Mela Hartwig: Bin ich ein überflüssiger Mensch?

Roman

Droschl Verlag
Graz-Wien 2001

Ein ebenso berührendes wie zurückweisendes Buch ist der eben erst erschienene, bereits um 1930 geschriebene Roman Mela Hartwigs. Damals, im Jahre 1933, erteilte der Zsolnay-Verlag der Autorin eine Absage, da äußeres „Weltbild“ und „Lebensanschauung“ im Werk Hartwigs zu sehr divergierten. Umso informativer mutet auch das Nachwort Bettina Fraisls zu Leben und Wirken der Autorin an.

Hartwigs Buch spielt in der Zwischenkriegszeit. Aloisia oder Luise Schmidt ist Stenotypistin und als solche flink und tauglich. Fast manisch zeichnet die Autorin jene Spaltung im Selbst-Bewußtsein der Luise: einerseits maßlos (ehrgeizig), andererseits, so erlebt sie es zumindest, in allem stets nur halbwegs: Leidlich ansehlich. Leidlich fähig im Leben selbst.

Dieses Buch ist „Partitur“ einer Mittelmäßigkeit, die Hartwig mit solcher Präzision und derart zwingend (zwanghaft) darstellt, dass es einem mitunter schon fast zu viel wird. Beinahe larmoyant muten einige Passagen an, doch fast immer im richtigen Augenblick erfahren diese selbstkritischen (selbstzweiflerischen) Litaneien ihre Korrektur durch die Sprache selbst.
Letztlich ist es der sprachliche Gestus, der das gewagte Ausloten einer Selbstbeschau vor dem Kippen ins Unerträgliche schützt.

Schließlich verfällt Luise einer Obsession, als wolle sie ihrem Mittelmaß durch ein Rauscherlebnis entkommen. Diese Sucht führt unweigerlich zum Scheitern.
„Ich muß mich endlich mit mir selbst abfinden, und ich glaube, es ist mein Schicksal, kein Schicksal zu haben.“, lautet der letzte Satz.

Petra Ganglbauer

Ruth Aspöck: Schnaitheim

Sommerheimat

Edition die Donau hinunter
Wien-St. Peter am Wimberg 2000

„Die Zeit ist gekommen, die Heimatlosigkeit, …“
Mit dem ersten Satz tauche ich ein und vertraue mich jener Identitätssuche an, der die Autorin ihre Protagonistin unterzieht und welche sich aus insgesamt fünf Kapiteln zusammensetzt: Wegsuche Beruf/ Heimat Salzburg/ Sommer Schnaitheim/ Winter Linz/ Erinnerung Familie.

Aspöck gestaltet dieses Buch im Spannungsfeld zwischen einem sehr realen Außenraum (Orte, etwa Linz und Ulm wie auch das oberschwäbische Schnaitheim; öffentliche und private Personen; historische Fakten) und jenem spürbaren und nachvollziehbaren Empfindungsraum, mit dem die Autorin die innerseelische Befindlichkeit der Protagonistin zeichnet.
Diese Kindheits- und Jugendgeschichte einer Frau im Nachkriegseuropa gerät zur Selbstsuche einer sehr wachen und freiheitsliebenden, mutigen und selbständigen Persönlichkeit, hinter der wir deutlich die Autorin selbst erkennen, jedoch nur, weil diese es auch zuläßt. Berührend offen ist diese Prosa.
Ich vermute, dass sich die Suche nach Heimat auf kein Ziel ausrichten soll, sondern vielmehr zu einer immerwährenden Bewegung gerät.Die Protagonistin trotzt jeder Art von – auch örtlicher – Vereinnahmung:
„Brauche ich Heimat, um eine Welt zu haben?“, lautet bezeichnend der letzte Satz.

Petra Ganglbauer

Lucas Cejpek: Keine Namen

Roman

Sonderzahl Verlag
Wien 2001

Eine Schreibmanie, die einer genauen Kontrolle unterliegt und das scheinbar lose Reden, welches ganz gezielt das „Eigentliche“ verdecken soll, sind die beiden Motoren im vorliegenden Roman Lucas Cejpeks, welcher sich als Gesprächsbuch ausweist.
Interessant also wieder der konzeptuelle Ansatz wie in früheren Werken des Autors.

