Kategorie: Gedichte
Sandra Hubinger: wir gehen
keiper lyrik: 21
Hrsg.: Helwig Brunner
edition keiper
Graz 2019
Ein Prototyp von Lyrik ist traditionsgemäß das Naturgedicht. Oft spiegelt sich in ihm die Seelenbefindlichkeit eines lyrischen Ichs oder einer verdeckten Sprechinstanz. Hierfür werden dunkle Wolken, der erstarrte See, die peitschenden Wellen oder das aufkommende Gewitter bemüht.
Ganz anders, weil vollkommen auf der Höhe der Zeit, souverän gestaltet und mit genau diesem Prototyp spielend aber eben diesen auch weiterentwickelnd – nein, ihn erfindend und also durchquerend – genau das macht Sandra Hubinger im vorliegenden Band:
Und dieser ist eine Preziose im Reich der zeitgenössischen Lyrik.
Die Autorin legt mit diesem ihrem zweiten Gedichtband eine hohe ästhetische Latte: Sie schafft es, dass Form und Inhalt unausgesetzt interagieren. Wir gehen mit den Gedichten, sie wiederum treiben uns an und voran geht mutig die Autorin und erzeugt eine immense literarische Dynamik:
Die Naturphänomene agieren ebenso wie die Menschen, sie beziehen sich aufeinander, bewegen sich unaufhörlich – und mit der Zeit, mit ihrem Lauf – mischen sich die Auswüchse unseres gesellschaftlichen Handelns ein, eine Unruhe sickert in die zunächst noch trotz aller Bewegung ausgewogene Gedichtlandschaft.
Dicht die Sprache und mit äußerstem Tiefgang tritt ein in der zeitgenössischen Lyrik nicht allzu oft verwendetes kollektives „Wir“ in die vielschichtig und akribisch gelegte lyrische Spur.
Empfehlenswert!
Petra Ganglbauer
Walter W. Hölbling: Gemischter Satz
Gedichte #13
Gangan Verlag
Stattegg 2019
„leben – dunkles – lieben – natur – reisen – welt – worte“
7 Abteilungen. Prosagedichte. Hauptsächlich. Voller Zartheit, Vorsicht, Aufmerksamkeit und Zärtlichkeit. Und voll von Weltliebe.
- Das Drehen der Dinge in den Händen. Der Abstand in „die welt wird langsamer“ – das Altern. Ein genaues Hinsehen und treffende Bilder wie dieses: „hauchdünne nebelschleier schieben sich/milchzart/zwischen die dinge und mein wollen“. Das hat an sich nichts mit dem Altern zu tun und kennzeichnet dennoch eine Art, sich langsam aus der Welt zu verabschieden. Die „kanten der objekte/werden stumpf und weich“. Es ist (auch) ein Absterben: „worte gerinnen zu abstrakter starre/ in der die dinge ewig unverändert bleiben“, ja, es ist „ein todesahnen/das mir am nacken tastet/und mich für eine weile/des trosts der ständigen veränderung beraubt“. Das Leben entfernt sich „mit weiten schritten“ und „die küchenuhr tickt lauter als gewohnt“ – ein Memento Mori, das „die zeit/von hier bis zu den sternen“ misst. Aber so ist er eben, der ewig gleiche Gang der Zeit. Das Leben ist kurz, die „schleier meiner kurzen ewigkeit“ werden „sanft und bestimmt“ „in die vergangenheit“ geschoben.
