Besessenheit wohnt diesem Prosagedicht inne, einem Sprachstück, das nach bester Machart geschrieben ist und Körperrausch wie Seelengetöse vergegenwärtigt.
Es lässt jene Zeit- und Empfindungsqualitäten hervorragend zu Tage treten, die für die Lebenszeit wie auch die letzten Tage des großen und allzu früh verstorbenen Dichters Rimbaud bezeichnend waren. Eingeflochten sind auch die Spuren anderer Großer wie Verlaine, Pasolini, Shelley, Keats oder Hölderlin.
Enzinger gelingt es, mittels Sprachkunstgriffen wie Alliterationen, Assonanzen oder Apotheosen – um einige zu nennen – einen Irrlauf der Gefühle, aufgeladenes überbordendes Gedankenwerk zu inszenieren, bis zum Wahnerleben, und zugleich jene Schnittstellen zwischen Werden und Vergehen, einem letztem Aufflackern im Irdischen und der sich anbahnenden Transzendenz herzustellen.
Ein Buch, das sich nur gebannt lesen lässt, ein Sprachzug (Schachzug), dem man sich kaum entziehen kann.
Orge Georwell. Aufzeichnungen aus 2001 Nacht. Protokoll der laufenden Ereignisse.
Hrsg. Roland Ranach und Bruno Gitterle
EYE Verlag für die Literatur der Wenigerheiten
Landeck 2010
Nachdem George Orwell das 20. Jahrhundert schon 1948 zur Gänze beschrieben hatte, ist es nun hoch an der Zeit, das 21. unter die Lupe zu nehmen: Orge Georwell liefert uns nun Aus- und Einblicke in eine Zeit, die in „Achterl“, „Neunerl“, „Sekund“ und „Grad“ gemessen wird und in der die Menschen sich den Boden unter den Füßen schon sehr heiß gemacht haben. Ein dichtes, sprachlich opulentes Werk, ja ein Text-Raum-Schiff begegnet den LeserInnen da, in dem um die Anfangsinitialen der Kapitel die Blasen blubbern, eine Art Computerstimme aus dem Off mit Namen „automatische Textanalyse“ immer wieder Korrekturkommandos gibt und Ex-Nobelpreisträger John „Joe“ Downland die Stellung hält und Stellung bezieht zum aufhaltsamen Klimawandel und weiteren Katastrophen, die heute schon ständig unter den Teppich gekehrt werden, bis der Teppich einmal platzt.
„Arche 2“, so heißt sein Schiff und die Aufzeichnungen sind das seismographische Logbuch, keine Dorf-, sondern eine Global Village-Chronik, ein Tagebuch der letzten Tage, in dem unter anderem von Darwins langem Bart zu erfahren ist oder von Papst Theophil 2, der den heiligen Stuhl durch einen einfachen Sessel austauscht und der Brenner-Basistunnel als mehrröhriges Nord-Süd-Fließband präsentiert wird. „Begriffe wie Treibhauseffekt, saurer Regen oder Ozonloch scheinen aus dem Fachvokabular der Klimatologen verschwunden“, heißt es an einer Stelle und diesem Verschwinden(-lassen) der Wörter oder Ersetzen durch Behaglichkeit suggerierende wie global dimming bei gleichzeitig zunehmendem Auftauchen der Denotate wird nostradamisch seherisch und hintergründig humorig nach- und vorausgespürt.
Angereichert ist der Band mit Bildern von Claudia Dekassian, Siegbert Haas, G. Kuni, Gerald Kurdoğlu Nitsche, Alois Lang und Konny Ransbach, Kadir Nakipler, Erkan Nazlı, Christof Nitsche, Atila Özer, Gerd Pircher, Eva Maria Walch (Initialen, Vignetten) und Renate Weber (Scherenschnitte). Sie alle verleihen den Textflüssen adäquaten bildnerischen Ausdruck, wenn etwa der Müllberg als Bombe ins Bild gesetzt wird, die der Welt auf den Kopf fällt (Atila Özer) oder der Nordturm des Wiener Stephansdoms im Sinne interreligiöser Verständigung weitergebaut wird, nämlich als Minarett (Gerald Kurdoğlu Nitsche, Claudia Dekassian). Wem das Wort Klimawandel zu verhüllend ist und zu sehr nach Verwandlung und Veränderung vom Schlechteren zum Besseren klingt, ist bei diesem wunderbaren Buch mit an Bord – die anderen mögen an Bord kommen.
