Christine Huber: das doch das bauschen kennt

edition chARTS
Wien 2001

Anknüpfungen, Fort- und Weiterschreibungen sind gestattet, das Voraus- und Mitgedachte als Implikation, als eine Art der tätigen Wahrnehmung oder aber der gründlichen Vermutung, die zugleich weit aus dem eigenen Gesichtskreis führt.

Dies alles läßt sich bestens an, um sich mit Christine Hubers textuellem „Vorgehen“ auseinanderzusetzen.

Diese Methode verändert auch die Position der Leserin, die ihrerseits manisch zwischen dem Versuch, das Ent-sprechende zu benennen und jenem, das Nichtgelesene für sich hörbar zu machen, hin und hereilt.

Aus dem unmittelbar Erlesenen werden sehr individuelle Teile nachvollziehbar, versprühen sich im Augenblick poetisch, bleiben aber mit einem dahinter-, davor-, darüber- oder darunterliegenden Textkorpus verwoben.

So nimmt Unfertiges, belebt durch die Mitarbeit der Leser, Gestalt an.

Texte als Übergänge, Scharniere, Drehmomente sind das.

Anläufe, Vorgänge, Verlauf, Über- und Beschreibungen, allesamt sehr rhythmisch, konsequent, knapp.

Heterogen in Gattung und Gestalt, eine Zeichnung von Konturen, eine Verdeutlichung von Ein- und Anrissen, Knüpfstellen, Verdichtungsstellen, eine Andeutung von Netzen.

Unwillkürlich stellt sich das Verlangen nach der akustischen Komponente ein.

Ich möchte die Texte hören.

Petra Ganglbauer

Clemens Gadenstätter & Lisa Spalt: TAG DAY schreibspiel

edition gegensätze
Graz-Wien 2000

Parameter der Wahrnehmung, das Organische mithin, wie zirkuläres Denken sind Gegenstand jener dialogischen Annäherung, welche der Komponist Clemens Gadenstätter und die Autorin Lisa Spalt in ihrem Band „TAG DAY schreibspiel“ vornehmen. Es ist dies der insgesamt 12. in der Reihe gegensätze.
Die bisherigen vorliegenden Bände der Reihe, die von Dieter Sperl und Paul Pechmann herausgegeben wird, sind allesamt sehr unterschiedlich konzipiert; gerade das macht die Edition so spannend.

Um das Einzelne wie/als das Ganze geht es in den Untersuchungen von Spalt und Gadenstätter, um das Ganze als Teil seiner selbst, als konstitutives Element, als Organ (s)eines Gesamtorganismus.

Realität, Bedeutung, Zeit sind einige Untersuchungsfelder, mit denen sich die beiden befassen, und dies stets auch im Spiegel von Kunstproduktion.
Was sich ergibt, sind lakunäre (Gedanken)teppiche, Interdependenzen, Kongruenzen, Repulsionen.
Wenigstens ansatzweise wird auch zurückgegeriffen auf Bestehendes, ich persönlich erinnere u.a. eine gewisse Nähe zu „Die fraktale Geometrie der Natur“, von BenoÎt B. Mandelbrot, jedoch wird ausgewiesen: „nichts stimmt hier wenigstens prinzipiell…/ oder:/ alle anklänge an bestehende philosophische/ systeme sind unterlaufen und willkommen.“

Ein interessanter Band für all jene, die sich wieder und erneut einer phänomenologischen Auseinandersetzung stellen möchten.

Petra Ganglbauer

Erika Kronabitter: Ich auf Chios

Das fröhliche Wohnzimmer – Edition
Wien 2000

Fliegender (Gedanken-) Wechsel, unterschiedliche Perspektiven in einem eigentlich sehr streng gestalteten Band:
Von der Korrespondenz, dem Aufenthalt, den Katzen, der Schönsicht, der Schlechtsicht, den Tagen, den Nächten, den Jahreszeiten, den Jahren.
Von Griechenland und vielem sonst.
Wortfall, der einem Sog gleich die Lesende in jenen Empfindungsraum zieht, den man mit Griechenland verbindet. Man fühlt sich versetzt, – und dann plaziert, willkommen geheißen in einer Befindlichkeit, die vieles anklingen läßt, was einem vertraut ist und doch eigenständig anmutet.
Es sind die kleinen unspektakulären Erlebnisse, Gesten, Geschehnisse einer äußerlich griechischen Dorfstruktur einerseits; das Sprengen des Kopf- und Seelenraumes der ICH-Person andererseits: Tagebuchaufzeichnungen.

