Peter Enzinger: Grünes Licht, oder das Zerwürfnis der Würfel

Ritter Verlag
Klagenfurt-Wien 2002

Schöne Beispiele gegenseitiger Bespiegelungen sind das, ausgestattet mit den Insignien der Innen- wie der Außenwelt, Texturen und Landschaften im Abtausch, – Schriftarchitekturen wie wir sie auch von anderen Autor/inn/en kennen: Die Geometrie in den Gedichten Waltraud Seidlhofers, freilich strenger; der Tenor Hansjörg Zauners. In dieser Tradition verstehe und lese ich die vorliegenden Texte.

Einzelne Variablen werden wieder und wieder als Module eingesetzt, an unterschiedlichen Stellen im Buch, etwa die Wörter „Pfau“, oder „Frosch“ oder „Alfabet, Schlüsselwörter, durch diverse Eigenschaften überlagert, – und überlassen sich den Textfeldern.

Was sich konsequent durchzieht, ist der onomatopoetische Gestus, ein durchgehender Fluß, hörbare Rezitation, Melodie.
„Wortschatzschiffe“ erinnern, übersetzt man sie ins Visuelle, an Mallarmé, – die „Wortschatzschatten“, die „Schlüsselwörter“.

Ein lesenswerter Textstrom.

Petra Ganglbauer

Sylvia Treudl: Zug um Zug

Reisenotizen

Milena Verlag
Wien 2002

Nicht oft stoße ich auf ein Buch, welches in mir den Wunsch weckt, es in einem Zug zu lesen; beim vorliegenden war dies der Fall: weil es lebendig, authentisch, humorvoll, mitunter auch kritisch, alles in allem aber völlig unprätentiös geschrieben ist.
Das vorliegende literarische Protokoll, bzw. Tagebuch einer Reise mit dem Literaturexpress 2000, welche – um es auf den Punkt zu bringen – insgesamt etwa 140 Personen, 43 Sprachen und 7000 Schienenkilometer zu verzeichnen hatte, lädt jedoch zur geballten Lektüre ein.

Sylvia Treudl schildert in „Zug um Zug“ nicht nur die atemlose, muntere Abfolge der Destinationen, gruppendynamischen Prozesse, kleineren oder größeren herzhaften wie auch weniger lustigen Vorkommnisse, sondern ebenso liebevoll wie malerisch die Atmosphäre am jeweiligen Ort. Auch die gesellschaftskritische Auseinandersetzung kommt, wie man es von Treudl ohnehin gewohnt ist, nicht zu kurz.
Der Band ist auch durch die Fotobeigaben derart kulinarisch gestaltet, dass man wieder und wieder vermeint, selbst zugegen zu sein, – sei es in Bordeaux, Madrid oder Moskau.

Den vitalen, atmosphärisch dichten Reisebogen quer durch West- und Osteuropa beschließt Treudl mit zwei gesonderten Texten: „Bewegung“ und „Mehr als nur ein Hauch davon“.
Ein stimmiger Ausklang. Am Ende bin ich traurig, aus dem Zug steigen zu müssen.

Das ideale Buch für die Urlaubslektüre!

Petra Ganglbauer

Barbara Hundegger: desto leichter die mädchen und alles andre als das

Gabi Schuster: Grafik am Einlageblatt
Herausgeberin: Petra Nachbaur

reihe mitnichten 4, Das Fröhliche Wohnzimmer – Edition
Wien 2002

Von ungeheurer poetischer Dichte sind die Gedichte von Barbara Hundegger, zudem stets auch durchwirkt von Widerständigem, Widerhaken. Als Leserin reibt man (sie) sich daran mit Kopf und Herz.

Eine gekonnte Zusammenführung starker, aufgeladener Bilder, die sich perseverierend, dann wieder aleatorisch-leicht zur Sprachinszenierung fügen, ist das. Die Themen sind mitunter bekannt und doch und dennoch bewegen sich die Texte fomal weit über das zunächst Erwartete hinaus. „Technische“ Sprachprengsel finden sich hier ebenso wie sprachlich Eigenheiten, die wir aus älteren (mythologischen) Quellen kennen. Das macht den Band sehr reizvoll.
Die Stimme, die anschlägt, ist im besten Sinne auch eigenwillige Kontrollinstanz. Selbst dort, wo sich seelisch Transparentes einstellt, werden energisch Konturen gezogen, Spuren vertieft.
Der Duktus beinhaltet , wie stets bei Hundegger, beides: das Poetische und das Politische. Diese beiden Pole versteht die Autorin auf so gekonnte Weise zu verknüpfen, dass die Laustärke, das Tempo und einzelne Passagen nach der Lektüre noch als gesellschaftskritischer Echoraum hallen.
Barbara Hundeggers Gedichte gehören sicher zu den spannensten unserer Tage.