Dieses erste ist ein wunderschönes Gedicht, das den ganzen Gedichtband von Walter Hölbling einleitet – eine ausgezeichnete Einleitung, die das Ganze des Buchs im Voraus umreißt und umfängt. Es leitet zugleich auch den ersten Teil der Gedichtsammlung ein, weise Worte, abgeklärte, übers Leben, über das Leben und den Tod, über Kindheit, Erwachsenwerden, Liebe, Zusammenleben und Scheitern an Beziehungen, Schwierigkeiten in Familienleben und Alltag, oft auch humorvoll, ein wenig an den Stil Eugen Roths erinnernd: „tochter erweist sich als ergebene mutter/vater brät sehr gekonnt den fisch in butter“ – Hölbling macht sogar selbst im Buch auf Parallelen zu Roth aufmerksam, wie zum Beispiel in „lebenswitz“ (Seite 21). Und als (Alters)Weisheit lassen sich Gedichte wie „geborgenheit der täglichen monotonie“ (Seite 17) lesen. - In „dunkles“ geht es um Themen wie Abend (des Lebens), um Alter und Tod, Schatten, Trauer, und da wird es beizeiten bitter, findet sich kein Trost mehr: „im dunkeln der gedanken/verbergen schluchten sich/von bitterem asphalt“. Splitter, Kälte, Eis, Stürme, ein Verstummen, ein eisiges Schweigen, ein Erstarren nimmt Platz – viele Metaphern, die mit Jahreszeiten zu tun haben.
- „lieben“ hingegen, da kommen Erinnerungen hoch, die Liebe ist aber kosmisch gemeint. Ewigkeit, Strahlen, ekstatische Explosionen, Traumland, Verzaubertsein, Sehnsucht, die die Ruhe stört und scharfe „dornenranken/tief in meiner seele wände“ gräbt, dabei ist es, wäre es – „so einfach“…
- „natur“ – „frühling“: Das sind Assoziationsbilder zur Mutter, während „herbst“ auf einen Winter (Vater?) hinweist und auf ein Schwachwerden und Vergehen der Menschen. „natur“ und ich – sehr schöne Bilder, vom Wind als Freund, dem Regen als Lover, der Sonne als Bruder, dem Mond als ein „anderes“, Verzaubertes, – und wieder eine Metapher vom Gehen, Weitergehen, Vergehen. Als eine Aufforderung zum genaueren Hinsehen, aufmerksameren Schauen lese ich „sommerabend“: „die schönheit der natur/verschwindet oft in den gesprächen/wird zum bloß angenehmen hintergrund/der uns die zunge löst“… Ähnlich: „unsere welt“: „täglich auf jagd nach lügen daten quoten/terminen konferenzen autobussen/vergessen viele auf die welt/die uns all dies erlaubt zu tun“. Hölblings Wintergedichte scheinen mir überhaupt als Mahnung gedacht zu sein, als Nachdenk-Impulse.
- „reisen“ berichtet von Plätzen, die etwas ausgelöst haben, Erinnerungen, die hochkommen bei Orten wie Cividale, Cormons, Duino, Triest, Spilimbergo – viel Italienisches also taucht auf, das Friaul, und nur ein einziges Mal, aber das darf nicht fehlen, sogar ein klein wenig aus seiner zweiten Heimat Amerika, „kentucky fried chicken“, – mit einem Augenzwinkern. „die fremden“, „fremd“ – das Nachdenken bleibt jedenfalls nicht aus „über den dingen“.
- „welt“, da wird viel nachgedacht und vieles angezweifelt, da gibt es durchaus auch mal Elemente von Wut und Verzweiflung wie in „aus dem lot“: „man wird darob äußerst ergrimmt“, „es läuft“ eben „eine sehr dünne linie/zwischen nachrichten und machtrichten“, und es gibt Aufforderungen zum „besseren Leben“ wie in „blickwinkel“: „betrachte die welt/ mit den augen der liebenden/ nicht der jäger“ und das mahnende „denk an die kinder“. Es handelt sich ganz eindeutig um „dichtung in zeiten der flüchtenden“, schwierige Zeiten eben, und „heimat?“ mit Fragezeichen, eine „schande der welt“, „wenn es eine lüge ist, zu reden,/ und eine andere, zu schweigen/ nicht einfach“. Dieses Kapitel ist übrigens mit Abstand das umfangreichste, hier finden sich 25 Gedichte.
