Waltraud Seidlhofer: stadtalphabet

Mit Messerschnitten von Josef Kühn

mitter verlag
Wels 2010

In unausgesetzter Bewegung finden sich die Texte Waltraud Seidlhofers:
es ist die Bewegung des Geistes wie der Wörter und der Orte: also der Sprache!
Die Autorin stellt – wie in ihren bisherigen Arbeiten – die Elemente der Wirklichkeit neu und anders in Beziehung zueinander; so als wären die Gesetze der Schwerkraft aufgehoben. Die traditionellen Parameter Raum und Zeit existieren längst nicht mehr, vieldimensional taucht alles auf und unter oder springt in jener großen Leere umher, die, wie mir scheint, Ausgangspunkt dieser Literatur ist.

Zudem spricht die Autorin unterschiedliche Materialitäten an, die das Fassbare wie das Unfassbare, reale Urbanität/Landschaft und deren Modellcharakter einbeziehen.

„pappmodelle
und finger
und kuppeln“

Maserungen, Schraffuren, Zeichen setzen diese Gedichte/Sprachsequenzen nachdrücklich und konsequent – und muten dabei äußerst dynamisch an.

„stadt : die stelle
definition eines begriffs,
sammlungsdichte“

Filigran sind die beigestellten Messerschnitte von Josef Kühn, zerbrechliche Architekturen, die aus wieder anderen Kontexten entnommen sind, formal jedoch die Kommunikation zu den Texten aufnehmen.

Ein wundervolles Buch!

Petra Ganglbauer

Sophie Reyer: binnen (miniaturen)

Leykam Verlag
Graz 2010

Schreiben bedeutet stets auch Selbstverortung.
Sophie Reyer setzt die Geschichte schreibender Frauen fort, auch, indem sie den vorliegenden Band, genauer die darin enthaltenen Kapitel, Zyklen, „Reise (außen)“, „Trip (innen)“ und „Netz (spinnen)“ drei zeitgenössischen österreichischen Autorinnen widmet.
Sie spricht mittels fragiler lyrischer Partituren das „Gewicht der Welt“ in all seinen Erscheinungsformen (Gesellschaftskritik, Alltag, Geschichte, Innerseelisches, Körperhaftigkeit, Schreiben, Reisen) an, um sich nachdrücklich (eine Nachdrücklichkeit, die aus einer Zartheit im Umgang mit den Dingen heraus entsteht) zu positionieren.

„ :
ich trinke filterkaffee im
nirgendwo und freude
über die
milchhäute/“

Diese lyrischen Schwebedinge machen Lauf und Lebenszyklen wahrnehmbar – die Setzungen sind offen und transparent. In den weißen Umraum der Texte spricht es, spricht Welt. Im weißen Umraum, zwischen den Worten, sehen wir, werden wir angehalten, lesend zu sehen.

So kurz, schmal und durchlässig viele der Texte sind, so sehr verbreitern sie sich, wenn Stimmerhebung alleine nicht mehr genügt, wenn die poetisierte Haltung mehr Platz einnehmen, lauter werden muß:

„ :
schwarz/ blaue schlagspuren/ schleifspuren im gesicht“, liest es sich etwa horizontal über eine der Seiten.

Ein Lyrikband auf der Höhe der Zeit, der sich mit dem auseinandersetzt, was Leben beinhaltet und hiefür gezielt poetische Strukturen schafft.

Petra Ganglbauer

Gerda Sengstbratl: Einer ist hier schon verrückt geworden

Verlag Bibliothek der Provinz
Weitra 2010

Gerda Sengstbratl arbeitet seit Jahren konsequent und kontinuierlich an programmatisch ausgerichteten literarischen Projekten: Sie verknüpft stets das Spirituelle mit dem Politischen, ihre Arbeit schillert nachhaltig – gerade weil die unter der jeweiligen inhaltlichen Oberfläche liegende Spur so absichtsvoll ist. Was Sengstbratl macht, ist politische Arbeit im literarischen Kontext. Und sie tut es auf erfrischend kurzweilige Art.

