Gregor M. Lepka: Aus dem Fenster der Blick

Resistenz Verlag
Linz-Wien 2009

Zarte Notationen sind das, aus einer Achtsamkeit heraus geschrieben, die den Dingen ihren Raum, ihre Zeit lässt.
Texte, die in sich ruhen und dennoch das Wort ergreifen. Verlangsamungsgedichte in einer Epoche der Beschleunigung und Akkumulation, Texte, die lichten, klären, die behilflich sind, dem Weltverständnis näher zu kommen.

Unprätentiös setzen sich die Gedichte Gregor M. Lepkas, Wort für Wort, wie Markierungen in Raum und Zeit. Schön, die Interdependenz von Innerseelischem und Außerseelischem, zutiefst lyrischen Themen.
Einige der Gedichte sind ruhig in ihrer kontemplativen Qualität, andere wieder um eine Spur expressiver.

Auch sind Zitate in diesem Band vorhanden, von Waltraud Seidlhofer, Michael Hamburger und anderen, sie erweitern den Kommunikationsprozess um diese intertextuelle Note.
Ein schöner Band mit ebenso unaufdringlich wie einprägsamer Gedankenlyrik.

Petra Ganglbauer

Helmut Schranz: BIRNALL

Es ist unter der Haut

Ritter Verlag
Klagenfurt-Wien-Graz 2009

Helmut Schranz veröffentlicht in großen Abständen Bücher, dies ganz bewusst, wie ich wähne, eine wirksame Strategie gegen die Vermarktungs- und Beschleunigungsmechanismen. Ist der kontinuierliche und dennoch verlangsamende Arbeitsduktus nicht die einzig machbare Form von Subversion heutzutage?

Der Band ist voll von Transgressionen, also Durchwanderungen, Quergängen; Sammlungen, Versammlungen finden sich da, wiewohl es auch konstantere Elemente gibt wie etwa Inventare, Charakterprofile, Glossare, quasi Definitionen, Redewendungen usw.

Insgesamt mutet das Werk wie eine Wiedergabe terrestrischer Verschiebungen an – Aufwürfe, Erdbeben, Überschwemmungen formaler Art sind das, die das Buch zu einer schönen und regelrechten Herausforderung machen.

Auch jene Grenze zwischen Trash und Ernsthaftigkeit wird Grat-gewandert: „Es ist unter der Haut“, so lautet etwa der Untertitel, und er erinnert beispielsweise an das Horrorgenre.

Petra Ganglbauer

Lisa Fritsch: Ausgewählte Gedichte

Podium Porträt 39
Wien 2008

Lisa Fritsch © Podium Verlag

Als ich Lisa Fritschs Gedichte gelesen hatte, fiel mir Ronald D. Laing ein, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass wir Menschen innen und außen oft nicht integrieren können. Die Gedichte haben durchaus das Thema Innenwelt-Außenwelt, sie beschreiben eine Transgression, oft ist es eine zarte Verwunderung über die Widersprüche, die sich ergeben, wenn wir das Wissen von einer Sache mit dem zusammentun, was wir außen wahrnehmen. Am offensichtlichsten ist dies bei den LANDSAT-Gedichten, die als eigenständiger Band 1995 bei Deuticke erschienen sind und von denen hier eine kleine Auswahl vorliegt. Wenn der Astronaut unseren blauen Planeten aus großer Entfernung betrachtet, dann sieht er „rund und zerkratzt (…) die Erde // eine tönerne Kugel / gealtert am Himmel“. Wir wissen aber, wie fest die Erde ist und dass diese „Kratzer“ vielleicht Kanäle oder Flussläufe sind. Und überhaupt entsteht eine Art innerer Musik in diesen Gedichten, wenn man, perspektivisch verzerrt, das Monumentale irdischer Erscheinungen und die durch die große Entfernung entstehende Kleinheit verinnerlicht. Groß und klein sind eben relative Größen. Die übrigen Gedichte des Bandes, in den Jahren 1971 bis 2008 geschrieben, führen mit seltener Stringenz vor, wie die genannten Kategorien entweder kontrovers sind oder einander durchdringen, wie also das Äußere vom Inneren gefärbt oder umgedeutet wird und umgekehrt. Innen ist nicht wie außen, aber beide ergänzen einander und lassen ein neues Bild, eine neue Wirklichkeit entstehen. Diese Gedichte lesend, können wir unsere Vorurteile sanft oder heftig erschüttern lassen. Denn so gemütlich und sicher unsere Innenräume in Wohnungen sind, so erschütterbar erscheinen sie uns, wenn sie von außen gesehen werden. So in dem Gedicht über die „Stadteinfahrt / an Häusern vorbei / Bettzeug / und Möbel // Schlafzimmer / in denen morgens / die Tapeten leuchten.“ Oder der wunderbare Anblick einer Baumkrone in der Sonne kann nicht vergessen machen, dass Schatten unentbehrlich ist – „ich zehre / vom Schatten / in der Sonne Harz.“ Sprachlich steuern diese Texte immer wieder auf äußerste Verdichtung hin. Die Dinge sind nicht die Dinge, das kann man lesend erfahren. Es gibt das Gedicht vom Flug über das Meer, wo Zeit und Raum, Leben und Tod aufs äußerste komprimiert werden, alles geht aus der Differenz zwischen der eigenen Lebendigkeit und dem Fremdanblick der übrigen Passagiere hervor, nicht zu vergessen die prekäre Luftfahrt, die aber von der Autorin nicht erwähnt wird. Hier wird der Widerspruch zwischen Statik und Bewegung interessant, nicht unähnlich der Empfindung, irdisch auf festem Boden zu stehen, indessen der Planet sich mit rasender Geschwindigkeit bewegt, was wir zwar wissen, aber nicht sinnlich erfahren können. Kompression der Zeit: Was geboren werden wird, ist zugleich schon gestorben, („[spatium] unaufhaltsam [spatium] die noch nicht geborenen Toten“). Der Anschein spricht nicht für die Einheit der Welt, vielleicht soll sie in uns erst hergestellt werden. Und dann das Gedicht über die alternde Mutter, deren inneres Dunkel, „das für sie jetzt / zum Blütengewölbe wird“ von den Parkbesuchern nicht wahrgenommen werden kann. Sie sehen nur die Hinfälligkeit ihres „Körpers (…).“ Von Person zu Person sind wir voneinander getrennt, wir leben von innen, für die anderen sind wir aber Außenwelt, die wiederum verwandelt wird in die eigene Innenwelt.

