Die berufliche Identität von Martin Kolozs ist genauso weit gefasst wie die Genreüberschreitungen in seinem Roman.
Er ist nicht nur Autor, sondern auch Verleger und Journalist, hat Theater- und Liedtexte geschrieben oder auch diverse Literaturprojekte konzipiert.
„Immer November“ ist spielerisch angelegt, changiert zwischen Fiktion und Realität, Phantasie und Weltlauf, vermeintlichen Identitäten, Literatur und Sein.
Bezeichnend die intertextuellen Bezüge, der bewusst entspannte flapsige Duktus, der an Genreliteratur erinnert sowie die atmosphärischen Rückblenden oder auch philosophischen Exkurse, wenn es um Identität geht.
John Salten, der Protagonist, begibt sich nach New York und stürzt sich in den Genuss, trinkt, hat Affären. Seine Ausrichtung findet er erst, als er dem Pulitzer-Preisträger Norman T. begegnet, einem extremen Charakter.
Das Buch liest sich leicht und flüssig, ist aber komplex angelegt; dahinter steckt eine wohl überlegte Konzeption.
Anläßlich der jüngsten „Tage der deutschsprachigen Literatur“ in Klagenfurt argumentierte eine der Jurorinnen hinsichtlich des komplexen und dicht gewirkten Textes einer Autorin, indem sie von „Zeitmanagement“ sprach. Aus meiner Sicht ist dieses Wort unzulänglich und absolut unpassend für den Umgang mit Literatur, mehr noch, es ist dem Leistungsgesellschaft-Kontext entnommen und somit Kind eines Geistes, der in keinster Weise künstlerische Wahrnehmung zulässt.
Das vorliegende Buch Alfred Gelbmanns ist so etwas wie die poetische Antwort, das poetische Gegenstück zu obigem Wort. Wie der Titel „Trümmerbruch“ sagt, liegt das Leben des Protagonisten Moser, einem Anstaltshäftling, hinsichtlich der historischen und privaten Vorkommnisse wie seiner innerseelischen Befindlichkeit versprengt da. In der Zelle jedoch entdeckt der Protagonist seinen glücklichen Raum.
Moser, der von der Anstaltsleitung den Auftrag erhält, Niederschriften zu fertigen, will über die Anfänge dieser Niederschriften ganz bewußt nicht hinauskommen, weil, wie er meint, andere diese weiter- und fertigschreiben sollten, etwas, das schließlich der Autor des Buchs, dem die fragmentarischen Seiten der Niederschriften 6 und 6a, nach dem Verschwinden Mosers aus der Zelle, ausgehändigt werden, seinerseits tut.
Alfred Gelbmann setzt den Roman wiederholt, in immer neuen Anläufen und aus unterschiedlichsten Bewußtseinswinkeln, Erzähl-Perspektiven wie auch basierend auf verschiedensten Quellen (vom Intertextuellen bis hin zur Zeitungsmeldung) an.
Diese Schwenks geschehen plötzlich und erwirken dadurch eine intensive Auseinandersetzung mit dem Erzählten, an dessen „Nahstellen“ man sich sozusagen als Leserin / Leser befindet. Allem voran von Verstörung erzählt dieser Roman, von Vereinsamung und Flucht, von seligen Erinnerungen an Kindheit, von unlebbarer Liebe, von Treue und Isolation, von einer Art totalitärer Ordnung und Entpersonalisierung.
Immer wieder hält der nicht lineare Erzählfluß bei einem bestimmten Objekt (Kupfer, Glashütte…etc.) inne und zoomt es nahe heran, wechselt seinen Duktus, wird bisweilen zum Sachtext. Diese Textstellen verlangsamen uns beim Lesen, sie sind besonders nachdrücklich.
Die vielen Stimmen in diesem Buch sprechen aus unterschiedlichen Zeiten heraus, sie entspringen verschiedensten Orten. Dergestalt wird das Raumzeitgefüge stetig unterwandert!