Strukturell ist dieser Band gerade deshalb so interessant, weil er aus unterschiedlichen Blickwinkeln her angelegt ist:
Da gibt es (filmische) Schnitte/ Aufzeichnungen/ (Kamera-) Einstellungen (mit Katzen)/ das Einwirken realer Außenpersonen wie etwa Friederike Mayröcker auf die eigenen literarischen und theoretischen Überlegungen.
Und hier überschneidet sich auch schon wieder einmal gekonnt Realität mit Fiktion. Aber ist nicht alles Wirklichkeit?!

Ein lesenswertes, unterhaltsames Buch!

Petra Ganglbauer

Christian Steinbacher: Für die Früchtchen

Ein Plädoyer

Haymon Verlag
Innsbruck 2000

„Wenn sie mich sehen ich bin ein Ungeheuer der Einsamkeiten es sieht den Menschen zum ersten Mal und flieht nicht die Forscher bringen die Haut in ihrem Gepäck heim…“ heißt es bei Samuel Beckett in „Wie es ist“.

Christian Steinbacher, der rührige Denker, Autor, Verleger legt mit „Für die Früchtchen. Ein Plädoyer.“ seinen ersten Prosaband vor; und was bei Beckett steht, ließe sich durchaus auf dieses Buch übertragen. An höchst frequentierten Gedanken-Kreuzungen bewegt sich das ICH, – Ungeheuer des einsamen Scheiterns und Forscher in einem – unter ebenso rastlosen wie schöpferischen Infragestellungen, Korrekturen, Revisionen, Überlegungen – und immer wieder fließt höchst Persönliches, die Banalität des Alltags ein.

Es sprießen und wuchern Lust und Qual am Denken, am Schreiben, am denkenden Schreiben, am schreibenden Denken, – Steinbacher beruft sich hiebei auf das Potential der bilder- wie blumenreichen Sprache der Romantik; Novalis oder Jean Paul flackern auf und fungieren als Ausgangsorte wie auch konstitutive Elemente eines sehr rhythmisch geprägten Textkörpers, der unablässig wellenartig überschwappt, also letztlich nicht faßbar wird.

Aber dieser denkerisch-literarische Sprengstoff legt noch weitere Stimmen frei, wie jene Becketts oder Paul Wührs.

Eingeflochten wird die direkte Auseinandersetzung mit dem Schreiben, dem Rezipieren. „… Mißton!/ –Ja, aber so einfach geht das dann nicht./ –Nämlich Schönheit UND Mißton./ –ALSO Poesie.“, heißt es etwa an einer Stelle.

Fertil kommt diese Sprache daher und doch ist auf einer Meta-Ebene eine gewisse intellektuelle Trockenheit, Sachlichkeit spürbar, die einen notwendigen Gegenpol zu dieser Üppigkeit bildet. Es scheint unablässig, sich als Leser/in auf jenen intensiven Auseinandersetzungspegel zu begeben, dem sich der Autor schreibend überließ; nur dann ist man imstande, in das Werk genau hinein zu hören; stellte man die falsche Frequenz ein, bliebe man sehr wahrscheinlich am Rande und der Text hinterließe ein unbändiges Rauschen.

Petra Ganglbauer

Ilse Kilic: Die Rückkehr der heimlichen zwei

Ritter Verlag
Klagenfurt-Wien 2000

kilic-rueckkehrIlse Kilic, Autorin, Verlegerin, Musikerin, Filmerin, ist uns als harte Sprach(be)arbeiterin bekannt. Aus der Freiheit dieser Position leistet sie sich seit einiger Zeit, auf eine andere – von ihren sonstigen Elaboraten sehr differente, auch entspanntere Sprachmelodie – einzugehen.

„Die Rückkehr der heimlichen zwei“ lautet das Fortsetzungsbuch zu „Als ich einmal zwei war“. Mehr oder weniger direkt übernommen wird das erzählende ICH, Personen und Figuren wie auch der Lebenskontext aus dem ersten Band.

Was vom Titel her einen gestandenen Jugendkrimi verspricht oder aber eine weitere „Autobiografie“ erwarten läßt, entpuppt sich sehr bald als Textgebilde, welches in seiner Struktur einer Zwiebel gleicht und dessen stilistische Homogenität im Hauptteil, von einem „Widmungstext „, einem „Eingang“ und einem „Ausgang“ – formal unterschiedlich – eingerahmt wird. Als „Eingang“ fungiert ein quasi analytischer Metatext, der sich mit der psychologischen Beschaffenheit von „Druck- und Ergänzungszwillingen“ auseinandersetzt.

Dazwischen begibt sich die Autorin in liebevoller Annäherung auf die Spuren eines federleichten, hochsensiblen, mitunter sehr ängstlichen ICHs und vollzieht im Laufe des Buches den unablässigen Grenzgang zwischen Tagbewußtsein und Traumbewußtsein, zwischen dieser und jener „Wirklichkeit“.

