Fritz Widhalm: EIN BUCH

edition das fröhliche wohnzimmer
Wien 2011

Das neue Buch von Fritz Widhalm ist im wahrsten Sinn des Wortes ergreifend. Es packt zu, zieht uns hinein in den Lebenskreis, den ganz persönlichen Entwicklungskosmos des Autors.

Lesend werden wir zu Zeitzeugen seiner/ einer Generation, machen die Entwicklungen des Autors regelrecht mit und stürzen uns voll Enthusiasmus auf ein Stück Musik- oder auch Literaturgeschichte.
Buchtitel, Autor/inn/enkolleg/innen blitzen namentlich auf; Menschen aus dem nahen Umfeld des Autors, allen voran und sehr, sehr oft seine Lebensgefährtin Ilse Kilic, werden ausführlich einbezogen.

„ich schreibe ein buch.“, beginnt dieses Buch und somit sind wir mehr oder weniger auch Realtime-Zeugen.

Es ist, als ob Widhalm noch einmal und nachdrücklichst mit dem Finger, nein mit der Füllfeder, dem Bleistift oder der Tastatur auf spezifische Momente und Persönlichkeiten aus Kunst, Musik, Literatur oder auch Philosophie und Psychoanalyse verweist, um uns wach zu rütteln, damit wir tiefer gehen, weg von der Oberfläche einer vermeintlichen (eingebildeten) Jetztzeit.

Das Buch ist auch voll Glitter und Glamour. Und tja, süß ist das Buch und sahnig! Zum Anbeißen und Angreifen, zum Hören, zum Schauen.

Mit Fotos und Zeichnungen und einer Liste der Lieblingshits des Autors von 1956 bis 2005. Sehr empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Sabine Gruber: Stillbach oder die Sehnsucht

Roman

Verlag C.H.Beck
München 2011

Sabine Grubers neuer Roman erzielt seine besondere Qualität aus dem Zusammenwirken von Geschichtsaufarbeitung, historischem Bewusstsein und einer besonderen Atmosphäre – die vor allem dann wirksam wird, wenn die Autorin akribische Naturschilderungen einsetzt, um innerseelische Prozesse zu spiegeln.

Dazwischen werden historische und persönliche Ereignisse situativ, topografisch oder aber auch erinnernd festgehalten. Besonders erwähnenswert sind die aufgeladenen Bewusstseinswiedergaben. Sie muten bisweilen synästhetisch an.
Der Roman lässt auch zu, das sich die Zeiten miteinander verschränken, Gegenwart und Vergangenheit miteinander da und dort (wie) verschmelzen.

Dicht erzählt die Autorin über die Geschichte Südtirols, die Resistenza und den deutsch-italienischen Faschismus.
Die Romansequenzen werden ergänzt durch ein ausführliches Glossar, das auch jenen Leser/inne/n dienlich ist, die mit den angesprochenen Kapiteln der Geschichte und deren Protagonisten nicht so vertraut sind.

Es geht aber auch um Liebe, Enttäuschung, Unterdrückung in einem ganz persönlichen Rahmen: Stillbach, ein fiktionales Dorf in Tirol fungiert dabei als Ausgangsort. Emma geht 1938 nach Rom, um als Zimmermädchen in einem Hotel zu arbeiten; sie heiratet schließlich dort ein. Ines, ebenfalls aus Stillbach, die 1978 in demselben Hotel in den Ferien jobt, schreibt Jahre später deren Geschichte nieder. Parallel oder auch immanent wird auch das politische Geschehen in Rom 1944 und 1978 aus der Sicht Emmas und Ines‘ aufgezeigt.
Clara, auch aus Stillbach und nach dem Tod von Ines nach Rom gereist, um deren Nachlass zu ordnen, findet dieses Manuskript, welches im übrigen einen wesentlichen Teil in Sabine Grubers Roman ausmacht; also eine Geschichte in der Geschichte ist.

