Gerda Sengstbratl: Einer ist hier schon verrückt geworden

Verlag Bibliothek der Provinz
Weitra 2010

Gerda Sengstbratl arbeitet seit Jahren konsequent und kontinuierlich an programmatisch ausgerichteten literarischen Projekten: Sie verknüpft stets das Spirituelle mit dem Politischen, ihre Arbeit schillert nachhaltig – gerade weil die unter der jeweiligen inhaltlichen Oberfläche liegende Spur so absichtsvoll ist. Was Sengstbratl macht, ist politische Arbeit im literarischen Kontext. Und sie tut es auf erfrischend kurzweilige Art.

Im vorliegenden Buch stellt die Autorin die beiden Pole Afrika und Österreich einander gegenüber, zeigt die Unmöglichkeit dieser beiden Topoi und ihrer dahinterliegenden Gesellschaftsstrukturen auf, einander zu berühren, zu befruchten.
Brisante Themen wie Migration, Integration ohne Anerkennung, Rassismus und Diskriminierung in Österreich flammen – Warnungen gleich – auf; in jener eigenwillig mithin auch trotzigen Sprache, welche die Arbeiten der Autorin ohnehin kennzeichnet.

Nicht selten gerät Literatur, die im Einzugsbereich von Gesellschaftskritik agiert, trocken und eindimensional: dieses Buch jedoch spiegelt Vielschichtigkeit, Vielstimmigkeit von nebeneinander stehenden, einander durchwirkenden oder einander ausschließenden Wirklichkeiten wider.

Die Autorin führt Traum und Realität, Wunsch und Status Quo, Mythos und Politik zusammen. Eine feine ironische Schwingung durchzieht das Buch, eine Ironie, die gerade jene Funktion erfüllt, die die erneute Auseinandersetzung mit oben genannten Themen ermöglicht:
Die Protagonistin kämpft für die Rechte ihre Mannes Jerome, eines Afrikaners, in Österreich.

Ein sensibles, farbenfrohes und sprachlich erfrischendes Buch, welches sich dadurch auszeichnet, dass es Gefühle freisetzt und dass es zudem jene (auch afrikanischen) Wurzeln sichtbar macht, die jenseits von unverrückbar scheinenden gesellschaftlichen Bedingungen uns tiefer, viel tiefer mit unserer Existenz verbinden.

Petra Ganglbauer

Eva Jancak: Heimsuchung oder halb eins

www.jancak.at
Wien 2010

Das Buch hat einen beinahe konzeptuellen Ansatz, wurde es doch just in einem Monat – dem nationalen Writing Month 2009 – geschrieben, um bei NaNoWriMo mitzumachen und einen Roman aus 50.000 Worten zu produzieren. Die Autorin hat an verschiedenen Plätzen gearbeitet, mehr oder weniger fortlaufend geschrieben, die jeweiligen Topografien flossen auch in den Text ein.

Zudem ergänzt das Buch sehr passend Jancaks bisheriges Schaffen:
Wieder arbeitet die Autorin gesellschaftliche Strukturen heraus; darüber hinaus Literaturmarkt – und Schreibszeneninterna.
Aber auch der Cyberspace wird eingebunden: In diesem Spannngsfeld zwischen Blog-Kommunikation und Alltag bewegen sich die Ereignisse.
Jancak versteht es, die Leserin, den Leser der Ereignisse regelrecht habhaft zu werden, an ihnen teilzuhaben, auch weil ihr Erzählstil sehr plausibel und plastisch geartet ist.
Sie arbeitet die Interaktionen zwischen ihren Figuren anregend heraus, wiewohl wir stets auch das Gefühl haben, die eine oder andere unter ihnen (abgesehen von der sehr realen Nobelpreisträgerin Herta Müller) persönlich zu kennen. Das macht den Text auch spannend. Es geht um Missgunst (gegen Barbara Winter beispielsweise), um Frustrationen (Svetlana Richters Erfahrungen etwa) und vieles mehr. Vieles davon erfahren Autorinnen und Autoren während ihrer Lebenszeit beinahe unausgesetzt.

Ein inhaltlich sehr waches Buch, das auch lebendig geschrieben ist!

Petra Ganglbauer

Bernhard Saupe: Viersäftelehre

Gedichte

Klever Verlag
Wien 2010

Alles irgendwie unter Verschluss. Das Toben bricht bisweilen durch die Oberfläche der Ereignisse und Befindlichkeiten und erzeugt Blasen oder zündelnde Sprache.

Und doch und dennoch:
Gleichsam immer noch versiegelt, eingerissen, eingezwängt muten die Selbst(ent)äußerungen des lyrischen Subjekts in diesen Gedichten an.
Weil soviel an Umwelt da ist, und somit auch Entfremdung; also Sprachzerteilung; also Gedankenbeschneidung.