Die Gedichte der Lisa Fritsch trumpfen nicht auf, es sind Erkundungen einer immerwährenden Begegnung und Umwandlung von innen nach außen und von außen nach innen. Und sich als Reisende und als Reisender von der Erde entfernen, heißt sich ihr auf subtile Weise nähern. Der perspektivische Blick ist das große Abenteuer. Und es gibt die Paradoxie der Erscheinung.

Gerwalt Brandl

Gerhard Jaschke: WELTbude

Sonderzahl Verlag
Wien 2009

Absoluter Tipp: Gerade rechtzeitig zu seinem 60. Geburtstag ist Gerhard Jaschkes WELTbude erschienen. Eine poetische Sammlung der besonderen Art ist das, gibt sie doch Einblick in die methodische Vielseitigkeit des Autors. Die Rezensentin hinkt zeitlich hinterher…

Topografische und personelle Verweise enthalten diese Texte ebenso (etwa jener, der sich Chobot zum 60. nennt), reich an spielerischen Kunstgriffen sind sie, voll von Assonanzen, Alliterationen; da finden sich Anagramme, Lipogramme, kein Wunder es wird ja auch das Sprachbastelbuch fortgesetzt…
In so fern eignet sich das Buch nicht nur für die geehrte Leserschaft, sondern auch als Materialienband für Schulen, als Workshopgrundlage etwa.

Das Besondere an der gestalterischen Eigenheit des Buchs ist die Leiste jeweils oberhalb des Textes, die Flashs aus dem Leben des Autors quasi am Fließband wiedergibt.
Fotografien und Skizzen vertiefen den Einblick in die Lebens- und Arbeits-Welt Gerhard Jaschkes.

Erwähnenswert sind auch der Cover, die Farbe wie überhaupt die gesamte Gestaltung des Buchs.

Schier wunderbar!

Petra Ganglbauer

Peter Pessl: Das weisse Jahr

Aufzeichnungen aus dem Himalaya, Teil 2

Ritter Verlag
Klagenfurt 2009

Das-weisse-JahrEine spirituelle, eine ganzheitliche Schau beeinhaltet dieses Buch, das Teil 2 jener ausführlichen, über viele Jahre dauernden Schreib- und Reisebewegung (Suchbewegung) des Autors enthält, die im signifikanten Jahr 2012 ihren literarisch-publizistischen Abschluß finden soll.
Pessl bereist/e die Himalayaregionen in Indien, Tibet und Nepal.