Wir treffen auf Motive, Bilder, die uns aus anderen, älteren Quellen bekannt sind, wie etwa das Lächeln der Edamerkatze aus „Alice im Wunderland“ von Lewis Carroll.

Reime werden angedeutet, etwa wenn in einer von der einohrigen Begleiterin erzählten Geschichte Ilse Bilse anklingt ; ein Rätselspruch findet auch seinen Platz, diesmal mit direkter Quellenangabe.

Einen gedanklichen wie formalen Höhepunkt erfährt die Erzählung von der Wiederbegegnung der Protagonistin mit ihrer Zwillingsschwester, vom Abtausch beider Identitäten und den damit verbundenen Abenteuern, als die Autorin fast symbolisch das Zwiebelschalengebilde entblättert. Das achtmalige Erwachen vom Erwachen soll letztlich zu keiner Klarheit der Selbsterkenntnis führen.

Denn: Die Zeit hiefür fehlt und der Weg, der nur ein Ziel kennt, läuft ohne Unterlaß!

Petra Ganglbauer

Lisa Spalt: leichte reisen von einem ende der erde

blattwerk
Linz 1999

Lisa Spalt nimmt die Sprache ernst. Und dieses Ernstnehmen bedeutet eine Art des Sprachspiels, ein Sprachspiel jenseits der tagtäglichen Sprachspiele, die uns nicht zum Bewußtsein kommen. Spiel soll hier nicht als Gegensatz zum Ernst stehen, sondern als dessen Erweiterung, Einübung und Ergänzung. Dieses Sprachspiel besteht darin, auf eine Art in Sprach-Fallen zu tappen, die diese als Fallen (Falten?) deutlich werden läßt, als angelegte Bedeutungen in der Sprache, die im alltäglichen Sprechen nicht zur Geltung kommen. Es ist das geheime Leben, das den Wörtern und Sätzen innewohnt und das hier plötzlich unter der Spaltlampe sichtbar wird. Doppeltrichter nennt der Verleger Christian Steinbacher dieses irritierende Phänomen, wie sich während des Lesens die Bedeutung des Satzes ändert, ein kleines Verschieben, ablenken, ein gelenkiges Scharnier genügt und schon steht der Satz anders da, als wir ihn erwartet haben. So offenbart sich der Spalt’sche Doppeltrichter als ein Wurmloch, durchaus vergleichbar jenen Wurmlöchern, durch die etwa die (T)Raumschiffe Enterprise oder Voyager in weit entfernte Galaxien halb gezogen und halb aus eigenem Antrieb gelangen. Die Leserin empfindet beim Durchqueren eines Spalt’schen Wurmlochs eine tiefe und lustvolle Irritation – ebenfalls vergleichbar den Star Trek Reisenden, die zunächst kaum fassen, was ihnen widerfährt und die genau durch diese (Aus)Dehnung ihres Fassungsvermögens in einen Zustand neuer Erkenntnis gelangen.

Wenn also Lisa Spalts Sätze sich drehen und auf eine verborgene Bedeutung zusteuern, erleben wir einerseits eine Dehnung des eigenen Denkens, eine Art „Aha-Erlebnis der zweiten Potenz“, andererseits geht es aber auch um den Moment der Nachfrage: hatte jene angelegte Bedeutung, von der sich unser alltägliches Sprechen immer wieder abwendete, vielleicht doch eine Wirkung? Denn, und hier zitiere ich Eva Meyer: „Diese Wortverbindung hat keinen Sinn, heißt nicht, sie hat keine Wirkung. Und auch nicht: Sie hat nicht die gewünschte Wirkung“.

Und es geht bei Lisa Spalt weiters um die Herstellung von Bildern in der Sprache. Die Herstellung von Bildern, die nicht gedeutet werden müssen, weil es Bilder sind, in denen man denken kann. Und wie die Bewegungen der Augen bei der Betrachtung eines Bildes scheinbar herumirren, was genau ihre Arbeitsweise ist, um sich ein Bild zu machen, ist das Denken in Lisa Spalts Bildern scheinbares Herumirren, was eine Arbeitsweise des Denkens ist, um sich Gedanken zu machen.

Mit einem Wort, hier sind die Keime für das Nachdenken über viele Dinge, ein Buch für das zänkische Gehirn, dem wir nichts wirklich befehlen können, aber auch ein Buch der Befreiung von ebenjenem Zank durch Bewegung, ein Buch des Verfertigens von Gedanken.

Ilse Kilic & Fritz Widhalm