Valerie Fritsch: Winters Garten

Roman

Suhrkamp Verlag
Berlin 2015

Einen weit gespannten, dich gewebten, poetisch aufgeladenen Erzählbogen, der sich den globalen und existenziellen Abgründen jeglicher Existenz verschreibt, hat Valerie Fritsch in ihrem aktuellen Buch gespannt.

Die Autorin führt die wesentlichen Parameter „Oben“ und „Unten“, Mikro- und Makrobereich sowie das Detailreiche und die (philosophische) Metaebene souverän zusammen und legt ihr synästhetisches Augenmerk auf Leben und Bedrohung, auf das Florierende ebenso wie das Apokalyptische.

Fritsch befasst sich, wie im übrigen nicht allzu viele zeitgenössische österreichische Autor/inn/en, mit dem Phänomen des Weltuntergangs – und die Stadt, in der der Vogelzüchter und Protagonist Anton Winter die unerwarteten Ereignisse und das uneinschätzbare, aus einer scheinbaren Eigendynamik heraus entstehende Geschehen beobachtet, befindet sich in einer final extremen Lage, der Natur und ihren Gewalten ausgeliefert. Mit ihr verändern sich die Menschen, sie unternehmen letzte verzweifelte Versuche, das Grauen abzuwenden.

Fritsch zeichnet das Dräuen vor dem Weltuntergang – alles ändert sich sichtlich oder auch im feinen, atmosphärischen Bereich. Immer jedoch vertraut die Autorin einer üppigen Sprache, die ab und an rhythmisierter, dann wieder beinahe stoisch daherkommt und gerade da einen gelungenen Kontrast zu den Außen- und innenseelischen Turbulenzen der Betroffenen herstellt.

Die Versuche, die Zerstörung durch zutiefst menschliche Regungen und Eigenschaften aufzuhalten, müssen scheitern.
Ein wichtiges Buch, das nicht nur von äußeren Katastrophen erzählt, sondern ebenso eine Kartografie innerseelischer Prozesse und Entwicklungen ist.

Petra Ganglbauer

Erika Kronabitter: Endlich Alles Richtig

Edition Taschenspiel
Verlag beim Augarten, Wien 2015

Lakonisch, bisweilen bewusst frech, in jedem Fall voll Selbstironie gibt sich das neue Buch von Erika Kronabitter, welches die Autorin in thematisch wiederkehrende Module gegliedert hat.

Die (Selbst)erkenntnisse umkreisen das Älterwerden mit seinen Begleiterscheinungen, das Leben und Wohnen, das Reisen, die Architektur, das Beobachten, das Schreiben und das Nichtschreiben; mittels insistierender Schleifen werden diese Themen „aufgezogen“ und mit ihnen auch die Figuren in diesem Buch, etwa die Wohnungsnachbarn der Protagonistin, welche die Autorin lediglich mit ihrem Anfangsbuchstaben namentlich erwähnt, ein Kunstgriff, der sie fernhält, der sie – trotz ihrer individuellen Eigenheiten – schemenhaft erscheinen lässt.
Da gibt es die unfreundliche und arrogante Nachbarin oder den überfreundlichen Nachbarn.
Sie alle werden jedenfalls genauestens beobachtet und auf einen leichtfüßige Art analysiert.

Mitteilsam, lebendig, humorvoll und bunt kommen die Themen in diesem Buch daher, wenngleich es durch seine Ordnung einen straffen Rahmen hat; bisweilen verdichten sich Passagen, indem die Autorin listenartige und serielle Raffungen inmitten des Erzählens vornimmt.

Ein kurzweiliges, konsequent geschriebenes Buch, das auch seinen Unterhaltungswert hat!

Petra Ganglbauer

Sissi Tax: vollkommenes unvollkommenes

Prosa

Literaturverlag Droschl
Graz 2014

Richtungsweisende (Meta-)Sätze, entschiedene Anläufe der Sprache gegen das Vergehen, ein atemloses und doch konzentriertes immer neues „Den-roten-Faden-Aufgreifen“, assoziativ, voll von Implikationen, sprachspielerischen Kunstgriffen mithin, so gestaltet sich der neue Band von Sissi Tax, der sich in den methodischen Kontext der voran gegangenen Publikationen fügt.

Tax setzte Markierungen, Haltepunkte, Stationen – Anreize für die reflexive Spracharbeit, für die lebendige Auseinandersetzung mit dem Generieren von Texten, dem Herstellen von Texten aus Texten.
Ebenso streng wie fließend, rhythmisch wie präzise sind diese Spracharbeiten! Und doch und dennoch ist dieser Gestus unterhaltsam und humorvoll.

Empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Elfriede Czurda: Buch vom Fließen und Stehen

ÜBERSCHREIBUNGEN

Edition Korrespondenzen
Wien 2015

Auf der einen Seite artikuliert sich eine Suada, voll von lebensnahen, scheinbar praktischen Ansagen und erfahrungsreichen Redewendungen – Anläufe (auch menschliche Irrläufe vielleicht), Aussagen voll begrenzter Wertigkeiten.

Auf der anderen Seite – und weitaus ausgesparter im Duktus – setzen sich allgültige, „ewige“ Aussagen, voll absoluter, weit über das Menschliche hinaus reichender Wertigkeiten durch, die, obgleich zentriert und leiser tönend, den kleinen menschlichen Kosmos aus einer zentrierten Position heraus sprengen.

Elfriede Czurda schreibt – ohne einem simplen Übersetzungsversuch zu unternehmen – den Bildwirklichkeiten und Konzeptionen des Daodejing von Laozi folgend, dieses legendäre Werk neu.

Eine schöne Herausforderung auch für die Leserinnen und Leser.

Petra Ganglbauer

Sabine Gruber: Zu Ende gebaut ist nie

Gedichte

Haymon Verlag
Innsbruck-Wien 2014

Der Gestus der vorliegenden Gedichte ist ein äußerst klarer, entschiedener, die Stimmführung eine, die ohne große „Emphasen“ auskommt – die Wirkung groß! Ein deutlicher Nachhall, um nicht zusagen, eine Nachhaltigkeit geht von diesen Texten aus, die um existenzielle Fragen von Werden und Vergehen kreisen – sich also vorzugsweise dem gewissermaßen traditionell lyrischen Motiv der Vergänglichkeit widmen.

„Mir zittert das Gesicht im Frost“, heißt es etwa.

Aber auch die wesentlichen Zeitereignisse werden in diesem schmalen, handgebundenen und beeindruckenden Band in die lyrische Auseinandersetzung einbezogen. „Die Totenkronen/Schwimmen wie Treibholz ins Offene“.

Topografische Notationen sind ebenso enthalten, die eines der Grundprinzipien von Lyrik, nämlich die Spannung zwischen dem Innen und dem Außen verkörpern: „Inwendig Venedig, auswendig“.

Ein empfehlenswertes Buch, das die Marktkonformität großer Wälzer unterwandert!

Petra Ganglbauer

Judith Nika Pfeifer: zwischen

Prosa

Czernin Verlag
Wien 2014

Da wird bereits in den ersten Zeilen die Zeit zurück gespult; da beginnt eine Liebesgeschichte mit den Worten „Hej“; wird das Ping-Pong der zärtlichen Blicke des Werbens einem alten Mythos entnommen und in die Gegenwart transferiert.
Judith Nika Pfeifer spricht in ihrem Buch „zwischen“ mittels formal unkonventioneller Prosa-Texte zum Leser.

Tatsächlich transportieren die Arbeiten eine Art Grenzzustand.
Zum Einen in inhaltlichem Sinne: denn in den Texten geht es um den Moment zwischen Leben und Tod – sei es, wenn eine Seiltänzerin den Halt verliert, sei es, wenn das Reh sich einen Windzug wünscht und dadurch der Erzherzog Franz Ferdinand zu Tode kommt – und andere Extremsituationen wie heimlichen Sex, spannende Fußballspiele und Liebesgeschichten zwischen Menschen zweier Clans, die am Roto-See beheimatet sind.

Doch auch die Sprache bewegt sich in einer Art Zwischenwelt: Keine konventionell erzählende Prosa ist es, derer sich die Autorin bedient, jedoch auch keine intellektuelle Sprachspielerei, die sich jeglicher semantischer Deutung entzieht.
Genau so, wie Form, Inhalt und Sprachwahl lässt sich auch der Ton der Texte nicht eindeutig festlegen: Judith Nika Pfeifers „Sound“ oszilliert zwischen Heiterkeit und Tragik, Freude, Trauer, Liebe und Banalität. Politische Vorkommnisse wie die Erschießung Franz Ferdinands werden genau so thematisiert wie das erste Mal zweier junger Menschen.

Was wünscht man sich da noch mehr als einfach im „Loop“ des gleichnamigen Textes stecken zu bleiben? Ein besonderer und eigenwilliger Band ist der Autorin hier gelungen. Gespannt warten wir auf mehr Material.

Sophie Reyer

Gerhard Jaschke: Kurumba oder Die nicht geschriebenen Sätze

Sonderzahl Verlag
Wien 2014

Die Versammlung der literarischen Glanzlichter, ein Tango der Sprache, zahlreiche literarische Methoden, die Zusammenschau von Medienwirklichkeit und ganz persönlicher Lebensbetrachtung finden sich in diesem wieder so gelungenen Buch des österreichischen Autors und Editors.

Gerhard Jaschke verwebt quasi multidimensional Innen- und Außenwelt, spendiert Bonmots und Aphoristisches, Zitate, Sprachspiel und fundamental Subjektives in diesem Werk, das so reich an gedanklichen Exkursen, politischer Positionierung und Kunstsinn ist!