Petra Ganglbauer

Ulrike Hutter: Wienfluß

Kriminalroman

edition selene
Wien 2001

Kühl, aber witzig, einem gelungenen TV-Krimi à la Kottan gleich, zeichnet Ulrike Hutter Charaktere und Geschehen in „Wienfluß“.

Eine ebenso geheimnisvolle wie schräge weibliche Person bedient sich der Kleider und Accessoires der in den Donauauen ermordeteten Gerda K.
Als „Wiederauferstandene“ wandert sie in die Stadt hinein und bringt so ziemlich alles durch ihre unorthodoxe Art und ihr auffälliges Aussehen ins Wanken.
Aus vorsprachlicher Befindlichkeit heraus lernt sie leidenschaftlich elementarste Wörter wie „UUUAANHÄUDL“, welche sie aus purer Freude und Selbstbezogenheit den Passanten entgegenplärrt.
An ihrem unkonventionellen Auftreten zerbersten Theaterbesucher und U-Bahnfahrgäste. In die Aufklärungsspirale „ihres“ Todes geraten Kommunalpolitiker, Kriminalbeamte und der Schilfmörder.

Ulrike Hutter läßt die Personen wie Puppen agieren, am Ende droht gar ganz Wien – einem Kartenhaus gleich – zusammenzustürzen. Tag und Traumbewußtsein wechseln einander ab. Formal wie auch inhaltlich setzt sich eine Schleife, ein Kreisel durch, – Zeiten, Personen, Orte sind im Abtausch, es gibt keinen Anfang und kein Ende bei diesem Erzählduktus.

Insgesamt ist das Buch unterhaltsam, gut durchdacht und geistreich komponiert, stets am Schnittpunkt zwischen Künstlichkeit und trivialer Realität.

Petra Ganglbauer

Manfred Chobot: Maui fängt die Sonne

Mythen aus Hawaii

Deuticke Verlag
Wien 2001

cover_chobot_deutickeEin Buch voll der wundersamsten Geschichten hat Manfred Chobot da geschrieben und zusammengestellt. Der Autor, selbst seit Jahren begeisterter Hawaii-Reisender, folgte den Spuren hawaiianischer Mythen und sponn daraus unprätentiös gestaltete und ebenso poetische Legenden. Namen von Königen und (Halb-) Gottheiten dringen an unser Ohr, – Dämonen, Gesichter, Landschaften, Szenen, die uns bislang fremd waren und nunmehr von Geschichte zu Geschichte näher rücken, ziehen an unserem inneren Auge vorbei.

Der Autor schafft es, nicht nur für die weit in die Geschichte Hawaiis zurückreichenden Mythen zu interessieren, man gewinnt sie im Laufe der Lektüre regelrecht lieb. Es entsteht eine eigenartige Verbindung, eine Vertrautheit mit den Figuren und den rätselhaften Ereignissen.

Und das ist das Schöne daran: Daß sich ein Kulturkreis erschließt, der zumindest hierzulande literarisch so nicht ausgelotet ist. Dem Autor und seiner Passion für diese Inselwelt sei Dank. Zudem schrieb Chobot einen aufschlußreichen Einleitungstext über Geschichte und Alltagsästhetik, Religion und Sprache Hawaiis.

Allein der Klang, die Musikalität der Namen (Pele, die Göttin des Feuers, Poliahu, die Schneegöttin oder Palila, der Sohn des Königs Ka-lua), ist schon die Lektüre wert.

Petra Ganglbauer

Werner Herbst: hin und her

ein stadt-land fluchtspiel

literaturedition niederösterreich
St.Pölten 2001

So ernst wie unterhaltsam, förmlich oszillierend in Wort und Abbildung ist dieser Band des Autors Werner Herbst , – Herausgeber der “herbstpresse” und Gründer der Gruppe “Wohlklang”.
Das Buch versammelt Prosa, Lyrik, Sehtexte, Kalligrafisches wie auch Fotos, die sehr trefflich den jeweils ins Zentrum der poetischen Betrachtung gerückten Pol, – das Urbane (Schwellbach) oder aber das Rurale (Wien) – , skizzieren.

Ein fotografisch inszeniertes Gedränge aus Kabeln, Kartons, EDV-Geräten symbolisiert etwa “das denken in der stadt”.
Diametral entgegengesetzt : “das denken auf dem lande” – ein Buchenholzstoß. Mehr nicht.
Und wiederkehrend das Tableau, “stille” genannt.