Das Buch fordert Lesedisziplin, etwas, das es uns, den Lesenden, abzuringen gilt. Es ist spannend auf eine eigene Weise; eine Spannung, die wohl der großen Konsequenz hinsichtlich des Schreibakts entspringt. Und die Lektüre hinterläßt ihr Echo!
Seit die Liebe keine Himmelsmacht mehr ist und ihr Gelingen auch nicht mehr in den Sternen steht, ist sie eine Angelegenheit von Risikostrategien – deren pointierte Version bekanntlich das Gefangenendilemma darstellt. – Tit For Tat ist demnach die Devise, im speziellen Fall: wenn Du Tricks einsetzt, tu ich das auch. Denn dass die Liebe ein seltsames Spiel ist, verkündete Connie Francis bereits 1960, und mit der Etablierung der spätmodernen Individualitätsgesellschaft sind die Spielregeln wohl noch um einiges komplexer geworden. Judit Kalman, die begüterte Tochter eines Salzburger Unternehmers und jung verwitwete Vierzigerin ist eine veritable Heroin des Liebesrisikos, welches ganz zu beherrschen sie mit einem ausgetüftelten Programm und mit Leidenschaft sich anschickt, denn auf die Sterne ist nur bedingt Verlass, zumal die Kassiopeia-Gruppe ja auch nicht das Venusgestirn ist. Und darüber hinaus spricht auch die Wahrscheinlichkeitskalkulation nicht gerade für glückende Liebe: Gianna, die Haushälterin der Wohnung in Venedig; wohin Judit ihr begehrtes Objekt, den Romanautor Markus Bachgraben verfolgt, bringt den Sachverhalt auf den Punkt, nämlich „dass die wechselseitige, gleich starke Liebe zweier Parteien zu den seltensten Zufallstreffern im Universum gehöre.“ Dieser Umstand ruft schier nach willentlicher Lenkung, denn letztlich will Judit „den richtigen Menschen finden, der zu ihr gehörte, wie es in den heiligen Büchern von der Vorsehung bestimmt war.“
„Alle Städte sind gleich, nur Venedig is e bissele anders“, weiß Torbergs Tante Jolesch, und die Besonderheit, die dort für die Stadt in Anspruch genommen wird, kann hier für Bettina Balakas Venedig-Roman geltend gemacht werden, denn souverän und gewitzt umschifft er die bekannten Venedig-Klischees wie etwa morbide Romantik oder Todespathos. Anstatt mit Romantik ist der Leser hier erst einmal mit Strategie konfrontiert, in die man gleichsam nach Komödienart Einblick erlangt, zumal vielfach aus Figurenperspektive erzählt wird. Romantische Liebe lebt von der Schicksalshaftigkeit, Judits Liebesstreben lebt vom Willen zum System: „Von ihrem Vater hatte sie gelernt, dass der, der ein Ziel verfolgte, Geduld brauchte“ Zu den sieben Erfolgsstrategien gehört, Vater Kalman zufolge auch: „Das Ziel niemals aus den Augen lassen. In keiner Minute des Tages.“ Also setzt sie auf Dauerbeobachtung und beherzigt vor allem folgende Regel: „Scheue dich nicht, von deinem Ziel besessen zu werden.“ Die Ursache für Judits Besessenheit liegt aber vielleicht gar nicht vorwiegend in den besonderen Eigenschaften des Liebesobjekts, denn die Schwächen der Männer, jene von Bachgraben besonders, erfahren in der Betrachtung gewiss keine Gnade. Sie liegt auch nicht so sehr in der Tatsache, dass dem aktuellen Beziehungsprojekt eine nächtliche Einmal-Begegnung mit Bachgraben vorausliegt, über deren Erlebnisqualität keine näheren Angaben gemacht werden und die wohl eher im Lichte von Judits allgemeiner Bewertung von Sex zu sehen ist: „Sex an sich war ja eine peinliche Angelegenheit, wenn man ihn unter dem Blickwinkel betrachtete, dass man sich nackt verrenkte, das Gesicht verzerrte, das Makeup verschmierte, die Frisur vernichtete, grunzte und röchelte und am Ende womöglich noch vaginal ejakulierte, sodass die Bettwäsche ganz nass war.