- „worte“, Nachdenken übers Schreiben, übers Dichten – auch ironisch, gleich im ersten Gedicht dieses Kapitels „dichterleben“ – sehr witzig übrigens! Also lustig im Sinn von geistreich. Ernster dann schon „dichterworte“. Es sind eben „feuerzeichen“, die gegeben werden sollen, – das Wort als Schwert. Experimentelles aber auch, das Spiel mit Worten in der „seinswelt“, immer aber auch die Kostbarkeit von Sprache, der Muttersprache in „sprache“. Und dann das Gelegenheitsgedicht, „strahlend schön“, und das Gedicht „traumfliegen“, das an das im Buch enthaltene Bild von Ichikawa erinnert oder vielleicht auch davon inspiriert ist. Der Vergleich von Sprechen und Singen mit Fliegen – sehr beeindruckend! Und dann wie Sand, wie Wind, zerstreut, verflogen… eine „welt ohne mich“. Was da alles passieren kann, Naturmetaphern in der Sprache, eine Konklusio des ganzen Bandes: „wortvorhänge“ und „wortwelten“. Was bleibt? Eine „verzweifelte zwiebel“ – wie in der berühmten Peer Gynt Metapher. Nichts bleibt, vielleicht Tränen… und ein Bild von Ruth Mateus Berr…
Bilder von befreundeten Künstlerinnen, – Hölbling hat ausschließlich Frauen für die bildnerische Ausstattung seines Buches erwählt, – machen das Buch nicht nur zu einem edlen, sondern auch zu einem schönen: Beate Landen („flower of loss“, „orchid blossoms“, „herbst“), Yuko Ichikawa („traumfliegen“, „the brilliance“), Herta Tinchon („some music“) und Waltraud Mohoric („world“) markieren jeden neuen Themenabschnitt und ihre Bilder, meist Aquarelle, durchziehen das Buch wie Traumfänger, Nebelschwaden. Als würde dieses lyrische Element, diese Farbigkeit, Naturverbundenheit, kreatürliche Allverbundenheit ihm besser passen zu den in diesem wunderbaren Lyrikband angeschlagenen weichen, sanften Tönen. Da kommt keiner mit der Peitsche daher, da baut keiner artifizielle Gebäude, da wird organisch und aus Situationen, Landschaften, Stimmungen und Wetter heraus im wahrsten Sinn des Wortes „gedichtet“.
Danke, Walter – ein zartes, schönes, gehaltvolles, sehr lyrisches Buch!
Andrea Wolfmayr
Petra Ganglbauer: Gefeuerte Sätze
Gedichte
Limbus Verlag
Wien 2019
Auch in ihrem neuen Gedichtband „Gefeuerte Sätze“ mit den Kapiteln „Gewalt Muster“, „Revisited“ und „Blessuren“ geht es Petra Ganglbauer, wie schon der Titel programmatisch verkündet, um Aggression, Angriff, Gewalt, Krieg, Leid: „Immerfremd in diesem Krieg zum Fressen: / Lieb schürfen wir uns aneinander ab. / Unsere unnütz gewordenen Wörter: / Darunter! Unter! / Der Schicht aus gedrucktem Schwarz / Kehren die Toten ganz in sich zurück. / Bewegen sich auf uns zu / (Als Kraterdasein)!“ Hinschauen, Erkennen, Aufgreifen, das fordert Petra Ganglbauer (erneut) und die Leserin/der Leser fühlt sich angehalten, bei jedem einzelnen Gedicht inne zu halten (kein gieriges Verschlingen), um stundenlang über dieses nachzudenken, dieses bis in seine Einzelteile zu dechiffrieren.
