eingangs schreibt Hintze von der „Polis der Poeten“ und ich denke, dass dieses Buch eine wertvolle Etappe darstellt, hin zur „uneingeschränkten“ Kommunikation mittels Sprache (freilich nicht nur jener der Worte) und der damit verbundenen poetischen und politischen Praxis überall.
Ein Spiegelkabinett der Wahrnehmungen stellt dieser Band dar, der Abbildungen einer Kontainer-Installation von Klaus Mosettig enthält, die den Titel „Du willst doch fort von hier“ trägt und eine Art literarisches Protokoll dieses Auf-und Abbaus, eine Berichterstattung von Hanno Millesi, „Traumatologie“ betitelt.
Die poetische Chronologie des Installierens und der Untersuchung auf Funktion und Sinnhaftigkeit dieser Installation ist gekennzeichnet vom intendierten Duktus einer objektiven Schau, der Autor ruft sich immer wieder zur Sachlichkeit auf. Es geht dabei nicht um die literarische Übersetzung eines konstitutiven Anwachsens von Objekten, um eine zunehmende Ordnung derselben, sondern gewissermaßen um die bereits im Ursprung vorhandene Einsicht, dass jedes neue Teil ohnehin Spiegel, Zitat des Ganzen dahinter ist.
Die Ereignislosigkeit, scheinbare Zentrumslosigkeit verschärft sich bis zu dem Punkt, als Beobachter und Beobachtetes gewissermaßen zusammenfallen, ein Denk-Kreisel, eine Bild-Schleife entsteht, – Devianzen.
Ich erinnere mich unwillkürlich daran, dass der Beobachter die Dinge ausschließlich in dem Maße einzukreisen imstande ist, in dem die Dinge ihn einkreisen.
Eine weitere, gelungene Korrektur des statisch gewordenen Weltverständnisses.
Mein Weg in den Widerstand
Mit einem Vorwort von Janko Messner
Drava Verlag
Klagenfurt, 2001
Slowenische Erstausgabe im Drava Verlag, 1997
Kärntner Partisan
„Für das Leben, gegen den Tod“ lautet der parolenhafte Bekenntnistitel eines Buches des kärntner-slowenischen Autors und ehemaligen Widerstandskämpfers Lipej Kolenik, in dem dieser seine sehr persönlichen Erinnerungen an die Zeit des Nationalsozialismus und seinen Kampf dagegen mit dem Ziel der Befreiung Österreichs vom Faschismus zusammengefaßt hat.
Lipej Kolenik wurde 1925 in St. Margarethen bei Bleiburg/Smarjeta pri Pliberku geboren und wuchs dort am elterlichen Bauernhof auf. 1943 wird er zur deutschen Wehrmacht einberufen, aus der er desertiert und sich den Partisanen anschließt. Im März 1945 wird er schwer verwundet. Nach Kriegsende ist er lange Zeit arbeitslos, wird – so wie viele andere österreichische Partisanen – diffamiert, wiederholt verhaftet, eingesperrt, als Verräter angesehen. Er bleibt politisch aktiv, ist heute im Vorstand des Kärntner Partisanenverbandes.
In seinen tagebuchartigen Aufzeichnungen ist er ein Chronist der Ereignisse, darüber hinaus aber ordnet er diese auch – seinem Welt- und Geschichtsbild entsprechend – zu einem Gesamtbild, sodass ein facettenreiches Kaleidoskop der damaligen Zeit vor Augen geführt wird. Kindheit in ärmlichen Verhältnissen als Angehöriger einer in „Deutsch-Kärnten“ nicht geliebten und diffamierten Minderheit. Repressalien der nationalsozialistischen Machthaber. Vertreibung vieler kärntner-slowenischer Familien von ihren Höfen, Aussiedlung in Internierungslager in Deutschland, dort Zwangsarbeit. Unvorsichtige, Widerspenstige und Widerständler kommen gleich ins Konzentrationslager, zum Beispiel nach Mauthausen. Die wehrfähigen Männer werden zur deutschen Wehrmacht eingezogen, müssen dort in einer ihnen fremden und feindlichen Armee gegen andere Fremde und Feinde kämpfen. Manche desertieren, wenn sie auf Heimaturlaub sind, gehen zu den Partisanen; so auch Lipej Kolenik mit erfrorenem Fuß.
Er und seine Familie wissen um das lebensgefährliche Risiko. Trotzdem das Wagnis, die Entscheidung, gegen Hitler und die nationalsozialistischen Unterdrücker. Zu diesen gehören auch die fanatischen Ortsnazis aus Bleiburg, Völkermarkt, Klagenfurt. Partisanengebiet ist „Bandengebiet“. Gendarmerie und militärische Sondereinheiten durchkämmen die Wälder; durchsuchen die Höfe. Übergriffe, Massaker. Trotzdem Solidarität vieler Kärntner-Slowenen mit den Ihren, den Partisanen; aber auch Ablehnung und Verrat. Dann endlich Befreiung, Sieg.
Nach 1945 die große Enttäuschung. Die Engländer als Besatzungsmacht drängen die Partisanen zurück, paktieren sogar mit ehemaligen Nazis. Diese sind bald wieder oben auf, gesellschaftlich voll integriert. Die Partisanen sind es, die – weil viele von ihnen im Nationalen Befreiungskampf für der Anschluß an „Tito-Jugoslawien“ plädiert und auch dafür gekämpft haben und nun der „Osvobodilna fronta“, der politischen Organisation der slowenischen Partisanenbewegung angehören, die auch der KPÖ nahesteht – nun als Verräter und Nicht-Patrioten diffamiert und angefeindet werden; auch vom offiziellen Österreich.
Auf diesem Terrain vollzog sich das kämpferische, sozial-politische Leben des Lipej Kolenik. Er ist ein patriotischer Slowene, ein engagierter Mensch, ein Kämpfer gegen jede Form des Faschismus; ein Kämpfer für Gerechtigkeit und Freiheit.