“ Ein nicht unwesentlicher Grund, weswegen Judit zum weiblichen Homo Faber der Liebe wird, liegt wohl in der ehrgeizigen Lust am Strategiespiel: denn das mail, das Bachgraben nach diesem One-Night-Stand verfasst und das der spionierenden Judit zur Kenntnis gelangt, prognostiziert, dass es ein weiteres Mal mit dieser Blonden „sicher nicht“ geben werde. Auch um diese Absicht zu durchkreuzen, treibt sie den ganzen Aufwand, mit dem sie nach Art einer Katze Bachgraben nicht nur finanziell, etwa durch Kontosperre, in die Enge treibt. Und das ist für den Leser höchst vergnüglich, denn die Komödie, auch die – auf den ersten Blick – antiromantische, lebt von den bekundeten Intentionen der Gegenspieler und deren – zumindest versuchter – Durchkreuzung. Das Dringende von Judits Handlungsweise ergibt sich nicht zuletzt auch aus schlichten Prestigegründen: ihrer Freundin Erika hat sie nämlich erzählt, sie wäre mit Bachgraben liiert, und Erika reist ihr unvermutet nach Venedig nach, um das zu überprüfen, womit für reizvolle Turbulenzen gesorgt ist. Dass gerade Erika dort erfolgreicher in der Liebe ist, etwa wenn ein Gondoliere sie zielsicher, wenn auch unspektakulär, in Richtung kleiner Tod in Venedig geleitet, liegt einfach in den Unwägbarkeiten des Lebens, die im Roman raffiniert komponiert werden, und wohl auch an Erikas unromantischer Pragmatik: denn es verlangt sie „nicht nach Bindungen, sondern nach frischem, emanzipiertem, unverbindlichem Sex.“ Dass in dieser Figurenanlage auf kluge und ansprechende Weise das ganze und oft gar nicht so lustige Spektrum der „conditio amoris“ unserer Zeit aufgerollt ist, bemerkt der Leser vielleicht auch erst nach der spannenden Lektüre.
Kassiopeia ist aber nicht nur ein fesselnder Liebesroman, sondern er erfüllt in seiner eleganten Komposition auch wesentliche Eigenschaften des Künstler- und Generationenromans. Dank der Rückblenden in die Familiengeschichte der Kalmans, die mit dem wirtschaftlichen Aufstieg von Vater Kalman einen tragischen Hintergrund miterzählen oder mit den Analepsen in die südtiroler Abstammung wird wie von ungefähr und auf nahegehende Art auch ein gutes Stück österreichische Geschichte erfahrbar. Und dass die Bachgrabensche Schaffenskrise und deren unerhörte Lösung genug Stoff und Spannung für eine Künstlernovelle sui generis abgäbe, sei hier nur am Rande gestreift.
Natürlich ist Liebes- und Literaturgelingen in postmodernen Zeiten mitunter ein Effekt des literarischen Zitats, womit hier nicht die amüsante Chili-Schoten-Allusion auf einem Don-Juanesken Gegenwartsroman gemeint ist. Das eigentliche Zitat in diesem Buch ein werkkonstitutives: Bachgrabens fiktiver Roman Kassiopeia, „ein Märchen über die Liebe in eisigen Zeiten“, wie er in einer Rezension apostrophiert wird, wird nicht nur zitiert, sondern dieser entsteht eigentlich erst während der Lektüre von Bettina Balakas Roman. Er ist nämlich nicht nur dem Umschlag nach mit dem hier vorliegenden gleich, sondern bildet auch jene Leerstelle, die durch diese Romanhandlung mit Leben gefüllt wird. Womit modellhaft in einer unvergleichlichen Konvergenzbewegung der Roman das Leben fasst und das Leben poetisiert bzw. romantisiert wird. Entgegen der Botschaft von Lou van Burg und Barbara Kists Schlager aus dem Jahre 1959 steht nämlich nicht „alles in den Sternen, was dir vom Schicksal bestimmt“, sondern in den Büchern, besonders solchen mit Sternentitel.