In Michaela Falkners rasanter Prosa geht es um Existenzielles; um Beziehungsmuster zwischen Frau und Mann, um ein atypisches und deshalb umso aufgeworfeneres, aufwühlendes Mutterprofil. Gefühle fahren Achterbahn, der Körper signalisiert permanent den Gefühlspegel der Protagonistin.
Die Sprache geht mit, oder besser, verursacht das alles, denn in dieser Literatur wird die Verschränkung von Inhalt und Form noch einmal überholt, hier wird Form zum Inhalt.
Zwischen Entsetzen, Niedertracht, Gewalt, Anbetung und anderen extremen Empfindungen setzt sich ab und an der Fortgang einer Geschichte, einer Versessenheit.
Der Textkörper verengt sich bisweilen, als ob er den psychischen Druck noch erhöhen wollte, und erzeugt Beklemmung.
Bezeichnend auch der insistierende Duktus, Rhythmus – ein (Oberflächen) spannendes Buch, dem man sich schwer entziehen kann.
In ihrem neuen Lyrikband unternimmt Petra Ganglbauer eine konsequente Reduktion von Sprache, ohne diese auszudünnen. Ihr Texte sind kurz, prägnant und gleichzeitig sehr poetisch, in den jeweils wenigen Zeilen eines Gedichts springt eine Bildfülle auf, ein kleiner Wortkosmos, ein in sich schlüssiges Bild, aus unerwarteten Wörtern geformt: „Immer schon in Gang dieses Andere/Bild-Re-velation/Weiße Variante/ (Der Krieg ist unerreichbar) aus Wasser oder Glas/ Oder Schalldämpfer: das Bild kippt und wird real.“ (S.67)
Jedes der Bilder ist real, jedes Wort trägt seine Bedeutung ohne Verfremdung, erhält seine Nobilität in seinem Kontext: „Das Wort wird in die Zeit gepackt,“ (S.23). Die Zusammenhänge ergeben sich nicht vordergründig, sondern resultieren aus poesievollen Splittern, mit denen Weltsicht vermittelt wird.
„Der Zusammenhang der Bilder/Reflektiert den Rest./Des Lichts.“ (S. 63) Es entsteht eine große Dichte, eine faszinierende Konzentration, in den wenigen Zeilen eines Gedichts findet sich nichts Überflüssiges, kein Füllwort, nur die kleine Nennung der Dinge, für die Petra Ganglbauer auch zu eigenwilligen Wortzusammenhängen., Wortschöpfungen greift, um eine größere Präzision, eine perfekte Reduktion zu erreichen. Sie schreibt von „wasserbegonnenen Bildern“, einem „Schockhimmel“, von „wildfarbenen Serpentin“, von “Pixelschnee“ und „Zitterwasser“, Wörter, die, als Beschreibung, für sich stehen könnten und die in ihrem Kontext eine zusätzliche Farbe, Sinnlichkeit erhalten.
Petra Ganglbauer baut auch Kurz-Passagen in anderen Sprachen ein, zitatartig, und sie arbeitet mit grafischen Mitteln (Wortabstände, Kursivschrift, Satzzeichen, Klammern) und intensiviert dadurch noch die Struktur ihrer Gedichte. Daß jedes dieser kurzen Gedichte nicht nur seine Seite, sondern auch die gegenüberliegende (weiße) Seite zur Verfügung hat, sei dem Verlag hoch angerechnet.
Die Wörter, Wort-Bilder in Petra Ganglbauers Gedichten ergänzen sich, bauen sich auf, wenden sich auch gegeneinander, überraschend, unerwartet, und doch werden nie Brüche gebildet, sondern es entsteht eine lyrische, ins sich geschlossen „Montage“. „Eine solche Montage!/Braucht nur wenige Striche:/Wasser, Landschaft, Auge./Into the direction of day.“ (S. 63)
Man könnte dieses Gedicht auch als eine Art Programm für diesen Band lesen, in dem die Autorin mit ihrem so bewussten Umgang mit Sprache, durch die Beschränkung jedes Gedichts auf wenige Zeilen, Raum für intensive Poesie schafft.