Inhaltlich geht es um einen Beamten, der interne Informationen aus dem (österreichischen) (Innen-)Ministerium an Meistbietende weiterleitet. Die Mechanismen des Geheimnisverrates sind es auch, welche er, wiederum gegen Bezahlung, an eine Journalistin weitergibt.
Aus diesem Interview setzt sich der Roman zusammen. Das Gespräch jedoch wird zum Monolog, dieser zur Instanz dieses Buches. Unmißverständlich bemächtigt sich der Beamte auch jener Gesprächsteile, die der Journalistin zuzuordnen sind, also Fragen, Vermutungen, Hinweise, Gesten… etc.und verwandelt sie sich implizit oder explizit an.

Die privaten Vorlieben des Beamten erfahren zunächst nur subtilste Andeutungen, etwa, dass er Kunstsammler ist. Das „Dräuende“ jedoch klingt während des gesamten Buches an, ist unterschwellig spürbar:
Rituell wiederkehrendes Herzstück dieser anfänglich nüchternen Camouflage ist eine erotische Wortkette aus Variationen, welche eine Abbildung auf einer Vase wiedergibt, die dem namenlosen Protagonisten gehört.

Der vorerst verlangsamte, schließlich immer rascher stattfindende und lauter werdende Satzlauf beansprucht eine eigenartige Dominanz für sich, der man sich als Leserin schwer zu enziehen vermag. Kalkül und Stringenz fungieren hier als Qualitäten, das Spiel mit Schreibgeschwindigkeiten. Stil und Inhalt spiegeln einander. Irgendwann schlägt das Allgemeingesellschaftliche ins Private um:
Die Obsessionen verselbständigen sich. Die Sprache auch. Sie geht durch.

Petra Ganglbauer

Bettina Balàka: Der langangehaltene Atem

Roman

Literaturverlag Droschl
Graz-Wien 2000

Im Spannungsfeld von Wissensansammlung und Weltgemisch – dicht, grell, überlaut, einerseits –, und der unwiderruflichen Einsamkeit individueller Existenz andererseits, bewegen sich die Ab-Schnitte in Bettina Balàkas Roman.

Zitate von Frank Wedekind und Werner Schwab werden vorangestellt, sie signalisieren vorerst einmal generell jene Gefühlslage des Buches, die auch noch durch Prolog und Epilog unterstrichen wird:

Das Festgefahrensein von Mensch (und Tier!) im ganz persönlichen Lebenszusammenhang, im Korsett der jeweils eigenen (Persönlichkeits)struktur.

Frau Graziani, die Protagonistin, fertigt Skizzen präparierter Tiere an und schickt sie ihrem Auftraggeber, den sie nie persönlich kennenlernt. Umso eigenartiger muten jene intimen Details an, welche die beiden einander bisweilen zukommen lassen. Es ist überhaupt so, als wäre einigen Personen in diesem Roman das Gefühl für Nähe und Distanz abhanden gekommen.

Alfred, Venezuela, Léa, Klaus etc. machen das persönliche Umfeld Grazianis aus, die – mitunter ungewöhnlichen – Episoden, kleine Höhepunkte ihres jeweiligen Lebens, werden von der Autorin kurzfristig scharfgestellt, um sogleich wieder dem Abtausch aus ebenso regem wie kühlem Brief- und Mail-Geschreibe überantwortet zu werden.

Kommuniziert wird also via E-mails, die sich, wie auch viele der postalischen Verständigungsversuche zu verlaufen scheinen; sie muten ins Leere gedacht/ geschrieben an; verfahren, als ob es keine/n Adressat/in/en gäbe.

Überlegungen zu Tod und Sexualität, fernen Ländern und Kulturen sowie vitale Traumschilderungen bilden eine weitere Ebene dieses Buchs.

Schließlich auch die optisch abgesetzten enzyklopädischen Hinweise.

Mitunter kippt die Sprache, läßt Anleihen vermuten, etwa beim schon zitierten Werner Schwab. Diese gewisse Inhomogenität wird noch verstärkt durch Prolog und Epilog, welche sich ihrerseits durch ihren fragilen, lyrischen Gestus vom übrigen Sprachgeschehen absetzen.

Ein gelungenes Zeitzeugnis ist dieser Roman, angereichert mit so vielem, was das heutige (westliche) Leben zu bieten hat, – er spannt den Bogen vom Archaischen zum Virtuellen, und legt auf diesem Wege die existentielle Isoliertheit jedes einzelnen Geschöpfes frei.

Petra Ganglbauer