Ein empfehlenswertes Buch!

Petra Ganglbauer

Helmuth Schönauer: After Hofer

Illustrationen von Bertram Haid

Edition BAES
Innsbruck 2010

Das vorliegende Buch subsumiert viele der gesellschaftskritischen Stimmerhebungen, die der Autor konsequent seit Jahren einsetzt.

Der Sandl-Wirt Handy After Hofer, Handreas Hofer (nunmehr Handy Hofer oder Oasch Hofer) wird in ein bewusst verballhorntes, entfremdetes, pervertiertes Regional-Setting (nördlich von Meran) gestellt, umrahmt von den Insignien der spätkapitalistischen Gesellschaft.

Das lakonische Buch verschränkt die Residuen eines bereits verkommenen und abnormen politischen Bewusstseins mit den Auswüchsen von Artensterben, Tourismus, Showgeschäft, Leistungssportmanie, Totalitarismus usw.

Spannend der sprachreflexive Zugang, der dem Text etwas Skurriles mithin Abstraktes verleiht.
Wo die Sprache – auf Zeit – aufhört, setzen die Illustrationen an; beide, Text und Bild, passen kongenial zueinander.

Petra Ganglbauer

Andreas Unterweger: Du bist mein Meer

Novelle

Droschl Verlag
Graz 2010

Es beginnt alles mit dem Verlust eines Fotoapparats.
Dann folgt ein subtiles Spiel mit Innen- und Außenwahrnehmung, ein Schwenk der Zeiten; zwischen Involviertheit und kühler Distanz bewegen sich die Skizzen, Bildeinstellungen Andreas Unterwegers.
Seine Sprache, schmale Zeilen, unprätentiös und dennoch knisternd, Spannung erzeugend, lokalisiert sich zwischen den Ereignissen, dem Tun, dem Leben also und externen Einwürfen: Regieanweisungen.

Die ruhige poetische Kameraführung gestattet, dass trotz der vielen Wahrnehmungsswitches jede Gedanken- oder Bildeinstellung nachvollziehbar und miterlebbar wird.

Diese Arbeit lebt von der eigenwilligen Zusammenschau aus Ruhe und einer Art Dauerbewegung. Das Buch als Film.

Alles inszeniert sich zwischen den Zeilen, die wenigen Sätze setzen Akzente, die Leere dazwischen spricht und erzählt von der Liebe, auch von dieser.

Petra Ganglbauer

Christian Steinbacher: Winkschaden, abgesetzt

Gedichte und Stimmen

Czernin Verlag
Wien 2011

Aufreizend, tirilierend, ironisierend, – die Stimmführungen im neuen Buch von Christian Steinbacher umfassen diese Qualitäten und noch viel mehr.

Die Gedichte / Stimmen erzeugen ornamentale, irrwitzige, verstiegene, organische oder aber auch höchst artifizielle Blickfänge. Was da alles einverleibt und anverwandelt wird, lässt den Schluss zu, das im Alltag – dem allzu Menschlichen mithin – ebenso viel Zauberhaftes, Poetisches auszumachen ist wie in anderen, weit gefaßteren Kontexten.

Steinbachers Texte prägen sich exzessiv und durchaus lautstark – manchmal wie Posaunentöne – ein.
Es sind komplexe Gedankengebäude, die mittels Sprachspiel und poetischer Fertigkeit, den Ernst des Lebens und wohl auch dessen Unumgänglichkeit verkünden.

Petra Ganglbauer

Manfred Chobot: Der Tag beginnt in der Nacht

Eine Erzählung in Träumen

Sonderzahl Verlag
Wien 2011

cover_chobot_sonderzahlDas neue Buch von Manfred Chobot steckt voll überraschender Wendungen. Die jedoch sind so geschickt inszeniert, dass man als Leser/in die Switches kaum oder gar nicht registriert.