Die kühle, überzeugende und unausweichliche Atmosphäre in diesem Buch entsteht dadurch, dass die Autorin auf mehreren Wahrnehmungs- und damit Sprache-Ebenen agiert: Da ist das „setting“, da sind die Szenen, die Personen, das Agieren. Und – noch manifester – ist da diese Metaebene die immer mitspricht; wenn es um die Auswüchse der spätkapitalistischen urbanen Gesellschaft geht; um Zerstören, Verglühen, Zertrampeln, und Vernichtet werden. Um Opfergänge. Um Resignation. Das Buch ist hart aus unserer Wirklichkeit heraus gegriffen.
Es zeigt den Kampf der wirklichkeitskonstituierenden Methoden und Werkzeuge auf. Gerade aus dem sprachlichen Kalkül entsteht das Dräuen, zittert der Abgrund und bebt Satz für Satz, Wort für Wort mit.
Das sind nicht die Plätze, Menschen, Straßen, da teilt sich etwas Dunkles, Unabwendbares, Schweres, Lastendes von Beginn an mit. Dieser Abgrund bleibt, das Grau.
Das Cover, fast kontrastierend, wie aus einem Reiseprospekt, einem Video-Still gleich, als wollte es diesen Zustand aufreißen.
Ein expressives, lautes Buch ist das, eines das aufhorchen lässt: der Untertitel des Romans lautet „Die Prosa der Verhältnisse“.
Diverse Rollenklischees, die Frau als Gebärmaschine, als angepasstes Weibchen etc. werden angesprochen, aufgezeigt und zugleich in Frage gestellt und unterwandert.
In immer neuen Anläufen, Zugängen, Schnitten, Rückblenden, Bewusstseinswiedergaben rollt die Autorin das Leben der Ich-Erzählerin auf; so Zeit- und- Raum-verschnitten wie das Leben eben ist. Dabei pendelt der Erlebnis- und Empfindungsraum gekonnt zwischen ausgesprochener Involviertheit und bewusster kühler Distanziertheit hin und her. Nicht viele Bücher gibt es, die so komponiert sind und dennoch so reich Inhalt, Geschehen, innerseelische Bewegtheit transportieren. Die meisten montageartig komponierten Werke sind dann schon wieder viel zu materialverliebt.
Immer wieder tauchen Sätze auf, die wie von irgendwoher oder besser, von einer bewussten Instanz in den Welt- und Lebensraum gestellt werden: „Wir müssen annehmen, dass die Zeiten schlechter werden, weil die Bilder bunter werden.“
Zugleich gibt es – Motto für Motto – eine durchgängige Begleitung auf einer Metaebene: Etwa: „Der Versuch/“leichthin“/ zu sein: eine Art/ des Flanierens.“
Da ist einmal die mitteilsame Protagonistin, die verschiedene Lebens- und Bewusstseinsphasen durchwandert; da ist aber auch Liza, eine Art Alter Ego, eine Stimme, die stärkt und aufmuntert, aber auch herausfordert.
Erika Kronabitter spricht viele Themen an, die beispielgebend für die zeitgenössische österreichische Literatur von Frauen generell sind, wie etwa das Geschlechterverhältnis, die Mutter-Tochterbeziehung, die Definitionsmacht der Sprache…
Friedrich Hahn hat einige Bücher über die Liebe geschrieben. Dies ist sein erster Roman. Die Liebe ist inkommensurabel, deshalb können Tina, aus einer achtjährigen Haft entlassen, und Harald, ihr vormaliger Bewährungshelfer, nichts über die Liebe sagen. Das, was Harald Kreill als „erfahrung jenseits der erfahrung“ bezeichnet, das getrauen sich die Liebenden nicht beim Namen zu nennen. Die Krise entsteht, weil im Gegensatz zur Unermesslichkeit des Gefühls plötzlich der Anspruch da ist, dass sich etwas Überschaubares, Einsehbares, Lenkbares entwickeln möge.