Mittendrin finden wir, die Lesenden, uns als Angesprochene und Zeugen dieses komplexen Wirklichkeitsverständnisses.

Ein stilles, hoch sensibles Ich artikuliert sich zudem immer wieder zwischen den lauten, bewusst überhöhten und bisweilen auch schrillen oder lakonischen Gesellschaftsexkursen.

Sehr ansprechend!

Petra Ganglbauer

Rudolf Kraus: tausend tode könnt ich sterben

Verlagshaus Hernals
Wien 2014

Expressive, dreiste, lakonische, lebensphilosophische Gedichte sind das, im existenziellen Spannungsfeld zwischen Leben und Tod angelegt, mit allem, was sich da so dazwischen abspielt.

Sensible Sequenzen (abendrot, mit unseren tränen z.B.) tauschen sich mit lakonischen ab (das perfekte gedicht) – dazwischen etwa findet sich eine Serie mit fragil angelegten Haikus.

Erdenschwere, auch Todesschwere (siehe Cover!), Lebensgewicht, Traurigkeit aber auch Erheiterung, Erinnerung am Tollkühnes färben diese Gedichte, die teilweise noch aus den Achtzigern stammen, mit dem unterschiedlichsten Gefühlsregungen ein.
Was ihnen gemeinsam ist, ist ihre Kürze und wie Armin Baumgartner in seinem Nachwort schreibt – : „…ich will lieben und weinen und staunen und schmunzeln, will mich wundern können, will sterben und leben.“
Baumgartner antwortet auf die fiktive Frage, welche Eigenschaften eines Texte ihn faszinieren würden. Und er beendet sein Nachwort dergestalt: „Die Antwort findet sich auch in diesem Buch.“

Ich schließe mich gerne an.

Petra Ganglbauer

Andrea Zámbori: HERZBAU

Edition CH
Wien 2014

Das Buch als Kontaktaufnahme, als Verständigungsmittel, als Angebot für eine Korrespondenz: so ist der vorliegende, trefflich bildnerisch umgesetzte Band Andrea Zámboris zu verstehen. Er öffnet das Herz und eröffnet die Kommunikation mittels Wort und Bild!

Eine literarisch und künstlerisch umgesetzte Form jener kleinen Büchlein, die wir gerne auf dem Nachtkästchen liegen haben, ist das – ein Wegbegleiter!
Das vorliegende Buch steckt voll liebevoller Aufforderungen: „spring eventuell in einen großen sockenberg hinein.“

Von Günter Vallaster, dem Verleger des Bandes, wissen wir, dass er immer wieder Motive verschiedenster Publikationen aufgreift und vernetzt: der Sockenberg in realiter war Gegenstand einer Lesung, die Blätter des Zeitbaums, ein weiteres Motiv, finden sich auf einer Einladung!

Ein schönes Buch!

Petra Ganglbauer

Margret Kreidl: Einfache Erklärung

Alphabet der Träume

Edition Korrespondenzen
Wien 2014

Dieses Mal: Träume.
Rund 360 Traumtexte, alphabetisch geordnet. Jeder Traum hat eine Überschrift und eine „Einfache Erklärung“.
In dieser strengen formalen Ordnung spielt sich‘s ab: Kuchenessen, Krebsgeschwüre, spritzende Milch aus Kuheutern, der Tahrir-Platz, bunte Blumen, Spinat, verfilzte Haare, Thalgau, Kofler, Nagellack, Snowden, ägyptische Ratten, saftige Schwänze, Graz, Rühm, Buchstaben, Kilic, japanische Flüche, Gretchenprosa, Gezi Park, I-Künstler.
Geträumt wird in der Gegenwart der Autorin.

Margret Kreidl greift um sich: In ihr „Traumtagebuch“, in ihre Notate, in ihre Traumdeutungslexika; Sigmund Freud wird herangezogen, tradierte Traumdeutungen, triviale Traumdeutungsratgeber. Lapidar, lakonisch, komisch, aberwitzig, skurril, beklemmend: Die einfachen Erklärungen.

Die Traumtexte in Prosa, Dialogen, Listen, Gedichtform, Fragmentarischem, bis hin zu nur einem Wort sind fein gesponnen, scharf ziseliert. Große Würfe, herangezoomte Mikrokosmen.

Traumtitel, Text, einfache Erklärung stehen nebeneinander, suggerieren Kausalität.
Die Träumerin ist nicht zu stören, die Leserin kommt den Träumen nicht aus.
Eine gelungene Untersuchung der Bandbreite der Traumdeutung.
Ich habe dieses Buch bis zum Ende gelesen, fertig bin ich nicht.
„Einfache Erklärung: Fragen halten uns wach.“

Hannah Sideris