Im vorliegenden Buch stellt die Autorin die beiden Pole Afrika und Österreich einander gegenüber, zeigt die Unmöglichkeit dieser beiden Topoi und ihrer dahinterliegenden Gesellschaftsstrukturen auf, einander zu berühren, zu befruchten.
Brisante Themen wie Migration, Integration ohne Anerkennung, Rassismus und Diskriminierung in Österreich flammen – Warnungen gleich – auf; in jener eigenwillig mithin auch trotzigen Sprache, welche die Arbeiten der Autorin ohnehin kennzeichnet.

Nicht selten gerät Literatur, die im Einzugsbereich von Gesellschaftskritik agiert, trocken und eindimensional: dieses Buch jedoch spiegelt Vielschichtigkeit, Vielstimmigkeit von nebeneinander stehenden, einander durchwirkenden oder einander ausschließenden Wirklichkeiten wider.

Die Autorin führt Traum und Realität, Wunsch und Status Quo, Mythos und Politik zusammen. Eine feine ironische Schwingung durchzieht das Buch, eine Ironie, die gerade jene Funktion erfüllt, die die erneute Auseinandersetzung mit oben genannten Themen ermöglicht:
Die Protagonistin kämpft für die Rechte ihre Mannes Jerome, eines Afrikaners, in Österreich.

Ein sensibles, farbenfrohes und sprachlich erfrischendes Buch, welches sich dadurch auszeichnet, dass es Gefühle freisetzt und dass es zudem jene (auch afrikanischen) Wurzeln sichtbar macht, die jenseits von unverrückbar scheinenden gesellschaftlichen Bedingungen uns tiefer, viel tiefer mit unserer Existenz verbinden.

Petra Ganglbauer

Eva Jancak: Heimsuchung oder halb eins

www.jancak.at
Wien 2010

Das Buch hat einen beinahe konzeptuellen Ansatz, wurde es doch just in einem Monat – dem nationalen Writing Month 2009 – geschrieben, um bei NaNoWriMo mitzumachen und einen Roman aus 50.000 Worten zu produzieren. Die Autorin hat an verschiedenen Plätzen gearbeitet, mehr oder weniger fortlaufend geschrieben, die jeweiligen Topografien flossen auch in den Text ein.

Zudem ergänzt das Buch sehr passend Jancaks bisheriges Schaffen:
Wieder arbeitet die Autorin gesellschaftliche Strukturen heraus; darüber hinaus Literaturmarkt – und Schreibszeneninterna.
Aber auch der Cyberspace wird eingebunden: In diesem Spannngsfeld zwischen Blog-Kommunikation und Alltag bewegen sich die Ereignisse.
Jancak versteht es, die Leserin, den Leser der Ereignisse regelrecht habhaft zu werden, an ihnen teilzuhaben, auch weil ihr Erzählstil sehr plausibel und plastisch geartet ist.
Sie arbeitet die Interaktionen zwischen ihren Figuren anregend heraus, wiewohl wir stets auch das Gefühl haben, die eine oder andere unter ihnen (abgesehen von der sehr realen Nobelpreisträgerin Herta Müller) persönlich zu kennen. Das macht den Text auch spannend. Es geht um Missgunst (gegen Barbara Winter beispielsweise), um Frustrationen (Svetlana Richters Erfahrungen etwa) und vieles mehr. Vieles davon erfahren Autorinnen und Autoren während ihrer Lebenszeit beinahe unausgesetzt.

Ein inhaltlich sehr waches Buch, das auch lebendig geschrieben ist!