Die Hauptmelodie des Romans ist reich instrumentiert durch den Gang des Inneren, der Gedanken, Träume, Überlegungen und durch den Kommentar des Autors. Kein happy end! Bettina Szalto verschwindet nach Monaten spurlos und kommentarlos von der Bildfläche. Das ist vom Autor gut vorbereitet. Als sie einmal über den fragmentarischen nachgelassenen Roman ihres Vaters sinniert, den sie veröffentlichen möchte, meint sie: „vielleicht sollte die geschichte besser ohne schluss bleiben. pengg. einfach aus. abgerissen. schluss. ende. hat noch keiner geschichte geschadet …“. – „wer schadet wem?“ kommt es Harald in den Sinn.
Die vielen Witze und Kalauer im Buch gehören zum Thema. Zwei Beispiele: „ich finde in situationen wie dieser kann man nur rauchen oder nicht rauchen.“ Harald hat Geburtstag: „man wird nur einmal das erste Mal 38.“ Klingt merkwürdig überdreht. Man kann es als speziell wienerische Art von existenzieller Verzweiflung lesen oder wird an Frédérik Beigbeder erinnert, der vom postmodernen Leben sagt: „Humor ist Pflicht; die Welt ist ein einziger Scherz.“ Des befreundeten Dusies Name ist eine Kompilation aus „du“ und „Sie. Dusie will vom ernüchterten Harald das Geheimnis einer langen Beziehung wissen, dann gibt er die Antwort selbst: „das geheimnis ist, dass man sich nicht trennt“. Hahaha!
„ich küsste sie, als sei ich in not. ich fühlte, dass sich da etwas breitmachte, was noch am reifen war. als lebten wir eine zeit, tina und ich, die erst eine fortsetzung suchte, die sich uns bisher immer nur in ersten ansätzen dargestellt hatte.“ Das ist nun das Liebesprojekt. Tina reagiert mit Panik. „hilfe, ich bekomm keine luft mehr …“. Aber genau so wenig, wie Harald und Tina wissen, wie sie es richtig anstellen sollen, genau so wenig erschließt sich dem Leser, was richtig und was falsch sein könnte. Konzepte haben oder keine Konzepte haben, was die Liebe anlangt – alles gleich fragwürdig. Harald: „ich will nichts fordern. mit jeder forderung nehme ich mir selbst etwas. alles muss von allein passieren.“ Die Protagonisten fassen die Liebe als eine Art Naturgeschehen auf, ohne zu merken, dass sie sich damit zu Opfern machen. Tina macht sich die Sentenz ihres Vaters zu eigen, dass alles sein Gegenteil brauche, um wahr zu sein. Wenn man das in Gedanken weiterspinnt, braucht das Große das Kleine, das Gute das Schlechte, das Wahre das Unwahre, Leben und Tod sind untrennbar miteinander verbunden. Und Tina spitzt das noch zu: „ alles, was machbar ist“, sagt sie, „ist auch zerstörbar.“ Da verschlägt es ihrem Freund die Rede. Was soll das heißen? Jedenfalls ist klar, dass jede Beziehung dann auch ihr Ende in sich trägt. Und so „natürlich“, wenn auch abrupt, endet dieser Roman, der uns mit Verhältnissen vertraut macht, in denen eigentlich nichts egal ist, denn es geht darum, etwas vom Leben zu haben. Posthistoire! Das Ende der Lebensentwürfe! Gibt es Gründe, die Liebe zu hegen, zu pflegen, weiterzuentwickeln? Oder sollen wir uns an etwas halten, das man eher als heidnisch bezeichnen könnte? Dann heißt die