Ein kleines literarisches und visuelles Zeitdokument ist der vorliegende bibliophile Band mit Texten von Gerhard Jaschke und Offsetlithografien nach Fotos von Toni Kurz.
Das Buch lässt zwischen den Zeilen und von Bild zu Bild jene ganz eigene Atmosphäre durchscheinen, die so bezeichnend für „Buchmessenverhältnisse“ ist. Auch begegnen wir auf diesem Weg unter anderem noch einmal dem unvergesslichen Werner Herbst, einem/dem Weggefährten Gerhard Jaschkes.
Wie stets in seiner Arbeit, findet auch hier der sprachbewußte, vieldeutige Umgang mit Wörtern seinen Niederschlag, etwa an jener Stelle, bei der es um das glatte oder griffige „mailen“ geht.
Bezeichnend auch Widmungen und intertextuellen Bezüge, beispielsweise für und zu Gerhard Rühm oder Oskar Pastior; Dichter(-Namen), die zusätzliche Kontext- und Bedeutungsfelder eröffnen.
Gerhard Jaschkes Werk, diesmal in Form von literarischen Anrissen, Stücken gleich, die aus dem teigigen Getriebe der Frankfurter Buchmesse ausgestochen wurden.
Herzhaft lesens- und betrachtenswert!
Petra Ganglbauer
Den großen Aktionsradius des Dichters Manfred Chobot spiegelt dieses Buch, seinen unverstellten Zugang zu vielen Persönlichkeiten, mit denen er sich auseinandersetzte oder die er im Laufe seines Lebens traf.
Chobot wählt die Gattungen Essay und Interview, um sich mit den Spezifika Anderer (etwa des jüngst verstorbene Alfred Hrdlicka) auseinanderzusetzen. Schön etwa das sensible „Portrait“ des allzu früh verstorbenen Christian Loidl, einige exemplarische Lichter lässt Chobot da aufleuchten, Punkten oder Strichen auf einer Leinwand gleich, – sie vermögen uns in der Tat mehr zu erzählen als lange Abhandlungen.
Erwähnt sei u.a. auch das Gespräch mit Wolf Vostell über Fluxus – anregend und informativ. Oder aber auch sein Beitrag über drei Gugginger Künstler, ein hochspannender Beitrag.
In diesen Essays zeigt sich Chobot in seiner ganzen Authentizität, gerade das ist das Spannende an diesem Buch: dass es einerseits professionell geschrieben und andererseits gleichsam aus dem Leben gegriffen ist.
Besonders signifikant ist auch seine Beschäftigung mit „Vergessenen“ wie Arthur Holitscher. Das ist ihm hoch anzurechnen.
Von Einsamkeit erzählt dieses Buch, von der Einsamkeit des Kindes wie der erwachsenen Frau. Und von der Strategie des Unbewussten, das Leben erträglich zu machen. Es erzählt auch die Geschichte zweier Schwestern, wobei nicht klar wird, welche welche ist, die beiden spiegeln sich, tauschen einander ab und aus; es stellt sich die Frage, ob es sich bei beiden nicht doch um ein multiples Ich handelt.
Margret Kreidls Buch ist sehr ungewöhnlich: einerseits spricht es die genannten Themen an, andererseits stößt es sich immer wieder davon ab, indem es sich ganz auf die Form (das Regelwerk) besinnt, sich vorhandener sprachlicher Schienen bedient, die Rhythmus und Melodie von Kinderreimen, Zaubersprüchen oder auch Liedern haben. Abzählreime wie Ratespiele reißen uns situativ heraus, immer dann, wenn wir vermuten (!), dass der Schmerz zu groß wird. Denn der Schmerz findet sich wie alles Andere hinter einem Schleier. Ereignisse, Erinnerungen und auch Traumsequenzen muten wattiert an, wie hinter Glas.
Das Eigenartige an diesem Buch ist, dass es bis auf das letzte Wort geschliffen ist und dennoch wie ein Ausloten wirkt. Ein Probieren, Ein Leben probieren, „Sprüche riskieren“. Ein lesenwertes Buch!
Mike Markarts Stärke liegt im genauen Verschränken von poetischem, oft auch hyperrealem und politischem Gestus.