Das Buch fokussiert die Traumwirklichkeit wie den Wachzustand und ist gespickt mit detailfreudigen Ereignissen, topografischen und kontextuellen Exkursen. Darüber hinaus ist es humorvoll.
Das Besondere aber – im Gegensatz zu anderen Traumprotokollen und ähnlichem – ist, dass es gewissermaßen die Bewusstseinbewegung wie einen großen Strom nachzeichnet, einen Strom, der einerseits voll Wirbel und Stromschnellen steckt, andererseits aber den Ich-Erzähler und uns, die Lesenden, quasi mit sich zieht.

Ehe wir es begreifen, stecken wir mit dem Protagonisten und den zahlreichen anderen Personen mitten in einer Situation, einer Geste, einem Gespräch, einer Interaktion, die fest im Tagbewusstsein verankert scheint. Im selben Augenblick hat uns der Schlaf (Traum) – die Übergänge vom einen zum anderen sind fließend.
Die Unterscheidung fällt sichtlich schwer. Die Erzählung mutet äußerst suggestiv an.

Ein Buch, das Tagbewusstsein und Traumbewusstsein gewissermaßen zeitgleich zu erfassen sucht. Sehr gelungen!

Petra Ganglbauer

Ilse Kilic, Fritz Widhalm: Alles, was lange währt, ist leise

Des Verwicklungsromans siebenter Teil

Edition ch
Wien 2011

Stimmen, Erinnerungen, höchst lebhafte Treffen von lebenden zeitgenössischen, durchaus auch der Rezensentin bekannten Autorinnen und Autoren, Künstlern und Menschen; viele humorvolle und authentische Schwenks – zurück in der Zeit – würzen den 7. Teil des Verwicklungsromans.
Dieses Buch pulsiert, ist nah am Leben und dennoch ungewöhnlich, wie das Leben, die Sprache, die Literatur selbst.

Wir freuen uns, noch mehr und nach und nach über Leben und Wirken, Hoppalas und Sternstunden von Jana und Naz zu erfahren.
Das Buch sei allen, die sich bis jetzt auf diese aufregende Lebensgeschichte des Schriftstellerpaares nicht eingelassen haben, ans Herz gelegt und dringend empfohlen!
Der Titel wirkt wie ein achtsamer Kontrapunkt.
Der Editon ch wiederum sei gedankt, dass sie so konsequent dieses Lebensprojekt fortsetzt – auch wenn es an einer Stelle heißt: „die vergangenheit ist klar vorbei, sagt der dichter ernst herbeck…“
Vielleicht gerade deshalb umso mehr!

Petra Ganglbauer

Monika Giller: Schwarzlicht

Erzählungen

Edition Art Science
Wien und St. Wolfgang 2011

Diese Erzählungen sind dicht gestrickte, emotional aufgeladene Stücke Wirklichkeit (oder fingierte Wirklichkeit). Sie packen zu.
Schon der Cover leuchtet in der Signalfarbe Rot, das Bild in seiner Mitte mutet wie eine Sinnestäuschung an: Einmal zieht es das Betrachter-Auge in die Tiefe, ein anderes Mal stülpt sich der Grund des Bildes aus, als ob er direkt ins Auge fahren wollte.

Monika Gillers Erzählungen bewegen sich tief in und an den Rändern der Wirklichkeit, befassen sich gleichermaßen mit Leidenschaft wie mit der Vergänglichkeit von allem. Sie fassen hinein ins Farbige, Bunte, in die Lebenslust und lassen zugleich etwas Anderes anklingen, etwas das weitaus fragiler ist, das alles auch irgendwie in Frage stellt.

Es sind Geschichten von Leben, Liebe, Abschied, manche ironisch gebrochen und doch insistierend; der Erzählstil ist oftmals ein kreisender; Giller wendet wiederholt Komposita, Assonanzen an, knüpft Worte an Worte, spinnt einige der Texte immer wieder in leichten Abwandlungen weiter.