Petra Ganglbauer

Chacha Bevoli: Gedankenströme

Lyrische Texte

Elisabeth Chovanec
Wien 2011

Vom einfachen und vorurteilslosen Umgang mit der Natur, von den Gezeiten, dem Lebens- und Jahreslauf erzählen diese Gedichte; die Naturmetaphorik wird ganz bewusst für seelische Prozesse und die privatesten Momente im Leben „die Stimme verloren/Im Pulsschlag der Nacht“ eingesetzt. Wenig später heißt es im selben Gedicht: „Warte auf die Helle.“
Stets also ist das Hoffnung bringende, die Dunkelheit auflösende Moment jener Impuls, der das lyrische Ich seine Erfahrungen mit der Welt und ihren Geheimnissen machen lässt.
Diese Gedichte sind im eigentlichen Sinn unprätentiös, aber sie machen die Welt des Ungreifbaren, Geheimnisvollen transparent, lassen die Seele der Kristalle, des Wüstensands oder des Teelichts aufleuchten.
Geordnet sind sie in fünf Kapitel, deren hervorstechenster Titel wohl „Lebensoval“ ist.

Die Texte sind Poetiesierungen des Alltags, indem dessen Facetten geprüft und gewendet werden wie die „Heitere Gedankenlosigkeit.“

Ein unaufdringlicher Humor setzt sich in den Gedichten fort und macht sie leicht und das Leben dadurch auch in seiner Schwere verkraftbar.

Petra Ganglbauer

Erika Kronabitter: einen herzschlag nur bist du entfernt

Edition Art Science
Wien-St. Wolfgang 2010

Erika Kronabitters Gedichte sind ein einziges ausladendes Requiem. Sie sind zudem ein Randgang zwischen dem „Gerade Noch“ und dem „Nicht Mehr“.
Die Texte bilden eine formale Zusammenschau aus einem äußerst sphärisch-subtilen Gestus und einer hohen Sprachgeschwindigkeit. Das macht sie so aufgeladen.

Das Buch kreist um die Themen Abschied, Vergänglichkeit, Verlust und Trauer, eine Trauer, die jedoch mitten aus dem Leben gegriffen ist, die vital ist, poetisch, mitunter laut und beinahe trotzig.
„Als ob ich dich schnell anrufen müsste und/ dir erzählen“.
Da spricht/ ruft ein waches lyrisches Ich, das sich vehement der Endgültigkeit und dem Unwiederbringlichen widersetzt.

Da gestalten sich Erinnerungs/Bilder aus der Negation heraus „vor dem haus nicht mehr/ im garten nicht mehr…“ und werden auf diese Weise plastisch, lebendig.

Nicht nur der Mutter sind Gedichte gewidmet. Unter anderen auch Autor/inn/en wie dem verstorbenen Lyriker Gerhard Kofler.

Erika Kronabitter wendet unterschiedlichste formale Umsetzungen des Themas an, manche der Texte sind eher dramatisch angelegt, Partituren gleich, andere wieder von strenger Textur, schmal und voll von Parallelismen.
Die verschiedenen zyklischen Typen von Gedichten machen den Band sehr abwechslungsreich.

Ansprechend, weil zart und wie aus einer anderen Dimension geholt, die Coverzeichnung, von der Autorin, Künstlerin selbst gefertigt.

Ans Herz gelegt!

Petra Ganglbauer

Bernhard Saupe: Viersäftelehre

Gedichte

Klever Verlag
Wien 2010

Alles irgendwie unter Verschluss. Das Toben bricht bisweilen durch die Oberfläche der Ereignisse und Befindlichkeiten und erzeugt Blasen oder zündelnde Sprache.

Und doch und dennoch:
Gleichsam immer noch versiegelt, eingerissen, eingezwängt muten die Selbst(ent)äußerungen des lyrischen Subjekts in diesen Gedichten an.
Weil soviel an Umwelt da ist, und somit auch Entfremdung; also Sprachzerteilung; also Gedankenbeschneidung.

Es ist dieses Hereinholen von Alltag und Gesellschaft und einer Verweigerung, einer deutlichen Abwehr dagegen, welche die Texte so interessant machen.

Ein empfehlenswerter Gedichtband!

Petra Ganglbauer

Gerhard Ruiss/Oswald von Wolkenstein: So sie mir pfiff zum Katzenlohn

Lieder. Nachdichtungen. Band III.