Das Suchen (die Suchbewegung) weicht jedoch dem Finden: Das ist das Ungewöhnliche an diesem Buch, dass es dieser schnelllebig-rastlosen Zeit etwas entgegenhält, das man Vertiefung nennen könnte, etwas, das trotz physischer Bewegung an einem innersten Ort verbleibt – der allem der gleiche ist –, um dessen Sprache wahrzunehmen, die zugleich die Sprache aller Dinge und Wesen ist – vielschichtig, nuancenreich, die manchmal wie im Flug begriffen anmutet oder wie im Wasser, wie flammend oder aber wie aus einer untersten Erdschicht aufsteigend…

Eine eigenwillige Polyphonie ist das, die den religionsphilosophischen oder aber auch kulturellen Hintergrund nahe dem „Weltall“, insbesondere aber der buddhistischen, islamischen, hinduistischen und schamanischen Kulturen enthält.
Es spricht und es spricht sich vielmals und differenziert. Dieses Buch führt zurück zum Ursprung der Sprache, zur Göttlichkeit, an jenen Ort, der nicht verstellt ist, wo alles noch eins ist und jedes auf seine Art sprechen darf.

Der Autor schrieb einst von der Dingschmelze und Wesensschmelze im Text (siehe seine Wiener Vorlesungen zur Literatur, erschienen bei Freibord); jetzt, Jahre später, ist er dorthin zurückgekehrt, der Kreis schließt sich fast, allerdings mit einem ungleich größeren Aktionsradius!

Schön, die zahlreichen Skizzen, die der Autor selbst gemacht hat.

Erwähnenswert auch Band 1: Die Dakini-Dialoge, Ritter Verlag 2006.

Petra Ganglbauer

Christine Haidegger: Herz.Landschaft.Licht.

Gedichte

Otto Müller Verlag
Salzburg-Wien 2009

Fragil, wie gezeichnet, und gleichermaßen expressiv, weil derart durchdrungen von der Stimme des Schmerzes, sind diese Gedichte; sie werden begleitet von einer Traurigkeit, die anhält, die den Tag begleitet und während der Nächte nicht geringer wird.

Das lyrische Ich setzt wiederkehrend Haltepunkte, die wie Abschied klingen. Da ist ein Echo, ein steter Nachklang von Verlust, die Gedichte bewegen sich auf jenem feinen, konzise gebauten Grat zwischen dem Hier und dem Dort, in dieser Lyrik ist keiner der Pole ohne den anderen möglich; die Präsenz der Dinge bringt das unausweichliche „Dämmern“ von Abschied mit sich. Eine Absenz wiederum wirkt nachhaltig herein ins Jetzt ihrer Präsenz.

Ungewöhnlich beeindruckende Textstellen finden sich in diesem Buch, wie zum Beispiel: „Sich hingeben/ hieße/: unvollendet/ sterben.“

Christine Haidegger spannt einen weiten Bogen, der zutiefst lyrische Themata einbezieht, die Stimmführung in ihren Gedichten ist jedoch eine ganz eigene, sehr persönliche.

Ein schönes Buch!

Petra Ganglbauer

Lucas Cejpek: Wo ist Elisabeth?

Roman

Sonderzahl Verlag
Wien 2009

cejpek_elisabethBestechend das künstlerische Kalkül im neuesten Buch von Lucas Cejpek, elegant der sprachliche Duktus, raffiniert der Aufbau – gibt das Buch zudem formal sehr deutlich den poetologischen Standort des Autors wieder.

Zum Inhalt: Elisabeth Cejpek verschwindet in der Sofaabteilung einer Leiner Filiale; der Verkäufer findet im Telefonbuch den Autor Lucas Cejpek und ruft ihn an. Ab da beginnt die Suche, werden Wege (nach)gegangen, aber noch viel mehr Fährten gelegt!

Zu gewissen Haltepunkten (Motiven: die Handtasche, um ein Beispiel zu nennen) kehrt der Text zwar regelmäßig zurück, weit häufiger jedoch und systematisch unternimmt Cejpek Exkurse, baut kleine Versatzstücke und sehr präzise gebaute Textsequenzen, die sich quasi aus dem jeweils vorhergegangen generieren. Was da alles höchst farbenfroh und lebendig auf- und wieder abtaucht: Taschen, Fotos, Topoi, Personen oder auch namentlich andere Werke des Autors (Ludwig etwa), um nur einiges zu nennen.

Die in dem Buch vorkommenden Stimmen zitieren ihrerseits bisweilen andere Stimmen/ Personen wie George Bataille, John Cage oder Lale Andersen. Vielleicht mit ein Grund, weshalb in diesem Buch alles auch flüchtig, nicht greifbar, fast traumhaft erscheint, obgleich der Autor sich ab und an mit eigenen durchaus konkreten biografischen Details zu Wort meldet.

Und so münden die wohl strukturierte Suchbewegung, das Erscheinen der Dinge und deren Verschwinden im letzten und einzig wirklich greifbaren Satz: Jetzt bin ich Elisabeth.

Ein spannendes und zugleich sinnliches Unterfangen. Lesenswert!