Manchmal muten seine Sätze wie gezeichnet, wie gemalt an:
Zart, fragil und dennoch sinnlich. Manchmal auch länger und verstiegen.
Der Ich-Erzähler flüchtet aus Rom, da sich dort große Unruhe ausbreitet. Zufällig landet er in Calcata, einem mittelalterlichen Dorf. Dort trifft er auf andere Flüchtlinge. Es gelingt ihnen mehr oder weniger, das Scheitern hinter sich zu lassen und einen neuen Blick für die Welt, die Dinge, das Zusammenleben zu gewinnen.
Ein Buch, das sich auf der Höhe der Zeit findet, weil es von verschiedenen Kulturen erzählt, von deren Aufeinandertreffen, von möglichen Auswegen aus gesellschaftlichen Krisen.
Ein Merkmal das allen Büchern Markarts gemeinsam ist, ist jene eigenwillig magische Anziehung, ein Sog, den sie auf die Leserin, den Leser ausüben.
Erika Kronabitter arbeitet auf mehreren Schienen, als Künstlerin, als Autorin. Als Organisatorin, als Lektorin, um nur einige zu nennen.
Diese einander ergänzenden Disziplinen finden auch ihren Niederschlag in ihrem literarischen Werk:
Wie sie die Gattungen durchquert, „öffnet“ sie auch ihre Bücher. So erschien kürzlich Teil 2 einer Romantrilogie.
Diesmal steht Viktor im Mittelpunkt der literarischen Auseinandersetzung, Viktor, der Mann Monas aus Mona Liza. (Siehe Erika Kronabitter: Mona Liza)
Viktor entgleitet sein Leben, seine Ehe. Er mutet wie ein Durchschnittmensch an, mit – ich möchte fast sagen – typologischen Verhaltensweisen und Befindlichkeiten; deshalb ist er in dem Buch weder Opfer noch Täter. Viktor ist also äußerst authentisch gezeichnet.
Das ist auch das Besondere an dem Buch: Die Autorin räumt uns die Möglichkeit ein, zwischen den Zeilen zu lesen, jene Gefühlsnuancierungen wahrzunehmen, die nicht definitiv ausgesprochen werden. Ein genaues Unterfangen ist das und spannend.
Die Eingangszitate, quasi Tore zu den einzelnen Kapiteln, erinnern methodisch an Teil 1 der Trilogie – sie bereiten wieder den Boden für ein über den spezifischen Inhalt des Buchs hinausgehendes weiter gefasstes gesellschaftspolitisches Verständnis.
Die Texte Waltraud Seidlhofers sind Teilstücke eines lange schon zuvor begonnen Sprachexkurses.
Es sind diese Wanderungen im urbanen wie im ruralen, in der Sprache wie in der Welt, die Seidlhofer unausgesetzt unternimmt, und es mutet an, als wären wir ab und an eingeladen, ihr, der Autorin, zu folgen, wiewohl sie, die Autorin, sich – quasi für sich – auf dieser Endloswanderung befindet, die regelmäßig in Büchern ihren Niederschlag findet. Eine Konsekution ist das Unterfangen des Lesens, wir folgen einer ganz spezifischen Schreibbewegung oder Wahrnehmungsweise, es ist, als legte Waltraud Seidlhofer ein Raster über das Weltgelände, wodurch all jenes, das unter dem Raster liegt, gelöscht wird und alles, was sichtbar ist, auch lesbar wird.
Aus großer Genauigkeit ist dieser Textkörper geschrieben, eine Textur, die, wie viele ihrer Vortexte geometrisch und akribisch anmutet. Eine der Hauptqualitäten ist die Nachdrücklichkeit, mit der die Autorin, den Landschaften, Formen, Linien visuell und also verbal nachspürt.
Dergestalt spiegeln sich Mikro- und Makrokosmos, Körper und Landschaft in den vorliegenden Texten.
Waltraud Seidlhofer
Podium Porträt 48
Podium Verlag
Wien 2009
Spannend ist auch das Podium Porträt, welches, ausgestattet mit einem trefflichen Vorwort von Christian Steinbacher, die literarische Entwicklung der Autorin aufzeigt.
Beides [wie: Tage, Passagen] ist sehr empfehlenswert!