Folio Verlag
Bozen 2010

Kürzlich habe ich dieses Buch anlässlich eines Workshops zum Thema Übersetzen hervorgehoben:
Dies ist der dritte Band des dreiteiligen Werkes von Gerhard Ruiss, der sich herzhaft, voll sprachlicher Vitalität und – trotz aller sprachlicher Disziplin – gleichsam unverstellt auf die Spuren Oswald von Wolkensteins begeben hat.

Rhythmisch, musikalisch und lautmalerisch (etwa BERST, BRICH) muten die Lieder an, zeitgemäß sind sie und empfindungsmäßig durchaus nachvollziehbar, versteht es Ruiss doch hervorragend, die Sprache Wolkensteins so zu übersetzen, dass sie etwas Gültiges, Zeitloses erhält.

Man spürt, dass der Autor aufrichtige Freude an seiner Arbeit hatte.
Ansprechend gestaltet auch der Band, der Kopien von Liederhandschriften ebenso enthält wie die Originaltexte.

Petra Ganglbauer

Christian Ide Hintze: nantzn

asemantic performance poetry 1989-2009

www.acolono.com
Wien 2010

Spannend und zugleich die Achtsamkeit des Betrachters/ der Betrachterin schulend, ist dieses Video, auf dem sich kurze und Kürzest-Sequenzen von „asemantic performance poetry“ finden.

Viele der Stücke kommen einem poetischen Ritual gleich: der Dichter, weit gereister Autor und verdienter Leiter der Schule für Dichtung in Wien, setzt gleichsam alles ein, was ihm gestisch, stimmlich, artikulatorisch, ganzkörperlich und vor allem feinstofflich zur Verfügung steht, um dort anzusetzen, wo die Sprache ihren Ursprung hat und um diese Tiefenschichten zu übersetzen.
Er kommuniziert bisweilen auf einer Ebene, die für viele von uns nur erahnbar ist, er zeichnet Spuren in die Luft, setzt Markierungen in den Raum. Verlangsamt, dann wieder beschleunigt oder Akzente setzend.

Bewundernswert die große Disziplin, die hinter diesen Performances, die die Arbeit Hintzes aus vielen Jahren und an vielen Orten (von Kuba bis in die österreichische Waldlandschaft) spiegeln, steckt.

Die Parameter für diese Arbeiten dürften etwa so lauten:
Bewusstsein, Achtsamkeit und poetische Souveränität.
Sehenswert!

Petra Ganglbauer

Gertraud Klemm: Mutter auf Papier

Arovell Verlag
Gosau 2010

Es gibt neuerdings eine zeitgemäße und „andere“ Form, Mutterschaft zu literarisieren. Oder ungewollte Kinderlosigkeit. Oder Adoptivelterntum.
Und zwar so, dass sich neue Empfindungsräume oder auch „Körper“ weiblicher Sprache auftun.
Gertraud Klemm hat sich auf dieses sehr komplexe Unterfangen eingelassen. Sie zeichnet in ihren kurzen Prosastücken Wege des Schmerzes, verunmöglichte Mutterschaft, Spuren der Einsamkeit, der Isolation, der Abwehr, der Trauer, der Wut und schließlich Adoptivelternschaft nach.

Mittels immer neuer Anläufe, Annäherungen und formaler Zugänge (von Träumen bis zu Zeitungsmeldungen, von Listen bis zu Kommentaren) öffnet die Autorin einen Raum, der alles beinhaltet, was die Sehnsucht nach einem eigenen Kind, die Unmöglichkeit zu gebären, das innergesellschaftliche Ausgesetzt-Sein ausmacht.

Klemm ist – trotz gekonnter Sprachgestik – eine Aufdeckerin. Sie stellt vollkommen authentisch dar, was allzu oft verdeckt, verschwiegen wird.
Ihr Buch ist sozialkritisch und zugleich spannend und poetisch.

Ans Herz gelegt!

Petra Ganglbauer