„Phalanx / Aus gedächtnislosen Wesen“ lautet eine Verszeile, mit der sich die Autorin auf uns (?) bezieht, auf alle, die das Wissen um Verhetzung, Verfolgung, Völkermord beiseite schieben, sich wegdenken (möchten) von den (nackten) Tatsachen, die im Zugeben des Schrecklichen sofort einen Aber-Satz hinterherschieben, Vergleiche, unstatthafte Vergleiche, Gegen- und Aufrechnungen, nur um das eigene Nichttun zu rechtfertigen, um nichts tun zu müssen. Viele unserer Politiker, gedächtnislose Wesen, alte wie junge: die alten, die – wie es scheint – vergessen haben, dass schon einmal die Wortwahl Ouvertüre war für eine Todesmaschinerie, die jungen, die in fast autistischer Weise sich einer hinterhältigen Wortwahl bedienen, von der sie sehr wohl wissen (und hämisch registrieren), dass bei einem nicht geringen Teil der Bevölkerung die niederträchtigsten Instinkte angetriggert werden (hier sei verwiesen auf den Facebook-Account eines „Herbert Tusch / Innsbruck“, in welchem in bezug auf eine AutorInnenliste zu lesen ist/war: „Super jetzt haben wir eine Liste und wenn es dann soweit ist wissen wir wer abgeholt werden muss.“)
In der Phalanx der gedächtnislosen Wesen stehen aber auch so manche Medien stramm wie beispielsweise jene Gratiszeitungen und Internetforen, welche in ihren Kommentaren zum Zeitgeschehen nicht müde werden, eine (subtile) Hetze zu betreiben und Ressentiments zu schüren. „Die Bezeichnungen verleihen den Dingen / Ihre Macht“, so Ganglbauer und die die IG Autorinnen Autoren konstatiert anlässlich ihrer Generalversammlung im Februar 2019: „Die Verrohung von Sprache ist Leitsymptom für alles, woran die Gesellschaft krankt.“
„Die Stringenz der Verfolgung / (Hinterhalt und Falle!) / Setzt / In Bildreihen fort: / Die Stringenz der Verfolgung / (Hinterhalt und Falle!) / Setzt / In Textreihen fort und gestaltet / Den Raum für Wirklichkeit.“
Ganglbauer fordert uns auf, diesen Raum für Wirklichkeit zu gestalten. Dazu brauchen wir keine Lyrik der Nachtmusik und auch keine dagegen: Anstatt die Lyrikproduktion „hypertrophiert“ zu bezeichnen, und dieser Hypertrophie mit einer Eigenproduktion noch eines drauf zu setzen, wäre manchem Kritiker oder Journalisten ins Poesiealbum geschrieben, in Petra Ganglbauers Lyrik einzusteigen und die Stimme der Grande Dame der österreichischen Gegenwartslyrik zu hören, jener Stimme nämlich, die ernsthaft etwas zu sagen hat.
Erika Kronabitter
Dine Petrik: Funken.Klagen
Gedichte
Verlag Bibliothek der Provinz
Weitra 2016
Eine entschiedene, souveräne lyrische Stimme artikuliert sich im vorliegenden Band, eine Stimme, die von großer Produktivität spricht.
Dine Petrik, Verfasserin zahlreicher Bücher, steckt konsequent verschiedenste inhaltliche Bereiche ab und doch liegt über dem Band eine grundsätzliche Stimmung, die sich aus Geschichte und (An)Klage, metaphorischen Landschaftsexkursen, dem Intimsten oder auch Reiseeindrücken heranbildet.
Bestärkender (!) Trotz, Widerspruch, Widerhall artikulieren sich da auch als konsequent lyrische, rhythmische Setzung, die bisweilen staccatoartig lauter wird, das innere Ohr oder Auge trifft und anspringt. Wie der Titel besagt, werden poetische Flammen entfacht, sie leuchten und zischen und laden alles, wovon die Rede ist, auf. Hinter jeder Passage, wenn auch meist nicht explizit, steht Haltung, – diese Gedichte zeugen von einem starken Rückgrat!
Gustave Flaubert leitet den Band ein – die Kapitel sind mit BURLESK, PITTORESK und GROTESK übertitelt und stecken die Empfindungsräume gewissermaßen ab.
Empfehlenswert.