Petra Ganglbauer

Fritz Widhalm: die nacht schluckte die dämmerung

Edition zzoo
Wien 2008

Ein eigenartiges Geheimnis liegt über den Sätzen des vorliegenden Buchs. Protagonist und Autor oder auch Alter Ego wechseln (einander ab), kommunizieren ab und an miteinander und erzeugen so ein raffiniert konstruiertes Verwirrspiel.

Fritz Widhalm legt Fährten, um sie dann wieder zu unterminieren. Wir erfahren so vieles über den Protagonisten Konrad, da gibt es etwa mitteilsame Eltern, die Konrads Entwicklung kommentieren – zugleich entgleitet uns diese Figur gezielt Seite für Seite. Deshalb möchten wir, kaum haben wir das Buch fertig gelesen, wieder von vorn beginnen, um in diese Weltschau aus imaginierten und Realfiguren einzutauchen.

Anregend auch dieses Hereinspielen anderer Werke des Autors, wie etwa „Pubertät mit Mädchen“. Begibt man sich in den literarischen Raum Fritz Widhalms, so findet man sich in einem ebenso natürlichen wie künstlichen Kosmos aus (existierenden, erinnerten, erdachten) Figuren. Deshalb fühlt sich die Leserin während der Lektüre dieser Bücher nie alleine.

Das Buch besteht aus 3 Teilen, die Gedichte in Teil 2 wurden von einer Figur namens Berta Wieland geschrieben, sie sind eine Hommage an Konrad, ergänzt durch Selbstportraits von Konrad Berger höchstselbst!
Auch in Teil 3 geht das Pendeln zwischen den Text- und Tageswirklichkeiten weiter…

Ein reizvolles Buch.

Petra Ganglbauer

Ilse Kilic: Das Wort als schöne Kunst betrachtet

Ritter Verlag
Klagenfurt-Wien 2008

Es ist förmlich (wörtlich und zahlenmäßig) ein Genuss, Ilse Kilic durch ihr Buch zu folgen. Sie führt – wie so oft in ihrer Arbeit – das im strengen Sinne Poetische mit dem Verspielten, Kindlichen zusammen; zugleich wirkt jedoch auch eine ungeheure Akribie in ihrer Arbeit.

Ein scheinbar simples Ich erzählt aus der literarischen Alltagswirklichkeit. Es spricht viele Facetten, Ansichten und Rückseiten des Schreibens an; es stellt auch notgedrungen Überlegungen zum Autor/inn/endasein mit alle seinen Tücken, Fallen und Freuden an, von der Inhalation des eigenen Ideenwerks durch andere bis zur Interdependenz von eigenen und anderen Texten.

Ilse Kilic zeichnet zudem eine poetische Landkarte der augenblicklichen experimentellen literarischen Szene in Österreich. In so fern enthält das Buch auch ein wesentliches Stück Literaturgeschichte. Es ist spannend, reizvoll und geheimnisvoll, steckt voller Methoden und Anläufe, quert die Gattungen und verschränkt das Numerische mit dem Buchstäblichen.
Es ist sinnlich, spannend und dennoch äußerst genau konzipiert!

Petra Ganglbauer

Elfriede Czurda: ich, weiß

366 mikro essays für die westentasche

Edition Korrespondenzen
Wien 2008

Wie eine Prosodie mutet der vorliegende Band von Elfriede Czurda an, der 366 Mikro-Essays für die Westentasche versammelt.
Er umfasst viel von dem, was Sprache an klanglichen oder auch rhythmischen Konstituenten aufzuweisen hat.
Quasi hinweg gerafft werden wir, die Lesenden, von rasend vorbei fliegenden Tagen – der sprachliche Duktus ist ein rasanter – die Texte ziehen vorüber wie das Leben und „kippen“ manchmal auch an der Grenze zu einem Anderen…

Hin und wieder gibt es ein Festhalten, ein Ruhen „phantastisch – krank“ etwa, dann wieder reißt uns die Onomatopoesie fort. Auffallend eben jene starke Vokalfärbung, wie sie auch schon für frühere Gedichte der Autorin bezeichnend ist. Allerdings handelt es sich hiebei um ein Kalendarium, schön gefasst zwischen dem 21. Juli und dem 20. Juli, Disziplinierung des Schreibprozesses mithin. Wunderbarer poetischer Exkurs, ebenso zielführend aber auch für jene, die sich mit dem täglichen Schreiben herumschlagen und dafür auf dubiose Lektüren zurückgreifen. Endlich eine Vorgabe!

Ausnehmend schön gestaltet ist das Buch, ein Text wurde von der Autorin handschriftlich in dem Band verewigt.

Ein Buch mit zeitlosem Inhalt, das dennoch von zutiefst menschlichen also vergänglichen Befindlichkeiten erzählt.

Petra Ganglbauer