Es ist dieses Hereinholen von Alltag und Gesellschaft und einer Verweigerung, einer deutlichen Abwehr dagegen, welche die Texte so interessant machen.

Ein empfehlenswerter Gedichtband!

Petra Ganglbauer

Gerhard Ruiss/Oswald von Wolkenstein: So sie mir pfiff zum Katzenlohn

Lieder. Nachdichtungen. Band III.

Folio Verlag
Bozen 2010

Kürzlich habe ich dieses Buch anlässlich eines Workshops zum Thema Übersetzen hervorgehoben:
Dies ist der dritte Band des dreiteiligen Werkes von Gerhard Ruiss, der sich herzhaft, voll sprachlicher Vitalität und – trotz aller sprachlicher Disziplin – gleichsam unverstellt auf die Spuren Oswald von Wolkensteins begeben hat.

Rhythmisch, musikalisch und lautmalerisch (etwa BERST, BRICH) muten die Lieder an, zeitgemäß sind sie und empfindungsmäßig durchaus nachvollziehbar, versteht es Ruiss doch hervorragend, die Sprache Wolkensteins so zu übersetzen, dass sie etwas Gültiges, Zeitloses erhält.

Man spürt, dass der Autor aufrichtige Freude an seiner Arbeit hatte.
Ansprechend gestaltet auch der Band, der Kopien von Liederhandschriften ebenso enthält wie die Originaltexte.

Petra Ganglbauer

Gertraud Klemm: Mutter auf Papier

Arovell Verlag
Gosau 2010

Es gibt neuerdings eine zeitgemäße und „andere“ Form, Mutterschaft zu literarisieren. Oder ungewollte Kinderlosigkeit. Oder Adoptivelterntum.
Und zwar so, dass sich neue Empfindungsräume oder auch „Körper“ weiblicher Sprache auftun.
Gertraud Klemm hat sich auf dieses sehr komplexe Unterfangen eingelassen. Sie zeichnet in ihren kurzen Prosastücken Wege des Schmerzes, verunmöglichte Mutterschaft, Spuren der Einsamkeit, der Isolation, der Abwehr, der Trauer, der Wut und schließlich Adoptivelternschaft nach.

Mittels immer neuer Anläufe, Annäherungen und formaler Zugänge (von Träumen bis zu Zeitungsmeldungen, von Listen bis zu Kommentaren) öffnet die Autorin einen Raum, der alles beinhaltet, was die Sehnsucht nach einem eigenen Kind, die Unmöglichkeit zu gebären, das innergesellschaftliche Ausgesetzt-Sein ausmacht.

Klemm ist – trotz gekonnter Sprachgestik – eine Aufdeckerin. Sie stellt vollkommen authentisch dar, was allzu oft verdeckt, verschwiegen wird.
Ihr Buch ist sozialkritisch und zugleich spannend und poetisch.

Ans Herz gelegt!

Petra Ganglbauer

Peter Enzinger: Rimbauds Kantine

Klever Verlag
Wien 2009

Besessenheit wohnt diesem Prosagedicht inne, einem Sprachstück, das nach bester Machart geschrieben ist und Körperrausch wie Seelengetöse vergegenwärtigt.
Es lässt jene Zeit- und Empfindungsqualitäten hervorragend zu Tage treten, die für die Lebenszeit wie auch die letzten Tage des großen und allzu früh verstorbenen Dichters Rimbaud bezeichnend waren. Eingeflochten sind auch die Spuren anderer Großer wie Verlaine, Pasolini, Shelley, Keats oder Hölderlin.

Enzinger gelingt es, mittels Sprachkunstgriffen wie Alliterationen, Assonanzen oder Apotheosen – um einige zu nennen – einen Irrlauf der Gefühle, aufgeladenes überbordendes Gedankenwerk zu inszenieren, bis zum Wahnerleben, und zugleich jene Schnittstellen zwischen Werden und Vergehen, einem letztem Aufflackern im Irdischen und der sich anbahnenden Transzendenz herzustellen.

Ein Buch, das sich nur gebannt lesen lässt, ein Sprachzug (Schachzug), dem man sich kaum entziehen kann.

Petra Ganglbauer

Michaela Falkner: Kaltschweißattacken

Residenz Verlag
Salzburg 2009

In Michaela Falkners rasanter Prosa geht es um Existenzielles; um Beziehungsmuster zwischen Frau und Mann, um ein atypisches und deshalb umso aufgeworfeneres, aufwühlendes Mutterprofil. Gefühle fahren Achterbahn, der Körper signalisiert permanent den Gefühlspegel der Protagonistin.

Die Sprache geht mit, oder besser, verursacht das alles, denn in dieser Literatur wird die Verschränkung von Inhalt und Form noch einmal überholt, hier wird Form zum Inhalt.