Petra Ganglbauer
Petra Ganglbauer: Wasser im Gespräch
Lyrik. Herausgegeben von Helwig Brunner.
Edition Keiper. (keiper lyrik 13)
Graz 2016
„Wasser im Gespräch“ lautet der Titel von Petra Ganglbauers neuem Gedichtband. Und wer den Anspruch der experimentell arbeitenden Autorin an Sprache sowie ihre kompromisslose und avancierte Spracharbeit kennt, weiß, dass diese Ansage Aufforderung ist zu einem diffizilen und (heraus)fordernden Gespräch, zu welchem die LeserInnen eingeladen werden.
Mit den Größen Mond – Wasser – Pflanzen entwickelt Petra Ganglbauer in ihren lyrischen Betrachtungen nicht nur ein breit aufgefächertes Spektrum an Bildkonstellationen, sondern lässt die LeserInnen eintreten in Empfindungszustände dieser elementaren Größen.
Mit den Mondgedichten (Teil 1 des Lyrikbandes) wird der Mond in verschiedenen lyrischen Ausformungen dargestellt, so finden sich hier u.a. die Kapitel „Leerer Narrenmond“, „Strahlender Honigmond“, „Verdorrender Wintermond“ und weitere sieben Mondkapitel, in welche die Mondgedichte unterteilt werden. Der Mond – was ist schon der Mond, könnte man fragen. Die Wölfe jaulen zu ihm, Mondsüchtige werden zu Handlungen animiert, an welche sie sich später nicht mehr erinnern, Pflanzen, ja die Natur überhaupt reagiert auf die verschiedenen Mondphasen. Mondkalender und Verhaltensregeln bei verschiedenen Mondkonstellationen geben zu tausenden Zeugnis über Einfluss und Wirkung dieses unnahbaren Himmelskörpers. Lange Zeit vor allen, vor der gesamten Menschheit, vor dem Entstehen der ersten Lebenswesen war schon der Mond auf der Welt. „Ur-Welt-Sitz Mond:[…]“ heißt es demnach auf Seite 10 und auf Seite 12: „Zeigt die Zusammenhänge:[…]“.
Das Gedicht (Seite 7) „Weiße Zeit ruft sich/Ins Gedächtnis/Bringt in Vorgang (Ohrenlicht).“ erinnert unweigerlich an das Wissen um Gezeiten, an das Kommen und Gehen des Meeres bei Flut und Ebbe, an Gischt und Zurückfluten. Der Mond greift ein in das Leben, in die Bewegung des Wassers, hat die Macht über dieses, das Wasser wiederum steht in Beziehung zu den Pflanzen auf der Erde, zur Natur überhaupt.
In den Pflanzengedichten wiederum spiegelt sich das Ich im Spiegel der jeweils beschriebenen Pflanze, wird in der Be- und Umschreibung selbst zur Pflanze, ohne diese explizit zu nennen: „Schauendes Lila, Schatten in Trauben/Trägt temporär die Über Windung der/ Kälte in sich […]“ (Seite 67). Das Beschreiben und Schreiben-über wird ein empathisches Fühlen und Nachfühlen in die Pflanzenseele. Mit der Ausnahme des letzten Gedichtes werden die Pflanzengedichte sodann beendet mit einem kursiv und in Klammer gesetzten Titel, einem „Nachtitel“ sozusagen, wobei dieser Nachtitel jeweils ein Gesicht, das Pflanzengesicht – oder ist es die Seelenspiegelung des Ich? – benennt: Petra Ganglbauer spricht von: Mein Jungfer im Grünen-Gesicht, mein Klatschmohngesicht, mein Salbeigesicht, mein Grasgesicht, mein Pfingstrosengesicht.
Auch wenn Wasser in den Pflanzengedichten nicht dezidiert eine Rolle an vorderster Front spielt, ist es das Wasser, das eine maßgebliche Rolle an der Entwicklung der Pflanzen spielt. So schließt sich der Kreis dieser Dreierkonstellation Mond – Wasser – Pflanzen.