Wahrheit Aufbauen und Zerstören, Werden und Vergehen, dann ist entweder alles gleichgültig, oder – ist dann alles gleich gültig? Der Roman, der aus verschiedenen Perspektiven erzählt wird, vereinigt den Blick auf die Realität aber gerade in diesem Punkt des Zweifels. So manche Lebensäußerung wirkt gespielt, der Autor zeigt anschaulich, dass ein Als-ob herrscht. Auffallend jedenfalls, dass der Blick auf die anderen so zweifelnd ist: Meinen sie es ernst mit dem, was sie zeigen und sagen, oder ist es Theater? Und vieles scheint mehrdeutig zu sein. Es ist das Verdienst des Autors, dass er im Alltäglichen die richtigen Bilder für Ambivalenz findet. Tina sitzt am Frühstückstisch und hält „ihren vornüber gebeugten kopf an ihrem eigenen schopf hoch“. (Sie wartet auf ein Gummiringerl, um ihr Haar binden zu können.) Das kann man positiv sehen und lesen: Sie ist dabei, sich an ihrem eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Man kann es aber auch als Selbstköpfung auffassen. Oder sie erklärt Harald, was der Ausdruck „o.k.“ bedeutet. Ihrer Meinung nach kommt es von „oh, killed“, im Sinne von „es ist ausgestanden“. Auch das ist zweideutig, wenn man als Leser weiß, dass Tina verurteilt wurde, weil sie ihr neugeborenes Kind getötet hat, was übrigens zwischen den beiden nie zur Sprache kommt. Das Buch ist spannend geschrieben und durch Verknappung und Prägnanz gekennzeichnet. Und das Schöne daran: Es kommt leichfüßig daher, aber die Dinge werden intensiv befragt.
Die Lektüre setzt sich fort, auch nach Beendigung des Buchs.
So rasch gibt man/ Frau nicht auf. Hinterläßt doch gerade das Gedicht am Ende des Buchs eine Melancholie, um nicht zu sagen eine gewisse Schwermut.
Und das ist das Interessante an dem Buch: Die Autorin erzählt mit Humor und Ironie Kindheit und Jugend Hermines und deren bester Freundin Elvira bis an die Schwelle zum Erwachsenwerden. Hinter dieser wortwörtlichen Schicht aus Witz und Lächeln jedoch steckt tiefer Ernst.
Wir werden Zeugen unterschiedlichster – von Christa Nebenführ offenherzig und ausnehmend authentisch geschilderter – Szenen, die abgesehen von den wechselnden Topografien (Schule, Lokale, Elternhaus…), zugeschnitten zu sein scheinen auf die hervorstechensten Themen jener entscheidenden Jahre im Leben eines Menschen überhaupt.
Sexualität, Verliebtsein, Mädchenfreundschaft und -erotik, erste verstohlene Lektüren in einschlägigen Heften und vieles mehr.
Spannend sind die einzelnen Abschnitte des Buches, aus großer Sensibilität geschrieben beispielsweise jene Sequenz, in der die beiden Freundinnen Blutsbrüderschaft schließen wollen, für immer und ewig. Und es auch, unbeholfen aber doch, tun.
Ein Buch, in das man als Leserin rasch einsteigt und sich gerne darauf einlässt, um sich zurück tragen zu lassen in jene eigene, sehr persönliche Zeit, und sei es nur für ein paar Stunden.
Edition die Donau hinunter
Wien-St. Peter am Wimberg 2003
Wohlstrukturiert, aus einem konsequenten Gestus heraus, aber auch spielerisch und sehr originell ist dieser neueste Band von Ruth Aspöck.