Zwischen Entsetzen, Niedertracht, Gewalt, Anbetung und anderen extremen Empfindungen setzt sich ab und an der Fortgang einer Geschichte, einer Versessenheit.
Der Textkörper verengt sich bisweilen, als ob er den psychischen Druck noch erhöhen wollte, und erzeugt Beklemmung.

Bezeichnend auch der insistierende Duktus, Rhythmus – ein (Oberflächen) spannendes Buch, dem man sich schwer entziehen kann.

Petra Ganglbauer

Gerhard Jaschke/Toni Kurz: rund um die grüne soße

Edition Thurnhof
Wien 2009

Ein kleines literarisches und visuelles Zeitdokument ist der vorliegende bibliophile Band mit Texten von Gerhard Jaschke und Offsetlithografien nach Fotos von Toni Kurz.

Das Buch lässt zwischen den Zeilen und von Bild zu Bild jene ganz eigene Atmosphäre durchscheinen, die so bezeichnend für „Buchmessenverhältnisse“ ist. Auch begegnen wir auf diesem Weg unter anderem noch einmal dem unvergesslichen Werner Herbst, einem/dem Weggefährten Gerhard Jaschkes.

Wie stets in seiner Arbeit, findet auch hier der sprachbewußte, vieldeutige Umgang mit Wörtern seinen Niederschlag, etwa an jener Stelle, bei der es um das glatte oder griffige „mailen“ geht.
Bezeichnend auch Widmungen und intertextuellen Bezüge, beispielsweise für und zu Gerhard Rühm oder Oskar Pastior; Dichter(-Namen), die zusätzliche Kontext- und Bedeutungsfelder eröffnen.

Gerhard Jaschkes Werk, diesmal in Form von literarischen Anrissen, Stücken gleich, die aus dem teigigen Getriebe der Frankfurter Buchmesse ausgestochen wurden.

Herzhaft lesens- und betrachtenswert!

Petra Ganglbauer

Manfred Chobot: Blinder Passagier nach Petersburg

Essays und Interviews

edition lex liszt
Oberwart 2009

Blinder_PassagierDen großen Aktionsradius des Dichters Manfred Chobot spiegelt dieses Buch, seinen unverstellten Zugang zu vielen Persönlichkeiten, mit denen er sich auseinandersetzte oder die er im Laufe seines Lebens traf.

Chobot wählt die Gattungen Essay und Interview, um sich mit den Spezifika Anderer (etwa des jüngst verstorbene Alfred Hrdlicka) auseinanderzusetzen. Schön etwa das sensible „Portrait“ des allzu früh verstorbenen Christian Loidl, einige exemplarische Lichter lässt Chobot da aufleuchten, Punkten oder Strichen auf einer Leinwand gleich, – sie vermögen uns in der Tat mehr zu erzählen als lange Abhandlungen.
Erwähnt sei u.a. auch das Gespräch mit Wolf Vostell über Fluxus – anregend und informativ. Oder aber auch sein Beitrag über drei Gugginger Künstler, ein hochspannender Beitrag.
In diesen Essays zeigt sich Chobot in seiner ganzen Authentizität, gerade das ist das Spannende an diesem Buch: dass es einerseits professionell geschrieben und andererseits gleichsam aus dem Leben gegriffen ist.
Besonders signifikant ist auch seine Beschäftigung mit „Vergessenen“ wie Arthur Holitscher. Das ist ihm hoch anzurechnen.

Petra Ganglbauer

Margret Kreidl: Eine Schwalbe falten

Edition Korrespondenzen
Wien 2009

Von Einsamkeit erzählt dieses Buch, von der Einsamkeit des Kindes wie der erwachsenen Frau. Und von der Strategie des Unbewussten, das Leben erträglich zu machen. Es erzählt auch die Geschichte zweier Schwestern, wobei nicht klar wird, welche welche ist, die beiden spiegeln sich, tauschen einander ab und aus; es stellt sich die Frage, ob es sich bei beiden nicht doch um ein multiples Ich handelt.

Margret Kreidls Buch ist sehr ungewöhnlich: einerseits spricht es die genannten Themen an, andererseits stößt es sich immer wieder davon ab, indem es sich ganz auf die Form (das Regelwerk) besinnt, sich vorhandener sprachlicher Schienen bedient, die Rhythmus und Melodie von Kinderreimen, Zaubersprüchen oder auch Liedern haben. Abzählreime wie Ratespiele reißen uns situativ heraus, immer dann, wenn wir vermuten (!), dass der Schmerz zu groß wird. Denn der Schmerz findet sich wie alles Andere hinter einem Schleier. Ereignisse, Erinnerungen und auch Traumsequenzen muten wattiert an, wie hinter Glas.

Das Eigenartige an diesem Buch ist, dass es bis auf das letzte Wort geschliffen ist und dennoch wie ein Ausloten wirkt. Ein Probieren, Ein Leben probieren, „Sprüche riskieren“. Ein lesenwertes Buch!

Petra Ganglbauer