Der Lyrikband „Wasser im Gespräch“ ist Aufforderung zur Auseinandersetzung mit Bedeutung und Bedeutungsverschiebung, zum Einlassen auf Farben, Töne und Orte, aber auch Erlaubnis, sich von der assoziativen Herangehensweise der Autorin ermuntert zu sehen, quasi dezidierte Aufforderung, sich als LeserIn selbst einzulassen auf eigene Gedankenbilder, sich tragen zu lassen vom Rhythmus der Klänge und Sprachbilder. Petra Ganglbauers Poesie reizt das Spektrum aus vom wissenschaftlichen Hinschauen zum lustvollen Wegtragenlassen, von der formellen Strenge zum Sprachspiel. Das katalogisierte Wissen von Natur- und Sprachgesetzen ist das eine. Sich Einfinden im tausendfachen Variantenreichtum der Natur- und Sprachwunder, mit Sprachspielen, Neologismen u.a.– das ist es, wohin die Autorin uns entführen will.
Erika Kronabitter
Erika Kronabitter
Christine Huber: Sand im Gegenschuss
Edition Art Science
Wien und St. Wolfgang 2015
Gedichte, die sich dem Getriebe der Sprache und des Lebens überlassen – dezentralisierte Wort-Standorte ohne jeglichen Zwang zu einer linearen oder gar chronologischen Steuerung finden sich in reichem Ausmaß in dem vorliegenden Band, der Zyklen aus mehreren Jahren enthält – Dynamiken von Sprachläufen, Reflexionen, die ohne lyrische Sprechinstanz auskommen oder hinter denen sich eine solche geschickt verbirgt.
Mitunter muten die kurzen prägnanten Gedichte wie eine Miniatur-Schau auf Wirklichkeit an, das Periphere, Randständige, den Saum des Lebens unter die Lupe nehmend. Geräusche mischen sich ein, Bewegungen, Schattenrisse.
Gegen Ende des Bandes schließen die Texte kleinste Erzähleinheiten mit ein, die Leserin fällt sofort der Konvention anheim und rechnet mit einer Spur, einer Fährte – diese jedoch entzieht sich, entgleitet, bricht ab oder löst sich auf.
Darüber hinaus ergänzen die von der Autorin gefertigten Grafiken und Stempeldrucke kongenial die Gedichte, indem sie formale und strukturelle Spiegelungen sind!
Ein spannendes Buch, das zu intensiver Auseinandersetzung einlädt!
Petra Ganglbauer
Ingram Hartinger: Dinge aus Angst
Gedichte
Wieser Verlag
Klagenfurt/Celovec 2015
Eine weit gespannte Zusammenschau aus Innerseelischem, Sprache, Weltbezug und Evokationen (von Referenztexten, Praetexten), die hier bisweilen wie Anspielungen anmuten, meist jedoch in Form von Zitaten in dieses lyrische Werk, das bisweilen wie eine Partitur anmutet, eingearbeitet sind, findet sich hier.
Der ganz große Schmerz, Verstörung, Einsamkeit und psychische Randgänge machen in diesem streng konzipierten Buch, das aus wiederkehrenden formal unterschiedlichen Einheiten besteht, von sich reden:
Da finden sich Prosagedichte, die manchmal wie Bekenntnisse, lebensphilosophische Reflexionen anmuten, dann wieder ein Stück Leben, ein Stück Alltag erzählen.
Ein anderer essentieller Teil des Buchs besteht aus Gedichten, die von weiteren lyrischen Zeilen anderer Schriftgröße ergänzt, kommentiert und um eine persönliche Note erweitert werden.: „Ein neuer Tag. Ein neuer/ Schmerz. Übrig bleibt schiere/ Wortspielerei. Die nicht von/ Ingram stammt – die von Ingram/ stammt. Mein sich zerkugelnder/ haltloser Geist. Wir beide erschrecken.“
Schließlich finden sich noch Gedichte, denen ein Zitat als Motto dient bzw. die jemandem gewidmet sind.