Herbst nimmt Rituale gekonnt auf´s Korn: einer der Höhepunkte ist etwa das Rezept für einen “jägerbraten im ganzen”. Nein, wir haben es hier nicht mit Greenaway und seinem Film “Der Koch, der Dieb…” zu tun.
Der “echte Wiener” vielmehr und sein Alltagsfaschismus, perverse Biertisch-Sprüchlein, Bauwahn auf dem Lande, Eventhysterie und vieles mehr werden in diesem Buch voll des schwarzen Humors unter die Lupe genommen.

Und wie es so ist: Am Ende macht der Autor alias Protagonist transparent, dass Schwellbach stets “voll triftiger Gründe” zu verlassen sei, er sich aber nach einem Tag “urbaner Betriebsamkeit” in Wien frage, was er eigentlich dort zu suchen habe: Hin & Her! Viel Spaß!

Petra Ganglbauer

Petra Ganglbauer: Niemand schreit

Milena Verlag
Wien 2001

Das Buch hat den Terror zum Thema, der innerhalb einer extremistischen Gruppe entwickelt wird. Gezeigt wird vor allem, dass es innerhalb eines geschlossenen Systems kaum möglich ist, auszubrechen. Das ist aus Faschismus und Kommunismus bekannt geworden. Wenn die Systeme absolutistisch sind und die Köpfe der Menschen mit Propaganda besetzen, haben Gesichtspunkte von außen kaum mehr Chancen, ins Denken und Fühlen vorzudringen. Ab einem gewissen Grad der Zermürbung treten bei den wie von einer Krankheit Befallenen Verblödungserscheinungen auf, die zwar jedem auffallen, der von außen kommt, aber nicht den Protagonisten der Inszenierung. Das faschistische Syndrom ist stark von Ritualen bestimmt, etwas, das in Petra Ganglbauers Buch nicht zu kurz kommt. Diese Gruppe, die nichts weniger als die Weltherrschaft anstrebt und den Planeten “übernehmen” möchte, baut auf Inszenierungen, die erhöhen oder aushöhlen sollen, beides dient dem Ziel, die Widerstandskraft der Gruppenteilnehmer zu brechen. Zum Schluss tritt der gewünschte Effekt ein: “An einschlagenden Blitzen hängt mein Herz. An Einflüsterungen. An der Hand einer Gruppe gehe ich. Da weine ich hin. An Zünftigkeit, Ordnung und Strafe hängt mein Herz.” Da der Text fast ausschließlich die innere Befindlichkeit der Protagonistin in starken Bildern schildert, hätte es den Hinweis auf “Blau”, die Freiheitlichen in Österreich, vielleicht nicht gebraucht. Das Buch findet den Schlüssel zur Beendigung des Wahnsinns nicht in gesellschaftlichen Regulativen, in Überwachung, Kontrolle, Verbot, sondern in einem einfachen Satz, der den Text und seinen elaborierten Wahnsinn im Gleichgewicht hält. Das vorangestellte Motto, frei nach Hannah Arendt, spricht vom GEHORCHEN. “Niemand hat das Recht zu gehorchen.” Während der Lektüre schwingt dieser Satz, der ein wahres Gegengift ist, immer mit. Und so kann man sich auf den Stil der Autorin einlassen, weil man sich sicher weiß. Der Stil bildet immer größere Ausmaße der Zerstörung, Depersonalisierung der Ich-Erzählerin ab, er zerbricht die Sätze, löst sie in Einzelteile auf, das gleicht oft einem Gestammel, das man von großen emotionalen Erschütterungen kennt. “Die Worte halten still, ich halte still in ihnen, sie beschreiben mich, während ich versuche, das Geschehen zu beschreiben.” Die Tableaus, geschickt immer wieder eingestreut, zeigen eine Entkrampfung und Lösung an, die im Kontrast zum Haupttext steht, der die Implosion der Ich-Erzählerin zum Thema hat. So ist der Text wie schweres Atmen, bedrückend zu lesen, aber durch das ästhetische Kalkül gelungen.