„Der Staub liegt wie ein Sandstrand in den Zimmern.“, heißt es in einer der Erzählungen. Die Unausweichlichkeiten des Lebens liegen ganz dicht an den Träumen. Dies wahrzunehmen legt dieses Buch nahe.

Petra Ganglbauer

Lisa Spalt: Blüten

Ein Gebrauchsgegenstand

Czernin Verlag
Wien 2010

Mit diesem Buch unternimmt Spalt eine poetische, formal konzise, streng strukturierte Suchbewegung, ist Forschungsreisende in Sachen Kulturgeschichte. Schon der Titel spricht gezielt diese absurde gesteuerte Zusammenschau von Ätherischem und Marktcharakter an.

Wie auch bereits in anderen Texten (Essays) fokussiert die Autorin die Machbarkeit und Verwertbarkeit von Dingen/Waren, setzt sich mit Gewinnmaximierung, Zuordnungen, Kategorisierungen von Körper oder Natur (auch von Sprache) auseinander; der Warencharakter von Organischem wie Anorganischem – und somit auch gewissermaßen deren Gleichstellung – ist Gegenstand dieses Buchs.
Lisa Spalt zeichnet formal wie begrifflich die Überprüfung der Verwertbarkeit von allem nach. Begleitend und die jeweilige Sequenz eröffnend, finden sich botanisch-metaphorische Skizzen.

Den Ausgangsort für den Exkurs bilden die „krankhaften Auswüchse am Beispiel der holländischen Tulpenmanie zu Beginn des 17. Jahrhunderts…
Plötzlich wurden Tulpenzwiebeln statt Aktien gehandelt, Laien riskierten an Tulpenbörsen, die in den Hinterzimmern von Wirtshäusern eingerichtet worden waren, ihr Hab und Gut.“ (So der Verlagstext).

Eine konzeptuell wie sprachlich fordernde, in ihrer Nachdrücklichkeit und präzisen Aufarbeitung radikale Arbeit. Empfehlenswert!

Petra Ganglbauer

Christine Huber / Magdalena Knapp-Menzel: Durchwachte Nacht. Gedankenstrich.

Edition Art Science
Wien und St. Wolfgang 2010

Schön, dass sich zwei zeitgenössische österreichische Autorinnen der weißen Flecken, der Schweigelöcher in der Geschichte der Literatur von Frauen angenommen und gemeinsam diesen „überzeitlichen“ lyrischen Dialog zwischen Annette von Droste-Hülshoff, der bedeutenden deutschen Dichterin und der amerikanischen Dichterin Emily Dickinson, deren Gedichte erst nach ihrem Tod gedruckt wurden, verfasst haben.
Angezettelt wurde das Projekt ehedem von Christine Huber, in Magdalena Knapp-Menzel fand sie schließlich eine kongeniale Partnerin für dieses Unterfangen.

Der soziale Stand der beiden Dichterinnen Annette von Droste-Hülshoff und Emily Dickinson war sehr ähnlich: beide waren unverheiratet, kinderlos und zumindest ohne offiziellen Liebhaber. Zudem waren sie eng verstrickt in ihren familiären Banden. Darüber hinaus schrieben sie unermüdlich. (Vgl. das Nachwort von Christine Huber)

Die vorliegenden Gedichte sprechen Ausrichtung und (Selbst)findung an, emotionale Bewegtheit, Haltung und die Beziehung zum Körper; sie sind bisweilen von großer Fragilität, als wollten sie die Verletzlichkeit weiblicher Schreibexistenz spiegeln; dann wieder entschieden, deutlich, stimmerhebend.
Es ist als ob die beiden Dichterinnen leibhaftig durch die Zeilen schimmerten, Christine Huber und Magdalena Knapp-Menzel gelingt es, einen eigenartigen Sog zu erzeugen, dessen Zeitzeugen wiederum wir sind.

Ans Herz gelegt!

Petra Ganglbauer