Ein ungeheure existenzielle Kraft durchdringt alle Texte, eine Kraft, die nur dann entsteht, wenn die Wahrnehmung sich fokussiert und befreit ist von allem Überfluss: „In the beginning is the scream…“ – (John Holloway) – so das Schlussmotto.
Petra Ganglbauer
Janko Ferk: Brot und Liebe
Gesammelte Gedichte
styria premium
Wien-Graz-Klagenfurt 2015
Brot und Wein … Brot und Poesie …“Brot und Liebe“.
Die existenziellen Parameter des Lebens geben die inhaltliche Richtung der in diesem Buch versammelten Gedichte vor. Janko Ferk konfrontiert sich mit den extremen Polen des Lebens: Geburt, Liebe, Tod; sie sickern auch in in das Schreiben ein: „ich schieße in das buch/…./anstatt blut/ rote tinte/ alle buchstaben/ sind tot“ heißt es etwa.
Das lyrische Ich teilt sich nicht nur poetisch sondern auch dermaßen authentisch mit, dass wir, die Rezipient/inn/en, uns in vielen der Gedichte wiederfinden.
„So heißt es etwa an einer Stelle: „das ziel/ das kreuz/ das ich mir selbst auferlegt habe“. Der Autor setzt hier wie anderswo in dem Band Zeilenzwischenräume ein, strukturiert formal entschieden mittels Sequenzen, was ermöglicht, dass das Weiß des Papiers nicht – wie oft erlebt – Leere und Raum sondern auch Verlangsamung, im vorliegenden Fall durchaus Mühsal – verkörpert.
Die Sprache in Ferks Gedichtband ist klar mithin, sie verstellt sich nicht; gerade deshalb teilt sich das Gewicht des Lebens und Sterbens unmittelbar mit, überträgt sich die Last, die das Individuum durch seine menschliche Existenz auf sich nimmt, eins zu eins auf die Leserin, den Leser.
Einige Gedichte muten wie ein partielles ABCDarium an und eines der bewegendsten Gedichte, vielleicht auch, weil so sehr inhaltlich auf der Höhe der Zeit befindlich, ist WÖRTERB/R/UCH:
„auf der stadtlichtung/ schärfe ich/ meine lichtheilige sprachgrenze/ die weite des atems/ an den grenzlinien/ ist staatenlos/ die herzwand/ bebt ganz fein/ wegen der weltangst“.
Ein lebensnahes Buch!
Petra Ganglbauer
Helwig Brunner: Denkmal für Schnee
Gedichte
Neue Lyrik aus Österreich, Band 10
Berger Verlag, Horn 2015
Bereits der Titel verrät den großen bildlichen Aktionskreis der Gedichte im vorliegenden Band – und unwillkürlich assoziiert man „Schneepart“ von Paul Celan.
Eigenartig unfassbar und fragil muten viele der formal streng komponierten Texte an, ausgespannt zwischen Raum, Zeit und dem Unwägbaren, obgleich sie den Bezug zur Realität nie außer Acht lassen:
„…Wenn es dann schneit, / wird alles noch einmal dir gleich wollen“. Einige der Gedichte unterscheiden sich von den meisten anderen durch die Insistenz ihres Rhythmus: „Feuer gibt es“ oder „Wie es klingt, wenn du gehst,“ – Gedichte, deren Sogwirkung man sich nur schwer entziehen kann.
Humorvoll und doch sehr konkret zeigen sich andere Beispiele, wie „Kleiner Bericht des Poeta doctus“ etwa.
Brunner manifestiert zudem die Rückbindung an Philosophie, Literatur/geschichte oder Topografie. Ein weit ausholender Geist ist hier am Werk!
Souverän und avanciert also zeigt sich auch die jüngste Veröffentlichung des erfahrenen Lyrikers.
Petra Ganglbauer