Gerwalt Brandl

Ferdinand Schmatz: Portierisch

Haymon Verlag
Innsbruck 2001

Flüchtige Erzeugnisse, Momentaufnahmen, herausgelöst aus dem Weltfundus, auch wenn sich auf diese Weise ein kleiner Ort mit seinen Menschen darstellt.
Dialoge, Gedanken, Bilder als plötzliches Hervortreten und Auftauchen, als wesenhafte Neuheiten, – manchmal unerwartet –, dann wieder dem Bestreben der Leserin assistierend, indem kleine Kausalitäten, Überbrückungshilfen geschaffen werden. Poetisch die Zwischentitel; sie schaffen Distanz.
Etwa: DIE JAGD UND DER ROTE PUNKT / ODER DAS INTERVIEW KANN BEGINNEN

Ferdinand Schmatz siedelt seine Aufzeichnungen zwischen den Gattungen an, erzählend, reflektierend undsofort, und läßt sie so in Bewegung.
Dergestalt webt er das Wahrnehmungsnetz über einen sehr konkreten Inhalt:
Ein Tal in den steirischen Bergen samt seiner Bewohner, die im Aktionskreis eines Gutsherren leben und sich dieses Leben auch hart erarbeiten. Personen. Erinnerungen. Ereignisse. Begebenheiten. Gespräche.
Interessant ist vor allem der Versuch, etwas thematisch Erdiges, Bodenständiges derart zu zeichnen. Trotz der Konkretheit, der ausgangsörtlichen Gegenständlichkeit wird alles und jedes, selbst das sprechende, denkende, schreibende Ich Teil dieser insgesamten Vernetzung.

Wieder eine schöne Herausforderung.

Petra Ganglbauer

Walter Grond: Vom neuen Erzählen

Gipfelstürmer und Flachlandgeher

Haymon Verlag
Innsbruck 2001

Wieder eine dankenswerte, weil informative und auch spannende Sammlung aus Gesprächen und Analysen, Betrachtungen und Untersuchungen zum Spannungsfeld Autorenschaft/Projektarchitektur im tradionellen Aktionsfeld Literatur einerseits und im Netz andererseits legt Walter Grond mit diesem Band vor.
Das Buch beginnt mit einem Nachsatz zu „Der Erzähler und der Cyberspace“, jenem zuvor erschienenen Thesenband, was formal, strukturell bereits eine erste (weitere) Verknüpfung bedeutet.

Der Autor versammelt Essays, Gespräche, E-Mail Dialoge: Anlaß hiefür waren diverse Zusammenkünfte und Konstellationen: namhafte Diskussionspartner/innen unterschiedlichster Provenienz (Literaturwissenschaftler, Autor/inn/en etc.) nahmen das Gespräch miteinander auf.
Aspekte der literarisch-künstlerischen Internetnutzung, Auswirkungen und Umgang damit, aber auch klassische Fragen wie jene nach dem Handwerk selbst werden angerissen. Spannend auch die essayistischen Diskurse, etwa die Differenzierung zwischen der „heißen“ Logik eines traditionell literarischen Textes und der „kalten“ Logik von auf Interaktivität beruhenden Texten.

Beispielgebend angerissen werden aber auch eigene Projekte im Netz mit ihren Verzweigungen, Anverwandlungen, Umwandlungen. So heißt es etwa: Ein „Dokuversum, das ins potentiell Endlose hinausstürzt.“

Petra Ganglbauer

Margret Kreidl: Grinshorn und Wespenmaler

34 Heimatdramen

Edition Das fröhliche Wohnzimmer
Wien 2001

Härter die Zeiten. Die Gesten. Die Sprache.
Deutlicher. Offenkundig, die Dummheit.

Margret Kreidl legt mit ihren 34 Heimat-Minidramen beinharte, verbale Fausthiebe gegen die gegenwärtigen Mechanismen in der österreichischen Innenpolitik vor.
Sie greift sich zwei heimische Politiker und läßt „Wespenmaler“ und „Grinshorn“ in aller Deftigkeit aufeinanderprallen. Daß beide einander stets beim Namen nennen müssen (!), mutet in der dargebrachten Stringenz wie eine Apotheose der Verblödung an.

Was dabei heraus kommt, ist auf den Punkt gebracht:
Faschismus, Biertischseligkeit, rechtsgerichteter Fanatismus, reduziert und potenziert, sodass ein unerträgliches Gemisch aus Geheule, Gekreische und Gejohle entsteht.
Der Inhalt also verstümmelt die Sprache selbst vollständig, sodass diese zum (nichtsprachlichen) Ebenbild dessen wird, was Kreidl an politisch Ekelhaftem auf den Tisch bringt.

Wir kennen die Autorin und ihren spielerischen Umgang mit Klischees und Knalleffekten, als da etwa in „Süße Büsche“ oder „Schnelle Schüsse“, beides in der Edition Das Fröhliche Wohnzimer erschienen, dieses Mal jedoch greift sie zu ihren bisher härtesten Methoden, um der unterträglichen Ekstase aus Absurdität und Gefährlichkeit Einhalt zu gebieten.

Petra Ganglbauer