Geschichte, Mythologie oder auch Etymologie finden Eingang in das Thema und lassen nach und nach ein (S)TRICKSPIEL entstehen. Die geistreiche, ganz und gar nicht langatmige Aufarbeitung der (S)trickkunst ist wirklich gelungen. Aspöck operiert mit Mehrdeutigkeiten, Implikationen und Assoziationen: etwa wenn es um Verstrickung oder Trennung geht, um Aufwickeln oder Spinnen. Serielle Elemente lockern den dicht gewebten, jedoch in Kapitel unterteilten Textkörper, Skizzen und Fotomaterial: eine wohldosierte konzeptuelle Arbeit. Verschiedene Methoden spielen herein, Anleitungen etwa, in Wiederholungen angelegt, die keineswegs trocken und sachlich, sondern vielmehr originell sind. Immer wieder springt die Autorin zwischen Inhalt und Metaebene hin und her, – Metasprachliches funkt herein. So wird eine intellektuelle Spannung erreicht.
Das Buch ist ebenso unterhaltsam wie informativ und in jedem Fall auch für jene empfehlenswert, die von Stricken wenig Ahnung haben.
Einerseits „a crime story“ – mit vielem was dazugehört –, andererseits alles, was sich an den Kipp-Punkten der menschlichen Existenz bewegt: Um Randgänge physischer wie psychischer Art, das Oszillieren zwischen Tag- und Traumbewußtsein, Authentizität und Künstlichkeit wie auch den Kampf um’s Überleben, geht es in diesem ersten Roman des Grazer Autors Martin G.Wanko.
Der Duktus sucht seinesgleichen: Der Protagonist – in wahnsinnigen Empfindungsräumen an der Grenze zur Paranoia unterwegs, – der tote Ken, eine Plastikpuppe, ein Mix aus Trash, Drogenrausch und elementarer Identität.
Dies alles packt Wanko derart brachial und authentisch an, dass die Sprache, stets laut, schrill und direkt, auf einem derart ungeahnt hohen Pegel daherkommen muß, dass man als Leserin, wohl aus der Gewohnheit des Auf und Ab, beinahe einen Absturz fürchtet.
Aber, der kommt nicht.
Statt dessen:
Der wunderbar unprätentiös poetische Satz gegen Ende des Buches:
„Ein Träne, ich spüre so etwas wie eine Träne.“
Denn unter all der Schrägheit wohnt ein empfindsames Bewußtsein, das Wissen um das Dilemma menschlicher Existenz.
Ein spannendes, die Leserschaft in seiner Dichte forderndes Buch!
Literatur ist stets das Zusammenwirken von Disziplinierung und spielerischem Umgang, Struktur und Intuition.
In diesem Sinne entstand auch der vorliegende Roman: Insgesamt fünf Autor/inn/en trafen sich, um sich mit der großen Arkana aus dem Tarot auseinanderzusetzen: Jede/r von ihnen zog eine Karte. 5 Abende folgten, mit Essen und je einer Geschichte, die stets eine andere Person erzählte.
Auflage war, thematisch die gezogene Karte zu behandeln und an Motive, bzw. Charaktere anzuknüpfen, beziehungsweise diese zu unterwandern oder zu unterbrechen; Konvergenzen und/oder Divergenzen zu schaffen.
Dem musikalischen Muster entsprechend, setzt sich die vorliegende „Suite“ aus 5 Sätzen zusammen:
Harald Friedl zog als erster: die „Gerechigkeit“; Norbert Silberbauer folgte mit dem „Einsiedler“; Margit Hahn schrieb den „Tod“; Barbara Neuwirth setzte sich mit dem „Wagen“ auseinander; Heinz Janisch beendete den Reigen mit der „Mäßigung“.
Was entstand, ist ein schön gesponnener Erzählfaden, nuanciert je nach Autor/in und Schreibduktus, bisweilen lauter, mit Zäsuren versehen, dann wieder zarter in der Stimmführung, grundsätzlich aber von einer gewissen stilistischen Übereinkunft:
Ein unterhaltsames und spannendes Gemeinschaftsprojekt – wie auch ein achtsam komponierter Lesegenuss, der sich als Anregung für ähnliche Experimente eignet.